Helden ja - Verbände nein. Der Kampf gegen die VVN-BdA
in: vorgänge Nr. 229 (1/2020), S. 125-132
Der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) wurde am 4. November 2019 die Gemeinnützigkeit entzogen. Die Finanzbehörden beriefen sich auf einen Passus, der bereits im Durchführungserlass zur Abgabenordnung von 2014 enthalten war, seitdem aber nicht angewendet wurde. Demnach entfällt die Gemeinnützigkeit, wenn eine Körperschaft im Verfassungsschutzbericht des Bundes oder eines Landes als extremistische Organisation aufgeführt ist. Dies ist in Bayern der Fall, dem letzten Bundesland, in dem der Verband noch als „linksextremistisch beeinflusst“ desavouiert wird. Welche Folgen das für den Verein hat, welche Ungereimtheiten die Debatte um den VVN-BdA aufweist und warum gerade jetzt, da die AFD so präsent ist, einem ernsthaften Antifaschismus so viele Schwierigkeiten bereitet werden – das schildert der Bundesgeschäftsführer der VVN-BdA im folgenden Beitrag.
Am 4. Dezember 2019 wäre eine Steuernachzahlung in fünfstelliger Höhe durch den Bundesverband der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) e.V an das Berliner Finanzamt für Körperschaften 1 fällig gewesen. Hoch war die Summe im Verständnis von Vereinen wie der industriegepäppelten „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ sicher nicht, wohl aber aus der Perspektive eines Vereins mit zu dem Zeitpunkt 5.600 Mitgliedern, der von nichts anderem lebt als dem, was Mitglieder und Unterstützer*innen ihm zukommen lassen.
Am selben Tag erhielt Horst Bernard, der saarländische Ehrenvorsitzende des Verbandes, ebenfalls in Berlin aus der Hand von Bundespräsident Steinmeier das Bundesverdienstkreuz für seine aufopferungsvolle Arbeit in der Vermittlung des Wissens um die Verbrechen des NS-Regimes.
Dass einzelne Mitglieder des Verbandes, insbesondere die nur noch wenigen NS-Verfolgten, wortreich für ihre Arbeit und ihre Haltung gewürdigt werden und gleichzeitig der von eben diesen NS-Verfolgten gegründete und geprägte politische Verband, dessen Ziel darin besteht, diese Haltungen in die gesellschaftliche Breite und in die Zukunft zu tragen, diffamiert und entehrt wird, fand hier seine Zuspitzung.
Man darf schon gegen Neonazis sein, man soll es sogar – nur „Antifaschist“ möge man bitte nicht gleich werden. Gerne hat man einzelne „Vorbilder“, „Beispiele“, „Leuchttürme“ und „Pilotprojekte“, aber bitte keinen Verband, der ohne staatlichen Auftrag kontinuierlich und seit Jahrzehnten mit wenig Aufhebens antifaschistische Bündnisse fördert und schon geschichtliche Aufklärung betrieb, als das in Deutschland noch niemand hören wollte.
Von der Verordnung zum Angriff
Personelle Inkarnation dieses Widerspruchs ist der Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD). Mit der von ihm zu verantwortenden Änderung des Durchführungserlasses zur Abgabenordnung (AO) im Januar 2019 brachten er bzw. seine Behörde scheinbar den Stein ins Rollen, der am 4. November 2019 zum Entzug der Gemeinnützigkeit des Bundesverbandes der VVN-BdA führte. Tatsächlich enthielt bereits ein Durchführungserlass von 2014 dieselbe Passage, die in der Folge jahrelang vor sich hin schlummerte. Schon zuvor hatte es in Rheinland-Pfalz einen einzelnen Versuch der Anwendung der AO gegen die dortige Landesvereinigung gegeben, der jedoch nach Protesten zurückgezogen wurde.
