Publikationen / vorgänge / vorgänge Nr. 208: Europas Abschottung

Staats­leis­tungen der Länder an die Kirchen (Stand: 2015)

aus: vorgänge Nr. 208 (Heft 4/2014), S. 190-193

(Red.) Die Humanistische Union (HU) veröffentlicht seit einiger Zeit die Summe der jährlichen Staatsleistungen an die beiden Kirchen. Damit erinnert sie an den seit 1919 bestehenden Verfassungsauftrag, diese Zahlungen einzustellen. Dieser Auftrag ist heute umso wichtiger, als Bund und Länder hoch verschuldet sind, die zweckfreien Zahlungen aber dennoch jährlich steigen. Mit der Veröffentlichung der Zahlen soll der politische Prozess zur Ablösung angestoßen werden: vor der Schlussrechnung steht die Bestandsaufnahme. Bis vor kurzem haben Bund und Länder schließlich behauptet, sie wüssten nicht einmal, wie viel sie über die Jahre hinweg an die Kirchen gezahlt haben. Da hilft die HU gern nach.

Jedes Jahr zahlen die Bundesländer – mit Ausnahme von Bremen und Hamburg – Rekordsummen an die evangelische und die katholische Kirche in Deutschland. Derzeit belaufen sich diese Zahlungen auf knapp 500 Millionen Euro, Jahr für Jahr. Diese staatlichen Zuwendungen (Staatsleistungen genannt) werden seit Jahrzehnten entrichtet. Seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland (1949) kommt so eine Summe von rund 16,3 Milliarden Euro zusammen, die die Länder mittlerweile überwiesen haben.

Mit den Zahlungen – so die gängige Begründung – sollen die Folgen der Enteignung von Kirchenbesitz im 18. und 19. Jahrhundert entschädigt werden. Diese „Entschädigung“ müsste jedoch nicht nur mit Blick auf die ökonomische Äquivalenz der Entschädigungssumme irgendwann einmal abgeschlossen sein; auch unsere Verfassung schreibt seit 1919 vor, dass die Staatsleistungen abzulösen (das heißt: einzustellen) sind. Am 14. August 1919 trat Artikel 138 der Weimarer Reichsverfassung (WRV) in Kraft, der über Artikel 140 Grundgesetz auch heute noch gültiger Bestandteil unserer Verfassung ist. Er beauftragt Bund und Länder, die Staatsleistungen an die evangelische und die katholische Kirche abzulösen; der Bund soll ein entsprechendes Gesetz über die Grundsätze der Ablösung erlassen.

Das ist mittlerweile fast 100 Jahre her – passiert ist bisher: nichts.

Was sind die Staats­leis­tungen – und was nicht?

Staatsleistungen sind Zahlungen, die ohne Zweckbindung erfolgen. Wofür und wie die Kirchen sie verwenden, darüber sind sie keinerlei Rechenschaft pflichtig. Oft werden die Staatsleistungen in Form von Dotationen oder Zuschüssen für die Pfarrbesoldung gewährt. Zahlreiche Staatskirchenverträge zwischen der evangelischen bzw. katholischen Kirche und den Ländern nehmen auf diese Zahlungen Bezug (und regeln darüber hinaus auch zweckgebundene Leistungen, die nicht zu den Staatsleistungen gerechnet werden).

Nicht mit den Staatsleistungen zu verwechseln sind alle Finanzhilfen, Subventionen oder zweckgebundenen Zuwendungen, die von Bund, Ländern und Gemeinden sowie den Sozialleistungsträgern zur Erreichung bestimmter öffentlicher Zwecke entrichtet werden. Auch davon profitieren die Kirchen und ihre zahlreichen Einrichtungen und Sozialwerke in erheblichem Umfang; nicht zuletzt, weil die Beschäftigung in diesen Einrichtungen meist eine Mitgliedschaft in der Kirche voraussetzt. Jedoch liegen diesen Zahlungen konkrete Leistungen für die Allgemeinheit zugrunde, die Kirchen und ihre Einrichtungen treten hier als Dienstleistungsanbieter auf. Bei der Kritik der Staatsleistungen geht es also nicht um staatliche Zahlungen an kirchliche Kindergarteneinrichtungen oder Schulträger, nicht um die Bezahlung kirchlicher Krankenhäuser und Altenheime aus den Sozialversicherungen, nicht um den Betrieb von Familienbildungsstätten und Einrichtungen der Jugendarbeit, diakonische und karitative Einrichtungen, die Entwicklungshilfe und Auslandsarbeit der Kirchen. Ebenso wenig gehören zu den Staatsleistungen im Sinne des Artikels 138 WRV die Aufwendungen des Staates für den Religionsunterricht, die Ausbildung der Religionslehrer und für die theologischen Fakultäten an den staatlichen Hochschulen, für die Militär- und Anstaltsseelsorge, sowie die besonderen Zuschüsse für evangelische Kirchentage, Katholikentage, das Reformationsjubiläum und ähnliche rein kirchliche Veranstaltungen. Zu den Staatsleistungen werden schließlich auch nicht die – praktisch kaum zu überschauenden – Zahlungen von Ländern oder Gemeinden wegen bestehender Patronate oder (Kirchen-)Baulasten gezählt. Auch dabei geht es ja um Gebäude oder Einrichtungen, deren Erhaltung mehr oder weniger im Interesse der Allgemeinheit liegt.

