Publikationen / vorgänge / vorgänge 159

Innere Sicherheit im Streit der Parteien: Die Grünen haben das Schlimmste verhindert, die Union fordert das Unmögliche

Die dunklen Wolken des Herbstes 2001 sind noch nicht vergessen. Erst schockierten uns die Bilder vom 11. September. Dann waren viele zerrissen über die Frage eines deutschen Beitrags zum „Anti-Terrorkrieg“ der USA. Schließlich erregten uns in der Bundesrepublik die Pläne zu einem Anti-Terrorismus-Paket. Protest einigte eine Vielzahl von Bürgerrechtsvereinigungen. So viele kritische Kommentare zum eingeschlagenen Kurs in Sachen „innere Sicherheit“ hat es in den langen Regierungsjahren von Helmut Kohl nie gegeben.

Der „Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus“ wurde von den Regierungsfraktionen in den Bundestag eingebracht. Das war erforderlich, wenn die zusätzlichen Befugnisse zum Jahreswechsel 2002 Gesetz werden sollten. Nur wenige wissen, welche Abstriche die Verhandlungsführer der GRÜNEN damals vom ursprünglich geplanten „Otto-Katalog“ durchgesetzt haben. Bei der öffentlichen Anhörung am 30. November 2001 im Innenausschuss des Bundestages überwogen die kritischen Stellungnahmen von Datenschützern, Verfassungsjuristen und Bürgerrechtlern. Lediglich die Präsidenten von Landeskriminalpolizei und Verfassungsschutz Bayerns forderten weitere Verschärfungen. Allerdings verlangten später im Bundesrat auch sozialdemokratische Landesregierungen weitergehende Verschärfungen. Eine Intervention aus dem Kanzleramt verhinderte, dass sozialdemokratisch geführte Länder die Union im Bundesrat bei ihrem Ruf nach schärferen Gesetzen unterstützen.

Es bedarf juristischer Sachkenntnis und des Vergleichs vieler Papiere, um zu erkennen, was im Spätherbst 2001 im Detail noch von sozialdemokratischen und grünen Bundestagsabgeordneten erreicht wurde. In den Medien wurde darüber kaum berichtet. So blieb der überzogene Vorwurf von einem „Terrorismusbekämpfungsgesetz“ hängen, gegen das „sich die Notstandsgesetze wie Träumereien am Kamin ausnehmen“. Solche Lesarten mögen für die Sensibilisierung der Öffentlichkeit im Hinblick auf die zum Teil einschneidenden Maßnahmen nützlich sein, zu einer angemessenen Einschätzung des verabschiedeten Gesetzespakets tragen sie wenig bei. Eine Analyse in wichtigen Detailpunkten liefert der Grundrechte-Report 2002 (hgg. v. Till Müller-Heidelberg u.a., Hamburg: rowohlt aktuell 23058). Hier soll nur ein kurzer Überblick gegeben werden.

Neue Befugnisse für die Geheim­dienste, doch die Kontrolle bleibt gewähr­leistet

Der Verfassungsschutz erhält neu die Kompetenz, auch solche Bestrebungen zu beobachten, die sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung und des friedlichen Zusammenlebens richten. Dies bedeutet in der Praxis vor allem erweiterte Befugnisse für Observationen und schließt die Möglichkeit ein, das Brief, Post- und Telekommunikationsgeheimnis in Rahmen der üblichen Verfahren einzuschränken. Verfassungsschutz, Militärischer Abschirmdienst (MAD) und Bundesnachrichtendienst (BND) erhalten zudem das Recht, von Banken und Geldinstituten, von Luftverkehrsunternehmen und Dienstleistern sowie Post- und Telekommunikationsunternehmen Auskünfte einzuholen. Soweit diese das Bank-, Post- und Telekommunikationsgeheimnis betreffen, ist eine Entscheidung der Kommission des Deutschen Bundestages nach Artikel 10 Grundgesetz über Zulässigkeit und Notwenigkeit der Maßnahme erforderlich. Dies bedeutet: Das Primat der Kontrolle wurde weitgehend gewahrt.

Besondere Aufmerksamkeit verdient die neue Befugnis des Verfassungsschutzes, unter den Voraussetzungen des G-10-Gesetzes, „auch technische Mittel zur Ermittlung des Standortes eines aktiv geschalteten Mobilfunkgerätes und zur Ermittlung der Geräte- und Kartennummern“ einzusetzen. Von der Polizei wurden solche Geräte unter Berufung auf die problematische Formel vom „rechtfertigenden Notstand“ bereits genutzt.

