„Informelle Zusammenarbeit ist lockerer“ - Ein Gespräch mit Hansjörg Geiger
aus: vorgänge Nr. 201/202 (1/2-2013), S. 29-39
Herr Geiger, die Humanistische Union fordert seit 1991 die Abschaffung des Verfassungsschutzes. Was meinen Sie,
kann man ihn abschaffen?
Wir brauchen einen Verfassungsschutz, weil es leider Menschen gibt, die den Rechtsstaat aus seinen Angeln heben
wollen sei es, dass sie rechtsextremistisches, neonazistisches Gedankengut nicht nur haben, sondern auch in Taten
umsetzen wollen, siehe NSU, sei es, dass wir auch von anderer Seite her Gefahren für die Demokratie sehen. Es darf
nicht erst dann reagiert werden, wenn die Gefahren sich verwirklicht haben, wenn der Anschlag geschehen ist.
Deshalb ist die präventive Arbeit des Verfassungsschutzes notwendig. Um im Vorfeld solche Risiken erkennen und
darauf reagieren zu können, brauchen wir eine Institution wie den Verfassungsschutz. Wenn man ihn abschaffte, würde
diese Aufgabe ja weiterhin bestehen bleiben und diese Aufgabe müsste dann nur eben von einer anderen Institution
erfüllt werden. Diese wäre zweifelsohne die Polizei. Als Ergebnis hätten wir, was es auch in anderen Demokratien
gibt, eine Art Staatsschutzpolizei, die die polizeilichen Befugnisse mit den Besonderheiten der
nachrichtendienstlichen Vorfeldarbeit verbinden würde.
Wir haben es den Alliierten zu verdanken, dass sie mit dem Polizeibrief vom April 1949 verfügt haben, dass
Nachrichtendienste und Polizei getrennt sein müssen. Das nennen wir heute Trennungsgebot. Das
Bundesverfassungsgericht hat erst vor wenigen Wochen dieses organisatorische Trennungsgebot zwischen
Nachrichtendiensten und Polizei im Grundsatz bestätigt. Dessen Aufweichung hielte ich für problematisch. Ich sehe
heute bereits durch die starke Ausweitung der polizeilichen Aufgaben hin zur Gefahrenvorsorge, also in das Vor-
Vorfeld der Gefahrenabwehr, eine teilweise Überlappung mit den Aufgaben des Verfassungsschutzes. Inzwischen wird
es offensichtlich als völlig normal angesehen, wenn auch die Polizei in diesem Vor-Vorfeld tätig wird, dort ihre
eigenen polizeilichen Befugnisse einsetzt und letzten Endes inzwischen sogar über alle wesentlichen
nachrichtendienstlichen Befugnisse verfügt. Als alleinig tätiger Akteur hätte sie nach einer Abschaffung des
Verfassungsschutzes allerdings eine Macht, die in einem demokratischen Rechtsstaat einer einzigen Organisation
nicht zukommen sollte. Nur nebenbei bemerkt, die Polizei unterliegt keiner vergleichbaren Kontrolle wie für die
Nachrichtendienste etwa durch das Parlamentarische Kontrollgremium besteht.
Wenn man den Verfassungsschutz bestehen lässt, was muss an ihm verändert werden?
Wir müssen zwei Dinge unterscheiden, die Organisation des Verfassungsschutzes nach außen, seine Gesamtorganisation
und die innere Organisation des Verfassungsschutzes. Wir haben in Deutschland 18 Ämter für Verfassungsschutz: 16
Landesämter, das Bundesamt und den MAD. Das sind zu viele. Das Bundesamt für Verfassungsschutz und der MAD haben
faktisch die gleichen Aufgaben, nur der Personenkreis, für den sie zuständig sind, ist etwas unterschiedlich. Es
macht wenig Sinn, zwei Organisationen parallel nebeneinander arbeiten zulassen, die können sich nur unnötig ins
Gehege kommen, geben sich gegenseitig keine Informationen. Sie führen, wie wir es auch im NSU-Fall gesehen haben,
jeweils ihre eigenen V-Leute, die selbstverständlich nichts voneinander wissen.
