Beitragsbild Koalitionsverhandlungen: Frontalangriff auf unsere Grundrechte
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Koali­ti­ons­ver­hand­lun­gen: Fronta­l­an­griff auf unsere Grundrechte

04. April 2025

Mit großer Besorgnis beobachtet die Humanistische Union den aktuellen Stand der Koalitionsverhandlungen zwischen CDU/CSU und SPD. Während das öffentlich gewordene Verhandlungspapier im Ganzen durchaus auch positive Aspekte beinhaltet – wie eine angekündigte und dringend nötige Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes und der Gemeinnützigkeit –, so finden sich darin auch Abschnitte und Forderungen, die wir aus bürgerrechtlicher Sicht für höchst problematisch halten. Diese finden sich vor allem im Papier der „AG 1 – Innen, Recht, Migration und Integration“. Insbesondere einige noch in den Verhandlungen umstrittene Vorschläge und Forderungen von Seiten der Unionsparteien sehen wir als weitere Angriffe auf zentrale Bürgerrechte.

Statt die Freiheit und Selbstbestimmung der Bürgerinnen und Bürger zu stärken, setzen viele Vorschläge auf Überwachung, Kriminalisierung und eine gefährliche Aushöhlung des Datenschutzes. Wir appellieren daher insbesondere an die SPD, sich für den Grundrechtsschutz in den Koalitionsverhandlungen einzusetzen.

Viele katastrophale migrationspolitische Ankündigungen sowie den Vorstoß der CDU/CSU, das 2006 verabschiedete Informationsfreiheitsgesetz wieder abzuschaffen, sehen wir als Bürgerrechtsorganisation, die jahrelang für das IFG gekämpft hat, als überaus kritisch. Für beide haben sich auch bereits breite zivilgesellschaftliche Bündnisse gegen die Abschaffung gebildet. Es gibt jedoch auch viele andere bürgerrechtlich problematische Aspekte im Papier, die bislang weniger intensiv in der Öffentlichkeit kritisiert wurden. Komplementär zum staatlichen Transparenzgebot ist nämlich der Schutz der Bürgerinnen und Bürger vor Überwachung sowie der Datenschutz. Hier finden es besonders alarmierend, dass die CDU/CSU die faktische Einführung der Chatkontrolle und die anlasslose Vorratsdatenspeicherung fordern. Das sind Maßnahmen, die grundlegende Freiheitsrechte infrage stellen und eine Massenüberwachung etablieren würden.

Folgende Punkte sind aus unserer Sicht besonders zu kritisieren:

Einführung der Vorrats­da­ten­spei­che­rung

Einig sind sich die Koalitionäre, dass die anlasslose Vorratsdatenspeicherung für IP-Adressen und Portnummern wieder eingeführt werden soll. Diese Wiedereinführung ist ein gefährlicher und verfassungsrechtlich höchst problematischer Eingriff in die Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger. Diese Speicherung stellt eine Gesellschaft unter Generalverdacht und widerspricht mehrfachen Urteilen des Bundesverfassungsgerichts sowie des Europäischen Gerichtshofs. Solch eine Massenüberwachung öffnet zudem Tür und Tor für Missbrauch durch Behörden. Statt gezielter Kriminalitätsbekämpfung setzen die Verhandlungsparteien auf ein Instrument, das in keiner Weise nachweislich zur Sicherheit beiträgt, aber eine digitale unverhältnismäßige Massenüberwachung ermöglicht. Es ist ein Frontalangriff auf die informationelle Selbstbestimmung und den Datenschutz.

Einführung der Chatkon­trolle

Der CDU/CSU zufolge sollen auch elektronische Kommunikationsdienste „im Einzelfall zur Entschlüsselung und Ausleitung von Kommunikationsinhalten an Strafverfolgungs- und Gefahrenabwehrbehörden“ verpflichtet werden. Das wäre eine Zustimmung zur Chatkontrolle auf EU-Ebene.

