Publikationen / vorgänge / vorgänge Nr. 201/202: Verfassungsschutz in der Krise?

Hoheitliche Verrufs­er­klä­run­gen?

Verfassungsschutzberichte von Bund und Ländern im Vergleich. Aus: vorgänge 201/202 (1/2-2013), S. 40-50

Verfassungsschutzberichte von Bund und Ländern im Vergleich [Nachdruck aus: vorgänge Nr. 55 – Heft 1/1982, S. 46-60]
Problematisch am Verfassungsschutz ist nicht nur, was er im Verborgenen treibt – sondern auch das, was er mit seinen „Erkenntnissen“ in der Öffentlichkeit macht. Immer wieder werden Organisationen, einzelne Personen oder politische Bewegungen dadurch diskreditiert, dass sie in den VS-Berichten als extremistische oder verfassungsfeindliche Bestrebungen dargestellt werden. Warum diese Berichte eher ein Instrument der politischen Auseinandersetzung (mit Minderheiten) denn der Gefahrendiagnose sind, hat Jürgen Seifert bereits 1982 in den vorgängen beschrieben. Wir drucken hier eine gekürzte Fassung seines Textes ab. Die vollständige Urfassung ist über die Webseite der Zeitschrift abrufbar.

[…] Die Veröffentlichung der Verfassungsschutzberichte erfolgt nicht durch die Verfassungsschutzämter, sondern unter der politischen Verantwortung des Innenministers. Die politische Verantwortlichkeit des Ministers schließt nicht aus, dass solche Berichte janusköpfig sind: Einerseits bleibt der vorgelegte Bericht ein typisches Behördenprodukt und wird von der Öffentlichkeit, anderen Behörden und Gerichten als das Ergebnis systematischer Nachforschungen und als fachlich qualifizierte Aussage angesehen; andererseits enthalten die veröffentlichten Berichte nicht nur politische Wertungen der verantwortlichen Behörde (bzw. des Ministers), sondern werden als Beitrag zur „politischen” oder „geistigen Auseinandersetzung“ (1) im Rahmen der sogenannten „Extremistenbekämpfung” angesehen. Die Berichte werden veröffentlicht als Beitrag oder Information zur „Auseinandersetzung” (so immer wieder in den Vorworten der Innenminister), teilweise mit der erklärten Absicht, dass Bürger „selbst aktiv” werden (Bad.-Württ. VSB 1979, Vorwort) und schließlich, um dem Bürger zu zeigen, „wo sein guter Wille unter dem Deckmantel unverfänglicher Zielsetzungen missbraucht werden soll” (Hess. VSB 1980, S. 2).
Diese unterschiedlichen politischen Wertungen sollen im folgenden durch den Vergleich verschiedener Berichte nachgewiesen werden. Ein solcher Vergleich liegt bislang nicht vor. Es gibt lediglich Analysen über die Sprache und Entwicklung der vom Bundesminister des Innern herausgegebenen Verfassungsschutzberichte. (2) Der Vergleich der Verfassungsschutzberichte der Länder untereinander und einzelner Länderberichte mit dem des Bundes macht nicht nur deutlich, in welcher Weise unterschiedlich politische Wertungen vorgenommen werden, sondern gibt Aufschlüsse darüber, mit welch unterschiedlichen Methoden die sogenannte Extremistenbekämpfung erfolgt. Da es keine Vorarbeiten gibt, kann der Vergleich nur exemplarisch geführt werden.
1. These: Die Veröffentlichung der Verfassungsschutzberichte im Bund und in den Ländern erfolgt innerhalb eines gemeinsamen Rahmens. Zwar werden Akzente unterschiedlich gesetzt; doch kein Verfassungsschutzbericht durchbricht den gemeinsamen Rahmen.
Zu diesem Rahmen gehört die Gliederung in Rechts- und Linksextremismus (damit wurde 1975 unter dem Einfluss von Werner Maihofer die Kategorie des Links- und Rechtsradikalismus abgelöst) (3), Spionageabwehr sowie sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern (in NRW: „Ausländerextremismus“). Diese Kategorien wurden Ende 1976 auf einer Innenminister-Konferenz als „Rahmen für die Berichterstattung über extremistische Bestrebungen” festgelegt (10). Zusätzlich gibt es in einigen Berichten (entsprechend der seit 1973 im Bundesamt für Verfassungsschutz bestehenden Abteilung Terrorismus) einen besonderen Abschnitt „Terrorismus” (Bayern seit VSB 1977; NRW seit VSB 1977; Bund VSB 1978 u. 1979). […] Daneben gibt es in den meisten Berichten den Unterpunkt Terrorismus oder gewalttätige Auseinandersetzungen bei Ausländern.
