„Entscheidend ist für mich, dass man dieses V-Leute-Unwesen abschafft“
Klaus Hahnzog fordert eine Reform des Verfassungsschutzes – und sieht Gefahren bei einer Abschaffung des Dienstes. Aus: vorgänge Nr. 201/202 (1/2-2013), S. 89-94.
DR. KLAUS HAHNZOG
Jahrgang 1936, ist Rechtsanwalt, langjähriges Mitglied der SPD-Landtagsfraktion
(1990-2003) und nichtberufsrichterliches Mitglied des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs. Er hatte im Laufe seines
Berufslebens zahlreiche Berührungspunkte mit dem Verfassungsschutz: während seiner Tätigkeit beim
Bundesverfassungsgericht, als Kreisverwaltungsreferent der Stadt München, durch seine parlamentarische Tätigkeit im
Ausschuss für Verfassungs-, Rechts- und Parlamentsfragen, und zuletzt als Mitglied des gewerkschaftlich initiierten
Arbeitskreises „Rettet die Grundrechte“, der vom Verfassungsschutz mit einem Spitzel überwacht wurde. Im Interview
spricht er darüber, warum der Verfassungsschutz trotz aller Fehlleistungen gebraucht werde, und warum der Einsatz
von V-Leuten mit einer Demokratie unverträglich ist. Zur Überwachung durch das bayerische Landesamt für
Verfassungsschutz publizierte Hahnzog bereits im aktuellen Grundrechte-Report: Unglaubliche Bespitzelungsaktion des
Bayerischen Verfassungsschutzes, in: Grundrechte-Report 2013, Fischer Taschenbuch, S. 174-178.
„Entscheidend ist für mich, dass man dieses V-Leute-Unwesen abschafft“
Klaus Hahnzog fordert eine Reform des Verfassungsschutzes – und sieht Gefahren bei einer Abschaffung des Dienstes
Herr Hahnzog, die Frage nach Reform oder Abschaffung des Verfassungsschutzes ist wohl die Frage danach, wie man die
Aufgaben und Zuständigkeiten dieser Behörde beurteilt. Welche Aufgaben des Verfassungsschutzes sind aus Ihrer Sicht
verzichtbar, welche könnten besser von anderen übernommen werden?
Heute machen die Verfassungsschutzbehörden ja alles mögliche. Die Beobachtung der Scientologen oder der
organisierten Kriminalität zum Beispiel sind Erweiterungen, die mit dem ursprünglichen Auftrag nichts zu tun haben.
Das ist verzichtbar. Die Beobachtung verfassungsfeindlicher Bestrebungen im Vorfeld von Gefahren ist meines
Erachtens absolut nötig. Da gibt es zahlreiche Beispiele dafür, hier in München etwa der geplante Anschlag
anlässlich der Grundsteinlegung für das jüdische Zentrum. (1) Andere Beispiele finden sich im Buch von Thomas
Kuban. (2) Das sind Bereiche, wo man allein mit kritischen Bürgern nicht weiterkommt und wo auch wissenschaftliche
Institute nicht helfen. Zur Beobachtung solcher Aktivitäten brauchen wir einen Verfassungsschutz, der darauf
beschränkt bleiben muss. Dieser kleinere Kern eines Verfassungsschutzes verfügt natürlich über bestimmte Mittel:
keine V-Leute, aber verdeckte Ermittler, also Beamte; und er hat Beobachtungsinstrumente im Internetbereich, die
man natürlich rechtsstaatlich regeln muss. Eine Überwachung dieses Umfeldes, aus dem solche Gewalttaten heraus
geplant werden, halte ich für absolut nötig.
Lassen sich konkrete Anschlagsvorbereitungen nicht mit polizeilichen Mitteln vereiteln?
Vielleicht, aber gerade darin sehe ich das Problem: Ich befürchte ja, dass wenn man den Verfassungsschutz
abschaffen würde, dann die notwendige Vorfeldbeobachtung auf die Polizei übergeht. Das wäre in meinen Augen fatal,
wie ich schon in einem früheren Beitrag ausgeführt habe, (3) denn es würde das Trennungsgebot zwischen
Verfassungsschutz und Polizei wegfallen. Die Polizei würde viele Aufgaben und Befugnisse des Verfassungsschutzes
erhalten, das wäre ein großer Schritt auf dem unseligen Weg zu einer Geheimpolizei a la Staatssicherheit oder
Gestapo. In der gleichen Richtung argumentiert auch Burkhard Hirsch: das BKA würde allmählich ein
Bundessicherheitshauptamt. Dem Verbot des Verfassungsschutzes könnte ich deshalb nicht zustimmen. Wir haben jetzt
schon die Situation, dass die Polizei immer weiter in das Gefahrenvorfeld eindringt. Bei einer Abschaffung des
Verfassungsschutzes bekäme die Polizei etwa die präventive Telekommunikationsüberwachung übertragen. Diese Befugnis
sollte vor einigen Jahren schon einmal ins bayerische Polizeigesetz eingeführt werden. Dann wäre schon die
Vorbereitung auf Vorbereitungshandlungen zu konkreten Gefährdungen ein ausreichender Anlass für die Polizei, um
Telefone abhören zu dürfen. Dagegen habe ich seinerzeit eine Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe geführt, mit
Erfolg. Die Vorschrift zum präventiven Abhören wurde wieder abgeschafft.
