Publikationen / vorgänge / vorgänge 138

Auf dem Wege zu einem neuen Trans­plan­ta­ti­ons­recht

vorgängevorgänge 13806/1997Seite 46-55

Aus: vorgänge Nr. 138 (Heft 2/1997), S. 46-55

Der Gesetzgeber beabsichtigt seit einiger Zeit ein Transplantationsgesetz zu erlassen. Mit der Grundgesetznovelle vom 27.10.1994 (BGBl I, S. 3146) hat der Bund die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz zur Transplantationsregelung für Organe erhalten. Ein interfraktioneller Entwurf liegt inzwischen vor (TPG, BT-Dr. 13/2926 v. 7.11. 1995). Er soll Regelungen treffen für die Organentnahme nach endgültigem Ausfall der gesamten Hirnfunktionen oder dem Stillstand von Herz und Kreislauf und für die Organentnahme bei Lebenden.

Ziel ist es, klare Rechtsgrundlagen für die Entnahme von Organen zu schaffen. Es soll gewährleisten, daß man eine Organspende ablehnen kann. Das Handeltreiben mit menschlichen Organen soll bestraft werden. Die Vermittlung lebenswichtiger Organe nach Maßgabe medizinischer Kriterien soll gewährleistet werden.

Bevor wir uns mit einigen Problemen dieses Entwurfes auseinandersetzen, soll kurz die gegenwärtige Rechtslage dargestellt werden.

Die gegen­wär­tige Rechtslage

Die Organimplantation: Von der Rechtsprechung wird die Organimplantation, ob sie gelingt oder nicht als unter die Körperverletzungstatbestände fallend, angesehen. Die Rechtmäßigkeit eines solchen Eingriffs hängt damit davon ab, daß eine wirksame Einwilligung in die Organimplantation gegeben wurde. Eine Einwilligung ist nur dann wirksam, wenn und soweit der Organempfänger hinreichend über Chancen, Risiken und Bedeutung des Eingriffs aufgeklärt wurde.

Die Organexplantation: Die postmortale Spende ist nach derzeitigem Recht zulässig, wenn und soweit der Gesamthirntod oder der irreversible Stillstand von Herz und Kreislauf des Spenders von zwei Ärzten in unabhängiger Weise festgestellt wurde und der Tote vor seinem Ableben seine (freiwillige) Zustimmung zur Explantation der Organe, die ihm entnommen wurden, gegeben hat. Auch eine mutmaßliche Einwilligung des Spenders vermag nach geltendem Recht die Explantation zu rechtfertigen. Von einer mutmaßlichen Einwilligung des Toten kann man ausgehen, wenn es begründeten Anlaß für die Annahme gibt, daß der Tote in die Explantation dieser Organe eingewilligt hätte.

Der Organspender ist bei der postmortalen Spende geschützt über die Tötungsdelikte. Liegt kein Gesamthirntod des Spenders vor und wird trotzdem ein lebenswichtiges Organ entnommen, so begeht der Explanteur eine vorsätzliche Tötung im Sinne unseres Strafgesetzbuches. Zweifelhaft nach deutschem Strafrecht ist allerdings, ob der Explanteur sich auch strafbar macht, wenn er dem Toten ein Organ entnimmt, obwohl dieser mit der Entnahme nicht einverstanden ist, bzw. die Organentnahme auch nicht nach den Regeln über die mutmaßliche Einwilligung gerechtfertigt ist. In Betracht kommt als Tatbestand hier nur die „Störung der Totenruhe“ (§ 168 StGB). Es ist umstritten, ob dieser Tatbestand greift. Einmal passt das Rechtsgut nicht, da mit diesem Tatbestand zentral das Pietätsgefühl geschützt wird. Bei der unzulässigen Explantation von Organen von Toten wird aber das postmortale Persönlichkeitsrecht verletzt. Weiter ist zweifelhaft, ob man bei der unzulässigen Organentnahme davon sprechen kann, daß Leichenteile aus dem Gewahrsam des Berechtigten weggenommen werden. Nur wenn man den Begriff der Wegnahme in anderer Weise benutzt als der Begriff in anderen Tatbeständen benutzt wird, kommt man dazu, daß die unzulässige Explantation von Organen eine Wegnahme von Leichenteilen im Sinne von § 168 StGB ist. Ein neuer Tatbestand, der das postmortale Persönlichkeitsrecht schützt, wäre dringend angezeigt.