Nachrichten und Onlineinhalte von Nutzenden zu entschlüsseln, zu überwachen und damit die freie und private Kommunikation zu untergraben, halten wir für einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Grundrechte. Bedroht werden dadurch die digitale Privatsphäre und faktisch auch die Äußerungsfreiheit. Zudem hat sich gezeigt, dass solche Maßnahmen beispielsweise Kinder nicht besser schützen. Stattdessen verengen sie den Blick auf technokratische Überwachungsinstrumente, die unsere Freiheitsrechte auf skandalöse Weise bedrohen. Mit einer solchen Chatkontrolle wird ein umfassendes Überwachungspaket geschaffen, das sich potentiell gegen die gesamte Bevölkerung der EU richtet. Es nimmt den Menschen die Möglichkeit, selbstbestimmt über ihr Leben mit einer Technologie zu entscheiden.

Biome­tri­sche Raster­fahn­dung

Sicherheitsbehörden sollen beiden Parteien zufolge eine „automatisierte Datenrecherche und -analyse sowie den nachträglichen biometrischen Abgleich mit öffentlich zugänglichen Internetdaten, auch mittels künstlicher Intelligenz, vornehmen können“. Dadurch würden eine Big-Data-Software und biometrische Internetrasterfahndung eingeführt werden. Dafür benötigen Sicherheitsbehörden eine riesige biometrische Datenbank. Das eröffnet auch die Gefahr, dass große Datenmengen von problematischen KI-Softwares wie Palantir ausgewertet werden. Dem AI Act der EU zufolge ist eine solche biometrische Datenbank, die Massenüberwachung ermöglichen würde, aber verboten. Daher halten wir auch diese Idee für einen grundrechtswidrig und skandalös.

Ausweitung der KFZ-Kenn­zei­chen­kon­trolle

Die Koalitionäre möchten „zu Strafverfolgungszwecken den Einsatz von automatisierten Kennzeichenlesesystemen im Aufzeichnungsmodus“ erlauben. Dies spricht dafür, dass sie § 163g STPO ausweiten wollen, der derzeit das Kennzeichenscanning nur zur Ermittlung des Aufenthaltsortes oder der Identität von Täterinnen und Tätern bei Straftaten von erheblicher Bedeutung und nur vorübergehend und nicht flächendeckend ermöglicht. Es bleibt zu hoffen, dass sich die Koalitionäre an das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 18.12.2018 erinnern, das dem KFZ-Kennzeichenscanning deutliche Grenzen gesetzt hat.

Änderung vom Daten­schutz­be­auf­tragten zum Daten­nut­zungs­be­auf­tragten

Die Umbenennung des Amtes der Datenschutzbeauftragten in eine „Datennutzungsbeauftragte“ könnte man für eine reine semantische Spielerei oder einen Imagewechsel halten. Dem ist aber nicht so: Dies offenbart eine tiefgreifende Veränderung der Prioritäten. Der Datenschutz – bislang als fundamentales Bürgerrecht anerkannt – wird nun dem wirtschaftlichen Verwertungsinteresse untergeordnet. Diese Neuausrichtung droht, sensible Daten von Nutzenden für kommerzielle und staatliche Zwecke freizugeben, anstatt sie davor zu schützen. Diese Begriffstransformation macht deutlich, dass Grundrechte zunehmend zur Verhandlungsmasse für ökonomische Interessen werden.

Abschaffung des Bundes­po­li­zei­be­auf­tragten

Während die SPD daran festhalten will, möchte die CDU/CSU das immer noch junge Amt des Polizeibeauftragten des Bundes beim Deutschen Bundestag abschaffen. Bei aller bürgerrechtlichen Kritik, die man am Polizeibeauftragtengesetz haben kann: Gerade diese Stelle ist es, die polizeiliches Fehlverhalten durch Eingaben zumindest dokumentieren soll. Die Auflösung des Amts würde das Vertrauen der Bevölkerung in die Polizei gefährden und den Menschen in Deutschland ein wichtiges Mittel entziehen, um sich gegen unverhältnismäßige Maßnahmen oder Übergriffe zu wehren. Im Zusammenhang mit der unverhältnismäßigen Ausweitung der Kompetenzen von Sicherheitsbehörden ist es umso schlimmer, dass dieses Amt durch einen überbordenden und kaum kontrollierbaren Überwachungsapparat ersetzt werden soll.