Die Durchführungsverordnung von 2019 wurde durch die Oberfinanzdirektionen an die 300 deutschen Finanzämter verteilt. In den meisten Finanzamtsbezirken hatte dies erst einmal keine, in einigen aber drastische Folgen. Was konkret den plötzlichen Aktivitätsschub von 2019 auslöste, ist nicht nachvollziehbar. Jedenfalls häuften sich im letzten Jahr die Fälle, in denen auf einmal Paragraph 51, Absatz 3 der AO in Anwendung gebracht wurde. Dort findet sich folgender zweiter Satz, den das Berliner Finanzamt als treu zu erfüllende Anweisung vor sich herträgt: „Bei Körperschaften, die im Verfassungsschutzbericht des Bundes oder eines Landes als extremistische Organisation aufgeführt sind, ist widerlegbar davon auszugehen, dass die Voraussetzungen des Satzes 1 nicht erfüllt sind.“
Es bestimmt also die jeweils am schärfsten wertende Landesbehörde, wer in anderen Bundesländern gemeinnützig sein kann. Dagegen zu argumentieren ist schwer, denn eine abwägende Gesamtschau gilt für den Beschuldigten nicht – ein „Fehltritt“, und man ist raus.
Extremfall Bayern
Die „Erwähnung“ findet im Falle der VVN-BdA in einem einzigen Fall statt, dem bayrischen. Bayern ist das letzte Bundesland, in dem der Verband noch öffentlich als „linksextremistisch beeinflusst“ desavouiert wird. Ein Versuch unserer bayrischen Landesvereinigung, dies gerichtlich zu unterbinden, scheiterte.[1]
Es ist keineswegs selbstverständlich, dass Aussagen eines behördlichen „Berichtes“ unmittelbare und nahezu automatische Rechtsfolgen haben sollen. Ist es nicht vielmehr die Aufgabe von Regierung und Parlament, Behördenberichte zur Kenntnis zu nehmen und mit Bezug auf diese und unter Einbeziehung auch anderer Informationen und Erwägungen Konsequenzen zu ziehen? Im aktuellen bayrischen Verfassungsschutzbericht von 2018 heißt es im einführenden Teil auch nur bescheiden: „Der Verfassungsschutz hat den gesetzlichen Auftrag, Regierung und Parlament sowie die Öffentlichkeit über Aktivitäten und Ziele verfassungsfeindlicher Organisationen zu informieren. Zu diesem Zweck veröffentlicht das Bayrische Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration in Zusammenarbeit mit dem Landesamt für Verfassungsschutz die jährlich erscheinenden Verfassungsschutzberichte.“ (S. 25)
Die AO tut allerdings so, als wäre jedes Wort dieser „Berichte“ Gesetz, Beweis und Urteil in einem. Praktisch für den bayrischen Verfassungsschutz ist, dass er seine Behauptungen nicht beweisen muss. Er darf aufgrund seiner Erkenntnisse „werten“, wobei die angeblich zugrundeliegenden Erkenntnisse wiederum Verschlusssache sind.
Unser Verband wird in dem ihm gewidmeten Kapitel zusammenfassend wie folgt beschrieben: „Die VVN-BdA ist die bundesweit größte linksextremistisch beeinflusste Organisation im Bereich des Antifaschismus.“ (S. 226)
Nun taucht der Verband in dem für das Bundesgebiet zuständigen Bericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz aber gar nicht auf. Die bayrischen Beamten werten, wo die Bundesbeamten seit vielen Jahren schweigen. Das mag eine Form von Arbeitsteilung sein – verfahrensmäßig sauber ist es nicht. Besonders schmutzig wird es aber erst im leicht zu übersehenden Anhang des bayrischen Berichtes. Dort heißt es unter der Überschrift „Extremistische Organisationen und Gruppierungen“:
„In dieser Übersicht sind die im vorliegenden Verfassungsschutzbericht genannten Organisationen und Gruppierungen aufgeführt, bei denen die vorliegenden tatsächlichen Anhaltspunkte in ihrer Gesamtschau zu der Bewertung geführt haben, dass die Organisation/Gruppierung verfassungsfeindliche Ziele verfolgt, es sich mithin um eine verfassungsfeindliche Organisation/Gruppierung handelt.“ (S. 326)
Es folgt das alphabetische Register der im Bericht überhaupt auftauchenden Organisationen, mithin auch die VVN-BdA, mit den zugehörigen Seitenzahlen. Relativierende und abschwächende Qualifizierungen im Haupttext wie diejenige bezüglich der VVN-BdA („linksextremistisch beeinflusst“) werden dadurch wieder eingestampft und es gilt nur noch die schärfste Formulierung, die des Anhangs. Wer vom bayrischen Verfassungsschutz genannt wird, ist also sowieso Verfassungsfeind. Was man als betroffener Verband konkret widerlegen soll, wird nicht mitgeteilt, denn es kommt auf Details nicht an, das Amt darf eine „Gesamtschau“ vornehmen.