Die Lebendspende ist immer verboten, wenn lebenswichtige Organe entnommen werden sollen. Dies gilt auch für den Fall, daß der Spender bereit ist zu sterben und die Organspende verlangt. Dies wäre nämlich eine Tötung auf Verlangen. Diese stellt das deutsche Strafrecht mit § 216 StGB unter Strafe. Lebendspende kommt nur in Betracht, soweit die Organspende keine Lebensgefährdung bedeutet. Eine Niere beispielsweise kann gespendet werden. Diese Art der Lebendspende ist dann zulässig, wenn Spender nach umfänglicher Aufklärung, auch über die Risiken, freiwillig in die Spende, vor der Explantation eingewilligt hat. Die Einwilligung ist natürlich jederzeit widerrufbar.

Der Spender ist umfänglich geschützt über einerseits die Tötungsdelikte, andererseits die Körperverletzungsdelikte des Strafgesetzbuches.

Was es im deutschen Recht jedoch nicht gibt, ist eine Norm, die den Organhandel ausschließt. Organhandel ist an sich nicht strafbar. Derjenige, der mit Organen handelt kann sich allerdings dann strafbar machen, wenn in diesem eine Mitwirkung an einer unfreiwilligen Organspende liegt. Soweit behauptet wird, jeder Organkauf führe dazu, daß die Einwilligung in die Organspende sittenwidrig ist, ist dies nicht richtig. Kommerzialisierung bedeutet nicht automatisch Sittenwidrigkeit.

Insgesamt sind die Regeln gerade des Strafrechts zum Transplantationsrecht besser als ihr Ruf. Sie sind allerdings ergänzungsbedürftig.

Reform­be­stre­bungen zum Trans­plan­ta­ti­ons­recht

Inzwischen liegen einige Gesetzesentwürfe zu einem Transplantationsgesetz vor. Mit einigen umstrittenen Punkten des interfraktionellen Entwurfes wollen wir uns hier befassen.

1. Problem: Wann ist der Spender tot? Soll der Todeszeitpunkt gesetzlich geregelt werden?

Weder im Strafrecht noch in anderen Teilen der Rechtsordnung ist bisher der Todeszeitpunkt festgelegt. Anerkannt ist allerdings in der strafrechtlichen Dogmatik als Todeszeitpunkt schon lange der sogenannte „Gesamthirntod“.

Unter Gesamthirntod wird der vollständige und irreversible Ausfall aller Funktionen des Gesamthirns verstanden, also der unumkehrbare Verlust des Bewußtseins sowie der irreversible Funktionsausfall von Groß- und Kleinhirn sowie des Hirnstammes. Dieser Gesamthirntod geht zurück auf die Harvard-Deklaration aus dem Jahre 1968. Diese sprach vom irreversiblen Koma, erläuterte dieses aber so, daß nur die Zerstörung des gesamten Hirns gemeint sein konnte.

Der Gesamthirntod bedeutet, daß der Sterbensprozeß in ein unaufhaltsames und unumkehrbares Stadium geraten ist. Er beinhaltet den unumkehrbaren und endgültigen Verlust der Fähigkeit zu denken, zu fühlen, zu handeln, zu erleben, Bewußtsein haben zu können. Gegen dieses Hirntodkriterium wird neuerdings in unterschiedlichster Weise argumentiert.

Der Kern der Argumentation gegen den Gesamthirntod ist der, daß behauptet wird, ein Hirntoter lebe noch, da der Sterbensprozeß dem Leben zuzurechnen sein. Zugegeben wird, daß die Hirntoddiagnose Sicherheit dafür gewährleiste, daß keine Aussichten mehr auf Weiterleben bestehe.

Weiter wird gegen den Gesamthirntod dahingehend argumentiert, daß behauptet wird, die Gesamthirntodthese ginge von einem reduzierten Menschenbild aus und eröffne totalitären Tendenzen die Möglichkeit sich zu entfalten, erlaube der Gesellschaft die Verfügung über die Organe ihrer Mitglieder.