Die Berichte beschränken sich nicht immer auf eine zurückhaltende, gleichsam wissenschaftliche Darstellung, wie sie beispielsweise der bedeutende deutsch-amerikanische Politikwissenschaftler Franz L. Neumann im US-Dienst 1946 auf der Grundlage von Geheimdienstunterlagen erstellte. (4) Die Berichte enthalten Wertungen, häufig sogar in der Form von Rechtskategorien (etwa „verfassungsfeindlich”) oder Worte, die zugleich rechtliche Bedeutung haben. Diese Wertungen erfolgen in der Regel in Form apodiktischer Feststellungen. Die Verfasser der Berichte lassen zumindest nicht erkennen, dass die den Wertungen zu Grunde liegenden juristischen Würdigungen ohne Kompetenz zu einer rechtlich relevanten Entscheidung getroffen werden. Es gibt nicht einmal den Ansatz dazu, die Kategorie eines abgestuften Verdachts (man denke an die Kategorie des dringenden oder hinreichenden Tatverdachts) aus dem Bereich staatsanwaltlicher Ermittlungsverfahren zu übernehmen.
Selbst dann, wenn nicht ausdrücklich eine Einordnung unter der Kategorie „verfassungsfeindliche Zielsetzung und Betätigung” vorgenommen wird (wie neuerdings in mehreren Berichten) bleibt die Tatsache der Erwähnung einer Organisation im Verfassungsschutzbericht und zwar im Abschnitt Rechts- oder Linksextremismus. Eine solche Rubrizierung ist deshalb von Gewicht, weil der Bundesminister des Innern in einem seiner Vorworte zum eigentlichen Bericht ausdrücklich betont hat, dass „ausschließlich solche Organisationen als extremistisch gewertet werden, deren politische Ziele gegen den Kernbestand der freiheitlich demokratischen Grundordnung gerichtet sind” (VSB 1977; ähnlich bereits Werner Maihofer im Vorwort VSB 1974). Auf diese Weise wird Definitionsmacht usurpiert; daran ändert auch die Tatsache nichts, dass im Vorwort des Ministers neuerdings beim Bund und in Hessen betont wird, mit der Erwähnung oder Nichterwähnung im Bericht dürfen „Rechtsfolgen nicht verbunden werden” (VSB 1978 u. 1979; Hess. VSB 1979).
Besonders problematisch ist dies bei den Organisationen, die – punktuell oder grundsätzlich – bereit sind, mit der als „verfassungsfeindlich” apostrophierten DKP zusammenzuarbeiten oder in deren Vorständen es Mitglieder der DKP gibt. Auf einer Innenminister-Konferenz wurde im Dezember 1976 festgelegt, was unter einer „kommunistisch beeinflussten Organisation” verstanden werden soll. Durch diesen bisher nicht veröffentlichten Beschluss wurde nach Ansicht der Bundesregierung lediglich der „Rahmen für die Berichterstattung über extremistische Bestrebungen” vereinbart; Ziel war es jedoch „nicht, eine einheitliche, Wort gleiche Formulierung in den Jahresberichten des Bundes und der Länder zu erreichen” (BT-Drucksache 8/3615, S. 7). Nach Ansicht der Bundesregierung soll im Verfassungsschutzbericht der „jeweilige kommunistische Einfluss“ dargestellt werden, eine „undifferenzierte Zuordnung der beeinflussten Organisationen” sei jedoch zu vermeiden (ebda.). […] Die Bundestagsfraktion der CDU/CSU hält es dagegen für eine „Irreführende Formulierung”, wenn in den Bundesberichten den „demokratisch eingestellten Mitgliedern” zugebilligt wird, in solchen Organisationen „ihre Vorstellungen vertreten zu können” (BT-Drucksache 8/3214, Frage V. 5). […]
Der gemeinsame Rahmen der Verfassungsschutzberichte beruht nicht nur auf der durch das „Gesetz über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Fragen des Verfassungsschutzes” festgelegten Verpflichtung zur Zusammenarbeit. Die Einhaltung eines gemeinsamen Rahmens ist zugleich Ausdruck der Tatsache, dass in Fragen des Verfassungsschutzes – wie im Bereich der „Inneren Sicherheit” generell – im Rahmen der Innenminister-Konferenz gleichsam eine Allparteienkoalition der jetzt im Bundestag vertretenen Parteien besteht, die allerdings Politiker der CDU und CSU nicht hindert, den Rahmen in ihrem Sinne zu verschieben.
2. These: Die Unionsparteien versuchen, auf den vom Bundesminister des Innern veröffentlichten Jahresbericht Einfluss zu nehmen. Dies geschieht zum einen durch parlamentarische Anfragen; Grundlage dafür sind Verfassungsschutzberichte und andere Informationen aus einigen Ländern. Zum anderen werden Verfassungsschutzberichte aus Bundesländern, die von der Union regiert werden
, als Instrument gehandhabt zur Beeinflussung des Bundesberichtes im Rahmen der „gegenseitigen Erörterung und Abstimmung” des Bundes mit den jeweiligen Landesbehörden.
