Publikationen / vorgänge / vorgänge 55

Das Bundes­kri­mi­nalamt (BKA) und seine geheim­dienst­liche Tätigkeit

vorgängevorgänge 5502/1982Seite 69-73

Abschied vom Legalitätsprinzip

aus: vorgänge Nr. 55 (Heft 1/1982), S. 69-73

Um es gleich vorweg zu sagen: Eigentlich darf das Bundeskriminalamt keinerlei geheimdienstliche Tätigkeiten ausüben. Wie jede Polizeibehörde, so hat auch das BKA als „Hilfsorgan der Staatsanwaltschaft“ – wie es in der Strafprozeßordnung heißt – die Aufgabe, begangene Straftaten aufzuklären. Auf keinen Fall dürfen sie mit nachrichtendienstlichen Methoden gegen Personen vorgehen, die keines Rechtsbruchs verdächtig sind. Das Ausleuchten ganzer Bevölkerungsgruppen, die sogenannte Vorfeldermittlung (z. B. die Bespitzelung politisch suspekter Organisationen) müssen sie ihren Kollegen vom Verfassungsschutz überlassen.

Diese Trennung hat einen guten Grund. Denn nach dem Krieg hatten die Alliierten das Reichssicherheitshauptamt, indem der Nazigeheimdienst und die Polizei unter einem Dach, Hand in Hand, Schreibtisch an Schreibtisch zusammenarbeiteten, aufgelöst. Seit 1945 darf die deutsche Polizei nicht mehr mit geheimdienstlichen Methoden arbeiten, und die Nachrichtendienste haben keine Polizeibefugnis.

Die Ausuferung der Polizeibefugnisse

So steht es zumindest auf dem Papier. Doch die Realität sieht heute anders aus. Durch Computerisierung und Zentralisierung, durch Amtshilfe und schrittweise Befugniserweiterungen ist bei der Polizei eine qualitative Veränderung eingetreten. Zunehmend wird sie – und an erster Stelle steht hier das BKA – von einer Strafverfolgungsbehörde zu einem gesamtgesellschaftlichen Kontrollinstrument, ihre Funktion ist nicht mehr nur kriminalistisch, sondern – um die Worte des ehemaligen BKA-Chefs Horst Herold zu gebrauchen – „gesellschaftssanitär“, und ihre Methoden und Arbeitsweise gleichen sich denen der Geheimdienste immer mehr an. Dies ist nicht etwa durch eine Gesetzesänderung geschehen, sondern peu á peu durchs Hintertürchen: durch Amtsverfügungen, behördeninterne Richtlinien, Beschlüsse auf der Ministerebene oder schlicht und einfach durch eine Polizeipraxis, die zwar nicht legal ist, aber als legitim ausgegeben wird.

Das Informationssystem

Seit seiner Gründung im Jahr 1951 hat das BKA eine ganze Reihe von Kompetenzerweiterungen erhalten. Durch die Novelle zum BKA-Gesetz von 1973 wurden ihm weitere Aufgaben zugeteilt:

  • der Schutz von Politikern (Abteilung Sicherungsgruppe);
  • die Bekämpfung des Internationalen Handels mit Waffen und Rauschgift (Abteilung EA);
  • die Terrorismusbekämpfung (Abteilung TE und ST);
  • und die wichtigsten: es wurde zur Zentralstelle im Polizeibereich für den elektronischen Datenverbund.

Das alles hört sich noch ganz harmlos an. Doch bei näherem Hinsehen wird deutlich, daß die BKA-Computer heute nicht ausschließlich auf die Strafverfolgung ausgerichtet sind. Über 6 Millionen Bundesbürger sind hier inzwischen registriert. Es soll an dieser Stelle keine Übersicht über die einzelnen Dateien gegeben werden – entsprechende Ausführungen hierüber sind ausreichend vorhanden.

Nachdem es zwischen dem Bundesinnenministerium und dem Bundeskriminalamt vor zwei Jahren zu einem Gerangel über den Sinn gewisser Dateien (z.B. die Kommune-Datei) gekommen war, ist vor kurzem festgeschrieben worden, was das BKA alles sammeln darf. Neue „Richtlinien für die Errichtung und Führung von Dateien über personenbezogene Daten beim BKA“ sind am 1. März dieses Jahres inkraft getreten. Wenn man diese Richtlinien genau liest, dann wird zumindest eines klar: daß die Diskussion um die Gefahr des „gläsernen Menschen“ bei der Polizei vor allem eines ausgelöst hat, das krampfhafte Festhalten an allen nur erreichbaren Informationen.

Alle werden erfaßt: Anzeigeerstatter, Hinweisgeber, Zeugen, Geschädigte. Selbst vor Kindern unter 14 Jahren macht der Computer nicht halt. Deren Eltern werden von der Erfassung ihrer Sprößlinge nur dann benachrichtigt, wenn ausgeschlossen ist, daß „durch die Unterrichtung der mit der Speicherung verfolgte Zweck gefährdet würde“.

Auch Angaben über Selbstmorde und Selbstmordversuche, Hinweise auf Suchtkrankheiten und psychische Störungen – alles darf in den Polizei-Computern festgehalten werden. Angaben über Vorstrafen werden auch dann noch registriert und weitergegeben, wenn diese im Bundeszentralregister längst gestrichen sind – wie es das Gesetz vorsieht.