Zunächst ist zu sagen, daß es richtig ist, daß Sterben ein Prozeß ist. Bis die letzte Zelle beim Menschen abgestorben ist, dauert es vier Monate.

Allerdings ist die Kritik am Gesamthirntod, die dahin geht, daß er nur ein Moment des Sterbens sei, inadäquat. Gesamthirntod ist nämlich eine entscheidende Zäsur im Sterbeprozeß. Diese besteht darin, daß ab dem Moment des Gesamthirntodes der Sterbensprozeß unaufhaltbar und unumkehrbar geworden ist und der Mensch unwiederbringlich die Fähigkeiten verloren hat, die ihn zu einem Menschen machen. Es ist daher nicht einzusehen, wieso der Gesamthirntod nicht als Tod im Rechtssinne anerkannt werden sollte. Man kann ab der Zäsur „Gesamthirntod“ im Sterbeprozeß eben nicht mehr argumentieren, Sterben gehöre zum Leben. Das Menschsein hat nämlich mit dem Gesamthirntod aufgehört.

Auch die Behauptung, das Kriterium des Gesamthirntodes gehe von einem reduzierten Menschenbild aus, ist nicht überzeugend. Das Gehirn ist eben nicht nur Repräsentant des geistigen Menschen, sondern in ihm konstituieren sich alle Qualitäten des Menschen, auch die Empfindungsfähigkeit und die Fähigkeit, Gefühle haben zu können. Damit kann nicht argumentiert werden, daß die Anhänger des Gesamthirntodes von einem reduzierten Menschenbild getragen seien. Es erscheint vielmehr umgekehrt. Wer behauptet, daß der Mensch trotz Gesamthirntod nicht tot sei, da er über gewisse Vitalfunktionen noch verfüge, die mit apparativer Unterstützung noch aufrecht erhalten werden können, argumentiert seinerseits von einem reduzierten Menschenbild aus, da er Menschsein auf die Aufrechterhaltungsmöglichkeit gewisser Vitalfunktionen reduziert.

Auch die Behauptung, der Gesamthirntod als Todeskriterium gebe die Einheit von Körper und Geist preis, ist meines Erachtens unangemessen. Gerade im Gesamthirntod findet die Anschauung Anerkennung, daß der Mensch mehr ist, als die Summe seiner Teile.

Weiter ist anzuführen, daß die Konsequenz der These, der Gesamthirntote sei noch nicht tot, zwangsläufig dazu führt, daß man den Schutz von einigen Vitalfunktionen auf Kosten des Schutzes Lebender betreibt. Ist der Gesamthirntote nämlich nicht tot, so ist er geschützt über die Tötungsdelikte des Strafrechts. Leben wird hier unbedingt und ohne Rücksicht auf die Lebenschancen geschützt. Dies bedeutet, daß derjenige, der eine Garantenpflicht hat (der Arzt beispielsweise, der die Behandlung übernommen hatte) verpflichtet ist, gewisse Vitalfunktionen zu erhalten. Dies gilt auf jeden Fall dann, wenn es vor dem Gesamthirntod keine Einwilligung in das Abschalten von Apparaten gab und auch eine mutmaßliche Einwilligung nicht feststellbar ist.

Dies bedeutet aber, die Medizin ist verpflichtet eine Menge medizinischer Ressourcen für die Aufrechterhaltung von Vitalfunktionen von Gesamthirntoten zu verwenden, die dann den Lebenden verloren gehen.

Würde der Gesetzgeber Leben über den Gesamthirntod hinaus schützen, würde er sich außerdem in erhebliche Wertungswidersprüche verwickeln. In § 218 StGB wird die Leibesfrucht in den ersten drei Monaten in nur sehr reduzierter Weise strafrechtlich geschützt. Hierfür gibt es Gründe. Es ist jedoch aberwitzig, wenn man werdendes Leben, was zur Person heranreift, nur reduziert schützt, dagegen den Gesamthirntoten, dessen Leben als Person ja nach einhelliger Auffassung unaufhaltbar und unumkehrbar verloren ist und der nie wieder Person werden kann, in seinem Lebensinteresse noch über die Tötungsdelikte umfänglich schützt.