Sie haben vorgeschlagen, den Verfassungsschutz als eigene Körperschaft neu zu gründen. Steigert das nicht die
Gefahr, dass der Geheimdienst ein noch stärkeres Eigenleben entwickelt?
Also, aus meiner Sicht nicht. Ich habe ja bewusst eine Parallele zum Datenschutzbeauftragten gezogen. Es geht mir
dabei nicht nur um die eigene Körperschaft, sondern auch um die Spitze dieser Körperschaft. Der Präsident des
Verfassungsschutzes soll vom Landtag gewählt werden. Das würde dazu führen, dass da andere Personen tätig sind.
Wenn die sich dem Parlament zur Wiederwahl stellen wollen – was ja möglich ist – müssten sie sich entsprechend den
demokratischen Grundsätzen darstellen.
Aber es geht Ihnen nicht nur um die Leitungsspitze des Amtes?
Auch institutionell wäre das etwas ganz anderes. Ein Verfassungsschutz beim Innenministerium, das zeigt ja unsere
Erfahrung mit der eigentlich unglaublichen Bespitzelung künftiger Prozessgegner vor dem Bundesverfassungsgericht,
da wird der Bock zum Gärtner gemacht. Aus dem Innenministerium stammen viele Gesetze, die selbst verfassungswidrig
sind und gegen die politische Initiativen mobilisieren. Dieser Protest wird dann von einer Behörde aus dem gleichen
Verantwortungsbereich überwacht – das geht nicht. Deshalb also eine eigene Körperschaft, die nur einer
Rechtsaufsicht unterliegt und keiner Fachaufsicht, damit auf diesem Weg nicht hineingewirkt werden kann.
Sie haben vorgeschlagen, die parlamentarische Kontrolle des Verfassungsschutzes zu verbessern. Wie könnte eine
effektive Kontrolle aussehen?
Es fängt schon bei der parlamentarischen Kontrollkommission an. Dort haben einzelne Mitglieder bisher kaum
Möglichkeiten, vieles geht nur über Mehrheitsbeschlüsse. Das müsste geändert werden. Die Mitglieder der
parlamentarischen Kontrollkommission brauchen feste Mitarbeiter, damit sie der Kontrollaufgabe neben ihren anderen
Aufgaben nachkommen können. Und wenn sie dabei Defizite feststellen, dann haben sie bisher keine Möglichkeit, sich
darüber öffentlich zu äußern. Das geht natürlich nicht. Es gibt Überlegungen, diese Kontrollkommissionen
grundsätzlich öffentlich tagen zu lassen und sie nur dann zu schließen, wenn wirklich vertrauliche Sachen behandelt
werden. Außerdem schlage ich – wie auch Professor Geiger [s. Beitrag auf S. 29 ff.] – einen
Verfassungsschutzbeauftragten vor, der den Dienst viel effektiver kontrollieren kann.
Wenn die Beratungen der Kontrollgremien öffentlich stattfinden, würde das nicht dazu führen, dass die Behörde dort
noch weniger Informationen preisgibt, als dies derzeit der Fall ist?
Da setze ich auf einen Mentalitätswandel in der Behörde. Es gibt Entwicklungen in anderen staatlichen
Einrichtungen, wenn ich an Informationsgesetze und Ähnliches denke, die irgendwann auch beim Verfassungsschutz
ankommen. Das ist ein langer Weg, aber wir müssen damit anfangen. Außerdem gehört für mich zum Verfassungsschutz
auch ein Beirat, in dem bürgerschaftliche Organisationen vertreten sind, z.B. Pro Asyl, a.i.d.a. oder die
Ausländerbeiräte. Solche Organisationen sind oft sehr gut informiert und können positiv dazu beitragen, Probleme
frühzeitig zu erkennen. Leider werden manche dieser Gruppen, etwa im Verfassungsschutzbericht von Bayern, als
linksextremistisch bezeichnet. Das ist ein Widerspruch, aber da setze ich auf mehr Öffentlichkeit über einen
Beirat, über den Verfassungsschutzbeauftragten, die parlamentarischen Kontrollgremien.
Wäre ein zivilgesellschaftlicher Beirat für den Verfassungsschutz nicht ein Versuch, das zu kompensieren, was der
Behörde bisher fehlt: die politikwissenschaftliche, aber auch die sicherheitsanalytische Kompetenz? Immer wieder
hören wir von Beispielen wie der Bespitzelung des Münchner Bündnisses zur Versammlungsfreiheit, der Überwachung des
Berliner Sozialforums oder von Abgeordneten der Linkspartei, bei denen keine Gefährdung unserer „freiheitlich-
demokratischen Grundordnung“ erkennbar ist.
