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Organi­sierte Krimi­na­lität und die Verbrechen der Wirtschaft

vorgängevorgänge 12412/1993Seite 111-121

Demokratietheoretische und sozialpolitische Dimensionen einer aktuellen Diskussion

aus: vorgänge Nr. 124 (Heft 4/1993), S. 111-121

Die sozialen, ökonomischen, politischen und moralischen Fragen der Gegenwart kreisen alle um das Problem der Glaubwürdigkeit unserer rechts- und sozialstaatlichen Demokratie. Die Legitimationskrise des bürgerlichen Staates — vor Jahren zentrales Thema der Sozialwissenschaften — treibt mittlerweile die politischen Stammtische um. Hier werden keine tiefschürfenden theoretischen Analysen durchgeführt, sondern ganz banale, aber die Menschen bewegende Alltagserfahrungen der Krise der kapitalistischen Weltwirtschaft — meist unter dem Aspekt nationalstaatlicher Verantwortung für das Gemeinwohl  — diskutiert  und meist unzulässig verallgemeinert. Das Elend der Dritten Welt beispielsweise wird nicht etwa mit den subventionierten Exportoffensiven der reichen Industriegesellschaften, nicht mit dem Dollar- und westlichen Kulturimperialismus erklärt, die in die Deindustrialisierung führen. Wie ja auch die derzeitige, als Modernisierung dargestellte Deindustrialisierung der neuen Bundesländer nicht mit der Überproduktionskrise westdeutscher und westeuropäischer Unternehmen, sondern hauptsächlich mit der Erblast der DDR-Kommandowirtschaft, dem geheimen Widerstand der überall noch verschwörerisch tätigen Stasis und der Unfähigkeit der Politiker des Westens und mangelnder Solidarität der „Wessis“ in Verbindung gebracht wird.

Die Zunahme des Menschen-, Waffen- und Drogenhandels, der Skandale, Bestechungsaffären, Korruption, ja das gesamte Spektrum der Organisierten wie der allgemeinen Kriminalität  werden nicht etwa mit den enger gewordenen, teils fast völlig monopolisierten Märkten und der Neuverteilung der östlichen Welt unter die potentesten Kapitaleigner legalen und illegalen Kapitals assoziiert. Auch nicht mit dem Verlust an Steuerungskapazität der Staaten durch das freie Weltkapital, das sich mühelos nationalen Gesetzen zu entziehen versteht. Kein Schimmer davon, daß damit auch der Wirtschaftskriminalität und dem Organisierte Verbrechen die Freiraume geschaffen werden, in denen diese sich entfalten können.

Daß sich seit dem Fall der Mauer die wirtschaftlichen und sozialen Probleme verschärft haben, hängt natürlich für den Stammtischaufklärer mit dem Zustrom vieler krimineller Elemente aus dem Osten nicht mit dem Zustrom überschüssigen und spekulierenden Kapitals aus dem Westen zusammen. Allenfalls weiß man, daß der glücklicherweise nicht mehr funktionierende Sicherheitsapparat der untergegangenen Staaten noch nicht durch eine funktionierende Polizei, Justiz und Verwaltung ersetzt werden konnte, obgleich die Nachhutgefechte mit dem Feindbild „Stasi” offensichtlich zu keinem Integrationseffekt geführt haben. Daß die
neuesten Erkenntnisse, die Stasi arbeite im Osten mit der „Mafia« zusammen, wer immer auch mit „Mafia” gemeint sein mag, die Krise zureichend erklären und zu ihrer Lösung beitragen wird, darf ohne nähere Prüfung bezweifelt werden.

Ein Paradig­men­wechsel ist fällig

Die mit solchen Regressionen einhergehende gewalttätige und kriminelle Energien freisetzende Demokratieverdrossenheit und Bereicherungswut, ob sie sich nun in neuem Rechtsradikalismus oder im Organisierten Verbrechen manifestiert, stimmen sogar Optimisten hoffnungslos.

Der Schweizer Soziologe Jean Ziegler (Die Schweiz wäscht weißer, Die Finanzdrehscheibe des internationalen Verbrechens, München Zürich 1990) und die Franzosen Couvrat und Pless (letztere mit dem in deutscher Sprache von Norbert Neumann herausgegebenen Buch Das verborgene Gesicht der Weltwirtschaft, Münster 1993) haben hier wichtige Ansätze entwickelt, die es weiterzuverfolgen gilt. Auch ich habe mit meinem Buch Kapital Verbrechen — Die Verwirtschaftung der Moral (Ffm 1992) einen Versuch gemacht, die wissenschaftstheoretischen und paradigmatischen Weichen für eine neue sozialwissenschaftliche Betrachtungsweise zu stellen.
Durch die Gründung der Organisation „Business Crime Control” glaube ich außerdem getan zu haben, was zur Weiterentwicklung des demokratischen Bewußtsein in dieser Zeit möglich und unerläßlich ist, nämlich die Aufklärung über Wirtschaftsverbrechen zu organisieren.