Über die Frage, ob der Gesetzgeber den Gesamthirntod als Zeitpunkt des Todes festlegen sollte, kann man sicherlich streiten. Meines Erachtens spricht mehr dafür als dagegen. Die Normierung des Gesamthirntodes schafft Rechtsklarheit. Für die Ärzte ist dann klargestellt, daß die Tötungsdelikte Vitalfunktionen nach dem Gesamthirntod nicht mehr schützen. Gleichzeitig wird auch die Diskussion darüber abgeschnitten, ob man nicht auch schon von Tod ab einem früheren Zeitpunkt ausgehen könnte. Bis zu dem Gesamthirntod sind dann alle eindeutig durch die Tötungsdelikte geschützt. Völlig klar ist dann auch, daß der Anenzephale in den Schutzbereich der Tötungsdelikte fällt.

Das Abstellen auf den Gesamthirntod bedeutet im Übrigen auch nicht, daß die Organe von Menschen sozialisiert würden. Dies verbietet das postmortale Persönlichkeitsrecht. In einem neuen Tatbestand sollte dies auch klar unter strafrechtlichen Schutz gestellt werden.

2. Problem: Legitimationsmodelle für die Rechtfertigung der Organentnahme von Toten. Im Hinblick darauf, wann es zulässig ist, Organe nach dem Gesamthirntod zu entnehmen, werden verschiedene Modelle vorgeschlagen.

Nach der Widerspruchslösung ist es dem Transplanteur erlaubt nach dem Gesamthirntod eine Explantation durchzuführen, soweit ein entgegenstehender Wille des Gesamthirntoten nicht existiert. Eine derartige Regelung ist unangemessen. Das frühere Schweigen eines Verstorbenen kann nicht einfach als Zustimmung zur Entnahme von Organen gewertet werden. Dies verbietet der verfassungsmäßig gewährleistete postmortale Persönlichkeitsschutz.

Die Erklärungspflichtlösung fordert zu Lebzeiten von allen Bürgern eine Verpflichtung zur Erklärung, ob sie als Organspender nach dem Gesamthirntod zur Verfügung stehen oder nicht. Dieses Modell hat unlängst der Bundesminister der Justiz vorgeschlagen. Auch dieser Vorschlag zur Regelung der Zulässigkeit der postmortalen Spende ist unbefriedigend! Einmal ist zweifelhaft, ob man von dem Bürger verlangen kann, zu seinen Lebzeiten sich so mit dem Tod auseinanderzusetzen, daß er für sich entscheidet, stehe ich nach dem Gesamthirntod als Organspender zur Verfügung oder nicht. Es wird ihm eine Entscheidung abverlangt, die er in einer spezifischen Lebenssituation gar nicht treffen möchte. Dies ist bedenklich.

Weiter wird ein derartiger Erklärungszwang sicherlich eine kontraproduktive Wirkung entfachen. Alle diejenigen, die sich noch nicht entschieden haben im Hinblick auf die Organspende, sich aber nicht staatlichem Druck aussetzen lassen wollen, werden eine Entscheidung gegen die Organspende treffen, ohne eigentlich richtig dagegen zu sein.

Als Organspender zur Verfügung zu stehen muß auf einen Akt der Freiwilligkeit zurückgeführt werden. Freiwilligkeit muß immer auch die Möglichkeit enthalten, hier und jetzt keine Entscheidung zu treffen.

Nach der engen Zustimmungslösung ist eine Organtransplantation nur zulässig, wenn und soweit ausdrücklich die Zustimmung zur Organentnahme vor dem Gesamthirntod erklärt wurde. Eine derartige Lösung bedeutet, nach all dem was wir wissen, das Ende der Transplantationsmedizin. Sie wird dazu führen, daß sehr viel weniger Organe zur Verfügung stehen, als dies derzeitig der Fall ist. Vielfach wird nämlich heute eine postmortale Organentnahme gerechtfertigt über die mutmaßliche Einwilligung. Dies ist dann nicht mehr möglich. Die enge Zustimmungslösung ist auch normativ nicht überzeugend. Sie ist systemwidrig. Immer, wenn der Eingriff in individuelle Rechtsgüter über Einwilligung gerechtfertigt werden kann, wirkt legitimierend auch immer die mutmaßliche Einwilligung. Die mutmaßliche Einwilligung ist nämlich nichts anderes als der verlängerte Arm der Einwilligung. Es ist deshalb auch nicht einzusehen, warum nicht auch über mutmaßliche Einwilligung ein Eingriff in das postmortale Persönlichkeitsrecht möglich sein soll. Mutmaßliche Einwilligung kann auch die Verletzung erheblicher individueller Rechtsgüter rechtfertigen. Warum dann nicht solche des postmortalen Persönlichkeitsrechtes?

