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Städtische Kreativität

Neue Strategien für den kommunalen Wandel

aus: Vorgänge 165 ( Heft

Demographische und wirtschaftliche Schrumpfungs- oder 

Stagnationsprozesse, überregionale Abwanderungen, anhaltende Suburbanisierungstendenzensnwie ein erheblicher Wohnungsleerstand kennzeichnen seit einigen Jahren viele Städte und Gemeinden in den neuen Ländern. Die Kommunen reagieren darauf, indem sie ihre mittel- und langfristigen Entwicklungsziele überprüfen und – je nach der örtlichen Situation und den vorausschaubaren Entwicklungsverläufen – strukturell neue, integrierte Konzepte erarbeiten. Sie konzentrieren sich dabei – unterstützt durch entsprechende Förderprogramme – vor allem auf die zweifellos drängenden städtebaulichen und. wohnungswirtschaftlichen Probleme des Stadtumbaus. Es wird also an den Symptomen der Schrumpfungs- und Leerstandsentwicklung angesetzt. Dabei wird es vielfach versäumt, nach den grundlegenden Ursachen und Entwicklungen zu fragen. Manche Autoren sind der Auffassung, dass hierdurch eine Auseinandersetzung über unser bisheriges Wachstumsmodell des ,Schneller – höher –weiter` vermieden wird, das sich möglicherweise grundlegend überlebt habe (u.a. Bohne 2003; Grymer 2003). Dies erfordere wahrscheinlich ein viel radikaleres Umdenken, als es uns bereits heute der aktuelle Stadtumbau abverlangt. Doch wie tiefgreifend die Strukturkrise auch sein mag: In jedem Fall sind in großem Umfang Innovationen und Kreativität notwendig, um sowohl in wirtschaftlicher, sozialer, kultureller, baulicher und wohnungswirtschaftlicher Hinsicht neue Perspektiven für die ostdeutschen Städte zu entwickeln.

Gleichzeitig aber sind Stagnation und Schrumpfung oft verbunden mit Erscheinungen wie Lähmung, Resignation und Selbstzweifel. Der Verlust an Einwohnern gilt als sichtbares Zeichen für eine wirtschaftliche und kulturelle Abwärtsentwicklung. Karl-Dieter Keim spricht hier in Anlehnung an Lepsius (1965) von einem „System der sozialen Stagnation” (Keim 2003: 15). Er verweist darauf, dass kognitive Probleme mit zu dem Syndrom gerechnet werden müssen, welches die derzeitige Krise in der Entwicklung von Städten Ostdeutschlands (aber nicht nur dort) ausmacht. Kognitive Probleme, die geprägt sind durch eine staatlich ausgerichtete Versorgungsmentalität, die Beibehaltung kultureller und sozialer Traditionen sowie die Erfahrungen mit persönlichen Enttäuschungen und Beeinträchtigungen, führen dazu, dass Resignation und kulturelle Abschirmung im Alltagshandeln leicht die Oberhand gewinnen.

Voraussetzungen für eine erfolgversprechende neue Positionsbestimmung der Städte sowie eine auch für die Bewohner akzeptable Entwicklung sind unter diesen Bedingungen ein „neues Denken” und die Entwicklung einer interaktiv angelegten städtischen Kreativität als zentrales Arbeitsprinzip in den Kommunen. Kreatives Handeln fußt dabei auf einer erweiterten städtischen Kommunikation und Kooperation. Es wird möglich durch die Zusammenführung von und Zusammenarbeit mit Akteuren aus dem öffentlichen, privaten und freiwilligen Sektor und die Verständigung auf gemeinsame strategische Ziele. Ein solches Kreativitätskonzept, dass offen ist für neue Impulse und unkonventionelles Handeln, kann Möglichkeiten eröffnen, gerade die strukturell bedingten Stagnationsmerkmale zu überwinden.

Wie entsteht städtische Kreati­vi­tät?

Welche Faktoren sind verantwortlich, um ein Klima zu schaffen, dass die Herausbildung latent vorhandener städtischer Kreativität begünstigt? Bei einer Antwort kann der Blick über den deutschen Tellerrand hinaus helfen. Denn Trends massiver Strukturbrüche und zurückgehender Bevölkerungszahlen finden sich durchaus auch in West- und Südeuropa oder Nordamerika. In den nördlichen Industriestädten Englands (Liverpool, Manchester, Huddersfield), im US-amerikanischen sogenannten rustbelt mit Detroit, oder anderen einst den industriellen Fortschritt markierenden Regionen zeigt bzw. zeigte sich ein ähnliches Bild.

