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Was sie wollten, was sie wurden: Zwei Bücher über weibliche Perspek­tiven auf 1968 und die Folgen

vorgänge09/2002Seite 135-137

Die 68er-Protestbewegung ist im öffentlichen Bewusstsein auch heute noch vorwiegend männlich konnotiert. Sie wird mit Namen wie Rudi Dutschke, Dieter Kunzelmann, Rainer Langhans oder Fritz Teufel verbunden. Wer kennt heute noch Sigrid Fronius, erste weibliche Asta-Vorsitzende der FU, oder Dagmar Przytulla, Mitbegründerin der legendären Kommune 1? Eine Porträtsammlung von 14 Aktivistinnen der APO beansprucht nunmehr, den Anteil der Frauen an „1968″ deutlich zu machen:

Ute Kätzel: Die 68erinnen. Porträt einer rebellischen Frauengeneration. Rowohlt Berlin: Berlin 2002, 319 S., ISBN-Nr. 3-87134-447-8; 22,90 Euro

Neben weniger bekannten Frauen finden sich in dem Band Porträts der Filmemacherin Helke Sander, der Malerin Sarah Haffner und der Theologin Gretchen Dutschke-Klotz. Obwohl in diesem Buch viel erzählt wird, erfährt der Leser außer einer Vielzahl von anekdotischen Geschichten wenig über die Verquickung von persönlichen Befreiungsversuchen und gesamtpolitischen Entwicklungen. Woran liegt das? Es mag dem nur schwer auszumachenden Erkenntnisinteresse der Autorin geschuldet sein. Im Vorwort des Buches erklärt Ute Kätzel ihre persönliche Lesart des weiblichen Anteils an der Revolte: „Tatsächlich wollten die Frauen nicht nur die Gesellschaft verändern, sondern in erster Linie sich selbst und ihre eigene Rolle, im Gegensatz zu den meisten Männern.“ Bei Kätzel wird die These, dass es den Frauen in erster Linie um ihre eigene Befreiung gegangen sei, zum Programm. In einem Interview (taz vom 16. April 2002) wurde sie noch deutlicher: Jedes Porträt in ihrem Buch beginne mit dem Wort „Ich“. Sie wolle zwar insgesamt das Bild einer Frauengeneration zeichnen, „aber dennoch sind es die Geschichten von Einzelnen, deshalb das ganz bewusst gewählte ,Ich‘ an jedem Anfang“.

Im Ergebnis verschwindet dabei das Politische der 68er-Bewegung hinter der Selbsterfahrung. Im Porträt von Sigrid Fronius liest sich das folgendermaßen: „Wir haben 1968 einen Sprung gemacht, das Lebensfeindliche am Kapitalismus entdeckt und eine Reihe von Ketten gesprengt. Die Frauenbewegung mobilisierte gegen das Patriarchat und schuf weitere Freiheitsräume. Die spirituelle Bewegung reicht noch tiefer. Sie hilft Schätze heben und gibt Klarheit und Kraft, um sich zu wehren und das Leben kreativ zu gestalten. Wir können andere nur mit dem gewinnen, was wir selber leben.“Wie so häufig mündet bloße Selbsterfahrung in politikferne Esoterikwelten.

Ein Blick in das Nachwort der Autorin erklärt, warum diese Porträtsammlung oft seltsam naiv wirkt. Darin lässt sich Kätzel, Jahrgang 1955 und damit um einiges jünger als die porträtierten Frauen, durch die Lebensgeschichten der Frauen „zu einer persönlichen Bemerkung anregen“: „Ich lebte damals in der fränkischen Provinzstadt Hof. Auf den dortigen „Hofer Filmtagen“ wurden wichtige politische Dokumentarfilme gezeigt, und ich sehe mich noch in diesem Kinosaal sitzen, fassungslos, während auf der Leinwand amerikanische Soldaten aus Hubschraubern heraus vietnamesische Frauen in den Reisfeldern einfach abknallten. Mein einschneidendstes Erlebnis jedoch war die erste Hofer Vietnam-Demo. Damals war ich sechzehn. Mein Vater hatte es zwar ausdrücklich verboten, aber ich ging trotzdem hin. Als er es herausfand, wurde er so wütend, dass er regelrecht ausrastete. Doch Politik war damals schon so wichtig für mich, dass ich bereit war, mich gegen ihn als Autorität aufzulehnen.“ Hier zeigt sich das schematische Weltbild der Autorin, das sich u.a. aus den Kategorien von Täter und Opfer speist. Wenn auch unbeabsichtigt, ist diese Sichtweise als Subtext in die Darstellungen der befragten Frauen eingeflossen. Somit werden die Porträts zur Projektionsfläche ihrer Autorin. Durch die Verwandlung der Interviews in geschlossene Texte entsteht zudem ein vereinheitlichender Sprachduktus, aus dem vor allem die Autorin selbst herauszuhören ist. Kurioserweise haben die porträtierten Frauen, die die Texte autorisiert haben, das offenbar nicht als Eingriff in ihre eigene Geschichte wahrgenommen. In der Konsequenz wird die Heterogenität der damaligen politischen Bewegung durch die redaktionelle Bearbeitung der Interviews verdeckt.