Weiter wird noch die erweiterte Zustimmungslösung als Modell für die Zulässigkeit der Organentnahme vorgeschlagen. Hiernach ist eine postmortale Organentnahme zulässig, wenn entweder der Organspender vor seinem Ableben der Organentnahme zugestimmt hat. Eine Organentnahme ist auch zulässig, wenn Angehörige (in bestimmter Reihenfolge) der Organentnahme zustimmen. Hierzu ist anzumerken, daß dieser Modellentwurf durchaus den Interessen der Transplantationsmedizin gerecht wird. Normativ fraglich erscheint mir allerdings zu sein, wieso die Angehörigen aus eigenem Recht entscheiden können sollen. Die Organentnahme bei einem Toten von Kautelen abhängig zu machen, soll ja dem Interesse des Toten, dem postmortalen Persönlichkeitsrecht, dienen. Es soll dann keine Organentnahme stattfinden, wenn der Tote es aus persönlichem Wertempfinden zu Lebzeiten nicht wollte. Damit ist nicht entscheidend, wie Angehörige die Organspende beurteilen. Es kommt vielmehr darauf an, was der Organspender gewollt hat, oder wenn man das nicht feststellen kann mutmaßlich gewollt hätte.

Damit muß eine Lösung genauso aussehen, wie es die derzeitige Rechtslage vorsieht. Eine Organentnahme ist zulässig, wenn der Organspender zu Lebzeiten dieser zugestimmt hat oder, wenn dieser Wille nicht feststellbar ist, wenn er mutmaßlich zugestimmt hätte.

3. Problem: Einschränkung der Lebendspende bei Organen, die sich nicht wiederbilden auf bestimmten Personenkreis. In dem gegenwärtigen interfraktionellen Entwurf eines Transplantationsgesetzes wird die Möglichkeit der Lebendspende bei Nieren auf einen bestimmten Personenkreis eingeschränkt. Das soll den Gefahren des Organhandels begegnen. In diesem Entwurf soll die Entnahme von Organen, die sich nicht wieder bilden können (vor allem die Niere), nur zulässig sein bei Übertragung auf Verwandte ersten und zweiten Grades, Ehegatten, Verlobten und anderen Personen, die dem Spender in besonderer persönlicher und sittlicher Verbundenheit nahestehen.

Gegen diese Art der Einschränkung spricht zunächst einmal, daß sie reichlich unbestimmt ist. Unbestimmt ist vor allen Dingen, wann man davon sprechen kann, daß zwischen Personen eine persönliche und sittliche Verbundenheit herrscht. Welchen Personenkreis will man mit dieser Kennzeichnung eigentlich ausschließen? In der Begründung dieses Entwurfes heißt es, daß der Begriff der sittlichen Verbundenheit kennzeichnen soll, daß die Motivation des Spenders aus einem Gefühl der sittlichen Pflicht erfolgen soll. Aber eine derartige Kennzeichnung der sittlichen Verbundenheit ist völlig verfehlt. Der Staat hat nicht die Aufgabe, den Bürger damit er spenden darf, auf bestimmte Geisteshaltungen hin zu verpflichten. Außerdem erscheint es ethisch hoch fragwürdig, ob es überhaupt eine moralische Pflicht zum Spenden von Organen gibt.

Kaum zu legitimieren ist es meines Erachtens, weshalb der Spenderkreis bei der Lebendspende überhaupt eingeschränkt werden soll. Es muß doch möglich sein, daß derjenige, der in altruistischer Weise seine Niere zur Verfügung stellt, dies auch tun darf. Dem altruistischen Spender kann dies doch nicht mit dem Argument verwehrt werden, daß er nicht zum Spenderkreis gehöre. Macht man dies, so erläßt man eine materiell nicht begründete paternalistische Regelung. Darauf hinzuweisen ist, daß als in jüngster Zeit ein Nierentransplanteur seine Niere altruistisch an einen anonymen Empfänger gespendet hatte, dies in der Öffentlichkeit begeistert aufgenommen wurde.