Die Erfahrungen aus unterschiedlichen Städten belegen, dass es für die Entfaltung städtischer Kreativität einige wesentliche Voraussetzungen oder Auslöser gibt (vgl. u.a. Wood 2003: 30£; Liebmann/Robischon 2003b):

a) Bewusstmachen einer Krise

in politischer oder wirtschaftlicher Zusammenbruch hinterlässt Freiräume, in denen vor-her aussichtslose Ideen Wurzeln schlagen können. Problemkonstellationen in Krisensituationen schwächen die argumentative Position von Akteuren, die an traditionellen Denk-und Lösungsmustern festhalten. Krisen erleichtern es dadurch, neue Wege zu gehen. Sie bieten einen Anlass, herkömmliche Handlungswege und altbewährte Routinen zu verlassen. Allerdings ist das bloße Vorhandensein einer Krisensituationen noch keine Garantie für das Entstehen von Kreativität. Hierzu bedarf es weiterer Voraussetzungen. Zudem können Krisensituation kreatives Handeln auch erheblich erschweren. In ostdeutschen Städten wird diese Gefahr besonders wegen des geringen finanziellen Handlungsspielraums der Kommunen gesehen. Die wenigen vorhandenen Mittel werden vielfach angesichts des Erfolgsdrucks nur für absolut sicher erscheinende, bewährte Vorhaben und eben nicht für „kreative Experimente” eingesetzt, die eventuell auch Misserfolge bringen könnten.

b) Ressourcen für die Entwicklung der Städte erkennen
Die Zusammenführung öffentlicher, privater und freiwilliger Sektoren sowie leistungsfähiger lokaler Akteure und die Verständigung auf gemeinsame strategische Ziele ermöglichen die Entfaltung von städtischer Kreativität. Potenzielle Ressourcen für die Entwicklung von Städten können dann in einem wesentlich breiteren Bereich gesehen werden, als dies üblicherweise der Fall ist. So können bspw. Standortvorteile, die Präsenz von Unternehmen und Organisationen mit Know-how, die Verfügbarkeit von Forschungsinstitutionen ebenso wie mentale Aspekte – die Zuversicht der Bürger, die Bilder und Wahrnehmungen über Platz-Qualitäten, Potenziale der Stadtgeschichte und städtischer Traditionen bzw. Werte als Ansatzpunkte erkannt werden (Landry 2000).

Diese auf den ersten Blick selbstverständlich klingende Erkenntnis erhält ihre besondere Relevanz, betrachtet man die in den letzten Jahren von den ostdeutschen Kommunen erarbeiteten Stadtentwicklungskonzepte. Dabei zeigt sich, dass in der Regel nur die Akteursgruppen in Stadtentwicklungsprozesse eingebunden werden, die für die Umsetzung von konkreten Stadtum- bzw.

Stadtrückbaumaßnahmen unerlässlich sind (Wohnungsunternehmen, Stadtwerke etc.). Akteure außerhalb des unmittelbaren Tätigkeitsbereiches ,Stadtumbau` hingegen (z.B. aus dem Wissens- und Bildungsbereich) werden bisher kaum wahrgenommen, vorhandene endogene Potenziale in Überlegungen zur Stadtentwicklung zu wenig einbezogen.

c) Governance und organisatorische Kapazität
Schwach ausgeprägte lokale Kommunikationskulturen und kooperationshemmende Rahmenbedingungen in der öffentlichen Verwaltung setzen der Entfaltung von Kreativität in der Kommune enge Grenzen. Doch ohne einen effektiven institutionellen Rahmen wird keine Stadt in der Lage sein, ihre kreativen Ideen in Handlungen umzusetzen. Wenn jedoch festgefahrene Strukturen von einer kooperativen Orientierung an der Lösung von Sachproblemen überwunden werden können, sind Voraussetzungen für eine zukunftsorientierte Politik auf kommunaler Ebene gegeben. Eine klare Arbeitsteilung zwischen Kommunalpolitik und Verwaltung fördert zugleich kreatives Handeln und den verantwortlichen Umgang mit offenen Ergebnissen. Das kreative Potenzial der Kommunalverwaltung kann z.B, durch Ämterübergreifende Zusammenarbeit in Projekten, eine gezielte Ausdehnung des Akteursspektrums in der Stadtentwicklung oder die Einbeziehung externen Know-hows entwickelt werden.