Im Landesbereich haben wir 16 Ämter mit einem sehr breiten Aufgabenspektrum. Sie sollen die rechts- und die
linksextremistischen Bestrebungen beobachten, sie sollen islamistische Bestrebungen beobachten, sowie
sicherheitsgefährdende oder extremistische Bestrebungen von Ausländern beobachten, sie sollen Spionageabwehr
betreiben, Sicherheitsüberprüfungen durchführen, sie sollen auch Scientology im Auge behalten und sich schließlich
selbst verwalten. Es gibt 3 Landesämter, die mehr als 300 Mitarbeiter haben, Bayern, Baden-Württemberg, Nordrhein-
Westfalen. Zwei Landesämter, Niedersachsen und Hessen, verfügen über deutlich mehr als 200 Mitarbeiter. Die anderen
Landesämter haben weniger, zum Teil unter 100 Mitarbeiter. (1) Damit dürfte ein überwiegender Teil der Landesämter
nicht wirklich in der Lage sein, das von ihnen erwartete breite Aufgabenspektrum zu erledigen. Deswegen ist eine
grundsätzliche Reform notwendig. Dabei ist zunächst zu prüfen, ob alle diese Aufgaben zukünftig noch erforderlich
sind. Dann wird zu überlegen sein, wie die Landesämter untereinander und wie Landesämter und das Bundesamt
zusammenarbeiten sollen. Vorstellbar ist, dass einzelne Landesämter sich die Aufgaben untereinander aufteilen und
dies über Staatsverträge vereinbart wird. Auch könnten die Aufgaben, die einen Bezug zum Ausland haben, vorrangig
dem Bundesamt übertragen werden. Die Verfassungsschutzämter sind ja nicht alleine tätig außer den Polizeibehörden
besitzt der Zoll auf diesem Feld partiell eigene Zuständigkeiten. Ein aktuelles Problem ist die Zusammenarbeit der
Verfassungsschutzämter untereinander. Zwar verpflichtet das Bundesverfassungsschutzgesetz die
Verfassungsschutzbehörden zur Zusammenarbeit, diese funktioniert, wie inzwischen allgemein bekannt, nicht
ausreichend. Das hat unterschiedliche Gründe; zum Teil spielen Kompetenzgerangel und Eigensucht eine Rolle, wenn
Informationen nicht an andere Ämter weitergegeben werden.
Ich habe überdies den Eindruck, dass auch Polizei und Verfassungsschutz sich oft sehr kritisch gegenüber stehen.
Die Polizei bewertet Informationen des Verfassungsschutzes oft als wenig valide und die Verfassungsschutzbehörden
wiederum haben die Sorge, dass der Polizei übermittelte Informationen nicht geheim bleiben, sondern schnell
öffentlich werden könnten.
Angesicht der zahlenmäßigen Besetzung der Landesämter liegt es doch nahe, Landesämter mittels Staatsvertrag
zusammenzufassen, wie man sich beim Rundfunkstaatsvertrag zusammenschließt. Wer soll eigentlich die Aufgaben neu
formulieren und umverteilen, der Gesetzgeber?
Die Überlegungen zur Veränderung des Verhältnisses zwischen Bund und Ländern setzen voraus, dass die Länder
grundlegenden Veränderungen des Kompetenzgefüges zustimmen. Die Länder scheinen nach wie vor hierzu nicht bereit zu
sein, wie auch die jüngsten Reaktionen auf vorsichtige Vorschläge des Bundes zeigen.
Auf dem Tisch liegt zur Zeit die Reformankündigung vom Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, die vom
Bundesinnenminister gebilligt werden wird. Danach soll dem Bundesamt eine Zentralstellenfunktion zugeordnet werden.
Dazu müsste § 5 des derzeitigen Gesetzes geändert werden. Dass Bundesamt könnte Dinge an sich ziehen und
selbstständig auf dem Territorium der Länder ermitteln. Was halten Sie davon?
Ich kenne die genauen Überlegungen nicht. Ganz grundsätzlich könnten die neuen erweiterten Aufgaben des
Bundeskriminalamts gegenüber den Polizeibehörden der Länder auch Anknüpfungspunkte für vergleichbare Regelungen für
eine Aufgabenerweiterung des BfV sein. Zudem ist vorstellbar, dem BfV die ausschließliche Kompetenz zuzuordnen,
wenn es um Sachverhalte mit Bezügen zum Ausland geht. Jedenfalls sollte grundsätzlich allein das BfV der
Ansprechpartner für Auslandsnachrichtendienste sein und nicht einzelne Landesämter.