Eine Begrenzung des Spenderkreises ist auch nicht notwendig, um den Gefahren eines Organhandels vorzubeugen. Dieser Gefahr läßt sich auf einfachere Weise begegnen. Einerseits ließe sich die atruistische Spende als anonyme Fremdspende ausgestalten, andererseits könnten Dokumentationspflichten begründt werden, die den Arzt verpflichten, die Gespräche, die zu den Motiven der Lebendspende stattgefunden haben, aufzuzeichnen. Derartige Dokumentationspflichten würden sicherlich Manipulationsgefahren entgegenwirken.

4. Problem: Einschränkung der Lebendspende für den Fall, daß ein postmortal entnommenes Organ nicht zur Verfügung steht. Der interfraktionelle Entwurf zum Transplantationsgesetz sieht vor, daß die Entnahme eines Organs eines lebenden Spenders nur zulässig ist, wenn das Organ eines Toten nicht zur Verfügung steht.

Eine derartige Einschränkung überzeugt nicht. Es gibt bereits Studien, die zeigen, daß der medizinische Erfolg bei Transplantationen von lebenden Spendern höher ist als bei der Verwendung von Organen, die Toten entnommen wurden. Eine derartige Subsidiaritätsklausel würde bedeutet, daß per Gesetz der Patient auf eine schlechtere Therapie verwiesen würde.

5. Problem: Einschränkung der Lebendspende durch Einrichtung von Verfahren. Im interfraktionellen Entwurf wird bestimmt, daß die Entnahme von Organen bei einem Lebendspender nur erfolgen darf, wenn eine Kommission bei der Ärztekammer dazu Stellung genommen hat, ob eine Einwilligung in die Spende freiwillig erfolgt ist oder Gegenstand des verbotenen Handeltreibens war. Der Kommission kommt kein Vetorecht zu. Die Stellungnahme der Kommission hat empfehlenden Charakter. In Wirklichkeit hätte allerdings die Kommission doch die Möglichkeit der Verhinderung der Entnahme des Organs, da kein Arzt es sich erlauben kann ein Organ zu entnehmen, wenn eine Kommission ausdrücklich bekundet, daß Zweifel an der Freiwilligkeit des Spendebegehrens aufgekommen sind. Der Arzt setzt sich dann nämlich einem erheblichen Bestrafungsrisiko aus.

Gegen das Einsetzen einer derartigen Kommission wurde vorgetragen, daß sie negative Auswirkungen auf die Vertrauensbildung zwischen Empfängern, bzw. Spendern und Ärzten habe.

Ob eine derartige Kommission sinnvoll ist, läßt sich ohne Beantwortung der Frage, wie die Kommission die Freiwilligkeit der Lebendspende prüfen kann, kaum beantworten. Sie macht nur Sinn, wenn sie auch gewisse Rechte und Möglichkeiten hat, die Freiwilligkeit der Spendeentscheidung auf den Prüfstand zu stellen. Auf die legitimierende Wirkung von Verfahren überhaupt abzustellen, ist unangemessen. Nicht Verfahren als solche legitimieren, vielmehr wirkt rechtfertigend, wenn Verfahren in der Lage sind, ein Stück Wahrheit zu produzieren.

Sinnvoll erscheint es jedenfalls für die Lebendspende zu verlangen, daß Persönlichkeitspsychologen bzw. kompetente Psychiater mit dem Spender Gespräche führen. Diese müssen dem entscheidenden Arzt zugänglich gemacht werden, damit dieser Aufschluß über den psychischen Hintergrund erhält. Nur von diesem aus läßt sich die Entscheidung des Spenders für die Organspende sinnvoll beurteilen.

