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Die positive Tradition des Widerstands gegen den Natio­nal­so­zi­a­lismus bewahren

Aus: vorgänge Nr. 138 (Heft 2/1997), S. 107-108

„In jeder Epoche muß versucht werden, die Überlieferung von neuem dem Konformismus abzugewinnen, der im Begriff ist, sie zu überwältigen“, schrieb Walter Benjamin kurz vor seinem Tode. Dieser von Joachim Perels in einem Aufsatz von 1995 zitierte Satz gibt ziemlich genau das wieder, was der Autor mit seinem Sammelbändchen, in dem ein Dutzend Aufsätze, zum Teil in zeitlichem Zusammenhang mit dem „Historikerstreit“, zum überwiegenden Teil aber in den letzten zwei Jahren entstanden, zusammengefaßt sind. n dem Buch von

Joachim Perels: Wider die „Normalisierung“ des Nationalsozialismus. Interventionen gegen die Verdrängung, Hannover 1996 (Offizin Verlag)

geht es nach Bekundung des Autors darum, Versuche abzuwehren, die Analyse der Nazi-Diktatur aus einem kritischen Bezugsrahmen zu lösen. Perels selbst sieht sich den weiterhin gültigen Erkenntnissen der Emigration und des Widerstands verpflichtet, wobei für ihn besonders die Arbeiten Franz Neumanns, Theodor Adornos und Wolfgang Abendroths über die NS-Herrschaft von bleibendem Wert sind. Allerdings werden von Perels alle Kräfte, die sich seinerzeit im Widerstand zusammenfanden, in diesen positiven Traditionszusammenhang einbezogen.

Zwar sind durch den Sammelbandcharakter des 120 Seiten umfassenden Büchleins gewisse Redundanzen vorprogrammiert, doch unterstreicht dies vielleicht gerade das Appellartige von Perels‘ Anliegen: Wer die Erinnerung nicht unverfälscht wachhält, der liefert eine offene Flanke gegen die Demokratie. Der einleitende, exklusiv für das Bändchen geschriebene Beitrag spannt dabei den Bogen über die Themen, denen sich die anderen, meist kleineren Artikel widmen. Perels sieht verschiedene Phasen im Umgang mit der NS-Vergangenheit. Die Periode unmittelbar nach dem Krieg war von Verdrängung charakterisiert, gefolgt von einer Phase, in der viel über die Funktionsweise des NS-Regimes zutage gefördert wurde, in der aber auch die alten Funktionseliten wieder in die Machtpositionen zurückgelangten. Gleichzeitig wurde die NS-Diktatur zunehmend wie ein normal funktionierender Staat zu deuten versucht, und Justiz und Wehrmacht wurden beispielsweise als neutral handelnde Institutionen hingestellt. Erst Ende der sechziger Jahre wurde mit dieser „Normalisierung“ des Nationalsozialismus durch die Studentenbewegung aufgeräumt. Der Mitte der 80er Jahre unternommene Versuch, diesen Effekt durch eine Relativierung des Holocaust umzukehren, mündeten in den „Historikerstreit“, durch den er zum Teil wieder gestoppt wurde. Der Autor unterscheidet aktuell eine konservative und eine rechtskonservative Variante der Geschichtsrevision. Erstere (u.a. Joachim Fest, Tilmann Moser, aber auch Stefan Breuer und Martin Walser), die ihr Organ vor allem in der FAZ haben, bemühen sich, das NS-Regime als einen normalen repressiven Staat zu deuten und die Verantwortung für sein Funktionieren zu relativieren. Die rechtskonservative Variante (u.a. Ernst Nolte, Karlheinz Weißmann, Hannsjoachim Koch, Franz W. Seidler) versuche, das NS-System in einen „legitimationsnahen Verstehenszusammenhang“ zu bringen.

Perels sieht einen Zusammenhang zwischen der „Zunahme distanzarmer Interpretationen des Nationalsozialismus“ und der neuen Lage nach der Wiedervereinigung und dem Zusammenbruch des Ostblocks. Warum allerdings die „Normalisierung“ des Nationalsozialismus leichter fallen soll nach dem Verschwinden eines zentralen Systemgegners, scheint nicht klar ersichtlich. Würde man nicht eher denken, daß das Vorhandensein eines Systems wie der Sowjetunion mit ihrer eigenen Unterdrückungsgeschichte die Relativierung erleichterte?

Der Autor konstatiert aber auch, daß die geschichtlichen Revisionsversuche nur das Werk einer „publizistisch wohlorganisierten“ Minderheit darstellten, die es bisher nicht vermocht habe, der Gegenaufklärung zum Durchbruch zu verhelfen. Weitgehend beizupflichten ist Perels‘ Beurteilung der „Goldhagen-Debatte“. Zwar sei Goldhagens These vom eliminatorischen Antisemitismus als Generalursache des Holocaust nicht zu halten, weil sie andere wichtige Faktoren ausblende. Andererseits mache seine sehr gut belegte Studie der Polizeibataillone deutlich, wie stark die Identifikation mit den Verbrechen des Regimes gewesen sei. Die Abwehrreaktion gegen Goldhagen sei vor allem darauf zurückzuführen, daß er „an den Nerv eines juristisch gesicherten Großtabus der Nachkriegsgesellschaft“ rühre.

In den folgenden Beiträgen tritt der Autor vor allem der Relativierung des Widerstands gegen den Nationalsozialismus entgegen. Zum Teil werde versucht, die Mitglieder des Widerstands als bloße Gesinnungsethiker abzutun und sie den Handlungsethikern gegenüberzustellen, die die Ostfront verteidigten. Für Perels ist der Widerstand das weiterhin gültige Beispiel für demokratisches Verständnis; er räumt jedoch gleichzeitig mit dem gern gehegten Bild auf, daß die Bundesrepublik sich diesem Vermächtnis ernsthaft verpflichtet fühle. Eine Identifikation mit dem Widerstand habe es in der Nachkriegszeit kaum gegeben, und die Justiz habe die Mitglieder des Widerstands bis vor kurzem noch als Verbrecher qualifiziert.

Den meisten Attacken Perels gegen den konservativen Geschichtsrevisionismus kann man uneingeschränkt zustimmen, obwohl seine Argumentation bisweilen mit recht grobem Pinselstrich gezeichnet erscheint. So ist sein Plädoyer, den 8. Mai als Befreiungstag zu betrachten, während die konservative Kritik ihn zumindest als ambivalenten Tag sehen will, zwar ganz berechtigt, denn wer die Befreiung nicht als das entscheidende Ereignis ansieht, muß zwangsläufig das NS-System in der einen oder anderen Form legitimieren. Auch wenn damit einhergeht, daß die Vertreibung nicht am 8. Mai 1945, sondern gewissermaßen bereits am 30. Januar 1933 begann, sollte doch Vorsicht geboten sein, das Vertreibungsunrecht durch das größere Unrecht des mit dem Aggressionskrieg gen Osten verbundenen Leidens konsumiert zu sehen, wie dies bei Perels durchklingt. Solche Aufrechnung von Unrecht mit Unrecht ist es ja gerade, die Perels den konservativen Geschichtsrevisionisten vorhält.

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