Publikationen / vorgänge / vorgänge Nr. 201/202: Verfassungsschutz in der Krise?

Handel mit digitalen Waffen vor Gericht

aus: vorgänge Nr. 201/202 (1/2-2013), S. 116-117

Das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) und die Menschenrechtsorganisation Privacy International haben gemeinsam mit dem Bahrain Center for Human Rights und Bahrain Watch im Februar 2013 bei der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) Klage gegen zwei in Deutschland bzw. Großbritannien ansässige Firmen eingereicht[1]. Sie werfen der Münchener Trovicor GmbH und der britisch-deutschen Gamma Group International vor, Überwachungstechnologien nach Bahrain exportiert zu haben. Mit den von ihnen hergestellten Spionage-Produkten soll die bahrainische Regierung Menschenrechtsverletzungen begangen haben, indem sie regierungskritische Oppositionelle, Online-Aktivisten, Journalisten und Fotografen überwachen und identifizieren ließ. Die Betroffenen wurden willkürlich verhaftet, gefoltert und in ihren Rechten auf freie Meinungsäußerung und Privatsphäre verletzt[2].

Mit den Repressionen reagierte die Regierung des Königreichs auf die gegen sie gerichteten Massenproteste vom Februar 2011. Seitdem, so die Erklärung des ECCHR, werde jede kritische Äußerung gegenüber der Regierung kriminalisiert. Berichte über die Proteste und deren gewaltsame Niederschlagung versucht die Staatsspitze mit allen Mitteln zu verhindern. Für die Verfolgung der Kritiker bedient sie sich nach Auffassung der beteiligten NGOs der Spionagetechnologien von Trovicor und Gamma International. Im Fall von Trovicor handelt es sich dabei um Technik, die von Nokia Siemens Network übernommen wurde, im Fall von Gamma um die FinFisher-Suite, mit der sich Schadprogramme selbstständig auf dem Computer oder dem Telefon der Zielperson installieren – getarnt als harmlose E-Mails, Links oder Software-Updates. Mithilfe von FinSpy beispielsweise können eingebaute Kameras und Mikrofone aktiviert und auf diese Weise Informationen über Computernutzer gewonnen werden.

Daten, die aus solchen Telekommunikationsüberwachungen stammen, werden laut ECCHR in Bahrain nicht nur verwendet, um Dissidenten festzunehmen; oft schließen sich daran systematische Folterungen an. Transkriptionen der überwachten Kommunikation würden auch als Druck- und Beweismittel benutzt, um von Dissidenten Geständnisse zu erpressen. Spätestens ab 2011, so der ECCHR weiter, hätte das Management von Trovicor wissen müssen, dass die von ihr vertriebene Technologie von der bahrainischen Regierung missbraucht wird. Gamma International hat wiederholt bestritten, jemals Geschäfte mit Bahrain unterhalten zu haben, dennoch wurden auf mehreren Computern von bahrainischen Menschenrechtsaktivisten Spuren von regelmäßig aktualisierter FinFisher-Software gefunden.

Die beschwerdeführenden Organisationen verweisen in ihrer Klage auf die OECD-Leitsätze zur Unternehmensverantwortung. Demnach sollen Unternehmen nicht nur selbst keine direkten Menschenrechtsverletzungen begehen, sondern auch gewährleisten, dass ihre Geschäftstätigkeiten keine negativen Auswirkungen auf die Rechte Dritter haben. Derartige Verpflichtungen finden sich auch in den vom UN-Menschenrechtsrat aufgestellten UN Guiding Principles on Business and Human Rights (UN doc A/HRC/17/31).

Die beiden Firmen wiesen die gegen sie gerichteten Vorwürfe in ersten Stellungnahmen zurück. Trovicor verwies laut Agenturangaben darauf, dass man sich an die geltenden Exportbestimmungen halte und noch nie gegen Embargo-Bestimmungen der Niederlassungsländer verstoßen habe. Weder Gamma International noch Trovicor gaben jedoch Auskunft darüber, ob sie den weitergehenden Standards für Unternehmensverantwortung Folge leisten.

 http://www.ecchr.de/index.php/ueberwachungstechnologie/articles/oecd-beschwerden-gegen-hersteller-von-ueberwachungssoftware.html siehe: OECD-Beschwerde, Pressemitteilung 13-02-06.pdf (168,7 KiB)

http://www.ecchr.de/index.php/ueberwachungstechnologie/articles/oecd-beschwerden-gegen-hersteller-von-ueberwachungssoftware.html siehe: OECD-Beschwerde, Hintergrund 13-02-06.pdf (183,4 KiB)

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