Jetzt wäre wichtig, das nach dem Ende der UdSSR von Francis Fukuyama voreilig verkündete „Ende der Geschichte” als Anfang einer neuen —  auf erweiterter Stufenleiter stattfindende — Form der sogenannten ursprünglichen Kapitalakkumulation zu identifizieren. Nach dem Kolonialismus und dem klassischen Imperialismus wird die Durchkapitalisierung der nicht zuletzt auch an ihrem entwickelten Untergrundkapitalismus gescheiterten Planwirtschaften des Ostens (China inbegriffen) zur dritten großen Epoche des räuberischen Abenteurerkapitalismus (vgl. dazu. See/ Schenk, Wirtschaftsverbrechen – Der innere Feind der freien Marktwirtschaft, Köln 1992).

Die destabilisierenden Rückwirkungen des Zusammenbruchs der Ostblockstaaten auf die siegreichen demokratisch-kapitalistischen Zentren drückt sich in einem Bündel schwerer Krisenherde aus, als deren politischer Kern die gegenwärtige Demokratiekrise auszumachen ist. Sie hat ihre Hauptursache in der von den etablierten Politikern noch nicht voll realisierten Tatsache, daß unter den veränderten weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen das bislang schon äußerst fragwürdige, aber immer noch propagierte Mittel des antizyklischen Staatsinterventionismus untauglich geworden ist.
Unübersehbare Indizien sind die ansteigende Massenkriminalität, das weltweit operierende und die legale Wirtschaft infiltrierende Organisierte Verbrechen und eine krebsartig sich ausbreitende Wirtschaftskriminalität  in Verbindung mit Bestechung und Korruption. Vor allem der Politiker- und Parteienkauf und die vielen Falle von Regierungskriminalität in aller Welt, werden in der Öffentlichkeit und durch die Parteienlandschaft nahezu einhellig als alarmierende Hinweise auf den rapiden Verfall der sozialen Moral der Gesellschaften gewertet, aber noch immer nicht fachübergreifend zu demokratietheoretischer und sozialstaatlicher Analysen erhoben.

Wirtschaftskriminalität und Organisierte Kriminalität, die ich der Einfachheit wegen unter dem Begriff Wirtschaftsverbrechen zusammenfasse, obgleich ich sie deutlich unterscheide, wurden während der Zeit des Kalten Krieges selbst von Kriminolgen und Strafrechtlern wie Stiefkinder behandelt. Die berühmte Mafia-Studie
des Kriminologen Henner Hess von 1970 bezog sich auf Italien. In Deutschland und vielen anderen europäischen Ländern, nicht in den USA., haben die Sozialwissenschaftler die Wirtschaftsverbrechen fast ausschließlich den Strafverfolgungsbehörden überlassen. Dies hat bis heute zur Folge, daß man die Lösung der durch eine falsche Wirtschafts-, Sozial- und Kulturpolitik entstandenen Probleme nun von Polizei und Justiz erwartet, obwohl klar ist, daß diese Staatsorgane damit weit überfordert sind. Sie werden mit dieser Überforderung — wie wir in diesem Stadium schon erkennen können — wieder zunehmend ins klassische Law and Order-Denken hineingetrieben. Und viele Anhänger des polizeistaatlichen Denkens haben in Organisierten Verbrechen längst das Mittel erkannt, mit dessen Hilfe die demokratischen Mehrheiten gegen zuviel Demokratie mobilisiert werden können. Hier möchte ich an die Alternative erinnern, die Willy Brandt einmal auf die Formel brachte: „Mehr Demokratie wagen“. Wenn Politik die aus ihren Versäumnissen und Einseitigkeiten entstehenden kriminellen Entwicklungen in den Polizeigriff bekommen möchte, muß sie soziale und demokratische Rechte und Institutionen demontieren.

Angesichts der Informationsdefizite über die Zusammenhänge von Wirtschaftskrisen, Demokratiegefährdungen und verfehlter Sozialpolitik wurde im Jahre 1991 die internationale Organisation „Business Crime Control“ (BCC, Postfach 63465, 63477 Maintal) gegründet, die es sich zur Hauptaufgabe gemacht hat, eine möglichst breite Öffentlichkeit in einer Weise über Wirtschaftsverbrechen aufzuklären, die nicht die Transformation der Demokratie in einen Law and Order-Staat forciert und nicht die sozialkritischen Bürgerinitiativen durch rechte Bürgerwehren ersetzt sehen mochte. BCC geht es darum, die nach dem Zusammenbruch des Ostblock-Kommunismus — mit Blick auf die notwendige Kontrolle der Mächtigen der globalen Wirtschaftsmacht — noch einmal ganz bewußt neu zu stellen. BCC will eine breite demokratische Öffentlichkeit dafür gewinnen, die „Rettung” des demokratischen und sozialen Rechtsstaats vor dem „organisierten Verbrechertum” nicht den Rechten zu überlassen. Es soll versucht werden, der Republik durch eine tiefgreifende und längerfristig, das heißt über die Legislaturperioden hinaus, angelegte alternative Wirtschafts-, Sozial- und Umweltpolitik. Dies kann nur gelingen, wenn dem internationalen Wirtschaftsverbrechen das Wasser abgegraben wird. Dabei ist auch die globale Dimension der Problematik in der Praxis zu berücksichtigen.