NRW, Berlin, Thüringen, Saarland
Noch vor der Bundesvereinigung traf es im Sommer 2019 mit derselben Argumentation den Landesverband NRW und vier seiner ebenfalls rechtlich selbständigen Kreisvereinigungen. Das Finanzamt Oberhausen hatte nach erfolgtem Einspruch ein Einsehen, so dass das Problem bereits überwunden schien, denn es war schwer vorstellbar, dass die exakt gleichen Vorwürfe und Gegenargumente zu entgegengesetzten Ergebnissen führen würden.
Olaf Scholz will für all dies nicht verantwortlich sein. In diversen Schreiben seines Büros an protestierende NS-Verfolgte äußerte er, dass er sich gar nicht habe vorstellen können, dass die VVN-BdA davon hätte betroffen sein können. Er werde sich alle Unterlagen zukommen lassen, um der Sache nachzugehen.
Das betrifft auch einen weiteren Sozialdemokraten, den Berliner Finanzsenator Matthias Kollatz, Dienstherr der Berliner Finanzämter. Auch von ihm sind keine VVN-feindlichen Äußerungen bekannt. Die beiden Unschuldslämmer besetzen – zusammen mit dem bayrischen Ministerpräsidenten – die politischen Schlüsselpositionen, die über das Steuerschicksal der VVN-BdA entscheiden. Allerdings tritt hier ein weiteres interessantes Spannungsverhältnis zutage, nämlich das zwischen Politik und Verwaltung. Es ist auffällig, dass der neue Anlauf zur Drangsalierung des Verbandes ausgerechnet im rot-rot-grün regierten Berlin seinen Anfang und im genauso regierten Thüringen seine Fortsetzung fand. Mit einer gewissen inneren Logik folgerte nämlich am 6. Januar das Erfurter Finanzamt, dass der thüringische Landesverband fortan keine Mitgliedsbeiträge mehr an den Bundesverband überweisen dürfe, denn dieser sei ja nicht mehr gemeinnützig. Ansonsten würde er – der Thüringer Verband – seine eigene Gemeinnützigkeit gefährden, die man ihr gleichwohl gleichzeitig rückwirkend wieder zuerkannte, damit die Scheinlogik der Finanzämter in Berlin und NRW konterkarierend. Sogar eine Änderung der Satzungsbestimmung bezüglich dieser Mittelweitergabe wurde bei nächster Gelegenheit verlangt.
Am 16. Januar legte das Finanzamt Saarbrücken nach und wollte den Landesverband des neuen Bundesverdienstkreuzträgers nun ebenfalls an die Kette legen. Es interessierte dabei auch nicht, dass die Bundesvereinigung gegen ihren Bescheid umfassend Einspruch eingelegt hat, mithin noch völlig unklar ist, ob es für das Erfurter und Saarbrücker Vorgehen überhaupt eine Grundlage gibt; unabhängig davon, ob es denn rechtmäßig wäre. Der VVN-BdA wurde an dieser Stelle klar, dass alle ihre steuerrechtlich selbständigen Landesvereinigungen – ob mit oder ohne Finanzamtsschreiben – genauso betroffen sind.
