Vorschläge zur Neuregelung der Suizidbeihilfe
in: vorgänge Nr. 229 (1/2020), S. 77-92
In seiner Entscheidung vom 26. Februar 2020, mit der der bisherige § 217 StGB vom Bundesverfassungsgericht für nichtig erklärt wurde, hat das Gericht die Möglichkeit einer staatlichen Regulierung organisierter Suizidhilfe ausdrücklich bejaht. Unmittelbar nach dem Urteil setze eine Diskussion darüber ein, wie eine verfassungskonforme Neuregelung aussehen könnte. Wir dokumentieren im Folgenden die uns bekannten, bis zum Redaktionsschluss der Ausgabe vorliegenden Entwürfe:
I. Den Anfang machte ein Eckpunkte-Papier der Abgeordneten Katrin Helling-Plahr, das Vorschläge für die prozedurale Regulierung der organisierten Suizidhilfe enthielt. Der Vorschlag sieht neben den ärztlichen Prüf- und Informationspflichten auch die obligatorische Teilnahme an einer ergebnisoffenen Suizidberatung vor. Dafür soll ein Netzwerk unabhängiger Suizid-Beratungsstellen aufgebaut werden (analog dem Verfahren zum Schwangerschaftsabbruch). Nach der Erfüllung dieser Voraussetzungen soll die organisierte Suizidhilfe jedoch von allen durchgeführt werden dürfen – egal ob Ärzte, Organisationen oder Vereine. Die Abgeordnete Helling-Plahr gehört der FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag an, der Vorschlag ist jedoch fraktionsübergreifend angelegt.
II. Der Bundesverband des Humanistischen Verbands Deutschlands (HVD) hat im Mai 2020 den Vorschlag für ein „Gesetz zur Bewältigung von Suizidhilfe- und Suizidkonflikten“ vorgelegt, das die Errichtung eines bundesweiten Netzes an Suizidkonfliktberatungsstellen vorsieht. Diese Einrichtungen können nach einer ergebnisoffenen Beratung eine entsprechende Bescheinigung ausstellen, dass der Suizidwunsch des/der Betreffenden nach ihrem Ermessen als frei verantwortlich anzusehen ist. Die Teilnahme an einer Beratung ist nicht verpflichtend, sie entbindet durchführende Ärzte nur von der Verpflichtung, eine zweite, unabhängige ärztliche Meinung vor einer Suizidhilfe einzuholen. Die Durchführung der Suizidhilfe soll dem Entwurf zufolge sowohl für Ärzte wie für Sterbehilfe-Organisationen zulässig bleiben; für beide werden Verfahrensvorgaben zur Durchführung gemacht. Zudem soll ein Werbeverbot für Sterbehilfe erlassen werden.
III. Am 19. Juni 2020 präsentierte die Deutsche Stiftung Patientenschutz einen Vorschlag zur Neuregelung von § 217 StGB, mit dem die gewerbsmäßige (d.h. gewinnorientierte) Suizidbeihilfe unter Strafe gestellt werden soll. Der Vorschlag ist im Vergleich zum alten § 217 StGB (mit dem Merkmal der Geschäftsmäßigkeit) deutlich enger gefasst und greift insoweit einen Entwurf der Bundesregierung aus dem Jahr 2012 auf, der damals nicht umgesetzt wurde (vgl. BT-Drs. 17/11126). Zudem soll die Zulässigkeit der geschäftsmäßigen (d.h. nicht gewinnorientierten, aber wiederholten und organisierten) Suizidbeihilfe an das Vorliegen fachlicher Qualifikationen sowie die Erfüllung prozeduraler Voraussetzungen geknüpft werden, die dem Urteil des BVerfG vom 26. Februar entnommen sind.
IV. Drei Tage später, am 22. Juni 2020 präsentierten der Palliativmediziner Gian Domenico Borasio sowie die Professoren Ralf J. Jox, Jochen Taupitz und Urban Wiesing einen (überarbeiteten) Vorschlag zur Regelung des assistierten Suizids in den §§ 217 und 217a StGB. Dieser beschränkt die zulässige Suizidhilfe auf Ärzte sowie Angehörigen und vergleichbar nahestehende Personen. Die Straffreiheit der ärztlichen Suizidhilfe ist dabei u.a. von einer vorherigen, lebensbejahenden Beratung sowie der Beratung bzw. Begutachtung durch mindestens zwei Ärzte abhängig. Die Suizidhilfe durch Vereine oder andere einzelne Personen wird explizit unter Strafe gestellt, ebenso wie die Werbung für Suizidbeihilfe. Der Vorschlag sieht darüber hinaus eine Änderung des Betäubungsmittelrechts vor, um die Abgabe des tödlichen Medikaments durch die Ärzte zu erlauben.
V. Im Juni 2020 wurde zudem bekannt, dass das Bundesgesundheitsministerium (BMG) an einer Neuregelung der Suizidbeihilfe arbeitet. Dazu hat das Ministerium bereits im April ein Schreiben an Ärztevertreter, Verbände und Kirchen verschickt und diese um Eckpunkte für eine gesetzliche Neuregelung gebeten.1 Der Adressatenkreis war jedoch sehr einseitig gehalten: das Schreiben ging nur an Organisationen, die der Suizidbeihilfe kritisch gegenüber stehen bzw. sie ablehnen. Diese Vorgehensweise (keine Beteiligung der in Karlsruhe obsiegenden Organisationen) sowie die Erarbeitung eines ministeriellen Gesetzentwurfs (anstelle parlamentarischer Gruppenanträge) rief Kritik hervor. Bis zum Redaktionsschluss dieser Ausgabe lag noch kein öffentlicher Gesetzentwurf aus dem BMG vor.
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