Bis jetzt heißt es nur, dass die Zusammenarbeit zwischen den Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern durch
die Koordinierungs- und Zentralstellenfunktion des BfV mit der geplanten Änderung des § 5
Bundesverfassungsschutzgesetz gestärkt werden soll.
Das Bestreben, in bestimmten Bereichen die Zentralstellenfunktion zu stärken, kann ich nachvollziehen, weil es in
einigen Punkten grundsätzlich sachgerecht ist.
Gehen wir etwas weiter: Quasi handstreichartig ist am 15. November letzten Jahres das sogenannte GETZ (Gemeinsames
Extremismus- und Terrorabwehrzentrum) eröffnet worden, was die Ämter des Verfassungsschutzes und des
Auslandsgeheimdienstes an einen gemeinsamen Tisch bringen soll. Was halten Sie denn davon?
Bei dem schon bestehenden Terrorismus-Abwehrzentrum in Treptow geht es vorrangig um einen Informationsaustausch.
Damit wird möglichst verhindert, dass zwar mehrere Behörden nebeneinander das gleiche tun, aber, weil ihnen jeweils
einzelne Mosaiksteine aus ihren eigenen Informationen fehlen, sie nicht die richtigen Schlüsse ziehen können.
Das Trennungsgebot betrifft die Ausübung der Befugnisse und die Organisation, aber es verbietet nicht jeden
Informationsaustausch zwischen Polizei und Verfassungsschutz. Wie allerdings das neue GETZ im Einzelnen organisiert
ist, entzieht sich meiner Kenntnis.
Die Frage ist, ob es dieses Regelwerk gibt. Als Bürgerrechtsorganisation fordern wir, dass es Rechtsgrundlagen für
die Arbeit dieser Art Zentren gibt. Die gibt es nicht, weder für das eine noch das andere. Hinzu kommt, dass wir
uns schlecht vorstellen können, wie man sich über Lagen austauscht, ohne das die Befugnisnormen bezüglich der
Erhebung, Speicherung und Verwendung von Daten eine Zweckänderung erfahren. Das ist für uns ein
Bürgerrechtsproblem.
Ganz grundsätzlich verweise ich insoweit auf meine Stellungnahme zum Gesetz zur Errichtung gemeinsamer Dateien von
Polizeibehörden und Nachrichtendiensten anlässlich der Anhörung des Innenausschusses des deutschen Bundestags im
November 2006. Meine damaligen Ausführungen zu den verfassungsrechtlichen Schranken einer Zusammenarbeit zwischen
Polizei und Verfassungsschutz halte ich aufrecht. Und selbstverständlich sind auch bezüglich des GETZ die
allgemeinen Grundsätze zum Trennungsgebot zu beachten.Unabhängig davon wäre eine normenklare gesetzliche Regelung
für derartige Formen der Zusammenarbeit in gemeinsamen Zentren der Sicherheitsbehörden wünschenswert.
Sie haben vorhin die Rivalitäten zwischen den verschiedenen Behörden angesprochen. Würden Sie denn grundsätzlich
die Einschätzung teilen, dass so eine informelle Zusammenarbeit wie im GETZ, einfacher, besser funktioniert als
eine gesetzlich normierte?
Üblicherweise funktioniert eine Zusammenarbeit besser, wenn man das Gegenüber persönlich kennt. Dem steht eine
gesetzliche Regelung für solche gemeinsamen Zentren nicht entgegen.
Ich gehe noch einmal an den Anfang zurück. Sie hatten von dem Gefahrenvorvorfeld gesprochen, in das auch die
Polizei immer weiter hereinreicht. Sie teilen diese Auffassung, nehme ich an?
Das sind Beobachtungen, die ich genauso mache. Und wozu wenig Kritik zu hören ist.
Wir sagen da schon was.
Offensichtlich leider zu meinem Bedauern ohne großen Niederschlag.
Meine Frage zielt darauf: Sie hatten gesagt, das Amt sei unter anderem deswegen unverzichtbar, weil es in diesem
Feld weiter zu ermitteln und Erkenntnisse zu sammeln gilt.