Besonders markant für den Versuch solcher Einflussnahme ist der von der Fraktion der CDU/CSU am 21.2.1975 als Drucksache im Bundestag eingebrachte (Gegen-)„Bericht über rechts- und linksradikale Bestrebungen in der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1974“ (BT-Drucksache 7/3259). Durch Anfragen provozierte die Opposition Äußerungen der Bundesregierung über die Studentenbewegung (7/3222), die Verfassungsfeindlichkeit der DKP (7/4231), über die Vereinigung Demokratischer Juristen (VDJ) (BT, Sten. Ber. 14.1.1976, S. 14587ff), das Russell-Tribunal in der Bundesrepublik (8/1205), das Komitee für Frieden, Abrüstung und Zusammenarbeit (KFZE) (8/1661), die Weltjugendfestspiele (8/1786), kommunistische Gewerkschaftsarbeit (8/3280) und auch eine Äußerung zum Rechtsextremismus (8/2463). Schließlich musste die Bundesregierung speziell auf eine Anfrage über die „Berichterstattung der Bundesregierung über den Verfassungsschutz” antworten (8/3615).
Die These, dass Berichte aus den Ländern gehandhabt werden, um auf den Bundesbericht Einfluss zu nehmen, soll dargelegt werden am Beispiel des „Sozialistischen Büros” (SB). Der Hessische Verfassungsschutzbericht, d. h. des Landes, in dem das SB seinen Sitz hat, erwähnt das SB nicht. Der Niedersächsische Innenminister dagegen hat in seinem vor der Veröffentlichung des Bundesberichtes vorgelegten Bericht dem SB über zwei Seiten gewidmet. Dabei fehlt jeder Bezug auf Aktivitäten des SB im Lande Niedersachsen. Stattdessen wird aus den 1975 veröffentlichten „Thesen des SB” zitiert, ohne zu erwähnen, dass diese Thesen für die Zugehörigkeit zum SB keine Verbindlichkeit haben. Die „Thesen” werden wie ein Parteiprogramm behandelt, Sätze werden aus dem Zusammenhang gerissen. […]
Das Beispiel des SB macht deutlich, dass die Länder Bayern und Niedersachsen in den von ihnen vorgelegten Berichten akzentuierte Wertungen vorgenommen haben, die für die Beurteilung im Bundesbericht nicht ohne Einfluss waren. Allerdings hat auch das Bundesinnenministerium dem SB eine „maßgebliche” Rolle bei der Vorbereitung des Russell-Tribunals in der Bundesrepublik zugesprochen; charakteristisch sowohl für den niedersächsischen wie den bayerischen Bericht ist der mit fragwürdigen Mitteln unternommene Versuch, dem SB „verfassungsfeindliche Zielsetzung” nachzuweisen.
3. These: Trotz des gemeinsamen Rahmens können Verfassungsschutzberichte politische Funktionen in der parteipolitischen und auch in der innerparteilichen Auseinandersetzung spielen.
Diese Funktion wird deutlich, wenn z. B. der niedersächsische Bericht seit 1979 im Parteiorgan der niedersächsischen CDU unter der Überschrift „CDU-Argumentationen zur Politik” nachgedruckt wird. Verfassungsschutzberichte können eine parteipolitische Rolle deshalb spielen, weil die Berichte bestimmte Feindbilder und bewusst unscharfe Kategorien verwenden.
Die Funktion solcher Kategorien in der politischen Auseinandersetzung wird besonders deutlich an Hand der Umschreibung als „prokommunistisch” und am Begriff des „Sympathisanten”. Die Einordnung als Sympathisanten diente in der Auseinandersetzung mit dem Terrorismus auch zur Abrechnung mit all jenen, die ohne Gewalt und Blutvergießen die Gesellschaft verändern wollen. Dieser Begriff wurde in den Verfassungsschutzberichten 1974 bis 1976 verwendet (VSB 1974, S. 104; VSB 1975, S. 107; VSB 1976, S. 126). In den Bundesberichten seit 1977 ist er auf Grund politischer Interventionen, denen sich Bundespräsident Walter Scheel anschloss, verschwunden.1 In Rheinland-Pfalz hat man sich dadurch nicht beirren lassen. […] Diesem Beispiel folgend kehrten Bayern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein in 1981 vorgelegten Berichten zum Begriff des „Sympathisanten” der RAF zurück (Bay. VSB 1980, S. 105; Nds. VSB 1980, S. 47; SH VSB 1980, S. 37). Auch im Jahresbericht des Bundes 1980 ist erneut die Rede von „Kommunisten und deren Sympathisanten”. […]
Ungerechtfertigt ist es, wenn Jugend- oder Studentenorganisationen der etablierten Parteien ohne zwingend-sachlichen Grund in Berichten erwähnt werden. Die Betroffenen sehen dies in der Regel als gezielte Diskreditierung an.
Im Abschnitt „Linksextremistische Bewegungen” wurden im Verfassungsschutzbericht 1975 beispielsweise unter der Überschrift „SEW-Aktivität gegen die Bundesrepublik Deutschland” die „offiziellen Kontakte” zwischen der FDJ und der Deutschen Jungdemokraten abgehandelt, die „trotz kontroverser Standpunkte” fortgesetzt worden seien. Die Erwähnung (die in den folgenden Berichten nicht mehr erfolgte) ist nicht nur deshalb sachfremd, weil Kontakte führender Parteipolitiker in den Berichten eben so wenig auftauchen wie die Kontakte der Gewerkschaften, sondern weil es keinen Anhaltspunkt dafür gibt, dass es bei diesen Kontakten um Bestrebungen ging, „die eine Aufhebung, Änderung oder Störung der verfassungsmäßigen Ordnung im Bund oder in einem Land oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung von Mitgliedern verfassungsmäßiger Organe des Bundes oder eines Landes zum Ziele haben”.