Die Polizei ist für solche Aufgaben die falsche Adresse. Sie kann allenfalls das letzte Mittel sein, nicht aber Ersatz für eine der „Kriminalität der Mächtigen” präventiv entgegenstehende politische Kultur und Praxis. Wenn die Polizei am Organisierten Verbrechen — trotz erlaubten Lauschangriffs, trotz verdeckter Ermittler und Geldwäschegesetz — unverschuldet scheitert, geht das — wie sich schon jetzt abzeichnet — zu Lasten der Demokratie, die am Ende immer — aber zu Unrecht — für den angeblich „schwachen Staat” verantwortlich gemacht wird. Der liberaldemokratische Staat ist nämlich gar nicht schwach, wie er an der Bekämpfung des Ostblock-Kommunismus und der Linken im eigenen Land bewiesen hat. Er wird immer nur schwach, wenn es darum geht, den Mächtigen der Wirtschaft und der Politik das abzuverlangen, was sie dem demokratischen und sozialen Rechtsstaat und der verfassungsgemäßen Forderung nach sozial verantwortlichem Umgang mit Eigentum schuldig sind.

Sozial und demokratisch orientierte Aufklärung über Wirtschaftsverbrechen erfordert klare und möglichst gegen Verdrehungen gefeite Begriffe. Nur sie ermöglichen eine Demokratisierung des sozialkritischen Bewußtseins und die Entfaltung einer neuen Wirtschaftsethik. Wichtig ist in diesem Zusammenhang die Unterscheidung von Wirtschaftskriminalität und Organisierter Kriminalität.

Wirtschaftskriminalität nenne ich jede Art illegaler Kapitalbeschaffung, Kapitalverwertung und — sehr wichtig — Kapitalsicherung (Einzel kapitale und das System betreffend), also das Wirtschaften unter Verletzung der jeweils geltenden Steuergesetze und Strafrechtsnormen durch die Betriebe und Unternehmen, deren erklärten Hauptziel darin besteht, ihre Gewinne auf legale Weise zu erzielen, die aber zum Zwecke der Gewinnsteigerung, zur Erzielung von Extraprofiten, sich auch krimineller Praktiken oder des internationalen Rechtsgefälles bedienen, das heißt, in denjenigen Länder investieren, die keine oder nur eine sehr schwache sozial- und rechtsstaatliche Ordnung haben, Demokratie, Menschenrechte und Gewerkschaften unterdrücken und damit dem heimischen wie dem internationalen Kapital Raum für rücksichtslose Ausbeutung von Mensch und Natur geben. Kapitalsicherungspolitik steckt hinter den meisten Menschenrechtsverletzungen durch rechte Diktaturen, die in der Zeit des Kalten Krieges nicht selten mit Hilfe von Wirtschaftsunternehmen, die in demokratischen Industriestaaten ihren Hauptsitz haben, unterstützt wurden.

Organisierte Kriminalität nenne ich dagegen die hauptsächlich kriminalisierte Produkte herstellende und Dienstleistungen erbringende Tätigkeit von Gruppen, die zwar offiziell ein legales Gewerbe betreiben, und dies nicht nur in den Rotlichtvierteln unserer Großstädte, hinter dessen Schutzschild aber gewerbsmäßig kriminelle Geschäfte abwickeln. Dies geschieht im großen Stil im Bereich Menschen-, Waffen-, Drogenhandel und illegale Schadstoffbeseitigung, umfaßt aber auch alle anderen Formen illegaler Kapitalbeschaffung, Kapitalverwertung und Kapitalsicherung. Zu letzterer gehören Geldwäsche, Infiltration, Korruption, Bestechung, Erpressung, Außensteuerung und Fernlenkung der Parteien und sonstigen demokratischen Willensbildungsorgane durch mafiose Unternehmer und deren bezahlte Mitarbeiter, also Praktiken, die auch aus der legalen Wirtschaft bekannt sind.

Es ist wahr, daß in der sozialen Wirklichkeit die Unterscheidung von Wirtschaftskriminalität und Organisierter Kriminalität nicht nur schwer zu verifizieren, sondern mit der wechselseitigen Durchdringung beider Bereiche zumindest im Zirkulationsprozeß unserer Weltökonomie nicht mehr zu erkennen ist, welches in Kapital verwandeltes Geld kriminellen, welches legalen Ursprungs ist. Das jetzt in Deutschland zustande gekomme Geldwäschegesetz leidet eben darunter.Es verlangt, was eine völlig Qualität unserer Rechtsphilosophie und Polizeipraxis bedeutet und die Liga für Menschenrechte alarmiert hat, daß Privatpersonen, also Bankangestellte, wider Willen zu Hilfspolizisten gemacht werden und sich bei Verweigerung der Erfüllung ihrer Anzeigepflicht strafbar machen. Daß sie tatsächlich auch einmal einen schwerkriminellen Geldwäscher erkennen und anzeigen, mag ja sein, aber niemand fragt danach, ob der Staat, der ihnen diese Bürde auferlegt, für ihr oder das ihrer Familien bürgen kann.