Finanzielle Folgen
Die Prüfung der Gemeinnützigkeit erfolgt grundsätzlich rückwirkend, in der Regel alle drei Jahre. Sollte es der Bundesvereinigung nicht gelingen, sich wieder frei zu kämpfen – die vorläufige Aussetzung der Steuernachzahlung konnte immerhin erreicht werden – würden die gleichen Maßnahmen und Belastungen auf die anderen Gliederungen zukommen. Unmittelbare Folge dieser Angriffe ist, dass der Verband notgedrungen einen nicht unerheblichen Teil seiner Ressourcen zu seiner Verteidigung einsetzen muss, um finanzielle Folgen zu verhindern, einmalige wie dauernde. Zu den einmaligen Folgen gehören Steuernachforderungen, das nachträgliche Heraufsetzen des Steuersatzes für die wirtschaftliche Tätigkeit des Verbandes (z.B. in Online-Shops und bei der Seminartätigkeit) und – besonders perfide – die Spenderhaftung. Ein wichtiges Element der Gemeinnützigkeit besteht darin, dass ein Verein steuersenkend wirksame Spendenbescheinigungen ausstellen darf. Wird die Gemeinnützigkeit nachträglich annulliert, fordert der Staat sein Geld „zurück“, was er aber nicht von den Spendern, sondern von der ausstellenden Vereinigung einkassiert.
Alles in allem käme dies – auch wenn das Wort nicht fällt – einer Enteignung gleich. Es handelt sich dabei wohlgemerkt um Mittel, die ausschließlich aus Spenden und Mitgliedsbeiträgen sowie aus eigener wirtschaftlicher Tätigkeit stammen, nicht etwa um staatliche oder sonstige Fördergelder.
Die Dauerfolgen bestünden darin, dass der Verband fortan de facto wie eine Firma behandelt werden würde und wesentliche höhere Steuerbelastungen tragen müsste. Da die VVN-BdA aber nicht wie eine Firma gewinnorientiert handelt, sondern tatsächlich „selbstlos“ tätig ist, droht ein grundsätzliches Missverhältnis zwischen ihrer Realität und den Forderungen der Finanzämter.
Ursachenforschung
Man muss sich nun fragen, was die Ursachen für diese massiven Behördenangriffe auf den Verband sind. Warum tun sie das und warum gerade jetzt? Und in welcher größeren Perspektive muss man diese Vorgänge sehen?
Die erste, banale Antwort lautet: Man kann dies einfach nur als ein neues Glied in einer sich seit Gründung des Verbandes 1947 hinziehenden Kette von Gängelungen, Drangsalierungen, Beschlagnahmen, Berufsverboten und Verbotsversuchen sehen. Für die Verfassungsschutzbehörden trifft dies auf jeden Fall zu. Es gehört zur DNA dieser von SS- und Gestapomännern gegründeten Behörden, im Antifaschismus den Feind zu sehen. Mit dem Anlegen dicker Dossiers, die gelegentlich bei Prozessen (wenn auch nur teilweise) zum Vorschein kommen, verbringt man seine Zeit und verdient sein Geld. Die VVN-BdA muss „extremistisch“ sein, denn sonst hätte die eigene Stelle ja keine Berechtigung. Im Laufe der Jahrzehnte brachte diese Behördenpraxis auch einen speziellen Schlag von Akademikern hervor, für den man beispielhaft Bettina Blank und Rudolf von Hüllen nennen kann. Es gibt sicher nicht viele Promovierte und Habilitierte, die soweit von der Realität ihres Forschungsgegenstandes entfernt sind, wie diese Antifaschismus-Forscher. Ihre Ergebnisse stehen immer schon fest, auf bizarre Weise die DDR-Politologie spiegelnd, in der der „Sieg des Sozialismus“ auch immer wissenschaftlich feststand.