Vergleichbares gilt für den Unterpunkt: Bemühungen der DKP um „Aktionseinheit” mit Sozialdemokraten. Hier findet man seit dem Verfassungsschutzbericht 1978 den Satz, dass „es zu regional und zeitlich begrenztem Zusammenwirken mit meist jüngeren Sozialdemokraten“ kam (VSB 1978, S. 83;1979, S. 72; ähnlich 1980). Der im Bericht 1978 noch hinzugefügte Satz, „Die DKP war jedoch mit den Ergebnissen ihrer Bündnispolitik unzufrieden“, fehlt in den folgenden Jahresberichten des Bundes.
Im Verfassungsschutzbericht 1980 von Schleswig-Holstein wird eine „gemeinsame Liste von Jungsozialisten und basisorientierten Linken” erwähnt, durch die die „Linksextremisten die Chance” erhalten hätten, „die ‚undogmatische Szene‘ Kiels zu beleben” (S. 36). Im bayerischen Verfassungsschutzbericht von 1977 findet man den Satz: „Die Jungsozialisten in der SPD und die Jungdemokraten begrüßten die Abhaltung des ‚Russell-Tribunals‘ “ (S. 68). Da das Russell-Tribunal nicht als eine verfassungsfeindliche Bestrebung angesehen werden kann, dient eine solche Äußerung dazu, die in Bayern in der Opposition stehenden parteipolitischen Gegner zu diskreditieren; in der politischen Auseinandersetzung wird dann auf solche Sätze zurückgegriffen.
Der 1981 vorgelegte Verfassungsschutzbericht Niedersachsen geht noch einen Schritt weiter. In diesem Bericht findet man Äußerungen zur „Arbeitsfähigkeit” studentischer Gremien und einen Kommentar zu einer Wahlbeteiligung von 22 % […] Hier wird nicht nur diskreditiert, hier entscheidet eine Behörde darüber, wer „Demokrat” ist und wer „Extremist”; hier usurpiert eine Behörde die Kompetenz, Noten zu erteilen über Koalitionen, bewertet Wahlverhalten und die Arbeitsfähigkeit der Organe der studentischen Selbstverwaltung.
4. These: Verfassungsschutzberichte dienen – zumindest teilweise – als Instrument, mit dem in der öffentlichen Auseinandersetzung politische Oppositionsbewegungen diskreditiert werden, auch wenn diese sich nicht gegen den Kernbestand der Verfassung richten, sondern lediglich unbequem sind oder eine partielle oder grundsätzliche Veränderung der Gesellschaft nötig halten.
Es ist nicht neu, dass die Autoren der Verfassungsschutzberichte die Unterscheidung zwischen dem durch das Kürzel fdGO begrenzten Teil der Verfassungsordnung und der Gesellschaftsordnung verwischen. Eine „Änderung der Gesellschaftsordnung der BRD“ (VSB 1969/70, S. 29), Feindseligkeit gegenüber „unserer gesellschaftlichen Ordnung” (Bad. Württ. VSB 1980, S. 38) und der Versuch, „in politischen Diskussionen und öffentlichen Demonstrationen die Bevölkerung für eine Änderung der Gesellschaftsordnung zu gewinnen“ (VSB 1968, S. 99), ist unzulässig und geht den Verfassungsschutz dann nichts an, wenn nicht erkennbar ist, dass bei einer solchen Umwälzung der Kernbestand der Verfassung angetastet werden soll. Zulässig (und damit für den Verfassungsschutz belanglos) ist es und muss es ein, wenn „Gruppierungen offenbar aus diesem Staat und dieser Gesellschaft ‚aussteigen‘ “ wollen, wenn Bürger versuchen, „sich Freiräume zu schaffen, in denen sie innerhalb ihrer Subkultur unbehelligt und autonom ihren eigenen Lebensstil pflegen können” (Nds. VSB 1981, S. 35). Selbst wenn man in Hausbesetzungen und in der „Republik Freies Wendland … offenbar einen Ausdruck dieses allgemeinen Bedürfnisses nach eigenmächtig geschaffenen ‚Freiräumen’“ sieht (ebda.), gehört die Beobachtung solcher Aktivitäten nicht zu den Aufgaben des Verfassungsschutzes sofern nicht Gewaltanwendung zu befürchten ist, die zu einer „Störung der verfassungsmäßigen Ordnung des Bundes oder eines Landes” führt.
