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Ökologie im Spannungs­feld zwischen emanzi­pa­to­ri­schem Anspruch und adminis­tra­tiver Realität

vorgängevorgänge 13806/1997Seite 16-19

Aus: vorgänge Nr. 138 (Heft 2/1997), S. 16-19

Zunehmend verbindet sich für den Bürger und Normalverbraucher mit dem Schlagwort Ökologie eine ganze Palette zunächst unerfreulicher Aussichten: Da ist die Rede von einer massiven Erhöhung des Preises für Mineralöl, von Ökosteuem, von finanziellen Mehrbelastungen der Umwelt wegen, von der Aussperrung erholungssuchender Sommerfrischler aus schützenswerten Landschaftsteilen. Und wo in die Ausweisung von Naturschutzgebieten größere Flächen von Land in Privatbesitz einbezogen werden, dort empfindet der Bürger dies – wie gerade Erfahrungen aus jüngster Zeit gezeigt haben – zunehmend als „kalte Enteignung“, die seine Liebe zur Natur und zu „den Naturschützern“ nicht eben zu mehren angetan ist. Der Kern all dieser Entwicklungen ist im wesentlichen derselbe: Maßnahmen des Umwelt- und Naturschutzes werden zunehmend als obrigkeitliche Reglementierung empfunden, werden als Beengung und Dirigismus gedeutet, dem Bürger auferlegt und von diesem erst einmal zu verkraften.

Stehen die Naturschutzverbände damit nicht vor einem erheblichen Problem, vor der Gefahr nämlich, sich – da sie die Verfügung entsprechender gesetzlicher Maßnahmen mittragen, ja durch einschlägige Empfehlungen selbst initiieren – zahlreiche Sympathien zu verscherzen? Wenn Umweltschutz zunehmend in Vorschriften gepreßt und mithin als breite Pa lette von Zwängen empfunden wird, könnte dann nicht der Tag kommen, an dem die Naturschutzverbände zwar einigen Erfolg, aber ausgesprochen wenige Freunde haben? Es dürfte noch nicht ganz in Vergessenheit geraten sein, daß die Renaissance der Naturschutzbewegung in den siebziger Jahren auf das engste gerade mit dem Kampf gegen obrigkeitliche Ukase verknüpft war, kamen doch zahllose Planungsvorhaben von Kernkraftwerken, Industriewüsten und Straßenmonstren just als solche daher. Der ohnmächtige Zorn, dies sollte erinnerlich bleiben, den der rein administrative und damit bürger- und demokratiefeindliche Charakter dieser Planungen auslöste, trug den frühen Umweltschützern Sympathien zu, und diese verkündeten denn auch vollmundig die Bedeutung der Ökologie als Regulativ gegenüber staatlicher Paragraphen- und Verordnungspraxis. Die von Nina Gladitz 1976 in ihrer Dokumentation „Lieber heute aktiv als morgen radioaktiv“ gesammelten Äußerungen der Bauern von Wyhl belegen, wie sehr gerade die Tatsache der „von oben“ kommenden, der Bevölkerung aufoktroyierten Planungen und Verordnungen zum Bau des Kernkraftwerkes den Widerstand der Bauern und Winzer am Kaiserstuhl und darüber hinaus angestachelt hat. Geradezu wurde die lange Tradition des alemannischen Widerstandes gegen administratives Handeln beschworen, die sich an Bauernkrieg und badischer Revolution 1849 ablesen lasse, und die stets gezeigt habe, „daß wir unsere Führer vom hohen Roß runterholen“. Dieser seiner vorgeblichen Volkstümlichkeit bediente sich der Naturschutz und erntete denn auch Sympathien ob seiner Bürgernähe und Opposition gegen Paragraphen.

Und heute? Im wesentlichen kommt der Naturschutz – zumindest vordergründig – nicht ganz unähnlich daher wie einst sein erklärter Gegner, der Technokratismus. Wenn ehedem von Industrieprojekten die Rede war, dachte jedermann an administrative Verordnungen und Papier und Paragraphen; wenn heute von Umwelt- und Naturschutz die Rede ist, denken immer mehr Menschen gleichfalls an administrative Verordnungen und Papier und Paragraphen. Die Mär vom Naturschutz als Regulativ gegenüber staatlicher Statutenpolitik ist obsolet, im Gegenteil, der Naturschutz ist längst ein Teilaspekt administrativen Handelns und sucht sich auch selbst in hohem Maße des Instrumentes der Mußbestimmung zu bedienen. Die notwendige Allianz von staatlichem und ehrenamtlichem Umweltschutz ist unabdingbar, führt aber dazu, daß die Verbände von vielen Bürgerinnen und Bürgern direkt mit Restriktionen in Verbindung gebracht werden.