Fehlende Entkri­mi­na­li­sie­rung von Schwan­ger­schafts­ab­bruch

Die Weigerung der CDU/CSU, den § 218 StGB zu reformieren und Schwangerschaftsabbrüche aus dem Strafgesetzbuch zu streichen, ist ein eklatanter Rückschritt in der Gewährleistung reproduktiver Rechte. Während viele europäische Nachbarn längst eine entkriminalisierte und medizinisch fundierte Lösung gefunden haben, bleibt Deutschland in der Vergangenheit verhaftet. Frauen werden weiterhin durch bürokratische Hürden, moralische Bevormundung und eingeschränkte Zugänglichkeit zu sicheren Abbrüchen in ihrer körperlichen Selbstbestimmung massiv eingeschränkt. Dies ist nicht nur frauenfeindlich, sondern auch ein Verstoß gegen internationale Menschenrechtstandards, die das Recht auf eine selbstbestimmte Familienplanung als grundlegendes Menschenrecht anerkennen.

Geplante Rekri­mi­na­li­sie­rung des Canna­bis­kon­sums

Nach Jahrzehnten der Kriminalisierung und einer mühsam erkämpften Reform für mehr Selbstbestimmung von Konsumierenden plant die CDU/CSU, diesen kleinen Fortschritt wieder rückgängig zu machen und Cannabiskonsumentinnen und -konsumenten abermals dem strafrechtlichen Zugriff auszusetzen. Dies zeugt nicht nur von ideologischer Sturheit, sondern ignoriert auch die positiven Erfahrungen anderer Staaten, in denen Entkriminalisierung zu weniger Kriminalität und besserem Jugendschutz geführt hat. Die Rekriminalisierung verhindert aber keinen Drogenkonsum, sondern macht Menschen zu Kriminellen, die diese Droge konsumieren– dadurch werden Schwarzmarktstrukturen gestärkt. Diese Pläne sind rückständig, wissenschaftsfern und konterkarieren jegliche fortschrittliche Drogenpolitik.

Insgesamt ist kaum von Entkriminalisierung im Vertragspapier die Rede, höchstens von Kriminalisierung. Das setzt falsche Signale.

Fazit

Die aktuellen Pläne der zukünftigen Bundesregierung reihen sich ein in eine lange Kette von rückwärtsgewandten Angriffen auf unsere Freiheitsrechte und gefährden aktiv unsere Demokratie. Statt eine fortschrittliche, freiheitliche und transparente Politik zu gestalten, setzen die Koalitionsverhandlungsparteien oder zumindest Teile davon auf Repression, Überwachung und Kontrolle.

Viele der Forderungen halten wir für grundrechtsverletzend, da sie unverhältnismäßig sind und in die Rechte und das Leben der breiten Masse eingreifen. Wer glaubt, die Demokratie mit Massenüberwachung beispielsweise durch oligarchische Überwachungsuntenehmen im Dienste des Staates zu retten, liegt offensichtlich falsch. Denn wer Bürgerrechte derart leichtfertig aufgibt, sollte sich nicht wundern, wenn das Vertrauen in den Staat und in die Parteien weiter erodiert.

 

Die Humanistische Union, als älteste Bürgerrechtsorganisation Deutschlands, wird weiterhin für eine große Breite an Grundrechten eintreten. Das Vertragsdokument legt nahe, dass die bürgerrechtliche Arbeit in der angebrochenen Legislaturperiode nicht leichter werden wird. Doch wir werden weiter für Entkriminalisierung, für staatliche Transparenz, für Datenschutz und gegen Überwachung eintreten. Dazu sind wir auf Ihre Hilfe angewiesen: Mit Ihrer Spende ermöglichen Sie es uns, dass wir mit mehr Energie und Kapazitäten für Ihre Grundrechte kämpfen. Zum Spenden klicken Sie bitte hier.

Philip Dingeldey, Carola Otte und Thomas Schindelbeck

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