Die Aufgabe muss erledigt werden; und mir ist es lieber, die Aufgabe führt eine Organisation durch, die von der
Polizei getrennt ist, also nicht gleichzeitig polizeiliche Befugnisse besitzt, aber einer besonderen Kontrolle
unterliegt.
Sie wären also dafür, diesen Bereich aus der Polizeiarbeit wieder herauszunehmen?
Ich bin für eine klare Trennung. Wenn Polizeibehörden besondere Ermittlungsmethoden einsetzen, dann sollten sie
insoweit vergleichbaren Kontrollen wie die Nachrichtendienste unterworfen sein. Bevorzugen würde ich es allerdings,
wenn es möglichst keine Überschneidungen zwischen polizeilichen und nachrichtendienstlichen Aufgaben und
Befugnissen gäbe.
Gerade nach Vorfällen wie der NSU-Affäre entsteht ja häufiger der Eindruck, dass es eine gewisse personelle Nähe
oder eine gewisse Blindheit von Verfassungsschutzbehörden gegenüber Rechtsextremismus gibt. Teilen Sie das?
Diesen Eindruck teile ich nicht. Ich habe nur einen zeitlich sehr beschränkten Einblick gewinnen können, aber eines
ist mir 1995 beim BfV zu meiner wirklich positiven Überraschung aufgefallen: Die Auseinandersetzung mit dem
Rechtsextremismus wurde im Bundesamt mit einer Überzeugung und einem Engagement durchgeführt, wie ich das in dieser
Form keineswegs als selbstverständlich erwartet hatte. Ich persönlich hatte den Eindruck, dass das eine
Herzensangelegenheit der zuständigen Abteilung war und es keinerlei zusätzlicher Motivierung bedurfte.
Von außen sieht das für uns manchmal etwas anders aus.
Zwischen den etablierten Verfassungsschutzbehörden in der alten Bundesrepublik und den neu aufzubauenden Behörden
in den neuen Ländern gab es wohl lange Zeit deutliche Unterschiede in der Arbeitsqualität.
Wir haben aber zumindest noch nicht den Verdacht, dass der Verfassungsschutz z.B. die Arbeit der Linkspartei
mitfinanziert oder ähnliches, so wie wir das auf der rechten Seite haben.
Ich muss sagen, ich war auch schlicht fassungslos, als ich erfahren habe, welche Geldbeträge einzelnen V-Leuten
bezahlt worden sind und dass da offensichtlich keinerlei Kontrolle stattgefunden hat. Wenn diese hohe Bezahlung im
Einzelfall gleichwohl für erforderlich gehalten wurde, wäre schon aus professionellen Gründen zu prüfen gewesen,
was der V-Mann mit dem vielen Geld macht. Dieser darf doch weder durch großzügiges Ausgeben von Geld auffallen,
noch darf er gar ausgerechnet die Organisation finanziell unterstützen, zu deren Beobachtung er angeworben ist.
Wie setzt ein Bundesamt zwischen den einzelnen Aufgaben also z. B. bei der Beobachtung Links/Rechts seine
Priorität? Ist das vor allem eine Frage der Quellenlage?
Selbstverständlich darf das keine Frage der Quellenlage sein. Die Festlegung der Prioritäten ist vielmehr auch eine
politische Entscheidung, die grundsätzlich in Abstimmung mit dem jeweiligen Innenministerium getroffen wird. Das
Amt liefert hierzu Informationen und unterrichtet, wo es aktuell besondere Gefahren sieht. Wenn die Quellenlage
nicht gut ist, dann muss man eben versuchen, diese zu verbessern. Überdies gibt es eine eigene starke Abteilung
Rechtsextremismus, die völlig losgelöst ist von der Beobachtung des Linksextremismus.
Wenn die Politik entscheidet über die Schwerpunktsetzung des Amtes, geht das soweit, dass sich das in Struktur- und
Personalentscheidungen ausdrückt, z.B. wie viele Personen in welcher Abteilung sitzen? Oder ist der Amtsinhaber,
der Präsident des Amtes dabei frei?
Der Präsident hat Spielräume. Grundsätzliche Personal- und Strukturentscheidungen werden aber mit dem zuständigen
Innenministerium abgestimmt.
Darauf gehen wir dann später bei den Kontrollmechanismen etwas näher ein. Das heißt, am Ende gibt es eine klare
politische Verantwortung?