Das Durch­drin­gungs­pro­blem

Ein zentrales Argument für den eher und symbolisch geführten Kampf gegen „die Mafia”  (ein eingebürgerter Begriff, der meist falsch, nämlich im Sinne von OK oder mafioses Unternehmertum verwendet wird) ist die These von der Durchdringung der legalen Wirtschaft durch das sogenannte Organisierte Verbrechen. Tatsächlich weisen viele Indizien und auch polizeiliche bzw. staatsanwaltschaftliche Erkenntnisse darauf hin, daß sich hier das legale Kapital einem gefährlichen Wettbewerb ausgesetzt sieht. Wie ehrlich das Interesse bestimmter Einzelkapitale (zum Beispiel der Banken) an der Beseitigung dieser kriminellen Konkurrenten ist, weiß niemand. Denn natürlich bringt auch Geldwäsche, die meist legale Unternehmen wissentlich oder unwissentlich besorgen, oft nicht unbeträchtlichen Gewinne. Kredite aus kriminellen Quellen sind unter Umständen viel billiger, vielleicht sogar zinslos, zu haben. Und dieser ökonomische Vorteil wird von Unternehmen, die unter stabilitätspolitisch begründetem  Zinsdruck leiden, sicher gern genutzt.

Eine wichtige Form des Einflusses der legalen Wirtschaft durch das Organisierte Verbrechen vollzieht sich indirekt. Und zwar dort, wo sich — über den ohnedies vorhandenen Wettbewerbsvorteil jedes deliktischen Handelns hinaus zwischen — eine Konkurrenzsituation zwischen beiden ergibt. Dies ist zum Beispiel auf dem sozial relevanten Bausektor sehr häufig der Fall. Im Immobiliengeschäft  wird der legale Händler zweifellos häufig aus dem Wettbewerb geworfen, weil er im Angebot nicht mithalten kann. Dies um so weniger, wenn auch noch erpresserische und gewalttätige Methoden angewandt werden. Hier kann es leicht geschehen, daß die sogenannten „schwarzen Schafe“ des legal betriebenen Immobiliengeschäft  selbst zu mafiosen Methoden übergehen. Eine andere Form ist die, daß sich das Organisierte Verbrechen in Unternehmen einkauft, also wertvolle Aktienpakete erwirbt und ein Unternehmen vielleicht sogar ganz unter seine Kontrolle bringt. Es werden auch Grundstücke und bankrotte Firmen aufgekauft, die auf Halde gelegt werde bis die Preise steigen und man über Eigentumsrechte Politik beeinflussen kann. Viel Land und Immobilien sind zur Zeit im Osten preiswert zu haben und werden — wie wir von Treuhandskandalen — nicht nur von redlichen
Kaufleuten erworben. Bankrotte Unternehmen werden oft als Scheinfirmen zur Verschleierung krimineller Geschäfte, zum Beispiel zum Zweck der Geldwäscherei, ich nenne Im- und Exportfirmen, Transportunternehmen, Kinos, Restaurants, Saunen etc. weiterbetrieben.

In den Rotlichtvierteln zerfließen die Grenzen zwischen legaler und krimineller Wirtschaft. In dieser Mischform blühen die verschiedensten legalen, halblegalen und kriminellen Geschäfte, angefangen beim Immobilienkauf und der durch Beamtenbestechung erwirkten Betriebsgenehmigung bis hin zum Menschen-, Waffen- und Drogenhandel. Natürlich gehören auch alle anderen Bereiche wie legales und illegales Glücksspiel und Betrug, Schutzgelderpressung und sonstige Arten der Kriminalität dazu. Natürlich werden mit den zum Teil riesigen Gewinnen des Organisierten Verbrechens auch in der Vergnügungs- und Tourismusbranche (Hotels, Freizeitparks, Unterhaltungsgewerbe etc.) Geschäfte gegründet oder gekauft und betrieben. Das internationale Handelsgeschäft ist eine der strategischen Basen des Organisierten Verbrechens, wie der hochorganisierte Menschen-, Drogen- und Waffenhandel eindeutig belegt. Die als „Weltbank des Verbrechens” aufgeflogene und inzwischen geschlossene Bank of Credit and Commerce International (BCCI) war eine riesige Waschanlage für Drogendollars. Freilich hat sie auch alle anderen lukrativen kriminellen Geschäfte abgewickelt.