Seit Mitte der 2000er Jahre war es allerdings ruhiger um diese Konsorten geworden. Nach und nach wurde in einem Bundesland nach dem anderen, zuletzt in Baden-Württemberg, die Erwähnung der VVN-BdA in den VS-Berichten eingestellt. Der Eisberg versank, behielt aber unter der Oberfläche seine gefährlichen Spitzen, denn der organisierte Antifaschismus wurde und wird weiter ausgespäht und pauschal diffamiert. Neuester Angriffspunkt ist dabei der „Schwur von Buchenwald“, das zentrale Dokument im Selbstverständnis der VVN-BdA.[2]
Kontext AfD
Öffentlich wurde die Entlastung der VVN-BdA mit dem Bedeutungsverlust des Verbandes begründet, von ihm „gingen keine Initiativen mehr aus“. Darin steckte ein Teil Wahrheit – die Überalterung und ein teilweiser Verlust der Anschlussfähigkeit an neuere Entwicklungen waren in der Tat erkennbar – ein anderer Teil war aber behördliche Selbsttäuschung. Mit der Kampagne „NoNPD – NPD-Verbot jetzt!“ meldete sich der Verband 2007 überraschend zurück. Ab 2016 folgte das zunehmende Engagement in der Kampagne des Bündnisses „Aufstehen gegen Rassismus“ (AgR), für das die VVN-BdA mittlerweile die Funktion des Trägervereins einnimmt. Dies bedeutet, dass der Verband Büro, Adresse, Impressum und Steuernummer bereitstellt, Arbeitgeberfunktionen erfüllt und letztlich das juristische und finanzielle Risiko trägt. Die VVN-BdA ist damit in herausgehobener Weise das legale Gesicht der Antifa. „Gesicht“ kann man wörtlich nehmen, denn ihre Vertreter*innen sind vereinsrechtlich greifbar und arbeiten auch sonst unter Klarnamen. Damit verbunden ist ein Platz in der Mitte der Gesellschaft – genau das, was VS-Behörden unbedingt unterbinden möchten.
Das Ziel der VVN-BdA und von AgR ist es, die gesellschaftliche „Normalisierung“ der AfD zu verhindern, zu behindern oder rückgängig zu machen. Die AfD ist keine „bürgerliche“, soll heißen ehrenwerte Kraft, sondern genau wie die NPD im Kern faschistisch. Das kann die AfD, das können ihre Helfershelfer nicht auf sich sitzen lassen, denn sie wollen zwar extrem rechts sein, nur sagen dürfen andere dies nicht. VVN-BdA und AgR arbeiten sich dabei ganz bewusst „an der AfD“ ab. Einer der Schwerpunkte von AgR besteht z.B. darin, zu ausnahmslos jedem Bundesparteitag der AfD eine bundesweite positiv und farbenfroh gestaltete Protestperspektive zu organisieren und die jeweiligen lokalen Kräfte systematisch zu unterstützen. Dafür steht, wenn nötig, das mittlerweile angesammelte Know-How eines erfahrenen Kampagnenteams bereit. Ohne AgR hätte es auch nicht die mittlerweile 900 „Stammtischkämpfer*innen“-Seminare gegeben, die breiteste antirassistische Bildungsinitiative der bundesdeutschen Neuzeit.
Daraus erschließt sich, warum gerade jetzt und ausgerechnet die VVN-BdA als Organisation in den Fokus geraten ist. Auf dem Weg zur Faschismusnormalisierung in Form der AfD und ihrer Verbündeten sollen antifaschistische Kräfte aus dem Weg geräumt werden. Dies betrifft nicht nur den alltäglichen Widerstand bei rechten Demos und Aufmärschen, sondern auch das organisierte Wissen darum, wohin Faschismus schon einmal geführt hat.
Deshalb geriet die VVN-BdA als organisierte und unabhängige Formation des Antifaschismus im Rahmen des Rechtsrucks als erste in den Fokus. Die VVN-BdA soll weg und damit alles, was mit ihr und durch sie möglich ist.
Kontext Demokratiebewegung
Die gegnerischen Akteure hatten geglaubt, dass der Zeitpunkt dafür günstig ist. Doch sie haben sich verschätzt. Nach der riesigen Solidarisierungswelle mit der VVN-BdA, einer massiven Eintrittswelle (die sie auf über 7.000 Mitglieder katapultierte), der nahezu einhellig negativen Medienberichte, nach zahlreichen parlamentarischen Initiativen der LINKEN, der Grünen und der SPD sowie politischen Vorhaltungen hinter den Kulissen müsste man mittlerweile bemerkt haben, dass auch Finanzämter nicht im luftleeren Raum schweben.