Wenn der Haushaltsausschuss des Parlaments aber sagt Sie bekommen keine zusätzlichen Stellen, dann hat auch das
Innenministerium dies zu akzeptieren.
Noch einmal zur Außenansicht. Was denken Sie, welche bestehenden Aufgaben sollten aus politischen Gründen nach
unten gestuft werden oder können beim Bundesamt wegfallen?
Zu einer grundlegenden Reform gehört, dass wirklich alle bislang dem Verfassungsschutz übertragenen Aufgaben auf
den Prüfstand gestellt werden. Das Ergebnis einer solchen Prüfung kann ich nicht vorwegnehmen. Ob um nur ein
Beispiel zu nennen – der Verfassungsschutz im Bereich der organisierten Kriminalität tätig sein muss, wie dies in
einzelnen Ländern zu seinen Aufgaben gehört, muss hinterfragt werden.
In der Reformankündigung von Herrn Maaßen wird unter anderem vorgeschlagen, die Bereiche der
Informationsbeschaffung und der Auswertung zusammenzuführen. Was sind denn eigentlich die Gründe gewesen, sofern
diese Ihnen bekannt sind, die dafür gesprochen haben, diese zu trennen?
Die diesbezüglichen Erwägungen sind mir nicht bekannt. Ob die Aufgabe Beschaffung von Informationen mit deren
Auswertung eng verzahnt werden oder aber besser getrennt bleiben sollte, ist ein alter Streitpunkt. Gute Argumente
lassen sich für beide Ansichten finden. Deshalb gibt es auch immer wieder einmal den Wechsel von einer
Organisationsform zur anderen.
Das ist dann die Gegenbewegung in ein paar Jahren.
Das ist nicht völlig ausgeschlossen.
Die Diskussion knüpft ja an den Eindruck an, dass es generell, nicht nur beim NSU, auch bei anderen Affären, ein
offenkundiges Problem der Ämter gibt, die Informationen, die beschafft wurden, in sinnvoller Art und Weise zu
verwerten.
Werden die beschafften Informationen nur in den Aktenschrank abgelegt, fehlt es zwangsläufig an der notwendigen
Auswertung. Notwendige Konsequenzen können dann nicht gezogen werden.
Bei der Überwachung der NSU in Thüringen hatte man durch die Abhörmaßnahmen alle wichtigen Informationen beisammen,
aber niemand hat sie ausgewertet.
Zum Landesamt in Thüringen habe ich keine Erkenntnisse. Aber nochmals; ganz generell gilt, dass eine Überwachung
nichts nützt, wenn die gewonnenen Informationen nicht gelesen und daraus die nötigen Schlüsse gezogen werden.
Es gäbe auch eine andere Theorie, die besagt, vielleicht liegt ein Problem der Behörden darin, dass sie gerade zu
viel Energie und Aufmerksamkeit auf die Informationsbeschaffung verwenden, sich dadurch selbst blockieren und so
die Entscheidungsfindung in der analytischen Auswertung und die Verwertung zu kurz kommen.
Die Mitarbeiter, die auswerten, also quasi für das Lagebild verantwortlich sind, müssen sagen, welche Informationen
sie benötigen und wofür sie diese brauchen.
Kann es sein, dass in Thüringen niemand die zur NSU erhobenen Daten ausgewertet hat?
Das mag ich mir nicht vorzustellen.
So lesen sich aber die Berichte über die NSU-Ermittlungen. Eigentlich waren alle nötigen Informationen gesammelt,
alles war abgeheftet, aber niemand wusste, was alles in den Akten drin steht. Abgesehen davon, dass jede Behörde
für sich ermittelte und jeder etwas, aber eben nicht alles wusste.
Das sind die Dinge, die jetzt zu einer Aufgabenkritik führen müssen.
Wie soll eigentlich die Zusammenarbeit mit ausländischen Partnern besser werden, wenn die deutschen Dienste im Ruf
stehen, relativ offen zu sein und es deswegen Vorbehalte gibt, Informationen weiter zu geben. Oder wenn sie als
ausländischer Partner gar nicht so genau wissen: Welchen von diesen ganzen Diensten biete ich denn das jetzt an?