Es ist also davon auszugehen, daß das Organisierte Verbrechen auch mühelos eigene legale Bankinstitute gründen kann. In den Offshore-Zentren der ganzen Welt ist dies offensichtlich der Fall, nicht ausgeschlossen, daß es solche Banken auch in der Bundesrepublik gibt. Dafür gibt es keine Beweise, aber es würde mich wundern, wenn in einer Bankenstadt wie Frankfurt sich bei strengster Prüfung nicht mindestens eine Bank finden ließe, die sich in den Händen des Organisierten Verbrechens befindet oder überwiegend für dieses arbeitet. Daher sind natürlich auch die Versuche, schärfere Bankengesetze und -kontrollen durchzusetzen, so schwierig. Es besteht die Gefahr, daß das Organisierte Verbrechen in bestimmten Staaten eigene Banken gründet und die legalen Banken Milliarden an Einlagen aus kriminellen Quellen verlieren, also schwere Gewinneinbußen erleiden könnten. In den sogenannten Offshore-Zentren hat es diese ganz bestimmt.

Daß Wirtschaftsverbrechen auch als Produktivkraft betrachtet werden können, erkannte schon Marx. Angesichts der heutigen Produktivkraftentfaltung kann man diese Frage aber nicht mehr so positiv bewerten, wie Marx es tat. Dennoch gibt es immer noch Politiker, die zu glauben scheinen, daß Wirtschaftsverbrechen letztendlich Wachstum fordern und Arbeitsplätze schafft. Daher die laxen Gesetze, die schwachen Kontrollen und das weitverbreitete Lob der Schattenwirtschaft als Korrektiv eines angeblich zu stank unter Reglementierung leidenden Kapitalismus. Selbstverständlich stehen Arbeitslose, um ihren Arbeitsplatz bangende Arbeiter und Angestellte, vom Konkurs bedrohte Mittelständler plötzlich in einem sicheren Arbeitsverhältnis, wenn sie eine Verbrecherbande bilden und sich entschließen, ihren Lebensunterhalt ohne Rücksicht auf Verluste jenseits der Gesetze zu „verdienen« bzw. zu sichern. Wenn sie dann noch in der Lage sind, ihre Tätigkeit durch Einflußahme auf Gesetzgeber und Polizei, Staatsanwälte, Medien und Richter zu legalisieren, können sie nicht einmal mehr bestraft werden. Dann ist das Verbrechen legal.

Ich will noch einige legale Bereiche nennen, über die die kriminellen Profite des Organisierten Verbrechens in die Poren der bürgerlichen Wirtschaftsordnung eindringen und sie zersetzen:

— Es werden von illegalem Geld Staatsobligationen gekauft – die italienische Mafia soll über ein Drittel der italienischen Staatsobligationen halten – und Wertpapiere.

— Es werden Milliarden zur Erzielung von Spekulationsgewinnen (zum Beispiel im Devisengeschäft oder beim Warentermingeschäft) um den ganzen Globus gejagt und es können mit diesen Summen gefährliche Börsenmanipulationen inszeniert und Krisen verursacht werden.

— Es werden Immobilien (Grundstücke, Häuser, Geschäfte, Fabriken  oft in den Rotlichtvierteln der Metropolen) gekauft und alteingesessene Hausbesitzer und Geschäftsleute aus diesen Stadtquartieren verdrängt. Mietwucher und Umwandlung von Wohnraum in Bordellbetriebe etc. treiben die Mietpreise in selbst für gut Verdienende unbezahlbare Höhen und die Mieter aus ihren Wohnungen, ja aus den Städten.

— Durch illegale Leiharbeit wird Lohndumping betrieben, werden Arbeitsmärkte zerstört, legale Arbeitsplätze vernichtet, die Steuern und Sozialversicherungskosten hinterzogen, Kürzungen von Sozialleistungen verursacht. Leere Sozialkassen sind die Folge.

— Durch Korruption, also in der Regel Politiker und Beamtenbestechung, aber auch um-gekehrt Forderungen von Beamten gegenüber denen, die etwas von ihnen wollen, werden demokratisch zustandegekommene und zum Zweck der indirekten Steuerung des Wirtschaftsgeschehens gedachte Gesetze einfach unschädlich gemacht, Konkurrenten werden ausgestochen oder durch Kartellbildungen das Korrektiv des Wettbewerbs aus-geschaltet. Der Markt wird monopolistisch verzerrt, die soziale Marktwirtschaft zur Farce.

Ich beende hier die Aufzählung, obgleich ich sie noch lange fortsetzen könnte. Aus politikwissenschaftlicher und sozialpolitischer Sicht entpuppt sich bei solchen doch relativ einfachen Sachverhalten zum Beispiel die Gefährlichkeit der weitverbreiteten, aber falschen Auffassung, „bei Korruption” handele es sich „um Straftaten ohne Opfer”. Dieser Irrtum behauptet sich freilich und gewinnt den Anschein von Gültigkeit, wenn man die Vermessung dieser Problematik mit rein strafrechtlichen Maßstäben vornimmt.

