Publikationen / vorgänge / vorgänge Nr. 208: Europas Abschottung

Was gilt die Freiheit der Person, wenn sie ein Flüchtling ist?

Stellungnahme des Komitee für Grundrechte und Demo­kratie zum „Entwurf eines Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung“, aus: vorgänge Nr. 208 (Heft 4/2014), S. 119-122

(Red.) Am 25. Februar hat die Bundesregierung den Gesetzentwurf zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung (BT-Drs. 18/ 4097) in den Bundestag eingebracht. Der Entwurf sieht eine Bleiberechtsregelung für die zahlreichen, seit vielen Jahren hier lebenden Ausländer vor. Ob bisher Geduldete dieses Bleiberecht erhalten, liegt jedoch im Ermessen der Ausländerbehörden (und kann beispielsweise bei früheren Verstößen gegen Ausreiseverfügungen versagt werden). Darüber hinaus soll der Status derjenigen Flüchtlinge, die im Rahmen sog. Resettlement-Programme des UNHCR (z.B. aus Syrien) in Deutschland aufgenommen wurden, angeglichen werden. Sie sollen künftig die gleichen Rechte genießen wie jene, die von deutschen Behörden als Flüchtlinge anerkannt wurden – was dem Entwurf jedoch nur unzureichend gelingt. Schließlich regelt das Gesetz auch die Erteilung von Aufenthalts- und Wiedereinreiseverboten sowie die Voraussetzungen der Abschiebehaft für sog. Dublin-Flüchtlinge.

Zu dem Entwurf haben zahlreiche Flüchtlings- und Fachorganisationen Stellung bezogen. Wir geben hier beispielhaft die Kritik des Komitees für Grundrechte und Demokratie wieder.

Einleitung

Mit dem Gesetzentwurf (BT-Drs. 18/4097) will die Bundesregierung das Bleiberecht sowie das Ausweisungs- und Abschiebungsrecht reformieren. Der Gesetzentwurf zielt darauf ab, beispielsweise die Rechtsstellung für langjährig geduldete Flüchtlinge zu verbessern. Der zweite Teil des Entwurfs jedoch, der zwar aufgrund zahlreicher Proteste gegenüber dem Referentenentwurf bereits leicht modifiziert wurde, weitet repressive Maßnahmen gegen Flüchtlinge immer noch maßlos aus. Der Gesetzentwurf ist deshalb aus grund- und menschenrechtlicher Sicht abzulehnen.

Wir fordern die Bundestagsabgeordneten der CDU und SPD auf, diesem Gesetzesentwurf die Zustimmung zu verweigern. Entscheidend zu kritisieren sind vor allem zwei Punkte:

1. Maßlose Ausweitung der Abschiebungshaft

a) Um den europarechtlichen Ansprüchen der Abschiebungshaft für ausreisepflichtige Ausländer („illegaler Aufenthalt“) gerecht zu werden, werden im Regierungsentwurf (§ 2 Abs. 14 + 15) nun vermeintlich „objektive Kriterien“ festgelegt, die die Annahme der Ausländerbehörde bestätigen könnten, ein/e AusländerIn könne sich der Abschiebung oder Überstellung durch Flucht entziehen wollen. Aber alle diese vermeintlich objektiven Kriterien sind völlig ungeeignet, um einem Flüchtling eine „erhebliche Fluchtgefahr“ zu unterstellen und damit der Ausländerbehörde die Möglichkeit einzuräumen, Abschiebungshaft richterlich anordnen zu lassen. Der Begriff der „erheblichen Fluchtgefahr“ bleibt auch unter den gesetzlichen Kriterien dehnbar und unbestimmt und eröffnet damit weite Ermessensspielräume der Flüchtlingsverwaltung, den politischen Tagesanforderungen entgegenzukommen (z.B. hohes Flüchtlingsaufkommen). Denn diese nun normierten Verdachtskriterien – wie „Vernichtung von Identitäts- oder Reisedokumenten“, Finanzierung von Fluchthelfern mit erheblichen Mitteln (ab 3.000,- € aufwärts) oder die Erklärung, sich einer Abschiebung entziehen zu wollen – werden bei vielen Flüchtlingen vorliegen. Menschen, die sich unter Einsatz ihres Lebens auf die Flucht begeben, müssen nicht nur Fluchthilfe in Anspruch nehmen und diese finanzieren, sondern oftmals auch ihre Identität verschleiern, um zurückgebliebene Familienangehörige, FreundInnen und Bekannte nicht zu gefährden. Abschiebungshaft dagegen dient allein dazu, einen Verwaltungsakt, den der Abschiebung, vorzubereiten oder seine behördliche Durchführung sicherzustellen, wie es gesetzlich heißt. Allein auf der Grundlage willkürlicher Verdachtsmomente, wie sie jetzt normiert werden sollen, um eine „erhebliche Fluchtgefahr“ zu unterstellen, in die Unverletzlichkeit der Freiheit einer Person (GG Art. 2.2.) einzugreifen, ist unverhältnismäßig und nicht grundrechtskonform. Mit dem Kriterienkatalog der Bundesregierung werden nicht nur der allgemeine Verdacht, ein/e AusländerIn wolle sich der Abschiebung entziehen, sondern naheliegend auch das Instrument der Abschiebungshaft und die damit einhergehende Zwangsgewalt gegen AusländerInnen ausgeweitet. Damit wird allein zur Erleichterung von hoheitlichem Verwaltungshandeln, nämlich die Beschleunigung und Durchsetzung von Abschiebungen, in Form der zwangsweisen Freiheitsentziehung massiv in Grund- und Menschenrechte von Flüchtlingen eingegriffen.