Da die Polizei der Länder in der Vergangenheit ihre Befugnisse immer mehr in den „Vorfeldbereich“ ausgedehnt hatte, wollte Otto Schily im Rahmen des Gesetzespakets dieses Defizit für das ihm unterstellte BKA dadurch ausgleichen, dass das Amt die Befugnis erhält, „Initiativermittlungen“ durchzuführen, die „verdachtsunabhängig“ sind. Bürgerrechtler und Datenschützer sind dem vehement entgegengetreten, da dies tatsächlich die Grenze zwischen Nachrichtendiensten und Polizeien ausgehöhlt hätte. Aus diesem Streit gingen die Grünen als „klare Punktsieger“ (so die Formulierung in Kommentaren) hervor.

Unzumutbare Einschrän­kungen der Rechte von Ausländern

Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge hat künftig die Befugnis, von sich aus den Verfassungsschutzämtern und Ausländerbehörden Informationen und Daten über Ausländer zu übermitteln. Der Ermessensspielraum, was an wen übermittelt wird, ist weit gefasst. Fortan werden die Informationen bei Entscheidungen über Asylgesuche, Aufenthaltsgenehmigungen und Einbürgerungen herangezogen werden, ebenso wie Erkenntnisse des Verfassungsschutzes. Bayern hatte bereits anlässlich der Änderung des Staatsangehörigkeitgesetzes durch die rot-grüne Regierung im Zuge von Einbürgerungsverfahren eine Regelanfrage beim Verfassungsschutz eingeführt. Jetzt liefert das neue Gesetz die Legitimation dafür, diese Praxis bundesweit auszudehnen. Diese neue Praxis kann nicht nur den Ausgang von Asylverfahren beeinflussen, sondern ist Teil eines Geflechts von Bestimmungen, die in ihrer Gesamtheit dazu führen können, dass in konkreten Situationen für einen bestimmten Kreis von Ausländern Freiheitsrechte des Grundgesetzes nicht mehr gewährt werden.

In der Frage der Änderung des Passgesetzes gelang es den Grünen, eine endgültige Entscheidung über die Aufnahme von biometrischen Merkmalen zu vertagen. Zwar darf in Zukunft der Pass „neben dem Lichtbild und der Unterschrift weitere biometrische Merkmale von Fingern oder Händen oder Gesicht des Passinhabers enthalten“; allerdings muss die Art der Speicherung und die sonstige Verarbeitung und Nutzung gesetzlich geregelt werden. Ausdrücklich wurde festgelegt: „Eine bundesweite Datei wird nicht eingerichtet.“ Dagegen gab es den Einwand, eine Vergleichsdatei sei notwendig, um auszuschließen, dass Ausländer etwa nach einer Ausweisung erneut unter falschem Namen in die Bundesrepublik einreisen. Deswegen beharren Polizeiinstanzen darauf, eine solche Vergleichsdatei einzuführen. Hier stehen noch Konflikte ins Haus.

Ein proble­ma­ti­sches Instrument: Der IMSI-­Cat­cher

Ein neues technisches Gerät, der so genannte IMSI-Catcher (International Mobile Subscriber Identity), macht es möglich, die üblichen Verbindungen von Mobilfunktelefonen zur jeweiligen Basisstation zu unterbrechen und durch die Simulation einer „Funkzelle“ die Kennung jedes Handys und seinen Standort zu erfassen (eine neue Version des „Catchers“ kann auch eingehende Gespräche mitschneiden). Nicht der exakte Standort, wohl aber ein Handy im Bereich der vorgetäuschten Funkzelle wird somit geortet. Auch ein Handy, das lediglich aktiv geschaltet ist, mit dem also nicht telefoniert wird, kann mit diesem Gerät eingefangen werden. Der Einsatz des IMSI-Catchers ist verfassungsrechtlich problematisch, weil dieser nicht mehr gegen einen bestimmten Mobilfunkteilnehmer gerichtet ist, sondern weil alle in Reichweite der simulierten Funkzelle befindlichen Handys betroffen sind; durch das Zwischenschalten des Catchers sind zunächst alle betroffenen Handys für eine Zeitspanne, die Minuten dauern kann, nicht einsatzfähig. Nach dem Gesetz darf nur das Bundesamt für Verfassungsschutz dieses Gerät einsetzen. Voraussetzung ist eine Anordnung des Bundesinnenministers, verbunden mit einer Entscheidung der G- 10-Kommission über die Notwendigkeit und Zulässigkeit eines solchen Eingriffs.

Die Verwendung des Gerätes ist verfassungsrechtlich umstritten, da durch die Verwendung des „Catchers“ auch Unbeteiligte in ihrem Telekommunikationskontakt gestört werden und das Gerät auch ohne einen konkreten Tatverdacht eingesetzt werden kann. Die rot-grünen Koalitionsfraktionen haben versucht, den Einsatz des IMSICatchers einerseits auf Verfassungsschutz und Militärischen Abschirmdienst zu beschränken, andererseits an die Voraussetzung der Strafverfolgung zu binden. So wurde eine Änderung der Strafprozessordnung verabschiedet, die es gestattet, den IMSI-Catchers unter der Voraussetzung einer Entscheidung des Ermittlungsrichters bei der Verfolgung eines Strafverdächtigen einzusetzen. Der Streit zwischen Bundestag und der Mehrheit des Bundesrates ging am Ende nur noch um eine engere oder weitere Formulierung des entsprechenden Paragraphen.