Ein verändertes Rollenverständnis der lokalen politisch-administrativen Systeme schließt auch eine andere Sichtweise der Erwartungen und Leistungsfähigkeit der Bürger ein. Auf dieser Basis kann nach Wegen gesucht werden, wie die lokalen Akteure und Interessengruppen zusammenwirken und durch neue Formen der Kooperation „Synergien” hervorbringen können, mit denen bei geringerem Aufwand mehr Wirkung erzielt wird.

d) Einflüsse von außen
Manche Städte sind so sehr in ihren eigenen Problemen verstrickt, dass sie klar auf der Hand liegende Lösungen gar nicht mehr wahrnehmen können. Dies kann dann durch einen Beobachter von außen oder durch die Einbeziehung eines externen Beraters geleistet werden. Auf einer anderen Ebene kann das Hinzukommen einer neuen Gruppe von
Heike Liebmann/Tobias Robischon: Städtische Kreativität 73
Menschen, beispielsweise einer ethnischen Minderheit, ein Auslöser für eine neue Form der Regeneration einer Stadt werden. Einflüsse von außen ermöglichen so externe Anstöße für die interne Dynamik.

e) Neue Fehlerkultur
Will man die bisher ausgetretenen Wege verlassen, bedarf es eines veränderten Umgangs mit Fehlern und Fehlentwicklungen. Bislang will man zu oft noch in Projekten und Planungen mit ungeheurem Vorab-Aufwand Risiken und Unsicherheiten vermeiden. In die perfekte Planung und Fehlervermeidung, in das Bedenken und Berücksichtigen aller Eventualitäten wird soviel Kraft und Aufmerksamkeit investiert, dass häufig der Eindruck entsteht, es ginge gar nicht mehr darum, etwas positiv zu schaffen. Mit einer solchen Haltung ist eine kreative Stadtentwicklung nicht vereinbar (Grymer 2003).

Freiräume für kreative Experimente

Kreatives Handeln braucht Mut zum kalkulierten Risiko. Die bewusste Veränderung nicht mehr adäquater Handlungsmuster setzt zumeist voraus, mit Routinen zu brechen. Damit sich in der Stadtentwicklung kreatives Handeln entfalten kann, ist die „Kultivierung des Experiments” notwendig – also die Bereitschaft, kalkulierte Risiken einzugehen, verbunden mit einem verantwortungsvollen Umgang mit offenen Ergebnissen.

Nicht jede Neuerung ist mit Risiken verbunden. Doch die Bereitschaft, Risiken ein-zugehen, ist eine wesentliche Grundlage dafür, dass neue, kreative Ideen entwickelt und erprobt werden können. Zur Risikobereitschaft zählt auch, die Möglichkeit des Scheiterns zu akzeptieren. Dies verlangt von Organisationskulturen, in denen Misserfolge totgeschwiegen oder schöngeredet werden, erhebliche Umstellungen. Der Mut, Neues zu wagen, verlangt aber nicht danach, willkürlich herumzuprobieren. Notwendig ist ein experimentelles Vorgehen, also begrenzte und beobachtete Versuche. Erst die nüchterne Auswertung erfolgreicher wie gescheiterter Versuche erlaubt ein Organisationslernen. In aller Regel wird es der Entwicklung neuer Verfahren für die Beobachtung und Auswertung solcher Versuche bedürfen.

g) Best practice benchmarking
Der ehrgeizige Wettbewerb zwischen Gruppen oder Individuen, sowie Leistungsvergleiche (Best practice benchmarking) als Strategie, sich mit vergleichbaren Städten zu messen und Innovationen durch Wettbewerb und Lernen von Vorbildern vor-anzutreiben, fördern die Entwicklung städtischer Kreativität.

h) Projekte, Beteiligung und Ideenpools
Wenn Freiräume für bürgerschaftliche Beteiligung geschaffen werden und ein Klima entsteht, in dem der Meinungsstreit und die Bildung von Netzwerken gefördert werden, begünstigt dies die Herausbildung einer städtischen Kreativität.