6. Problem: Strafbarkeit des Handels mit Organen. Nach dem interfraktionellen Entwurf ist es verboten, mit Organen Handel zu treiben, die einer Heilbehandlung zu dienen bestimmt sind. Dieses Verbot enthält noch (unbestimmte) Ausnahmen. Es ist weiter verboten, Organe, die Gegenstand verbotenen Handeltreibens sind, zu entnehmen oder auf andere Menschen zu übertragen. Diese Verbote sind strafbewehrt. Auch der Versuch das Verbot zu übertreten ist strafbar.

Zunächst einmal ist zu sagen, daß die Fassung des Strafgesetzes nicht überzeugend ist. Das Verbot des Organhandeltreibens hat den Charakter eines Blankettgesetzes. Blankettstrafgesetze bieten zahlreiche Probleme. Unklar ist beispielsweise, was Vorsatzgegenstand eines Blankettgesetzes ist.

Aber auch der erkennbare Inhalt dieses Strafgesetzes ist nicht unbedenklich. Der Begriff des Handeltreibens, der dem Betäubungsmittelrecht entnommen ist, steht für eigennützige auf Umsatz von Organen gerichtete Tätigkeit. Dies bedeutet, daß beim Erwerb eines Organs für den Eigenbedarf der Käufer nicht strafbar ist, da er nicht eigennützig, auf den Umsatz von Organen hinausgerichtet, handelt. Er will ja ausschließlich eine Therapiemöglichkeit. Der Spender macht sich aber strafbar, wenn er für sein Organ Geld verlangt, er handelt nämlich eigennützig auf den Umsatz von Organen hin. Damit taucht die Frage auf, wie es sich normativ begründet ließe, daß der Spender bestraft wird, aber der Käufer, der zum Eigenbedarf kauft nicht. Während zunächst als primäres Schutzgut des Verbots des Organhandels angesehen wurde, den Schutz des Spenders vor Ausbeutung durch reiche Empfänger zu gewährleisten, ist im Entwurf des Transplantationsgesetzes die Umkehrung daraus entstanden. Der Organempfänger soll vor wucherischer Ausbeutung, von wem auch immer, geschützt werden. Dieser Schutzzweck ist möglich. Die bisher bekannt gewordenen Fälle des Organhandels zeichneten sich aber dadurch aus, daß die Initiative von reichen Käufern ausging, die in Not geratenen Organspender ausbeuteten. Die Strafvorschrift geht damit an der Realität vorbei. Selbst wenn man wie der Gesetzgeber den Organempfänger vor wucherischer Ausbeutung einer Notlage schützen wollte, müßte man den Straftatbestand anders fassen. Die Bestimmung, die der Gesetzgeber sich zum Verbot des Organhandels ausgedacht hat, schützt nämlich vor wucherischer Ausbeutung auch dann, wenn gar keine Ausbeutungssituation des Empfängers gegeben ist. Will man den Empfänger vor wucherischer Ausbeutung bewahren, wäre ein Straftatbestand, der dem § 302 a StGB ähnelt, dem Wucher also, angemessen.

Auch die Begründung, die für den Tatbestand des Organhandels noch angeführt wird, er solle die körperliche Integrität und die Menschenwürde des Organspenders schützen, ist wenig überzeugend. Man kann die Menschenwürde des Organspenders nicht dadurch schützen, daß man ihn als Verkäufer seines Organs bestraft. Wichtig bevor man den Organhandel kriminalisiert ist, daß man sich genau überlegt, was überhaupt kriminalisiert werden soll.

Verhindert werden muß sicherlich jede Art des Zwischenhandels, die Organspender und Organempfänger ausbeuten. Verhindert werden muß weiter, jegliche Art der Ausbeutung von Notlagen des Organempfängers und des Organspenders. Verhindert werden müssen schließlich auch nur abstrakte Gefahren für die Beeinträchtigung der Freiwilligkeit des Organspenders. Jede nötigende Art der Willensbeeinträchtigung muß als besonders schwere Art der Nötigung (§ 240 StGB) bestraft werden können.

7. Problem: Zulässigkeit der Cross-Lebendspende. Wenig diskutiert ist bisher die Cross-Lebentspende. Hier spendet bei mindestens zwei Paaren der gesunde Teil des einen Paares seine Niere dem kranken Teil des anderen Paares unter der Voraussetzung, daß dies auch umgekehrt geschieht. Dies macht Sinn, wenn eine Direktspende aus medizinischen Gründen (nicht verträgliche Blutgruppen beispielsweise) nicht möglich ist.