Die Beobachtung der Anti-Atom-Bewegung gehört an sich nicht zu den Aufgaben des Verfassungsschutzes. Doch bereits in den Verfassungsschutzberichten 1977 des Bundes und einiger Länder findet man eine Unterwanderungshypothese: „Linksextremisten aller Schattierungen waren … bestrebt, die Bewegung gegen die Kernkraftwerke für ihre revolutionären Ziele auszunutzen.“ Zugleich war die Rede von einer „Unterwanderung von Bürgerinitiativen” (VSB 1977, S. 107; VSB 1978, S. 109; SH VSB 1977, S. 24; Nds. VSB 1977, S. 12; Bay. VSB 1977, S. 64). In Schleswig-Holstein sprach man vom „Missbrauch der ‚Anti-Kernkraft-Bewegung’“ (SH VSB 1977, S. 24), in Niedersachsen von einem Umfunktionieren von Bürgerinitiativen „im Sinne verfassungsfeindlicher Zielsetzung” (Nds. VSB 1978, S. 21). […]
In einigen Verfassungsschutzberichten gibt es übersteigerte Darstellungen oder Prognosen, die eine bestimmte Erwartungshaltung schaffen. So heißt es in dem 1977 in Niedersachsen vorgelegten Bericht, „die ‚Entscheidungsschlacht‘ gegen Kernenergieversorgung“ solle in Niedersachsen geschlagen werden (S. 261). Ein Jahr später wird Gorleben genannt als „,Entscheidungsschlacht‘ gegen den Bau von Kernenergie“ (S. 22). Im niedersächsischen Bericht 1980/81 wird dann Brokdorf stilisiert zum „Symbol der Anti-AKW-Bewegung” (S. 55). Solche Überbewertung, auch wenn sie sich auf Äußerungen stützen lassen, hat unmittelbar Bedeutung für Entscheidungen und das Verhalten von Politikern.
(5). These: Verfassungsschutzberichte in einigen Bundesländern tragen nicht nur nicht zu einer Scheidung von „Gewaltfreien und Gewalttätigen” (Nds. VSB 1979, S. 18) bei, sondern verwischen vielmehr eine solche Grenzziehung und beeinflussen damit in gefährlicher Weise Polizeieinsätze in diesen Ländern und das Verhalten einzelner Polizisten.
Im Verfassungsschutzbericht Schleswig-Holstein 1979 heißt es: „Es erweist sich … zunehmend als schwierig, linksextremistische Militanz von terroristischen Bestrebungen abzugrenzen”; „militante Kreise der Kernkraftgegner” machten sich das „Konzept der ‚Revolutionären Zellen‘ zunutze”, allerdings „ohne jedoch erkennbar deren ‚revolutionäre Gesamtstrategie‘ zu übernehmen“ (S. 33ff). In Niedersachsen hieß es schon 1977 und 1978 über die „undogmatische Neue Linke und Spontaneisten”, daß die „Grenzen zum Terrorismus fließend sind” (Nds. VSB 1977, S. 13 u. 1978, S. 19); den „Undogmatischen Gruppen” wird die an eine Wand gesprühte Drohparole („Ponto, Buback und Schleyer, der nächste ist ein Bayer“) zugerechnet, obwohl ausdrücklich festgestellt werden muss: „Auch in diesen Fällen konnten die Täter nicht ermittelt werden” (VSB 1981, S. 44). In Baden-Württemberg heißt es: „Das Spektrum der undogmatischen ,Neuen Linken‘ könne die eigentliche Nahtstelle zu den terroristischen ,Revolutionären Zellen‘ werden” (VSB 1980, S. 33; ähnlich auch schon Bad.-Württ. VSB 1979, S. 28). In Schleswig-Holstein wird über das Jahr 1980 berichtet, in „Kreisen gewaltablehnender Kernkraftgegner” sei „eine gewisse Bereitschaft erkennbar, gewalttätige ,Widerstandsformen‘ zu ..tolerieren, um eine Spaltung der ,Bewegung‘ zu vermeiden” (SH VSB 1980, S. 36). Ähnlich heißt es im niedersächsischen Bericht des Jahres 1979 (S. 18), dass „die Gewaltfreien es tolerieren, wenn Gewalttätige aus der Mitte der Demonstration Sabotageakte u. ä. begingen” (vgl. auch Nds. VSB 1980, S. 55). Es ist nicht zufällig, dass in diesem Zusammenhang der Begriff des „Sympathisanten” erneut verwendet wird und die Redewendung von einem „Abtauchhintergrund” für ein „Gewaltpotential” aufkommt (Nds. VSB 1981, S. 39). […]
(6). These: In den Verfassungsschutzberichten einiger Bundesländer werden Gruppen nicht auf der Grundlage eines konkreten politischen Verhaltens dargestellt, sondern als „staatszerstörende” Gesinnungstäter.
Berichte von Geheimdiensten werden von jeher dadurch bestimmt, dass sie von geronnenen Formen ausgehen, d. h. von dem einmal erfassten Netz von Beziehungen, von programmatischen Äußerungen und anderen in dieser oder jener Form fixierten Sätzen. Das macht Geheimdienste häufig unfähig, dynamische Prozesse in Organisationen zu erfassen und jemandem die Bildung seiner Persönlichkeit auch über einen Umweg der sogenannten Verfassungsfeindlichkeit zuzubilligen. Diese spezifische Verdinglichung des Denkens im Geheimdienstbereich gilt auch für den Einzelfall, d. h. für Personen und macht dann das Objekt der steten Beobachtung in den Vorstellungen des Observierenden zu einem Täter, der sonst würde man ihn doch nicht beobachten – auch eine Tat begehen müsse.