Ein wesentliches Instrument sind in diesem Zusammenhang gemeinsame Projekte. In Projekten können neue Arbeitsweisen erprobt und Akteursnetzwerke aufgebaut werden. Der gemeinsame Erfolg kann negative Grundstimmungen umkehren. Nachhaltige Wirkungen können Projekte aber nur erzielen, wenn sie mit klaren strategischen Zielsetzungen verbunden werden. Projekte erzeugen Aufmerksamkeit und lösen Mobilisierungseffekte aus. Damit verbindet sich die Hoffnung auf eine Katalysator-Wirkung: Die Ausstrahlung des Projekts hat Effekte auf die Standortqualität und das Image und gibt Anstöße für weitere Innovationen Dritter. Oft mobilisiert die öffentliche Aufmerksamkeit zahlreiche Akteure derart, dass Projekte eine Eigendynamik entfalten. Diese von der öffentlichen Aufmerksamkeit gesteuerte Dynamik wird damit selbst zu einer wesentlichen Triebkraft für Veränderungen.

Zu städtischer Kreativität zählen demnach nicht nur der Kontext, in dem Innovationen entstehen und Fuß fassen können, sondern auch die institutionellen Fähigkeiten, aus Ideen Taten werden lassen. Beide Aspekte städtischer Kreativität können durch bestimmte Methoden und Instrumente gefördert werden.

Das britische Fallbei­spiel Hudders­field‘

Wir stellen an dieser Stelle beispielhaft einen Kreislauf urbaner Kreativität vor, wie er für die nordenglische Stadt Huddersfield entwickelt wurde. Huddersfield, eine typische durch die industrielle Revolution hervorgebrachte Stadt, geriet Mitte der 1980er Jahre in eine ernste Krise, als die meisten Textilfabriken und Kohlegruben in der Stadt bzw, der Region geschlossen wurden. Ab Mitte der 1990er Jahre erhielt Huddersfield den Status eines URBAN-Pilotprojektes und nutzte dieses zur Umsetzung einer eigenen Creative
Town Initiative.

Der Kreislauf urbaner Kreativität ist sowohl ein theoretisches Konzept als auch ein dynamisches Instrument, mit dem „erneuerbare urbane Energie” erzeugt und eine Stadt damit „angetrieben” wird. Das Kreislaufkonzept geht von der Überzeugung aus, dass Kreativität für die Entwicklung einer Stadt nutzbar gemacht werden kann – und dass Kreativität andererseits auch vergeudet werden kann, wenn sie nicht auf eine intelligente Art und Weise strategisch gelenkt wird. Das Konzept erkennt an, dass Kreativität in vielen verschiedenen Formen, mit Hilfe verschiedener Mittel und in unterschiedlichen Phasen eines Entwicklungsprozesses zutage treten kann, und dass sie auf viele verschiedene Arten und durch viele verschiedene Handelnde ihren Ausdruck finden kann.

Der Kreislauf besteht aus fünf Phasen:
1. Die Fähigkeit stärken, Ideen hervor­zu­bringen

Wie entstehen neue Ideen und Einsichten, innovative Geschäftsmodelle, künstlerische Schöpfungen, Erfindungen, neuartige Dienstleistungen? Gibt es in der Stadt genügend Menschen, die in neuen Bahnen denken? Nimmt irgend jemand Notiz von ihnen? Gibt es Möglichkeiten, mehr Menschen dazu anzuregen, öfter und mehr ldeen zu haben? Ziel dieser Phase ist es, das Niveau der in der Stadt geführten Debatte anzuheben und den Kreis der daran beteiligten Personen auszuweiten. Es geht darum, mehr Leute dazu bringen, Fragen zu stellen: „Warum ist die Stadt so, wie sie ist – warum kann sie nicht anders sein?” und „Warum ist mein Leben so, wie es ist – warum kann es nicht anders sein?” Erreicht werden kann dies durch ein erweitertes Angebot von Veranstaltungen, Ausstellungen, Debatten und Vorträgen, die dafür sorgen, dass Bewohner einer Stadt die Möglichkeit haben, Orte zu besuchen, die ihnen neue Anregungen geben können. In Huddersfield wurde dazu ein „Forum der Kreativität” gegründet. Mit Hilfe der ortsansässigen Theatergruppe Proper Job wurden Hunderte vor allem junge und zumeist arbeitslose Einwohner in einen Trainingsprozess mit dem Titel The Lab eingebunden, der ihren Horizont erweiterte und dazu führte, dass eine große Gruppe von Menschen zur aktiven Teilnahme am kreativen Prozess fand. Einen weiteren Baustein bildete ein „Millenniums-Wettbewerb”, bei dem die Einwohner aufgerufen waren, sich bis zum Ende des Jahres 2000 mit 2000 neuen Ideen und städtischen Innovationen zu beteiligen.