Nach dem Transplantationsgesetzentwurf ist eine derartige Spende zumeist ausgeschlossen. Der Spenderkreis bei Lebendspende ist ja für die Nierenspender begrenzt. Außerdem wäre die Frage zu stellen, ob ein derartiger Naturalhandel nicht auch unter den Tatbestand des verbotenen Organhandels fällt.

Eine Cross-Spende ist aber auch nach geltendem Recht problematisch. Es läßt sich nämlich juristisch nicht garantieren, ob die Bedingungen unter denen der Spender bereit ist zu spenden, eingehalten werden. Jeder Spender kann nämlich bis zur Spende jederzeit seine Einwilligung in die Spende widerrufen. Damit können derartige Bedingungen nur eingehalten werden, wenn die Cross-Spenden gleichzeitig stattfinden. Weiter gibt es auch ein strafrechtliches Problem. Für jede Organentnahme bedarf es einer wirksamen Einwilligung. Damit muß man fragen, ob die Einwilligung noch wirksam ist, wenn sie unter einer Bedingung erteilt wird, die von Rechts wegen gar nicht garantiert werden kann. Ich tendiere dazu, daß die Einwilligung – abgesehen von dem Fall, daß sie vor dem Eintritt objektiver Bedingungen abgegeben wird – überhaupt bedingungsfeindlich ist. Jedenfalls ist sie es, wenn mit einer Operation irreparable Folgen verbunden sind.

Auch ist darauf hinzuweisen, daß wenn ein Partner bei einer derartigen Einwilligung über die Organentnahmebereitschaft des anderen getäuscht würde, ein rechtsgutsbezogener Irrtum vorläge, der die Einwilligung unwirksam machen würde. Auch der Arzt handelt in diesem Fall nicht mehr legitimiert und macht sich strafbar, wenn ihm ein Fahrlässigkeitsvorwurf gemacht werden muß. Dies bedeutet in Quintessenz, daß es die Cross-Spende, die verbunden ist mit der Auflage, daß auch ein anderer spendet, rechtlich nicht geben kann. Zulässig wäre diese allenfalls, wenn bei zwei Paaren jeder in unbedingter Form und altruistisch für den anderen spendet und seine Einwilligung von keinerlei Voraussetzungen abhängig macht.

Diese Ausführungen zeigen, daß einige Fragen der postmortalen und der Lebendspende noch nicht geklärt sind. Weitere Diskussionen sind sicherlich erforderlich. Beachtet werden muß jedoch, daß keine Regelungen geschaffen werden dürfen, die das Ende der Transplantationsmedizin bedeuten. Eine Menge von Patienten ist nämlich auf ihre Hilfe angewiesen.

Literaturhinweise

Angstwurm, Heinz: Der vollständige und endgültige Hirnausfall als sicheres Todeszeichen des Menschen, in: Hoff/in der Schmitten (Hrsg.): Wann ist der Mensch Tot? Reinbeck 1994, S. 50ff.

Gutmann, Thomas: Problem einer gesetzlichen Regelung der Lebendspende von Organen, in: Medizinrecht, 1997, S. 147ff.

Hoff, Johannes/in der Schmitten, Jürgen: Kritik der Hirntod-Konzeption, in: Hoff/in der Schmitten (Hrsg.): Wann ist der Mensch tot? Reinbeck 1994, S.153ff.

Höfling, Wolfram: Um Leben und Tod: Transplantationsgesetzgebung und Grundrecht auf Leben, in: JZ 1995, S. 26ff.

Hoerster, Norbert: Definition des Todes und Organtransplantation, in: Universitas, 1996, S. 42ff.

Jörns, Klaus-Peter: Organentnahme: Eingriff im Sterbegeschehen, in: Deutsches Ärzteblatt, 1992, S. 1328ff.

Schreiber, Hans-Ludwig: Wann darf ein Organ entnommen werden? in: Festschrift für Erich Steffen, 1995, S. 451ff.

Sternberg-Lieben, Detlev: Tod und Strafecht, in: JA 1997, S. 80ff.

nach oben