Eine düstere Prognose

Das Bundeskriminalamt veröffentlichte im Oktoberheft 1990 der Zeitschrift „Kriminalistik” die Ergebnisse einer „Expertenbefragung” über das „Organisierte Verbrechen”. In ihr wurde auch das Problem des Verhältnisses der Organisierten Kriminalität zur Wirtschaft thematisiert. Hier heißt es u.a.: Die Experten schließen nicht aus, „daß der zunehmende Konkurrenzkampf dazu führen wird, daß sich immer häufiger gescheiterte Existenzen zur Sicherung einer Überlebenschance ins Schlepptau der Organisierten Kriminalität begeben und diese dadurch mit zusätzlichem technischen und kaufmännischem Know How und nicht zuletzt mit eingefahrenen Geschäftsverbindungen ,angereichert` wird.“ Daß sich daraus ein gesellschaftspolitisch hochexplosives Gemisch von Legalität und Illegalität im Wirtschaftsprozess bildet, wird heute parteiübergreifend zugegeben.

Einige Experten vertraten bei der hier zitierten Befragung sogar die alarmierende Auffassung, „daß eine ausschließlich legale Unternehmensführung in Zukunft wegen mangelnder Konkurrenzfähigkeit kaum noch möglich sein wird.” Es wird von der großen Gefahr gesprochen, „daß die Organisierte Kriminalität mehr und mehr als ein der freien Marktwirtschaft zwangsnotwendig zugehörendes Phänomen hingenommen” werde.

Das BKA ist eigentlich nicht dafür bekannt, Probleme im Bereich Wirtschaft zu dramatisieren. Im Gegenteil. Es hat — zumindest offiziell — diese Probleme über viele Jahre überhaupt nicht zur Kenntnis genommen. Aber was wir inzwischen von dieser Seite hören, klingt durchaus nicht mehr verharmlosend. Geradezu links ideologisch klingt, was das in dieser Hinsicht völlig unverdächtige BKA in seiner Studie über die Bedeutung der „Gewinnmaximierung” feststellte: „Das Ziel der Gewinnmaximierung in breiten Teilen unserer Gesellschaft und Wirtschaft, das es ,erforderlichenfalls auch mit illegalen Mitteln zu erreichen gilt läßt eine progressive Verschmelzung von Illegalität und Legalität mit der Folge befürchten, daß das organisierte Verbrechen zu einer der dominierenden Schubkräfte in unserer Wirtschaft werden könnte: „„Unter diesen Umständen”, heißt es weiter, „könnte nach Auffassung einzelner Experten die Krisenlage eines Unternehmens als Indikator für kriminelles Handeln zunehmend an Bedeutung gewinnen.”

Das Problem des zunehmenden Einflusses, der Infiltration und Penetration des Organisierten Verbrechens auf die legale Wirtschaft ist also inzwischen erkannt, aber die Gefahr ist damit längst noch nicht gebannt. Im Gegenteil. Sie wächst in Zeiten der Stagnation rapide an. Man kann darin eine Gesetzmäßigkeit sehen und sie auf die — auch umkehrbare — Formel bringen: Wenn es mit der Konjunktur abwärts geht, geht es mit der Wirtschaftskriminalität und dem Organisierten Verbrechen aufwärts. Die Versicherungswirtschaft hat diesen Zusammenhang schon lange mittels einfacher Statistiken bemerkt. Die sogenannten „warmen Sanierungen” nehmen in der Krise zu. Wir müssen registrieren, daß auch das Organisierte Verbrechen in der Krisenwirtschaft an Boden gewinnt.

Offen ist die Frage, ob das Vordringen des Organisierten Verbrechens, das ich aus Grün-den der Klarheit des Begriffs lieber Untergrundwirtschaft und — als System betrachtet — als Untergrundkapitalismus bezeichnen möchte, nicht selbst als ein wesentlicher Faktor der Krisen der legalen Wirtschaft nachgewiesen werden könnte.

In den USA wird — zwar spät genug — aber immerhin schon seit Anfang der vierziger Jahre wirtschaftskriminelles Verhalten von Großunternehmen systematisch erforscht. Der Pionier dieser Forschungsrichtung, Edwin Sutherland, hat bekanntlich den Begriff „White Collar Crime” geprägt. Dabei hat sich der Begriff „Weiße-Kragen-Kriminalität” — trotz seines fast volkstümlichen Gebrauchs — wissenschaftlich überlebt. Heute sprechen wir von Wirtschaftskriminalität und Organisierter Kriminalität, die zwar enge Verwandte, ja möglicherweise eineiige Zwillinge sind, aber sowohl aus strategischen wie auch aus taktischen Gründen doch auseinandergehalten werden sollten. Würden wir beide Formen als identisch unterstellen, würde sich die Fragestellung der Durchdringung der Wirtschaft, damit ist die legale Wirtschaft gemeint, durch das Organisierte Verbrechen, gar nicht stellen, sondern das liefe darauf hinaus, das schon eingetroffen sei, was nach der oben schon aus der BKA-Studie zitierten Expertenmeinung erst noch bevorsteht, daß nämlich in Zukunft eine legale Unternehmensführung wegen mangelnder Konkurrenzfähigkeit gegen das im Wettbewerbsvorteil befindliche Organisierte Verbrechen gar nicht mehr möglich ist.