Kein Ende in Sicht

Die Humanistische Union setzt sich seit Jahren für die Umsetzung des Verfassungsauftrages zur Ablösung der Staatsleistungen ein. Bisher leider erfolglos: Das Ablösegebot wird von den meisten Parteien wie von den Landesregierungen ignoriert, geleugnet oder schlicht für erledigt erklärt – mit zum Teil kuriosen Begründungen:

Einige behaupten, die Staatsleistungen seien durch ihre Festschreibung in Landesverfassungen oder Staatskirchenverträgen auf eine neue Rechtsgrundlage gestellt worden. Jedoch dürfen weder Landesverfassungen noch Kirchenverträge, die von den Ländern geschlossen wurden, einfach eine Bestimmung des Grundgesetzes außer Kraft setzen. Auch die Behauptung, mit den aktuellen, in Staatskirchenverträgen vereinbarten Zahlungen würden die Staatsleistungen in Form einer „Dauerrente“ abgelöst, sind reiner Etikettenschwindel. Wie ein Blick auf die Zahlungsübersicht zeigt, werden die kontinuierlich steigenden Beträge seit Jahren in der gleichen Größenordnung entrichtet. Jede Rente hat ein Ende – jedoch nicht bei den Staatsleistungen, denn hier gibt es bisher in keinem einzigen Bundesland eine Vereinbarung über ein Zahlungsziel oder einen Endtermin.

Andere behaupten, eine Ablösung komme aus rein finanziellen Gründen praktisch nicht infrage – weil die zur Ablösung nötige Entschädigungssumme zu hoch für die verschuldeten Länder sei. Dahinter steht nicht nur ein merkwürdiges Verständnis von Recht; auch in ökonomischer Hinsicht hinkt diese Argumentation, denn mit den fortlaufenden Zahlungen an die Kirchen werden die Länderhaushalte immer weiter belastet – ohne Aussicht auf ein Ende. Zudem hat bisher kein einziges Bundesland je mit den Kirchen über die Entschädigungssummen verhandelt. Wie hoch die Forderungen sind und wie viel davon anerkennenswert ist, kann niemand sagen.

Einzelne Landesregierungen bemühen das Mitgefühl: die Staatsleistungen dienten der Aufrechterhaltung der kirchlichen Organisation und seien für jene unverzichtbar. Dabei machen die Staatsleistungen nur etwa 2 bis 3 Prozent der jährlichen Kircheneinnahmen aus. Ob sich eine hoch verschuldete öffentliche Hand um die Zahlungsfähigkeit zweier Kirchen sorgen muss, die im Gegensatz zu ihr weitgehend schuldenfrei und vermögend sind, sei dahin gestellt.

Erläu­te­rungen zu den Übersichten

Die von der Humanistischen Union vorgelegten Übersichten zeigen die für das aktuelle Jahr in den Haushaltsplänen der Länder (außer: Bremen und Hamburg) eingeplanten Staatsleistungen an die beiden Kirchen (Tabelle 1) als auch die seit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes (1949) geleisteten Zahlungen (Tabelle 2). Die Angaben beruhen auf den Haushaltsplänen der Länder, in Einzelfällen auch auf Auskünften der zuständigen Ministerien oder auf Parlamentsdrucksachen.

Die Übersichten enthalten nur die von den Ländern geplanten bzw. geleisteten positiven Staatsleistungen (zu den Einschränkungen s.o.). Darin nicht enthalten sind die Einnahmeausfälle, die der öffentlichen Hand durch Befreiungen der Religionsgemeinschaften von Steuern, Gebühren und Beiträgen entstehen (sog. negative Staatsleistungen).

Infor­ma­ti­onen zum Thema

Dokumentation: Stellungnahmen zum Verfassungsauftrag „Ablösung der Staatskirchenleistungen“, HU-Mitteilungen Nr. 215/216 (Heft 1/2012), S. 14f.
Humanistische Union: Entwurf eines „Gesetz über die Grundsätze zur Ablösung der Staatsleistungen an die Kirchen“. Berlin, April 2011.
Johann-Albrecht Haupt: Nichtablösung der Staatsleistungen an die Kirchen, Geschichte eines politischen Versagens. In: vorgänge Nr. 203 (3/2013), S. 16-28.
Johann-Albrecht Haupt: Ewige Rente für die Kirche? In: vorgänge Nr. 189 (Heft 1/2010), S. 86-94.

Hinweise zu Tabelle 1

Spalte 1              Hamburg und Bremen kennen keine Staatsleistungen
Spalten 2-4         nach den Haushaltsplänen (bzw. Entwürfen) der Länder; Sachsen und Hessen lt. Auskunft Kultusministerium; Thüringen noch ohne Haushaltsplan(entwurf) für 2015, daher Ansätze für 2014 verwendet
Spalte 5              Statistisches Bundesamt (Stand 31.12.2013)
Spalten 7/8         Statistik der EKD zu Kirchenmitgliederzahlen (Stand: 31.12.2012)
Spalten 6, 9, 10  eigene Berechnungen

Hinweise zu Tabelle 2

Zahlen basierend auf Haushaltsplänen der jeweiligen Bundesländer seit 1949, außer:
Baden-Württemberg (BW): 1949 und 1950 nur Haushaltspläne für Baden und Württemberg-Hohenzollern, die in speziellen Landesarchiven lagern.
Nordrhein-Westfalen (NW) 1949: Interpolation zwischen 1948 und 1950
Thüringen 2015: Zahlen für 2014 (noch kein Haushaltsplanentwurf vorhanden)

Abkürzungen

BW Baden-Württemberg
BY Bayern
BE Berlin
BB Brandenburg
EK Evangelische Kirche
HE Hessen
KK Katholische Kirche
MV Mecklenburg-Vorpommern
NI Niedersachsen
NW Nordrhein-Westfalen
RP Rheinland-Pfalz
SL Saarland
SN Sachsen
ST Sachsen-Anhalt
SH Schleswig-Holstein
SL Staatsleistungen
TH Thüringen

Dateien

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