Auf solche Weise werden in Schleswig-Holstein observierte „undogmatische Gruppen” der sogenannten „Neuen Linken” zu Tätern, die nichts anderes wollen als „Widerstand gegen den Staat“, „Auseinandersetzung mit dem Staat”, „Front” machen „gegen den Staat” (SH VSB 1980, S. 34f). Auch in Bayern wird mit dem unpräzisen Begriff „die Gruppen der Neuen Linken” gearbeitet; ohne jeden Beleg wird über sie behauptet: „Erkennbar ging es ihnen nur vordergründig um die Verhinderung möglicher Gefahren” der Atomkraftwerke. […] Das sind Schritte dazu, neben dem „Verfassungsfeind” den Begriff des „Staatsfeindes” zu setzen. Im Bundesbericht 1980 wird immerhin deutlich gemacht, daß nur „manche Gruppen” den „Koloß Staat … mit ‚dezentralen Aktionen‘, mit Phantasie und Flexibilität” anzugreifen suchen und dass „manche … Hausbesetzungen als Teil solcher Widerstandsformen” verstehen würden. Hinzugefügt wird hier der Satz: „Nahezu alle Gruppen sahen sich als Teil einer über die Grenzen der Bundesrepublik hinweg … reichenden Protestbewegung, die ihren Anspruch, nach eigenen Vorstellungen zu leben, verteidigen und sich gegen die sie bedrohende staatliche Gewalt wehren müsse”. […]
7. These: Einige Verfassungsschutzberichte rubrizieren nicht nur Parteien, Organisationen und Gruppierungen unter bestimmte Kategorien, sondern stellen in extensiver „Extremistenbekämpfung” sogar einzelne Bürger, die von keinem Gericht für schuldig befunden worden sind, durch hoheitliche Verrufserklärungen gleichsam an den Pranger.
Die Verfassungsschutzämter haben – außer im Rahmen von Sicherheitsüberprüfungen und Spionageabwehr – lediglich die Kompetenz „Bestrebungen” zu beobachten, die gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung etc. gerichtet sind. Bei der Beobachtung verfassungswidriger Bestrebungen können nebenher personenbezogene Informationen anfallen; doch weder die Verfassungsschutzgesetze noch andere Gesetze ermächtigen dazu, dass solche Informationen zum Nachteil der Betroffenen veröffentlicht werden. Solche ohne gerichtliche Feststellung veröffentlichten Informationen sind der Sache nach ein Schritt in Richtung zur Einführung der Reichsacht2 – weit außerhalb jeder Legalität.
Konrad Adenauer kann für sich in Anspruch nehmen, in der Bundesrepublik als erster Politik mit hoheitlichen Verrufserklärungen gegen einzelne Personen betrieben zu haben. Auf Grund von Informationen aus dem Geheimbereich behauptete er im Bundestagswahlkampf 1953, der Gelsenkirchener Gewerkschaftsfunktionär Scharlay und der Solinger SPD-Vorsitzende Schroth hätten aus Ost-Berlin je 10.000 DM Wahlkampfgelder erhalten. Nach der Wahl musste er im Februar 1954 diese Behauptung „mit dem Ausdruck des Bedauerns” zurücknehmen.5 Einen Schritt weiter in die Richtung hoheitlicher Verrufserklärungen gegenüber einzelnen Personen ging man, als im Verfassungsschutzbericht 1968 (S. 881) einzelne SDS-Mitglieder namentlich mit Zitaten erwähnt wurden zum Nachweis dafür, daß der SDS „verfassungsfeindliche Ziele” vertritt, und als die „Professoren Flechtheim, Heydom und Bartsch” und der „Kommunist Willi Höhn“ als Mitglieder eines Solidaritätskomitees „Demokratie in Spanien” genannt wurden (ebda., S. 103). In vergleichbarer Weise wie die Mitglieder des Solidaritätskomitees wurden im Verfassungsschutzbericht 1973 „acht Rechtsanwälte, die Mitglieder der RAF verteidigen oder mit ihnen in Verbindung stehen” (!) angeprangert, weil diese „vor dem Bundesgerichtshof mit einem Hungerstreik gegen ‚Isolationsfolter‘ demonstrierten“ (S. 93). Diese Anwälte, gegen die allenfalls der Verdacht bestand, gegen Strafgesetze verstoßen zu haben (die Ermittlungsverfahren mussten eingestellt werden), hatten keine verfassungswidrige Bestrebung. Dennoch wurden sie, ebenso wie andere Anwälte in den folgenden Berichten, an den Pranger gestellt. […]
Während die Verfassungsschutzberichte des Bundes – möglicherweise im Zusammenhang mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes zur Frage der Werturteile in Verfassungsschutzberichten – seit einigen Jahren derartige individuelle Anprangerungen vermieden, findet man in den Verfassungsschutzberichten der Länder Bayern und Niedersachsen noch heute entsprechende Verrufserklärungen. In Bayern wurde beispielsweise im Zusammenhang der Darstellung des „Anti-Strauß-Komitees” ein Bürger namentlich genannt, in dessen Verlags- und Wohnräumen „Schriften mit beleidigendem Inhalt gefunden worden seien” (Bay. VSB 1978, S. 64). In Niedersachsen hielt man es sogar für geboten, zwei Rechtsanwälte mit vollem Namen als Angehörige einer bestimmten Organisation anzuprangern […]