In Deutschland finden sich Spuren einer ersten ernsthaften wissenschaftlichen Beschäftigung mit Wirtschaftsdelikten seit Anfang der sechziger Jahre. Tiefer gehende Forschungen beginnen Anfang der siebziger Jahre, also in der Zeit, in der in den USA schon die zweite Forschergeneration an ihr Werk ging. Sie untersuchten das Ausmaß der Wirtschaftsdelikte multinationaler Konzerne und wiesen zum ersten mal eindeutig nach, daß die materiellen Schäden dieser Kriminalität weit größer sind als alle übrigen Eigentumsdelikte zusammengenommen. Verbindungen zum Organisierten Verbrechen werden allerdings nicht unter-sucht. Hieran scheitert auch die systematische rationale Aufklärung der Bevölkerungen über die sie beunruhigenden Probleme.

Zu jener Zeit, der Zeit des Vietnamkrieg und der maoistischen Kulturrevolution, hatte die linke Studentenbewegung zunächst in den USA, dann auch in Europa, heftige Kapitalismuskritik geübt und die sozialliberale Reformkoalition in der Bundesrepublik Deutschland stellte sich nicht zuletzt deshalb die zweifellos besonders für die FDP undankbare Aufgabe, ein erstes Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität in Angriff zu nehmen. Es ging, wie der damalige FDP-Wirtschaftsminister Hans Friderichs es am 14. Juni 1973 vor dem Deutschen Bundestag formulierte, vor allem darum, all jenen „eine klare Absage” zu erteilen, die einzelne Mängel des Systems zum Vorwand nähmen, „unser Wirtschaftssystem als ganzes in Frage zu stellen, zu diskreditieren oder die Forderung nach Abschaffung beziehungsweise Systemüberwindung zu erheben:  Es ging also weniger um die tatsächliche Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität als um die Überwindung der Legitimationskrise des Staates und der kapitalistischen Wirtschaftsordnung.

Trotz einiger wichtiger Einzelstudien und trotz täglicher Berichterstattung in den Medien ist das öffentliche Bewußtsein über die Gefährlichkeit von Wirtschaftsverbrechen noch immer erschreckend unterentwickelt. Manche glauben, die Definitionsfrage sei ein akademisches Problem und für die Praxis irrelevant. Die Polizei könne nicht warten, bis eine allgemein anerkannte Definition vorliege. Richtig ist, daß die Polizei und die Gerichte unter schlechten Definitionen leiden. Denn wenn eine Definition von Wirtschaftskriminalität auch den Ladendiebstahl umfaßt (vgl. Gunther Arzt/ Ulrich Weber: Strafrecht — Besonderer Teil LH4, Bielfeld 1980, S. 6), dann ist sogar die Kriegerwitwe mit ihrer allzu niedrigen Rente und der geringen Sozialhilfe, wenn sie ein Stück Seife im Einkaufszentrum mitgehen läßt, eine Wirtschaftsstraftäterin. Man kann hier auch erahnen, das die Definition ganz entscheidend dafür ist, wie hoch die Schäden veranschlagt werden müssen und welchen Grad an Gemeingefährlichkeit man diesen Delikten zuspricht.

Über die sozialen und ökologischen Folgen von Wirtschaftskriminalität und Organisiertem Verbrechen gibt es überhaupt noch keine Grundlagenforschung. In unseren europäischen Nachbarländern ist der Rückstand noch größer als bei uns. Das könnte, darf uns aber nicht trösten, sondern zeigt angesichts der neuen Entwicklungsstufe der europäischen Einheit die Dringlichkeit, auf diesem Gebiet die Forschung endlich voranzutreiben. Wie soll eine Bekämpfung der Wirtschafts- und der Organisierten Kriminalität aussehen, wenn wir über so wenig gesichertes Wissen und so vage Definitionen verfügen, daß man jede Jugendbande, die Autoradios klaut und verscheuert, um am Konsumrausch der Gesellschaft partizipieren zu können, dem Organisierten Verbrechen zuordnet. Schießt man da nicht mit Kanonen auf Spatzen?

Der Verlauf der Grundlinien einer nicht juristischen, sondern demokratietheoretischen und sozialpolitischen Argumentation läßt sich — extrem verkürzt — mit folgenden Punkten nachzeichnen: Die langanhaltende weltweite Wirtschaftskrise treibt die Kapitalvernichtung und Kapitalkonzentration voran und damit in den wirtschaftlichen und moralischen Ruin. Die gewaltigen Strukturwandlungen, die sich gegenwärtig weltweit durch den Zusammenbruch des Ostblockkommunismus und die Weiterentwicklung der Europäischen Gemeinschaft vollziehen, haben nicht nur die Krise und den Existenzkampf von Millionen extrem verschärft, sie haben auch sozialistische und kommunistische Ideale zerstört und den Antikommunismus, der immer auch rechtsradikaler Nationalismus und Rassismus bedeutet, um das Feindbild gebracht. Auf der Suche nach neuen Feindbildern hat sich (nachdem die RAF und die Stasi nicht die erwünschte Breitenwirkung erzielten) die Drogenkriminalität und mit dieser die organisierte Kriminalität angeboten, da sie tatsächlich eine wachsende Gefahr darstellt, aber durch den schon von der Unterhaltungsindustrie vorgefertigten Mythos Mafia geeignet ist, die unter den Folgen der Krise einsetzende Polarisierung der Gesellschaft zu entschärfen und zugleich die Ordnungskräfte durch neue Aufgaben zu binden.