2. Ideen verwirk­li­chen

Kreative Ideen sind eine Sache, aber seine Rechnungen kann damit noch niemand bezahlen. Wie können wir sicherstellen, dass mehr Menschen die Möglichkeit bekommen, ihre Ideen auszutesten und in Form neuer Unternehmen, Produkte oder Dienstleistungen in die Praxis umzusetzen? Welche Unterstützung und Ermutigung brauchen sie in Form von Geld, Ratschlägen, Ausrüstungen – und was geschieht, wenn sie scheitern und noch einmal von vorn anfangen müssen? In Huddersfield wurden sogenannte „Treibhaus-” und „Inkubator-„Programme ins Leben gerufen, in deren Rahmen Menschen mit Ideen, Menschen mit Erfahrung und Menschen mit Geld zusammengeführt wurden. Personen mit modellhaften Ideen wurden kleine Stipendien und Darlehen zur Verfügung gestellt (wobei die Betonung auf „klein” liegt), neu gegründete Unternehmen konnten Büroräume kosten-frei nutzen. Organisiert wurde ein „Beratungsprogramm für Erfinder” sowie eine Initiative, in deren Rahmen erfahrene Unternehmer als Mentoren für neu gegründete Firmen agierten. Weiterhin wurde ein „Unternehmerprogramm” für Schulen entwickelt, in dem die Schüler lernen konnten, wie man ein Unternehmen führt.

3. Netzwerke aufbauen, Ideen verbreiten

In jeder Stadt gibt es viele Leute, die ihre Ideen verwirklichen – aber wird die Stadt dadurch zu einem kreativen Gemeinwesen? Viel größere Werte können geschaffen werden, wenn Menschen beginnen, zusammenzuarbeiten und ihre Kreativität und ihre Ressourcen miteinander zu teilen. Welche Mechanismen können Menschen und Organisationen dabei helfen, sich so zu verhalten? In Huddersfield wurde in einem Audit-Verfahren erstmals erfasst, wie viele Unternehmen an kreativen Aktivitäten teilnahmen. Auf dieser Basis wurde eine Kontakt-Datenbank aufgebaut, um Informationen und Wissen auszutauschen. Realisiert wurden regelmäßige „Netzwerk-Veranstaltungen”, auf denen kreative Unternehmer Gleichgesinnte treffen konnten.

4. Plattformen zur Herstellung schaffen

An einem bestimmten Punkt angelangt, benötigen kreative Menschen und Organisationen Orte, an denen sie die Produkte, Dienstleistungen oder Kunstformen, die Ausdruck ihrer Kreativität sind, erstellen können. Dies umfasst die gesamte materielle und virtuelle Infrastruktur einschließlich der Geschäftszentren, Produktionsstätten, Studios, Galerien oder Websites, die die geeigneten Eigenschaften und Merkmale aufweisen und zu einem fairen Preis verfügbar sein müssen. Mit der Bereitstellung entsprechender Räume kann Kreativität dann auch im Stadtbild tatsächlich sichtbar werden.

Publikum gewinnen, Märkte aufbauen

Zu guter Letzt: Ideen, Produkte, Erfahrungen und Dienstleistungen haben keinen Wert, wenn sie nicht irgendwer irgendwo benutzen oder kaufen will. Hat die Stadt Möglichkeiten, ihre Ideen und Produkte so zu präsentieren, dass dies andere Menschen erreicht und anzieht? Und kann sie das Publikum oder den Markt auf einem akzeptablen Niveau versorgen? Damit sich die Ideen so weit wie möglich verbreiten, wurde in Huddersfield viel in das Training von Marketing- und Vertriebsmethoden, und in Informationsverbreitung durch Websites und Publikationen, Ausstellungen und Vorträge investiert.