Auch Institutionen, die keinerlei Anlass geben, als eine „Bestrebung” bezeichnet zu werden, die der Verfassungsschutz in seine Berichterstattung aufnehmen darf, werden dennoch an den Pranger gestellt. So wurde in Rheinland-Pfalz einer Evangelischen Studentengemeinde im Verfassungsschutzbericht vorgeworfen, „eines der wesentlichen Versammlungs- und Veranstaltungszentren der linksextremen Szene geworden” zu sein (Rh.-Pf. VSB 1979, S. 52). Es wurde auch beanstandet, dass die „Betreiber” des illegalen Radio Freies Wendland „sogar Gelegenheit hatten, sich einer breiten Öffentlichkeit in einer Fernsehsendung” vorzustellen, die dann mit Namen und Zeitangabe genannt wird (Nds. VSB 1981, S. 54). In Hannover wurde ein Unabhängiges Jugendzentrum durch die Behauptung in den Jahresbericht gebracht, „Spuren von Tätern” einer Plünderung führten in das Jugendzentrum (ebda., S. 40). Das alles geschieht, ohne dass ein rechtskräftiges Urteil vorliegt, die Gegendarstellung des Jugendzentrums in der Presse wird schlicht unterschlagen.
Die Verfassungsschutzbehörden dürfen auf Grund der geltenden Gesetze und auf Grund spezifischer Erfahrungen aus gutem Grund keine Exekutivgewalt ausüben. Sie haben dies meines Erachtens außerhalb der Legalität – durch Verrufserklärungen gegen Personen (oder verantwortliche Personen in nicht extremistischen Einrichtungen) – auszugleichen versucht. Demgegenüber ist daran festzuhalten, dass – wie es im Jahresbericht des Bundes heißt – der Begriff der „verfassungsfeindlichen Zielsetzung” sich nicht auf Personen bezieht (VSB 1979, S. 5). Bundesinnenminister Gerhart Baum hat ferner betont, Berichte dürften „Personen und Einrichtungen” nicht „dem unberechtigten Verdacht aussetzen, sie würden extremistische Bestrebungen unterstützen” (Handelsblatt, 17.7.1981, S. 20). Bloßer Verdacht darf nach dem Verfassungsprinzip der Gewaltentrennung jedoch in keinem Fall dazu führen, dass die Exekutive sich zum Zensor für Verhalten macht und das allein zulässige Strafverfahren oder ein Verfahren nach Art. 18 Grundgesetz zur Verwirkung der Grundrechte durch spezifische hoheitliche Verrufserklärungen unterläuft.
8. These: In einigen Verfassungsschutzberichten wird versucht, eine öffentliche Diskussion über die Tätigkeit der Verfassungsschutzämter dadurch zu unterbinden, dass eine solche als „Verunglimpfung“ oder als „unsachlich“ abgestempelt wird, oder als Versuch von politischen Extremisten, die Öffentlichkeit zu beeinflussen.
In Niedersachsen heißt es, an der Kritik am Verfassungsschutz haben „politische Extremisten einen nicht unerheblichen Anteil”; den „verbesserten Propagandamethoden politischer Extremisten, … die Öffentlichkeit in ihrem Sinne zu beeinflussen”, müsse daher „stärker Rechnung getragen” werden (Verfassungsschutz in Niedersachsen 1975, S. 103). In Bayern wird offen die „Bereitschaft” kritisiert, „unsachliche Kritik am Verfassungsschutz ungeprüft zu übernehmen”; das erschwere dem Verfassungsschutz nicht nur die Arbeit, „sondern stellt das Prinzip der wehrhaften Demokratie in Frage“ (Bay. VSB 1976, S. 69). In Schleswig-Holstein wird nicht unterschieden zwischen einer Kritik an Grenzüberschreitungen der Verfassungsschutzämter und den „Versuchen, das verfassungsmäßige Schutzsystem auszuhöhlen oder zu verunglimpfen“, „unsere Verfassungsschutzbehörden in Frage zu stellen oder in ihrer Arbeit zu beeinträchtigen“ (SH VSB 1978, S. 1; 1980, S. 1). In Hamburg ging der inzwischen abgelöste Behördenleiter des Hamburger Landesamtes für Verfassungsschutz Hans Josef Horchem noch einen Schritt weiter: Unter Hinweis auf „Sachkenner“ sprach er von einer „vom KGB beeinflußten Kampagne“ und warf einer „qualifizierten Minderheit der Medien“ vor, sich „geradezu auf den Verfassungsschutz eingeschossen“ zu haben. Kritik am Verfassungsschutz ist für ihn nicht ungerechtfertigt, sondern „unberechtigt“! (Die Zeit, 26.10.1979, S. 3). […]
Schlussfolgerungen
[…] Die Verfassungsschutzberichte zeigen sehr anschaulich, in welcher Weise Behörden, die ursprünglich nichts anderes sein sollten als Informationsstellen zur Beratung der Innenminister bei Verboten oder Verbotsanträgen gegen verfassungswidrige Organisationen (Art. 9 Abs. 2 u. Art. 21 Abs. 2 GG) sowie bei Verfahren mit dem Ziel der Verwirkung von Grundrechten (Art. 19 GG)6 sich zu einem Staat im Staate verselbständigt haben.