Die Gefahr der Organisierten Kriminalität als solche ist ohne Zweifel sehr groß, weil sie die Spirale der Gewalt noch höher treibt, die Wirtschaft infiltriert und über diese Einfluß auf den Staat zu gewinnen droht. Größer aber ist sie durch ihre Instrumentalisierung durch rechtsextremistische, neofaschistische und rassistische Demagogen. Sie denunzieren mit Hinweis auf die Organisierte Kriminalität und die korrupten Politiker die angeblich schwache Demokratie und verlangen den starken Staat. Viele der etablierten konservativen Politiker folgen dieser Argumentation, weil sie um die gleichen Wähler wie Republikaner und Neonazis konkurrieren und jahrelang — die ökonomische Krise voraussehend — durch ihren Kampf gegen die demokratische Linke (die mit dem Staatssozialismus des Ostblocks in einen Topf geworfen wurde) den Boden für eine Verschiebung des politischen Koordinatensystems nach rechts bewußt bereitet haben.

Die aus allen Himmelsrichtungen in die wohlhabenden Länder strömenden Migranten und die in Zeiten akuten Arbeitskräftemangels importierten Ausländer werden von den Rechten und auch allzu vordergründig der bloßen Empirie aufsitzenden Freunden der Fremden mit dem Organisierten Verbrechen in Verbindung gebracht. Daß viele der mafiosen Verbrecherbanden ethnische Gruppen einer Nationalität sind, wird besonders laut hervorgehoben. Auch wird behauptet, daß es sich hauptsächlich um Asylsuchende und sogenannte Wirtschaftsflüchtlinge handele. Inzwischen sind die „Asylanten”, „Ausländer” und „Organisierten Verbrecher” schon für viele zum bloßen Synonym geworden. Daß sich dann Neonazis berufen fühlen, gegen Ausländer einen mörderischen Krieg zu führen, sollte niemanden verwundern. Neben den Ausländern, die den Law an Order-Ideologen für Kriminalität und OK stehen, geraten auch wieder Juden ins Visier faschistischer oder faschistoider Gruppen. Interpretiert man den europäischen Antisemitismus als christlich-nationalistische Variante der Kapitalismuskritik, wird seine erschreckende Wiederkehr in der sich zuspitzenden Krise des Kapitalismus verständlich.

Die wegen des pauschalen Kommunismusverdacht üblich gewordene systematische Ausblendung der Probleme der kapitalistischen Wirtschaftsordnung aus der gesellschaftlichen Debatte hat dazu geführt, daß auch die Wirtschaftsverbrechen der legalen Ökonomie kein Thema sind. Obgleich diese der Organisierten Kriminalität den Weg bereiten und ihr Tür und Tor öffnen (man denke an die Korruption von Beamten und Politikern sowie die Geldwäsche durch seriöse Banken), wird die ganze Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf das Organisierte Verbrechen gelenkt. Die Debatte um die innere Sicherheit wird außerdem auf juristische und polizeiliche Fragestellungen eingeengt. Strafverfolgung statt Prävention heißt die Devise. Der Polizei und den Staatsanwaltschaften wird zugemutet, die Folgen politischer Fehlentscheidungen in den „Polizeigriff” zu bekommen. Doch damit wird die Spirale der Sicherheitslüge in Gang gesetzt, die am Ende nur Frustration bedeutet und nach mehr Sicherheit verlangt, bis Freiheit und Demokratie verloren sind. Statt einen starken Staat zu fordern, sollte die Bevölkerung eine stärkere Demokratisierung vor allem in der Wirtschaft, eine neue Weltwirtschaftsordnung und eine wirksame Weltwirtschaftspolitik verlangen. Sobald deren Auswirkungen spürbar werden, wird der Sumpf, in dem Organisiertes Verbrechen und Neofaschismus gedeihen, wieder austrocknen.

Es kann also nur mehr sozialstaatliche Demokratie auch in der Wirtschaft, mehr und bessere demokratische Kontrolle der Mächtigen in den Chefetagen und in der Politik und eine sich den sozialen Ursachen und Folgen der Wirtschaftsverbrechen intensiver widmende Sozialwissenschaft die zur längerfristigen Eindämmung entsprechenden Rahmenbedingungen schaffen. Wir brauchen Parlamente, die wieder Kontrollorgane der Regierenden werden, wir brauchen Aufsichtsräte, die wirklich Aufsicht führen, wir brauchen Betriebsräte, die bei wirtschaftskriminellen Delikten gefahrlos intervenieren können, wir brauchen Wissenschaftler, die finanziell unabhängig bleiben, und wir brauchen Medien, die das Wirtschaftsverbrechen nicht mystifizieren, sondern auf der Grundlage der Mechanismen von Markt und Monopol, von Preis und Profit sachlich erklären.

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