Die Erfahrungen aus Huddersfield zeigen: Wenn ein Publikum oder ein Markt mit Ideen und Produkten erreicht und zufriedengestellt wird, dann erzeugt dies eine Dynamik, die nicht nur den kreativen Prozess der vorhergehenden Phasen belohnt, sondern auch neues Ideenpotenzial kräftig anschiebt. So entsteht ein Kreislauf urbaner Kreativität.

Doch wenn es so einfach zu sein scheint, Kreativität in einer Stadt zu entwickeln: Warum gelingt es oft nicht? Eine Ursache besteht sicher darin, dass Kommunen sich auf einzelne Phasen des Kreislaufs konzentrieren und andere dabei außer acht lassen. So sind in vielen ostdeutschen Städten in den letzten zehn Jahren Innovationsparks, Gründerzentren usw. errichtet worden. Doch wenn es parallel dazu nicht gelingt, ein Milieu zu schaffen, das die Menschen dabei unterstützt, Ideen zu entwickeln und diese mit an-deren zu teilen, dann werden die vorhandenen „Plattformen” ungenügend genutzt oder weitgehend mit alten oder überholten Aktivitäten befasst sein. In gleicher Weise kann eine Stadt zwar voller Bars und Cafés sowie reichlich ausgestatteten Forschungseinrichtungen sein, in denen die Menschen eine Menge neuer Ideen hervorbringen — wenn die Stadt jedoch nicht fähig ist, diese Ideen in Dinge zu verwandeln, die sie vermarkten und verkaufen kann, so wird sie nicht in der Lage sein, ihre kreativen Menschen zu belohnen — und diese entscheiden sich dann möglicherweise zur Abwanderung.

„Städtische Kreati­vi­tät” in Ostdeut­sch­land?

Es besteht die begründete Hoffnung, dass durch die Förderung städtischer Kreativität die notwendigen neuen Ansätze zur Regeneration schrumpfender Städte in Ostdeutschland gefunden werden können. Allerdings ist Kreativität nur ein Mittel, um Lösungsmöglichkeiten zu finden, nicht bereits die Lösung selbst.

Projekte zur Entwicklung städtischer Kreativität können aber vermutlich nicht ohne weiteres in den laufenden Stadtumbauprozess integriert werden; dies ist auf unterschiedliche Ausrichtung der Verfahren und ihre grundlegende Planungsphilosophie zurückzuführen, Den auf den Integrierten Stadtentwicklungskonzepten beruhenden kommunalen Umbauprogrammen liegt zumeist die Philosophie des umfassenden Masterplans zugrunde, der als abgestimmtes integrales Gesamtkunstwerk entwickelt wird und gleichermaßen städtebauliche, wohnungswirtschaftliche und infrastrukturtechnische Aspekte der Wegnahme überflüssiger Wohnungen regelt. Diese Vorgehensweise ist dort sehr erfolgreich, wo eine überschaubare Zahl (ver-)handlungsfähiger Akteure das Geschehen bestimmt, und gerät dort an seine Grenzen, wo die Zahl der Akteure zu groß ist bzw, es ihnen an Artikulationsfähigkeit mangelt (z.B. die privaten Einzeleigentümer in einem Altbauquartier). Die Möglichkeiten der Beteiligung und Aktivierung einer größeren Zahl unterschiedlicher Akteure sind in diesem Kontext bisher offenbar weder erfolgversprechend noch wären sie einer zügigen Marktbereinigung dienlich.

Die Förderung städtischer Kreativität aber setzt an einem anderen Punkt an. Hier geht es nicht um die Anpassung eines zu groß gewordenen baulichen Kleides an eine veränderte, kleinere Nachfrage. Vielmehr geht es hier um grundsätzliche Fragen der städtischen Regeneration im Kontext des Stadtumbaus. Es gilt, eine neue Politik der Städte und neue Perspektiven für die Stadtentwicklung in wirtschaftlicher, sozialer, kultureller wie auch baulicher und wohnungswirtschaftlicher Hinsicht zu entwickeln. Dazu müssen die Städte bereit sein, sich — wie z.B, in der Initiative Stadt 2030 des BMBF angeregt (vgl, den Beitrag von Stephanie Bock/Bettina Reimann in diesem Heft) — auf deutlich breiterer Basis mit den Zukunftschancen ihrer jeweiligen Stadt auseinander zu setzen. Dies geschieht bisher noch in zu geringem Maße — deshalb werden vorhandene Ansätze städtischer Kreativität bisher noch kaum wahrgenommen. Letztlich werden die Städte angesichts der komplexen Problemlage beide Ansätze miteinander verschränken müssen. Dies bedeutet, die bauliche Anpassung des Bestandes mit der Regenerierung der Kommunen durch Förderung von Kreativität und Innovation zu verbinden. Nur so entstehen in den Städten Lebensbedingungen, die eine weitere Abwanderung von Bevölkerung und damit die immer neue Produktion von Leerstand stoppen können.