Der Wahlspruch der 68er-Bewegung, auch das Private sei politisch, wird Kätzels Porträts zum entdifferenzierenden Verhängnis. Hinge gen spielt diese Weltsicht in dem wenig überzeugenden Band

Eva Rühmkorf/Ute Vogt: Wir sind die Besseren. Starke Frauen und Politik. Deutsche Verlags-Anstalt: Stuttgart 2002, 244 S., ISBN 3421-5606-4; 18,90 Euro

keine Rolle mehr. In diesem Gespräch zwischen einer jungen und einer älteren SPD-Politikerin (Ute Vogt, baden-württembergische SPD-Vorsitzende, und Eva Rühmkorf, von 1978 bis 1987 erste Gleichstellungsbeauftragte in Deutschland) findet sich ein Kapitel mit dem Titel Das Politische im Privaten, worin es ironischerweise ausschließlich um das Privatleben der Politikerinnen geht. Auch das in Kätzels Porträts vielbeschworene „Wir-Gefühl“ der 68er-Bewegung hat hier keinen Platz mehr. Das politische Bewusstsein von Vogt und Rühmkorf identifiziert sich nicht über diese Erfahrung. Auch der Buchtitel bezieht sich keineswegs auf die Vorstellung, dass Frauen die besseren Politikerinnen seien: Bei Vogt/ Rühmkorf sind mit den Besseren und Anständigeren immer die Sozialdemokraten gemeint. Das ist der Grundkonsens, von dem aus die beiden argumentieren. Das an zwei Tagen im Sommer und Herbst 2001 geführte Gespräch, moderiert von den Spiegel-Redakteuren Jürgen Leinemann und Horand Knaup, streift Themen wie Krieg und Frieden, Karriere und Medien, Macht und Ohnmacht in der Politik. Für Vogt ist Politik im Gegensatz zu Rühmkorf in erster Linie eine pragmatische Angelegenheit jenseits von ideologischen Fragen: „Wir wollen Schluss machen mit der Klageweibergeschichte. Politik ist kein Feld, auf dem Frauen möglichst was für Frauen machen sollten, sondern jeder, egal wo er Politik macht, das Thema im Kopf hat.“ Somit illustriert dieses Gespräch vor allem den Generationen-Konflikt zwischen politisch aktiven Frauen. Das Buch bleibt darüber hinaus wenig instruktiv, da unklar bleibt, für welche Leser dieses Buch konzipiert wurde. Allenfalls kann es partiell als Rezeptbuch für weibliche Politikkarrieren betrachtet werden.

Unter der Rubrik Falsche Vorbilder eint die beiden SPD-Politikerinnen eine tiefe Skepsis gegenüber den Idealen von 1968. Vogt schätzt deren politische Nachhaltigkeit eher gering ein: „Und jetzt sitzen sie in ihrem Reihenhaus und kümmern sich um die Tempo-30-Zone davor.“ Rühmkorf betont ihrerseits die Widersprüchlichkeit der Studentenbewegung: „Ich habe mich lange, schon bevor es ins Anarchi stische und Terroristische abglitt, über diese Ho-Chi-Minh-Rufe mokiert. Das war doch verrückt. Hier kommen sie mit der Eltern-Generation nicht klar, und in Übersee beten sie alte Männer an. Ich hab‘ mich immer über Berichte gefreut, wenn diese Pilger nach Kuba oder sonstwohin fuhren und dachten, sie würden wie die großen Revoluzzer empfangen, stattdessen dann aber Zuckerrohr hacken mußten. Die waren schwer beleidigt, aber ich fand es völlig in Ordnung.“

 

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