Für eine Zusammenarbeit mit ausländischen Nachrichtendiensten stellt es zweifelsohne ein Problem dar, wenn diese
nicht darauf vertrauen können, dass an deutsche Dienste übermittelte und geheim zuhaltende Informationen öffentlich
werden. Eine andere Frage ist es für einen ausländischen Dienst, welcher der 18 deutschen Verfassungsschutzbehörden
er Informationen zukommen lassen soll. Bei dieser unübersichtlichen Struktur will ich nicht ausschließen, dass in
einem oder anderen Fall deutsche Verfassungsschutzbehörden gegeneinander ausgespielt werden.
Kommen wir zu den Möglichkeiten, wie die Arbeit des VS zu überprüfen, zu kontrollieren ist, bzw. kontrolliert wird
da sind die Dienst- und Fachaufsicht durch das jeweilige Innenministerium, der Bundesdatenschutzbeauftragte, der
Bundesrechnungshof, dann das parlamentarische Kontrollgremium, die G10-Kommission und das Vertrauensgremiums des
Haushaltsausschusses. Aber spielen diese Kontrollinstanzen beim Verfassungsschutz überhaupt eine Rolle? Welche
Kontrolle ist faktisch am effektivsten?
Das ist in der Praxis ganz unterschiedlich. Es kommt tatsächlich oft darauf an, wer für die jeweilige Kontrolle
zuständig ist. Das kann sich unmittelbar an Personen festmachen, wie aktiv diese Aufgabe erfüllt wird. Ich erinnere
mich, als ich selbst noch beim Datenschutz tätig war, wie höchst engagiert der damals zuständige Referatsleiter
beim Bundesbeauftragten für den Datenschutz das BfV geprüft hat. Ich erinnere mich an einen Abgeordneten des
Vertrauensmännergremiums des Bundestages, der wirklich fast auf Heller und Pfennig genau nachgefragt hat, wozu die
jeweiligen Geldbeträge ausgegeben werden sollen. Die Effizienz der Kontrolle ist also höchst unterschiedlich. Um
das parlamentarische Kontrollgremium zu stärken, halte ich die Einrichtung eines beim Bundestag angesiedelten
Beauftragten für die Nachrichtendienste für sinnvoll. Ein solcher Beauftragter könnte das parlamentarische
Kontrollgremium entscheidend unterstützen. Dieses Amt könnte in etwa vergleichbar sein mit dem Amt des
Wehrbeauftragten. Gerade die im Parlamentarischen Kontrollgremium tätigen Abgeordneten sind oft mit zahlreichen
anderen parlamentarischen Aufgaben stark belastet, was ihrer tatsächlichen Kontrolltätigkeit bei den
Nachrichtendiensten fast zwangsläufig Grenzen setzt. Ein beim Bundestag angesiedelter Beauftragter für die
Nachrichtendienste, der mit ausreichend Mitarbeitern ausgestattet wäre, sollte nicht erst dann agieren, wenn
Skandale bekannt werden, sondern unabhängig von Vorfällen bereits präventiv bei den Nachrichtendiensten prüfen
können. Dieser könnte auch von Mitarbeitern der Nachrichtendienste auf etwaige Probleme hingewiesen werden.
Schließlich könnten bei dieser Institution auch die Kontrollen der Datenschutzbehörden und der Rechnungshöfe
gebündelt werden, um ein klareres Gesamtbild über die Dienste zu gewinnen.
Zur Parallelität eines Nachrichtendienstbeauftragten zum Wehrbeauftragten. In der Person des Soldaten hatte ich mit
dem Wehrpflichtigen einen Grundrechtsträger. Beim Verfassungsschutz habe ich den Beamten des Staates. Der
Wehrbeauftragte funktioniert bisher vor allem zum Schutz der Wehrpflichtigen. Ist für einen Beamten des
Verfassungsschutzes die Hürde zum Nachrichtendienstbeauftragten zu gehen, nicht genauso hoch, wie zum
parlamentarischen Kontrollgremium zu gehen?
Auch die Mitarbeiter der Nachrichtendienste sind Grundrechtsträger. Für sie könnte ein Beauftragter für
Nachrichtendienste ein vertrauenswürdiger Ansprechpartner sein.
Wenn Sie sich die rechtlichen Grundlagen für die Arbeit der parlamentarischen Kontrollgremien anschauen, haben Sie
da noch einen Veränderungsvorschlag?