b) Die Möglichkeiten zur Inhaftierung von Flüchtlingen im „Dublin-Verfahren“ werden erheblich ausgeweitet. Das betrifft diejenigen Flüchtlinge, die bereits in einem anderen EU-Staat, zumeist im Ersteinreiseland, registriert worden sind. Nicht nur werden für diese Asylsuchenden die Kriterien für die Unterstellung von „Fluchtgefahr“ angewandt, obwohl sie sich als Asylsuchende nicht illegal aufhalten. Zugleich soll die Weiterflucht vor Abschluss eines laufenden Verfahrens in einem anderen EU-Staat bereits zur Inhaftierung berechtigen. Damit könnten alle sogenannten Dublin-Flüchtlinge, für die ein anderer EU-Staat zuständig ist, in Haft genommen werden, um ihre „Überstellung“ zwangsweise sicherzustellen. Aber es gibt gute Gründe, weiter zu fliehen, weil in einigen Mitgliedsstaaten der EU allgemeine Verfahrensstandards nicht eingehalten werden (können), weil Flüchtlinge in Obdachlosigkeit und ohne die notwendigen Lebensmittel sich selbst überlassen bleiben oder weil sie einem gewalttätigen Rassismus ausgesetzt sind. Ein inhumanes europäisches Zuständigkeitssystem (Dublin), das Flüchtlinge in Europa wie Frachtgut hin und her verschiebt, kann offensichtlich nur mit einem menschenrechtsverletzenden Inhaftierungsprogramm ungeheuren Ausmaßes umgesetzt werden.

c) Mit dem Gesetzesentwurf wird ein maximal viertägiger „Ausreisegewahrsam“ nach richterlicher Anordnung eingeführt (§ 62b AufenthG-E). Dieser soll möglichst im Transitbereich der Flughäfen oder in zugriffsnahen Unterkünften vollzogen werden. Er kann angeordnet werden, wenn die Ausreisefrist überschritten worden ist und die Ausländerbehörde vermutet, dass der/die AusländerIn die Abschiebung erschweren oder vereiteln werden wird. Für den schwerwiegenden Eingriff in das Grundrecht auf die Unverletzlichkeit der Freiheit der Person muss wiederum als Begründung die Ermöglichung eines Verwaltungsaktes herhalten, allein weil dieser mit einem erheblichen organisatorischen Aufwand, wie bei Sammelabschiebungen üblich, einhergeht. In diesem Kontext droht der freiheitsentziehende Eingriff zum grundrechtswidrigen Regelfall zu werden.

2. Massive Ausweitung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes

Bisher konnten bereits ausgewiesene, zwangsweise zurück- oder abgeschobene Flüchtlinge mit einem auf maximal fünf Jahre befristeten Einreise- und Aufenthaltsverbot sanktioniert werden. Mit dem Gesetzentwurf kann dieses Verbot auf Asylsuchende ausgedehnt werden, deren Asylgesuche als „offensichtlich unbegründet“ abgelehnt oder deren Asylfolge- oder Zweitanträge nicht zur „Durchführung“ angenommen worden sind. Das Verbot kann bis zu drei Jahren EU-weit vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge angeordnet werden. Insbesondere dann, wenn eine „missbräuchliche“ Inanspruchnahme des Asylverfahrens vorzuliegen scheint, so heißt es in der Begründung zum neuen § 11 des Aufenthaltsgesetzes. Das wird beispielsweise für jene Asylgesuche aus sogenannten „sicheren Herkunftsstaaten“ regelmäßig angenommen. Mit der Ausweitung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes sollen über den generalpräventiven, also abschreckenden Effekt hinaus Verwaltungskapazitäten für die „tatsächlich schutzbedürftigen Flüchtlinge“ frei werden, heißt es. Aber das Ergebnis eines Asylverfahrens sagt noch nichts über das subjektive Schutzbedürfnis eines Menschen aus, der möglicherweise ohne Kenntnis der komplizierten Rechtslage ein Asylgesuch gestellt hat.

Gesetzlich jedoch wird damit das Vorurteil festgeschrieben, diese Menschen, aktuell vor allem Roma aus den Westbalkanstaaten, seien nur gekommen, um öffentliche soziale Leistungen beziehen zu können. Sie werden systematisch der missbräuchlichen Inanspruchnahme des Asylrechts bezichtigt und dadurch stigmatisiert. Die bloße Inanspruchnahme des Grundrechts auf Asyl wird durch den Gesetzesentwurf für diese Flüchtlingsgruppe sanktioniert und mit EU-weiten Einreiseverboten bestraft.

3. Das Freiheitsgrundrecht wird der Abschiebemaschinerie geopfert

Der zweite Teil des Gesetzentwurfes ist allein unter dem Vorsatz geschrieben worden, Abschiebungen mittels Freiheitsentzug zwangsweise durchsetzen und beschleunigen, sowie Ausgrenzungen unerwünschter Flüchtlinge vornehmen zu können. Dabei hat man in der CDU und SPD offensichtlich jegliches menschenrechtliche und humane Maß verloren. Denn die Inhaftierung von Flüchtlingen und Asylsuchenden wird mit diesem Gesetzesentwurf und seinen Eingriffsrechten extrem erleichtert. In das Grundrecht der Freiheit der Person wird allein aus Gründen, die Arbeit der Flüchtlingsverwaltung zu optimieren, schwerwiegend eingegriffen. Menschenrechtlich jedoch gilt es, die Abschiebehaft generell abzuschaffen.

Köln, den 3. März 2015

Der Innenausschuss des Deutschen Bundestags führte am 23. März 2015 eine Sachverständigenanhörung zum Gesetzentwurf durch. Die Stellungnahmen zahlreicher Expert_innen, NGOs und Initiativen sind abrufbar unter http://www.bundestag.de/bundestag/ausschuesse18/a04/anhoerungen/42_sitzung_inhalt/364474.

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