Um nun kein Mißverständnis aufkommen zu lassen: Die vermeintlich seligen Zeiten der Ökologiebewegung sind vorüber, da es noch möglich war, den Umweltschutz als Schlüssel für die Eingangspforte in eine weitaus selbstbestimmter, freier und dabei eben auch grüner gedachte Zukunft anzusehen. Es wurden in den siebziger und bis Mitte der achtziger Jahre -ganz entsprechend dem, was der Historiker Fritz Stern über den deutschen Kulturpessimismus an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert treffend anmerkte – wehmütige Träume von einer niemals dagewesenen Vergangenheit und die Prophezeiung einer niemals möglichen Zukunft beschworen. Umweltschutz wurde überhöht zur gesellschaftsverändernden, libertären Kraft – und kann doch in Wahrheit, wie sich immer mehr zeigt, selbst kaum anders als in Verordnungen und gesetzliche Vorschriften gefaßt werden. Der Naturschutz stärkt im Moment nicht unsere Bürgerrechte, er vermehrt nicht unsere Freizügigkeit und er erweitert nicht unsere Spielräume, im Gegenteil: Er schränkt sie ein und kann gar nicht anders als sie einzuschränken. Alles andere wäre süße (oder nicht vielmehr bittere?) Selbsttäuschung. Eben daraus aber resultiert zunehmend die Gefahr, daß der Naturschutzbewegung insgesamt und den Verbänden im besonderen rasch ein Negativimage anhängt. Was tun?

Wo das Problem im Detail liegt – etwa bei der Sperrung von schutzwürdigen Bereichen einer Erholungslandschaft für den Freizeitbetrieb oder der Unterschutzstellung von Grundstücken in Privatbesitz -, dort ließen sich (entsprechende konkrete Modelle sind vereinzelt bereits umgesetzt) vergleichsweise einfach neue Wege der Kooperation zwischen Naturschutz und Betroffenen beschreiten. (Der Begriff „vom Naturschutz Betroffene“ ist im übrigen keine ketzerische Wortschöpfung des Autors, sondern – so traurig es ist – zumindest in kommunalpolitischen Diskussionen mittlerweile gang und gäbe.) Diese neuen Wege, so die Einbeziehung von Eigentümern und bisherigen Nutzern in die Schutzbemühungen, hier zu beschreiben ist nicht der Raum.

Was aber, wenn das Problem nicht im örtlich eingrenzbaren Detail, sondern in der Struktur liegt? Etwa bei Ökosteuern, die weit weniger als bestimmte Landnutzungsreglements individuell auslegbar sind, sondern deren Gültigkeit und zwangsläufige Repressivität sich auf die gesamte Gesellschaft und jeden einzelnen erstreckt? Wenn also aus ökologischen Gründen jeder Bürger zwar graduell abhängig von der Umweltverträglichkeit seiner Lebensweise, aber doch grundsätzlich in der ein oder anderen Form für die Natur zur Kasse gebeten wird? Und eben dieser Bürger darum zunehmend mit seinen Sympathien für die Naturschutzbewegung zu geizen beginnt?

Es gilt, in allen entsprechenden Diskussionen einen Sachverhalt mit Entschiedenheit und großem Nachdruck herauszuarbeiten: Die Tatsache nämlich, daß der finanzielle Aufwand, der heute und in absehbarer Zukunft vom einzelnen für den Umweltschutz zu leisten ist, und die administrative Pression, die er zugunsten desselben Zwecks zu erdulden hat, doch noch in relativ entspannter Atmosphäre angesiedelt sind und im Vergleich von Aufwand und Resultat eine positive Bilanzrechnung ergeben dürften. Werden hingegen beide Leistungen nicht erbracht, wird ein verträglicher finanzieller Aufwand nicht in Kauf genommen, bleibt also alles wie gehabt und entwikkelt sich die Umweltzerstörung (letztlich auch durch die Teilschuld eines jeden einzelnen) weiter wie bislang, so stünde der daraus auf kurz oder lang resultierende, viel massivere Druck in keinem Verhältnis zu den heute noch vergleichsweise erträglichen Einschränkungen. Wird die Natur weiter zerstört und nicht ausreichend Leistung zu ihrer Erhaltung erbracht, so wird vor dem Hintergrund dieser Naturzerstörung auch die Gesellschaft eine geradezu destruktive, anomische Entwicklung erleben müssen. Die Folgekosten, und dies sowohl in sozialer wie materieller und ideeler Hinsicht, die aus der Nichtbeachtung des heute zuweilen als Dirigismus empfundenen Umweltschutzes resultieren müßten, wären um ein Vielfaches – auch und gerade für jeden einzelnen – höher als die jetzt und in naher Zukunft zu erbringenden Leistungen. Wer sich selbst unvoreingenommen Rechenschaft darüber ablegt, welchem Zweck die in Kauf zu nehmenden Einschränkungen und Mehrbelastungen der Gegenwart dienen, wird zunehmend bereit sein, diese mitzutragen.