Der Verfassungsschutz weist bisher weder Kompetenz noch Sensibilität auf, wenn es um die Auswahl seiner
Beobachtungsobjekte geht. Das wird nach meiner Auffassung nur besser, wenn sich der Verfassungsschutz selbst nicht
mehr sozusagen als verlängerter Arm der Sicherheitsbehörden versteht, der hier Sicherheit schaffen müsse. Die
Verfassungsschützer sollten ihre Aufgabe darin sehen, Bestrebungen gegen unsere freiheitliche Grundordnung
frühzeitig zu erkennen, damit der Staat reagieren kann. Deswegen bin ich ja auch dagegen, dass man den
Verfassungsschutz generell abschafft. Entscheidend ist für mich, dass man dieses V-Leute-Unwesen abschafft – keine
V-Leute mehr!
Der Verzicht auf die V-Leute ist Teil Ihres Reformvorschlags. Warum?
Die V-Leute haben sich eigentlich generell als verfassungsschädlich erwiesen, und nicht nur in Einzelfällen. Auf
der rechten Seite stellt sich immer mehr heraus, soweit das überhaupt transparent wird, dass V-Leute mit
staatlichem Geld Neonaziszenen aufbauen. Und auf der linken Seite sind die V-Leute auch nicht an der Leine zu
halten gewesen. Wenn ich an unseren Fall in München denke: Da hat dieser V-Mann zunächst eine Veranstaltung mit dem
Münchner Ehrenbürger und Träger des alternativen Nobelpreises Prof. Dürr bespitzelt. Und später hat er diese
unsägliche Bespitzelung künftiger Prozessgegner vor dem Verfassungsgericht betrieben. Grundsätzlich kann man sagen:
wenn man V-Leute einsetzt, dann bedeutet das unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten eine massive Einschüchterung
von demokratischen Aktivitäten. Und es ist auch unverständlich, warum beim technischen Abhören von Telefonaten oder
Wohnräumen ein richterlicher Beschluss nötig sein soll, wenn der Verfassungsschutz dagegen eine „lebende Wanze“
reinschickt, jedoch nicht.
Sie haben Ihre eigenen Erfahrungen mit der Bespitzelung durch V-Leute gerade angesprochen: Ein Bündnis gegen das
neue bayerische Versammlungsrecht, an dem Sie beteiligt waren, wurde vom Verfassungsschutz überwacht. Was haben Sie
daraus gelernt?
Nachdem das bekannt wurde, habe ich mich beim Verfassungsschutzamt und beim Ministerium um Auskunft bemüht. Da
erhielt ich vom Landesamt folgende Antwort: ‚Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz nimmt aber auch
Kontakte seiner Beobachtungsobjekte wahr. Insofern muss derjenige, der sich bewusst in ein Aktionsbündnis mit
Organisationen begibt, von denen er weiß bzw. von denen bekannt ist, dass es sich um Beobachtungsobjekte des
Bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz handelt, damit rechnen, dass unter die Beobachtung von Extremisten
auch deren Bündniskontakte fallen.‘ In dieser Stellungnahme kommt für mich eine Grundeinstellung dieser Ämter zum
Ausdruck: in ihren Augen ist jeder ein potentielles Beobachtungsobjekt, kann jeder verdächtig sein. Das ist die
Einstellung dieser Leute, die da tätig sind, und die muss geändert werden. Kein Mensch darf nur ein
Beobachtungsobjekt sein.
Schüren solche Aussagen des Verfassungsschutzes nicht das Misstrauen gegenüber politischen Mitstreitern?
In unserem Münchner Bündnis waren über 40 Leute von verschiedenen Organisationen. Für uns alle war das Thema: Was
können wir gegen ein neues, undemokratisches Gesetz zu einem zentralen Grundrecht wie der Versammlungsfreiheit
machen? Auf unseren Antrag hat das Bundesverfassungsgericht mit einer einstweiligen Anordnung wesentliche
Bestandteile des Gesetzes beanstandet. Es kann doch nicht sein, wenn ich mich in ein solches Bündnis begebe, dass
ich dann als erstes fragen muss: ‚Wer seid ihr? Wo kommt ihr her? Wer von Euch wird eigentlich vom
Verfassungsschutz beobachtet?‘ Die anderen sagen einem das ja nicht unbedingt, vielleicht wissen sie es selbst
nicht. Oder der Verfassungsschutz schickt jemanden mit einer Legende in ein solches Bündnis – dann bringt meine
Nachfrage auch nichts.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Sven Lüders.
Anmerkungen
1 Sprengstoff in München. Martin Wiese, Kameradschaft Süd, NPD. Eine Broschüre der antifaschistischen informations-dokumentations & archivstelle münchen e.V. (AIDA) in Kooperation mit dem Kurt-Eisner-Verein für politische Bildung in Bayern e.V. München 2005, abrufbar unter www.aida-archiv.de.
2 Thomas Kuban: Blut muss fließen. Undercover unter Nazis. Campus-Verlag, Frankfurt am Main 2012.
3 Klaus Hahnzog, Überlegungen zur dringend erforderlichen Reform des Bayerischen Verfassungsschutzes. Mitteilungen Nr. 217 (Heft 2/2012), S. 8-10.