Eine solche Kompetenz nur im Rahmen der Strafverfolgung geht der Polizei in einigen von der Union regierten Bundesländern nicht weit genug. Ein Vorreiter dieser Bestrebungen ist das Land Thüringen, das im Juni 2002 eine Änderung des Polizeiaufgabengesetzes verabschiedete, durch die — neben den beiden Säulen der Telekommunikationsüberwachung — eine dritte Form der Überwachung von Telekommunikationen tritt. Bisher war eine solche Telekommunikationsüberwachung nur entweder auf Grund der Entscheidung eines Richters im Rahmen der Strafverfolgung zulässig oder auf Grund einer Entscheidung der jeweiligen G-10-Kommission des Bundes oder eines Landes im Rahmen des vorverlegten Staatsschutzes. Erstmals erhält nach diesem Gesetz die Polizei das Recht, solche Überwachungen auch außerhalb der Strafverfolgung zu „präventivpolizeilichen Zwecken“ einzusetzen. Zwar soll formell ein Richter die Entscheidung treffen; doch was bleibt diesem anderes übrig als die bloße Billigung (die keine Subsumtion im Rahmen einer Gesetzesauslegung mehr ist) einer solchen präventiven Polizeimaßnahme? Dem entspricht auch, dass in Situationen, in denen besondere Eile geboten ist, die Entscheidung des Leiters des Landeskriminalamtes oder eines Polizeidirektors genügt. Die „Anordnung“ eines Einsatzes trifft nicht mehr eine unabhängige Instanz; faktisch kann damit die Polizei — sofern sie feststellt, dass ein „Eilfall“ vorliegt — Kraft eigener Entscheidung den Catcher einsetzen.

Die HUMANISTISCHE UNION hat zudem geltend gemacht, dass dieses Gesetz verfassungswidrig sei, weil der Bund nach Art. 73 Abs. 7 Grundgesetz die alleinige Gesetzgebungskompetenz in Telekommunikationsfragen besitzt. Außerdem habe der Bund für die „Sicherheit“ in diesem vorgelagerten Bereich nach Art. 13 Abs. 10b Grundgesetz bereits eine abschließende Regelung getroffen.

Ein „Sicher­heits­ge­schenk“, das Freiheits­rechte preisgibt

Seit Jahrzehnten ist jener Bereich, der „innere Sicherheit“ genannt wird, ein Feld auf dem die Union nicht um Balance bemüht ist, sondern um Zuspitzung. Es geht um ein Thema, mit dem CDU/CSU meinen, Wahlkämpfe gewinnen zu können. Immer wieder aufs Neue nutzt die Union die Ängste der Bürger aus, verspricht, was nie einzulösen sein wird, und hat auf diese Weise dazu beigetragen, dass der Schutz der Freiheitsrechte immer wieder zurücktreten musste hinter „neuen Instrumenten“, die zunächst als entscheidend angepriesen wurden, um Kriminalität zu besiegen. Im Nachhinein will keiner mehr wahrhaben, welche Allheilwirkung etwa dem „maschinenlesbaren Personalausweis“, den „verdeckten Ermittlern“ des „Verbrechensgesetzes“ von 1994 oder dem „großen Lauschangriff‘ (1998) auf die „Kriminalitätsbekämpfung“ zugesprochen wurde.

Auch in der Situation des Bundestagswahlkampfes 2002 hatte die Union eine neue Forderung nachgeschoben, bei der einerseits absehbar war, dass es dafür keine verfassungsändernde Mehrheit gibt, die andererseits aber geeignet war, rechtskonservative Wähler anzusprechen. So haben sowohl Edmund Stoiber als Herausforderer als auch der ehemalige CDU-Verteidigungsminister Rupert Scholz gefordert, die Bundeswehr müsse auch in Krisenfällen über die bisherigen engen Begrenzungen hinaus „im Innern“ eingesetzt werden können.

Mit der Forderung, die Bundeswehr auch im Innern einzusetzen, geht es nicht nur um das Hamstern neuer Kompetenzen und die Abgrenzung gegenüber den anderen Parteien, sondern um den Versuch, für einen Fall der Fälle erneut eine Form von „Staatsmacht“ herzustellen, die außerhalb des Grundgesetzes steht. Edmund Stoiber und Rupert Scholz versprechen eine Sicherheit, die geeignet ist, gerade das zu zerstören, was Sicherheit bietet: die demokratischen Verfassungsordnung. Es gibt in Deutschland immer noch manches Geißlein, das im Glauben an ein „Sicherheitsgeschenk“ die verfassungsrechtlichen Riegel zerstört, die nicht nur Freiheit, sondern Sicherheit garantieren.

nach oben