Nach den letzten Gesetzesänderungen stehen dem Parlamentarischen Kontrollgremium weitgehende Kontrollbefugnisse zu
und bestehen korrelierende Pflichten der Nachrichtendienste. Deshalb sehe ich eine mögliche Steigerung der
Kontrolltätigkeit weniger in weiteren Befugnissen für das parlamentarische Kontrollgremium, sondern in der
angesprochenen organisatorischen Stärkung durch einen entsprechenden Beauftragten.
Ich habe immer die Vorstellung, dass der gerichtliche Rechtsschutz bei der Kontrolle des Verfassungsschutzes nicht
funktioniert, weil der Verfassungsschutz im Geheimen operiert und der Betroffene davon wenig bis nichts erfährt und
sich deshalb auch nicht gerichtlich wehren kann.
Vorweg: Auch die Nachrichtendienste unterliegen in Deutschland gerichtlicher Kontrolle. Ich will aber ein anderes
grundlegendes Problem ansprechen: Werden gegen einen Betroffenen durch staatliche Stellen geheime
Ermittlungsmethoden eingesetzt, wie etwa durch die Überwachung der Telekommunikation, die akustische
Wohnraumüberwachung oder eine Observation, dann kann sich der Betroffene gegen diese erheblichen Eingriffe während
der Durchführung derartiger gegen ihn gerichteten Maßnahmen mangels Kenntnis nicht mit Rechtsbehelfen wehren. Wenn
überhaupt, wird der Betroffene erst nach deren Abschluss unterrichtet. Hier besteht eindeutig eine Rechtslücke. Ich
hatte deshalb schon vor einiger Zeit die Einrichtung des Instituts eines besonderen Vertrauensanwalts angeregt, der
vom Gericht beauftragt in Vertretung und für den ahnungslosen Betroffenen insoweit dessen rechtliche Interessen
wahrnimmt. Dieser Anwalt könnte beispielsweise prüfen, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für den konkreten
Einsatz dieser geheimen Ermittlungsmethoden tatsächlich vorliegen oder, ob eine Verlängerung solcher Maßnahmen
wirklich noch geboten ist. Zu diesem Zweck könnte dieser Anwalt auch Rechtsbehelfe für und anstelle des Betroffenen
einlegen.
Wir wollten noch mal auf die V-Leute kommen. Sie nennen zwei Kriterien, bei denen die Dienste auf den Einsatz von
V-Leuten verzichten sollten einmal, wenn sie selber Straftaten begehen oder zweitens, wenn sie anfangen, das Geld
für die Organisation einzusetzen, die sie eigentlich mit ihrer Hilfe überwachen wollen. Sehen Sie das heute noch
so?
Ja sicher. Wir brauchen ein Gesetz, dass den Einsatz der V-Leute präziser regelt. Darin muss klar beschrieben
werden, welche Leute nicht als V-Leute in Betracht kommen, wie etwa Personen mit Leitungsfunktion in der zu
überwachenden Organisation oder charakterlich völlig Ungeeignete. Weiterhin sollte gesetzlich geregelt sein, dass
laufend geprüft wird, ob der V-Mann zuverlässig ist, ob er die von ihm erwarteten Informationen korrekt und
wahrheitsgemäß liefert oder ob er diese überhaupt noch liefern kann; andernfalls ist er abzuschalten. Es muss
sichergestellt sein, dass die Leistungen und das Verhalten des V-Mannes ständig durch eine weitere Instanz in der
Verfassungsschutzbehörde überwacht werden. Weiterhin ist wichtig, dass auch der V-Mann-Führer seinerseits einer
Kontrolle unterliegt, um das Risiko zu vermindern, dass der V-Mann-Führer an seinem V-Mann vorrangig deshalb
festhält, weil es schwierig ist, einen neuen anzuwerben. Daneben wären in einem solchen Gesetz beispielsweise auch
die Folgen einer eventuellen Begehung von Straftaten durch den V-Mann, der Rahmen einer Vergütung und deren
Verwendung zu regeln. Schließlich muss auch sichergestellt sein, dass mangels Kenntnis nicht parallel V-Leute durch
die verschiedenen Polizeibehörden und die Nachrichtendienste eingesetzt werden.