„Städtische Kreativität” ist ein noch junges Konzept für erfolgversprechende Handlungsstrategien zur Regenerierung schrumpfender Städte, das deren strukturelle, institutionelle und mentale Voraussetzungen einbezieht. Kreativität verschafft noch keine Lösung für die städtischen Probleme, aber sie liefert den Entscheidungsträgern ein neues, breiteres Ideenspektrum, mit dem sie arbeiten können. Dazu bedarf es einer Politik, die mit geeigneten flankierenden Maßnahmen die Wahrscheinlichkeit der Entfaltung von kreativen Milieus im politischen, unternehmerischen und sozialen Bereich erhöht. Als Schlüsselelemente einer solchen Strategie gelten neue Lernkonzepte, eine bestimmte Netzwerkarchitektur und die regionale Selbstregulation.

Unter den Bedingungen abnehmender Steuerungs- und Handlungsfähigkeit auf kommunaler Ebene werden Kreativität, Innovations- und Lernfähigkeit zu Schlüsselfaktoren städtischer Entwicklung. Die Kommunen müssen danach streben, wirtschaftlichen Ideenreichtum mit einer nachhaltigen Entwicklung und der Stärkung des städtischen Gemeinwesens zu vereinen, um ihre Stadtentwicklung voranzutreiben. Lebensqualität in Städten wird dabei zu einem immer wichtigeren Wettbewerbsinstrument werden.

* Der Beitrag ist eine überarbeitete Fassung des Textes Innovation, Kreativität und Lernprozesse – gelingt so der Stadtumbau?, der in Heft 1/2004 der Planungsrundschau erschienen ist.
1 Dieser Abschnitt stützt sich auf eine Präsentation von Phil Wood auf dem gemeinsamen Symposium des Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung und der Schader-Stiftung Städtische Kreativität – Potenzial für den Stadtumbau am 10. September 2003 in Erkner sowie Wood 2003.

Literatur

Bohne, Rainer, 2003: Planung ohne Tabus; in: Planerin 2/2003, S. 31-33
Grymer, Herbert, 2003: Stadtentwicklung trotz Schrumpfung? Einige Bemerkungen über die mentalen Hemmnisse städtischer Kreativität; in: Liebmann, Heike/Robischon, Tobias (Hg.): Städtische Kreativität — Potenzial für den Stadtumbau, Erkner/Darmstadt, S. 184-195
Hall, Peter, 1998: Cities in Civilisation, London
Keim, Karl-Dieter 2003: Zur Notwendigkeit kreativer Arbeitsformen bei der Stadtentwicklung; in: Liebmann, Heike/Robischon, Tobias (Hg.): Städtische Kreativität — Potenzial für den Stadtumbau, Erkner/Darmstadt, S. 14-25
Landry, Charles, 2000: The Creative City: A Toolkit for Urban Innovators, London
Lepsius, Rainer M., 1965: Immobilismus: das System der sozialen Stagnation in Süditalien; in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, Bd. 177, S. 304-342
Liebmann, Heike/Robischon, Tobias 2003: Städtische Kreativität: Ein Potenzial für den Umgang mit Schrumpfungsprozessen; in: Dies. (Hg.): Städtische Kreativität — Potenzial für den Stadtumbau, Erkner/Darmstadt, S. 6-13
Wood, Phil 2003: The cycle of Urban Creativity — Der Kreislauf urbaner Kreativität; in: Lieb-mann, Heike/Robischon, Tobias (Hg.): Städtische Kreativität — Potenzial für den Stadtumbau, Erkner/Darmstadt, S. 26-38

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