Nicht nur Helden
Eine deutsche Studie über die italienische Abrechnung mit dem Faschismus
Aus: vorgänge Nr. 138 (Heft 2/1997), S. 97-98
Besonders im Norden Italiens wird man in jeder Stadt und in fast jedem Dorf an vielen Häusern eine Tafel finden, die an die Opfer im Widerstandskampf gegen die Invasion deutscher Wehrmachtstruppen in den Jahren unmittelbar vor Ende des II. Weltkrieges erinnert. Man muß nicht der italienischen Sprache mächtig sein, um zu erahnen, welche Bedeutung diese Denkmäler für die historische Identität der Italiener besitzen. Die Erinnerung an die Resistenza, den militärischen und politischen Widerstand gegen die NS-Okkupanten und die Faschisten im eigenen Land, gehört zum festen Kanon in der italienischen Schulausbildung. Lange Zeit sah niemand einen Anlaß, die Verdienste und Erfolge der Resistenza mit gründlichen wissenschaftlichen Recherchen vielleicht etwas zu relativieren. Rüttelte man damit doch an einem scheinbar unerschütterlichen Grundkonsens der nach dem Krieg gegründeten italienischen Republik.
Erst mit dem welthistorischen Ende der klassischen Ost-West-Konfrontation und mehr noch durch den Zerfall des im Widerstand geformten politischen Konsens von katholischen, kommunistischen und laizistischen Parteien, entzündete sich auch in Italien eine heftige Diskussion über die tatsächliche Bedeutung der Resistenza. Vor allem der kürzlich verstorbene Faschismusforscher Renzo de Felice griff mit seinen wissenschaftlichen Untersuchungen und öffentlichen Polemiken den, wie er es nannte „Resistenza-Mythos“ frontal an und provozierte damit heftige Gegenpolemiken von seiten linker Wissenschaftler und Publizisten. De Felice und ihm nahestehende Historiker haben nolens volens mit ihren Angriffen auf die Resistenza den Neo-Faschisten erlaubt ein neues Selbstbewußtsein zu finden, aber gleichzeitig auch ihre Gegner zu einer genaueren und weniger pathetischen Einschätzung des italienischen Anti-Faschismus gezwungen.
Genau in diesen noch anhaltenden und in seinem Ausgang noch offenen Kampf um die Deutung der Jahre unmittelbar am Kriegsende stößt auch die jetzt von Hans Woller vorgelegte Studie
„Die Abrechnung mit dem Faschismus in Italien 1943 bis 1945“ (München, 1996).
Aus der räumlichen Distanz eines am Münchener „Institut für Zeitgeschichte“ forschenden Historikers und unbelastet durch biographische Verwicklungen, blickt Woller mit äußerster philologischer Genauigkeit auf die Ereignisse Mitte der vierziger Jahre, deren Interpretation die politischen Gemüter in Italien derzeit so heftig bewegen. In jahrelanger Auswertung deutscher, italienischer und amerikanischer Archive hat Woller eine detaillierte Studie über die epurazione, die Säuberung der italienischen Gesellschaft von den Erbschaften zwischen den Jahren 1943 und 1946 erstellt, die mit ihrer überwältigenden Informationsfülle auch neben den besten italienischen Studien bestehen kann.
Die Fragen, auf die Woller mit seiner akribischen Forschungsarbeit eine Antwort sucht, werden gleich zu Beginn entfaltet: „Wie ist Italien nach dem Sturz Mussolinis im Juli 1943 mit der personellen Hinterlassenschaft des Faschismus, also mit den Aktivisten und Fanatikern, den Bonzen und Ideologen, den Nutznießern und Mitläufern umgegangen … Was tat die Regierung? Wie verhielten sich die Parteien, wie die gesellschaftlichen Interessenverbände, wie die katholische Kirche? Welche Ziele verfolgten die alliierte Militärregierung und die antifaschistische Befreiungsbewegung, und welche Mittel setzte die Resistenza ein, um ihre Abrechnungsbedürfnisse zu stillen?
Die das Ende des italienischen Faschismus kennzeichnende Unübersichtlichkeit der jeweils herrschenden Machtverhältnisse zwischen der Übergangsregierung von Badoglio, dem durch die Kooperation mit Mussolini kompromittierten Königshaus, dem Einfluß der alliierten Besatzung und der erstarkenden antifaschistischen Einheitsbewegung, widmet Woller den ersten Teil seiner Untersuchung. Sehr genau zeichnet er dann den langsamen Kurswechsel der in der antifaschistischen Einheit besonders starken Kommunisten von einer „wilden“ und äußerst blutigen Rache an dem alten System und seinem politischen Personal hin zu einer Mäßigung des „Abrechnungsfurors“ in die geordneten Bahnen juristischer Prozesse nach. Mit dem Amnestiegesetz von 1946 war dann die heiße Phase der antifaschistischen Säuberung abgeschlossen. Die Arbeit endet mit einer Darstellung der mühseligen Etablierung eines liberal-demokratischen Regierungssystems, in dem dann über Jahrzehnte bis in die frühen 90er Jahre hinein die Christdemokraten die politische Macht kontrollierten. Jede einzelne Phase dieser gesellschaftlichen wie politischen Lösung vom Faschismus wird von Woller in allen zum Verständnis notwendigen Einzelheiten rekonstruiert.
Daß auch Woller mit dieser Untersuchung am Mythos der „großen heldenhaften Resistenza“ kratzt, kann nur kritisieren, wer immer noch verklärende Erinnerungen einer nüchternen geschichtswissenschaftlichen Untersuchung vorzieht. „Jeder halbwegs Klarsichtige“, so der Triester Schriftsteller und Germanist Claudio Magris, „hat immer gewußt, daß der antifaschistische Widerstand in Italien nicht nur von Helden und Heiligen geleistet, nicht nur von Idealismus und Opferbereitschaft motiviert wurde, sondern auch gezeichnet war von Irrtümern und Schrecken, nicht zu reden von den politischen Widersprüchen innerhalb der Bewegung selbst“.
Wissend um die Verbrechen der SS und der Wehrmacht auch – und an einigen Orten sogar vor allem – an der Zivilbevölkerung, sollte man sich aber als Deutscher in der Verurteilung von nicht zu leugnenden barbarischen Racheakten der Resistenza etwas zurückhalten. Das zu be- und verurteilen, ist vornehmlich eine politische, juristische und moralische Aufgabe der Italiener selbst. Auch Woller respektiert dies, wenn er sich mit seiner bis in die kleinsten Verästelungen von Fußnoten präzisen Studie auf die Objektivität seriöser Geschichtsforschung zurückzieht und dem Leser ein eigenes Urteil über die präsentierten Fakten überläßt. „Italien hat … einen eigenen Weg im Umgang mit der personellen Hinterlassenschaft einer überwundenen Diktatur eingeschlagen. Er war kürzer und weitaus blutiger als der, den beispielsweise Westdeutschland beschritt, wo die unmittelbare Abrechnung mit dem Nationalsozialismus wirklich ausgeblieben war und durch eine quälend lange Auseinandersetzung und Bewältigung‘ ersetzt werden mußte. Ob der italienische schlechter war als der deutsche oder andere Sonderwege, ob Abrechnung besser ist als Auseinandersetzung, mag dahingestellt bleiben.“
Diese Kontroverse muß in Italien wie in Deutschland weiter geführt werden. Auf die Ergebnisse der Forschungsarbeit von Hans Woller wird man dabei aber nicht mehr verzichten können.