Der Versuch der AfD, zur Regierungspartei zu werden, wird von einer breiten rassistischen und antidemokratischen Grundströmung und mittlerweile auch von skrupellosen Politikern aus CDU und FDP unterstützt. Das ist aber nur die eine Seite einer gesellschaftlichen Polarisierung. Auf der anderen Seite steht der Aufbruch einer Art Demokratiebewegung. Wo die bisherigen Volksparteien an Vertrauen verlieren und mit reichlich ungeeigneten Mitteln die gewohnte Machtposition retten wollen, steigen andererseits neue Massenbewegungen auf, z.B. im Bereich des Klimaschutzes. Deren organisatorische Kerne verfügen über schlagkräftige Instrumente, um rasch Themen in den Vordergrund bringen zu können. Sie entwickeln Beteiligungsformate, die ein gewisses Gegengewicht zu denen der extremen Rechten bilden. Es ist kein Zufall, dass ausgerechnet deren Organisationsplattformen „attac“, „campact“ und „change.org“ ebenfalls die Gemeinnützigkeit entzogen wurde. Das Argumentationsmuster ist zwar in diesen Fällen ein anderes, die Folgen sind aber z.T. noch schärfer als für die VVN-BdA. Hinter den Angriffen auf diese bekannten, relativ großen und auch streitlustigen Verbände, droht etwas noch Schlimmeres: ein breiter Angriff auf soziokulturelle Zentren und kleine Vereine, die sich neben ihren zentralen Aufgaben mehr oder weniger häufig antirassistisch oder antifaschistisch engagieren. Ein Beispiel dafür ist das „DemoZ“ aus Ludwigsburg, das sogar Förderungen zurückzahlen muss, weil es Neonazis von Veranstaltungen ausschließt und damit nicht mehr „in geistiger Offenheit“ politische Bildung betreibt, wie ihm das Finanzamt vorwarf.
An dieser Stelle ist man wieder bei Olaf Scholz. Einem Bericht der taz (28.2.20) zufolge plant das Bundesministerium für Finanzen (BMF) einen Erlass, der für politische Vereine eine Atempause bedeutet. Bis Ende 2021 sollen für andere Vereine keine negativen Folgen aus dem Urteil gegen attac folgen. Das ist schön für all die anderen, aber nicht für attac und auch nicht für die VVN-BdA, für die sich dadurch gar nichts verbessert. Offenbar geht es dem BMF darum, vor allem sich selbst eine Atempause zu verschaffen, denn der Bundesfinanzminister ist dem Bundestag einen Neuentwurf der Abgabenordnung schuldig. Dieser kann die Situation verbessern, aber auch wesentlich verschlechtern.
Es ist dringend notwendig, eine breite gesellschaftliche Diskussion zu diesem Thema zu führen und auf die beteiligten Parteien und Parlamentarier*innen maximalen Einfluss zu nehmen. Es kann allerdings gut sein, dass aus alledem im Jahr 2020 nichts mehr wird. Das BMF ist aktuell sicher mit wichtigeren Aufgaben beschäftigt. Nur die Geldeintreibungsstelle des Finanzamts für Körperschaften 1 in Berlin fand noch Zeit für eine Mahnung der VVN-BdA-Steuerschulden, deren Einforderung die eigene Behörde bereits ausgesetzt hatte.
THOMAS WILLMS ist Bundesgeschäftsführer der VVN-BdA. Er studierte Physik und Politikwissenschaft an der Universität Bremen, ist Diplom-Polikwissenschaftler und Bundesgeschäftsführer der VVN-BdA. Letzte Buchveröffentlichung: „Auschwitz als Steinbruch. Was von den NS-Verbrechen bleibt“
Anmerkungen:
[1] Ablehnung der Berufung durch den Verwaltungsgerichtshof Bayern, Beschluss vom 7.2.2018 – 10 ZB 15.795.
[2] S. Schreiben des Hess. Landesamtes für Verfassungsschutz an das VG Kassel i. S. Silvia Gingold (4 K 641/13.KS) v. 7.10.2016 (VS-AZ: L13-257-S-530-005-30/16).