Ich finde das aus bürgerrechtlichen Gesichtspunkten nachvollziehbar. Wir haben gesetzliche Grundlagen für alle
möglichen Instrumente der Informationsbeschaffung und ausgerechnet bei dem intelligentesten Instrument, dem V-Mann,
fehlt die gesetzliche Grundlage. Aber gibt es Ihren V-Mann, den ich rechtsstaatlich einigermaßen akzeptieren kann,
überhaupt?
Dass das problematische Leute sind, die man nicht mag, das ist ja klar. Wer ein Nazi ist, und sich dann verkauft,
oder wer linksextremistisch ist Es gibt in solchen Milieus Menschen, die bereit sind, etwas zu berichten, und von
denen durchaus wichtige Informationen zu erfahren sind, auch wenn sie als Personen wenig seriös sind. Meines
Erachtens sollte auf den Einsatz von V-Leuten nicht komplett verzichtet werden. Zu der Sinnhaftigkeit nenne ich ein
Beispiel aus eigener Erfahrung: Mitte der 1990er Jahre versuchten Rechtsextremisten durch Skinhead-Konzerte junge
Menschen anzulocken und diese mit rechtem Gedankengut zu indoktrinieren. Diese Konzerte wurden meist klammheimlich
vorbereitet, um behördlichen Verboten zu entgehen. Nur durch V-Leute gab es die entscheidenden Hinweise auf
Zeitpunkt und Ort solcher Veranstaltungen. Diese Informationen konnte der Verfassungsschutz an die zuständige
Polizeibehörde weiter geben, die sodann die Konzerte verhindern oder zumindest auflösen konnte.
Wenn wir aber auf die Organisierte Kriminalität schauen: Dort gibt es geschlossene Strukturen, die mit V-Leuten gar
nicht zu erreichen sind. Wäre nicht eine Arbeitsweise vorstellbar, die ohne V-Leute auskommt?
Der Bereich der Organisierten Kriminalität ist sicher ein Sonderfall. Hier wird der Einsatz Verdeckter Ermittler zu
prüfen sein. Für den Aufgabenbereich des Verfassungsschutzes stellt sich aber die Frage, ob ein vollständiger
Verzicht auf V-Leute wirklich sinnvoll wäre. Wenn statt des Einsatzes von V-Leuten etwa das Mittel der
Wohnraumüberwachung verstärkt angewandt werden müsste, stellte sich die Frage nach der Verhältnismäßigkeit des
Eingriffs. Die Erfahrungen zeigen, dass in manchen Bereichen des extremistischen Spektrums der Einsatz von V-
Leuten zu anderweitig nur schwerlich zu erhaltenden Erkenntnissen führen kann. Ich gebe zu bedenken, dass es
beispielsweise ein Irrglaube ist, man könne jemanden auf Dauer observieren oder seine nur im engsten Kreis
geäußerten wahren Absichten ohne Personen in dessen Umfeld erfahren. Andererseits darf ein V-Mann nur dann
eingesetzt werden, wenn andere weniger einschneidende Mittel nicht zum Erfolg führen.
Sie würden V-Leute also als intensivstes, letztes Eingriffsmittel nutzen?
Das ist ein intensives Mittel, und zwar weniger wegen des Eingriffs in die Rechte der anderen, sondern weil der
Staat sich da mit jemandem gemein macht, der gegen ihn arbeitet. Das ist also eher für den Staat belastend.
Für wie realistisch halten Sie den Vorschlag, dass es zu einem zentralen Register kommt, in dem V-Leute von
verschiedenen Behörden registriert werden, um über den V-Mann-Einsatz einen Überblick zu bekommen?
Den gegenwärtigen Zustand, dass sich von verschiedenen Behörden eingesetzte und bezahlte V-Leute zum Teil
gegenseitig beobachten und dann über vermeintliche Extremisten berichten, halte ich für nicht akzeptabel. Das gilt
es künftig zu verhindern. Die Einrichtung eines zentralen Registers über alle von den verschiedenen
Sicherheitsbehörden eingesetzte V-Leute könnte hier eine Lösung sein. Als nicht unwichtige Nebenfolge könnte dies
zu einer deutlichen Reduzierung der Zahl der V-Leute führen und Gelegenheit geben, mehr auf deren Qualität zu
achten.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Gespräch führten Rosemarie Will und Sven Lüders.
Anmerkungen
1 Siehe Dokumentation auf Seite 76 f.