Als Gewährsmann sei der Biologe Hermann Remmert zitiert, der im Jahre 1988 anmerkte: „Wenn ein Arzt bei einem Patienten eine Krankheit diagnostiziert, so gibt er dem Patienten eine Reihe von Verhaltensregeln. Diese Maßnahmen schränken die persönliche Freiheit des Patienten ein, sie senken seinen Lebensstandard und sie scheinen die Qualität seines Lebens zu mindern (obwohl in Wirklichkeit meist das Gegenteil der Fall ist: Man denke an Tabak und Alkoholgenuß). Natürlich braucht sich der Patient nicht nach diesen Maßregeln zu richten. Das ist sein eigenes Risiko. Dem Arzt vergleichbar ist heutzutage der Ökologe. Er diagnostiziert Krankheiten des Ökosystems Erde. Er weiß, daß diese Krankheiten gefährlich sind für das Leben des Menschen“. Wie ein Arzt schlage der Ökologe sodann nach der Diagnose eine Therapie vor -und dies im vollen Bewußtsein der Tatsache, daß dadurch der Lebensstandard der Bevölkerung absinken werde. „Er weiß, daß die persönliche Freiheit des Einzelnen bei Beachtung dieser Therapievorschläge beeinträchtigt wird“.

Ebenso wie im Falle des einzelnen Patienten hat auch die Gesamtgesellschaft die Wahl, entweder auf die Ratschläge des Therapeuten zu hören oder schlimmere Folgen zu gewärtigen. Noch einmal mit Blick auf diese Analogie: Zumindest auf kürzere Frist führen ökologische Maßnahmen keinesfalls zu mehr Selbstbestimmung und zu emanzipatorischer ökologischer Humanität, sondern eher zu Restriktionen – und entsprechende gegenteilige Hoffnungen, die an die Ökologiebewegung im Laufe der letzten zwanzig Jahre gestellt worden sind, waren zumindest trügerisch.

Diese Argumentationsweise hat nichts gemein mit Vorstellungen ä la Herbert Gruhl und seiner „Überlebensdiktatur“ oder gar mit der scheußlichen Vision eines grünen Machtstaates. Wovon hier allein die Rede sein soll, ist ausschließlich die Palette von demokratisch legitimierten und legitimierbaren Restriktionen, deren es schon heute zehntausende gibt und die den jeweiligen gesellschaftlichen Erfordernissen (zu denen eine Forcierung des Umweltschutzes fraglos zählt) entspringen und entsprechen. Zunehmende Reglementierungen zugunsten des Umweltschutzes werden unsere Demokratie nicht zerstören, sondern sind – man mag dies, wie der Autor selbst, bedauern – vonnöten gerade um der Erhaltung dieser Demokratie willen.

Diese Überlegungen mögen nun jene schrecken, die den Umweltschutz als eine eigenständige Philosophie erachten und sich aus seinem Schoß die Niederkunft einer selbstbestimmteren Zukunft erhoffen. Die Umweltschutzbewegung selbst hat zeitweilig die (Zweck?)Unwahrheit genährt, Naturschutz bedeute primär eine Kampfansage an staatlich-administrative Planungen. Natürlich ist der Umweltschutz auch ein Regulativ gegenüber ökologisch verheerenden staatlichen Planungsmonstren, aber zu glauben, darin liege seine originäre und eigentliche Natur, ist irrig. Denn im selben Moment, da die Ökologiebewegung einen solchen Anspruch äußert, hängt sie selbst (und dies zwangsläufig) zur Umsetzung ihrer Forderungen von denselben staatlichen Organen und Schaltstellen ab. Jene Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit rührt noch her aus Zeiten phosphoreszierender Vielfältigkeit der Bewegung. Unüberwindbar aber wird diese Kluft dadurch, daß Ökologie (entgegen allen irgendwann an sie geknüpften Erwartungen) eben doch keine Ersatzreligion und auch keine neue Staatsform ist (und selbst wenn sie eines davon oder auch beides wäre, so würde sie mit einiger Sicherheit reichlich repressiv sein), sondern zuvörderst und zunächst ausschließlich ein Politikziel in einer demokratischen Gesellschaft. Und die hochnotwendige Aufgabe der Umweltverbände ist es, der entsprechenden Gewichtung dieses Politikzieles auf allen Ebenen der politischen Bühne soviel Nachdruck als irgend möglich zu verleihen.

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