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Die FDP und die Kirchen. Eine Überra­schung

Mitteilungen Nr. 218/219 (Heft 3/4 2012), S. 29

Am 14. November 2012 fand in Hamburg eine gemeinsame Sitzung der Hamburger FDP-Arbeitskreise Inneres und Schule/Kultur statt, die sich dem Thema „Trennung von Staat und Kirche“ widmete. Anlass war ein Thesenpapier der Hamburger Jungen Liberalen, das sich, gemessen an dem, was heute aus den Parteien dringt (namentlich auch aus der FDP), ziemlich weit in Richtung staatliche Religionsneutralität und strikte Trennung aus dem Fenster lehnt: Abschaffung des Status von Körperschaften des öffentlichen Rechts, Kündigung der Staatskirchenverträge, Einführung eines Religionskundeunterrichts für alle Schülerinnen, Abschaffung von Privilegien der Kirchen. Beim letzten FDP-Parteitag in Karlsruhe (April 2012) war das Papier mit dem Titel „Trennung von Staat und Religion konsequent umsetzen“ als Antrag eingereicht, jedoch „aus Zeitgründen“ nicht mehr behandelt worden. Die Initiatoren und anscheinend auch die FDP in Hamburg wollten das Thema aber offenbar nicht aufgeben; daher jetzt die Veranstaltung, zu der ich mich als Referenten eingeladen war. Die Diskussion war munter, hanseatisch aufgeschlossen, durchaus auch kontrovers.

Altgediente Mitglieder der Partei waren sich einig, das Thesenpapier der Julis sei im Grunde nichts Neues, es erneuere lediglich die Auffassungen, die die FDP bereits 1974 auf dem Hamburger Parteitag in ihrem Thesenpapier „Freie Kirche im Freien Staat“ beschlossen habe. Graue Vergangenheit also – dachte ich. Vorsichtshalber aber die Nachfrage: Gilt dieses Thesenpapier von 1974 noch heute? Antwort: Selbstverständlich gilt es noch, denn kein Parteitag habe seitdem etwas anderes beschlossen, geschweige denn den Beschluss von 1974 förmlich aufgehoben. Die vom FDP-Bundesvorstand am 10.12.2007 beschlossenen „Liberalen Leitlinien zum Verhältnis von Staat, Kirchen und Religionsgemeinschaften“ hätten  ja nicht den Status eines Parteitagsbeschlusses.

Eine Sensation? Mit dem  Kirchenpapier der FDP von 1974 (abgedruckt in: vorgänge 12/1974, S. 93) war diese Partei nicht nur seinerzeit kirchenpolitisch die fortschrittlichste politische Gruppierung in Deutschland, sie wäre es auch heute noch, wenn man sich die aktuellen programmatischen Aussagen der Parteien Deutschlands anschaut. Allerdings: Auf der Homepage der FDP findet sich heute kein Hinweis auf die Thesen „Freie Kirche im Freien Staat“. Nur ein nichtssagender „Flyer“ mit dem Titel „Kirche und Religion“ mit Bildern von FDP-Granden zusammen mit Würdenträgern verschiedener Religionsgemeinschaften.

Rein vorsorglich: Ich habe ganz offiziell bei der FDP angefragt, ob ihre Kirchenthesen von 1974 noch gelten. Auf die Antwort kann man gespannt sein.

Johann-Albrecht Haupt

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