Angesichts dieser Entwicklung ist es entweder geboten, die Verbreitung von Verfassungsschutzberichten außerhalb des Bereichs der Innenministerien zu unterbinden oder restlos jeden Anschein einer rechtlichen Würdigung aus den Berichten herauszunehmen und jede Form hoheitlicher Verrufserklärung zu beseitigen. Dennoch bleiben die Auswirkungen einer solchen Reform gering, solange die gegenwärtige Machtposition des Verfassungsschutzes nicht begrenzt und die Kompetenzen der Behörden auf die ursprünglich zugewiesenen Aufgaben zurück gestutzt werden. Bis dahin bedürfen die Verfassungsschutzberichte weiterhin einer kritischen Durchsicht …

Anmerkungen

1 Entscheidung des 2. Senats des BVerfG vom 25.10.1975, BVerfGE. Bd. 40, S. 293.

2 Vgl. Jürgen Seifert, „Die Definitionsgewalt des Verfassungsschutzes“, in: 3. Internationales Russell- Tribunal. Zur Situation der Menschenrechte in der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 4, Einschränkung von Verteidigungsrechten, Verfassungsschutz, Berlin, 1979, S 127ff; Erich Küchenhoff, „Abhilfe gegen schwerwiegende Verletzung rechtsstaatlicher Prinzipien durch die Bundes-Verfassungsschutzberichterstattung 19731975″ (unveröffentlichtes Manuskript) Juni 1977; Norman Paech, „Zur Rechtmäßigkeit der Verfassungsschutzberichte. Gutachten im Auftrage der Vereinigung demokratischer Juristen (VDJ)“, in: Blätter für dt. und internationale Politik, 1979, S. 1141 ff.

3 Werner Maihofer, „Politische Kriminalität“ (Auszug aus einem Beitrag für Meyers Enzyklopädisches Lexikon), in: Innere Sicherheit. Informationen des Bundesministeriums des Innern, Nr. 30, 23.10.1975, S. 3: Der „Extremist“ stellt sich „außerhalb des Grundbestandes unserer Verfassung“, der „Radikale“ steht „auf dem Boden der freiheitlich demokratischen Grundordnung“ und vertritt beispielsweise die „Vergesellschaftung von Grund und Boden oder von Produktionsmitteln oder der Naturschätze“.

4 (Franz L. Neumann u. a.), „Die Erneuerung des politischen Lebens in Deutschland (11.1.1946)“, in: Ulrich Borsdorf, Lutz Niethammer, Fig., Zwischen Besatzung und Befreiung. Analysen des US-Geheimdienstes über Positionen und Strukturen deutscher Politik 1945. Wuppertal 1976, S. 275ff.

5 S. dazu: Der Spiegel, 1954, Heft 5, S. 6ff. u. Heft 9, S. 41 ff.

6 S. dazu die Debatte im 1. Deutschen Bundestag, 65. Sitzung am 11.8.1950; insbes. die Äußerung des damaligen DP-Abgeordneten und späteren Bundesministers Hans von Merkatz, S. 2392: „Auch bei einem solchen Amt, auch bei einer solchen Stelle entstehen Gefahren, und zwar in zweierlei Richtung. Erstens haben wir allen Grund, mit dem Schnüffel- und Denunziantenwesen, das unser gesamtes öffentliches Leben und das Verhalten der Menschen untereinander vergiftet, ein Ende zu machen. Zweitens wird unbedingt … notwendig sein, bei den mit dieser schwierigen Aufgabe betrauten Menschen eine Erziehung vorzunehmen, damit die Institution, die zur Abwehr von Gefahren, zur Ermittlung von Nachrichten geschaffen wird, nicht zu einer Schnüffelstelle ersten Ranges wird, die dann noch dazu beiträgt, die Atmosphäre zu vergiften, und die die Entstehung eines ge sunden Gemeinsinns, den die Demokratie zur Wahrung ihrer Autorität braucht, unmöglich macht.“ Merkatz ging davon aus, dass es bei den Aufgaben des Verfassungsschutzes um die „Sammlung der Unterlagen“ geht, „die die Regierung dann in Beschlüsse verarbeiten kann“ (S. 2393).

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