Löschen muß die Polizei ihre Daten erst, „wenn der Betroffene das 70. Lebensjahr erreicht hat oder aber, wenn zehn Jahre lang die Voraussetzungen für eine Aufnahme von Daten nicht vorlagen“. Kommentar des Berliner Staatsrechtlers Professor Egbert Schwan: „Wenn zehn Jahre lang diese Voraussetzungen nicht vorlagen, wurde zehn Jahre lang illegal gespeichert. Das ist zehn Jahre lang fortgesetzter Rechtsbruch“.

Nach den neuen Richtlinien ist jede Registrierung erlaubt, wenn „zureichende tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, daß dies zur Aufklärung oder vorbeugenden Bekämpfung schwerwiegender Straftaten erforderlich ist“. Und unter diese Definition fällt jeder. Diese „vorbeugende Verbrechensbekämpfung“, jetzt festgeschrieben, ist für den Bundesdatenschutzbeauftragten Prof. Bull der „eigentliche Kasus Knaktus“. „Vorbeugung“ – das ist längst nicht mehr ein Markenzeichen für Zahnpasta, sondern das Zauberwort der Polizei, mit dem sie ihre Sammelwut gegen alle Kritiker verteidigt. Denn Prävention kann die Polizei logischerweise nur dann praktizieren, wenn sie die Bundesrepublik mit einem perfekten Informationssystem überzieht, einem System, nach dem sich die Nazis die Finger geleckt hätten. Die „aktive Verbrechensvorbeugung“ (BKA-Originalton) bedeutet: daß jede Lebensäußerung registriert und in Computern gespeichert wird, ohne daß eine konkrete Straftat auch nur in Sicht wäre. Vorbeugung bedeutet: daß jeder Grashalm im großen Heuhaufen so lange verdächtigt wird, registriert und observiert werden muß, bis er nicht den Beweis erbracht hat, daß er keine Stecknadel ist. Vorbeugung bedeutet: Prophylaktische Überwachung aller Bürger, denn jeder ist ein potentieller Straftäter, der je irgendwann einmal auf die Idee kommen könnte, Böses zu tun.

Der kriminalpolizeiliche Anspruch, dem Verbrechen so vorzubeugen, ist nicht nur maßlose Selbstüberschätzung, sondern er läuft dazu auf das hinaus, was die Polizei laut Gesetz nicht darf: Vorfeldermittlungen durchführen, Geheimdienstarbeit leisten.

Amtshilfe

Eine weitere Methode, mit der die formale Trennung zwischen Geheimdienst und Polizei umgangen wird, besteht in der Amtshilfe. Mit diesem Medium öffnet sich das BKA alle Türen und Computer. Gegenseitige Hilfe müssen sich alle Behörden der Bundesrepublik leisten. So fotografiert der Bundesgrenzschutz – deklariert als Amtshilfe – mal für den Bundesnachrichtendienst Personalpapiere von DDR-Reisenden, ein anderes Mal meldete er dem Bundesamt für Verfassungsschutz alle Personen, die bei Grenzübertritten linke Literatur mit sich führten.
Juristisch ist das – vorsichtig ausgedrückt – doppelt bedenklich. Denn zum einen hat der BGS, wie der Name schon sagt, die Grenzen zu schützen und keine Liebesdienste für den Verfassungsschutz auszuführen und Bürger zu bespitzeln und zum anderen verfügen BND und BfV ausdrücklich über keinerlei polizeiliche Befugnisse. Erst die Amtshilfe macht’s möglich und hebt die vom Gesetzgeber gewollte Trennung langsam auf.

Zur Klärung der Frage, inwieweit Amtshilfe für den Geheimdienst noch legal sei, gab das Bundesinnenministerium sechs juristische Gutachten in Auftrag. In diesen Gutachten wurde ausgeführt, daß die Amtshilfeleistung an den BND rechtlich problematisch sei und daß eine Neuregelung der Amtshilfebestimmungen geboten ist.

„Nach dem Beschluß der Ständigen Konferenz der Innenminister vom 27. Januar 1972 (…) ist ein gemeinsames, arbeitsteiliges, elektronisches Informations- und Auskunftssystem für die gesamte Polizei (INPOL) in der Bundesrepublik mit dem BKA als Zentralstelle zu errichten. Das System muß für die Befriedigung der gemeinsamen Informationsbedürfnisse der Polizei ausgelegt sein. Dazu gehört auch der Zugriff auf polizeirelevante Daten von anderen Informationssystemen“ – so heißt es in einer BKA-Schrift. Dieser Zugriff des BKA auf andere Datenbestände wird ständig betrieben – und via Amtshilfe ist das alles ganz legal. Gesundheits- und Einwohnermeldeämter, Sozialbehörden und Finanzämter – alle lassen sich vom BKA in die Karten gucken und rücken die gewünschten Informationen heraus. Auch Unternehmen müssen zuweilen mitfahnden – wie im Falle der Hamburger Elektrizitätswerke, die im Rahmen der umstrittenen Rasterfahndung ihre Kundenlisten herausgeben mußten.

Wenn das Argument „Amtshilfe“ allein nicht zieht, dann gibt es eben einen Beschlagnahmebeschluß des Bundesgerichtshofes (Fall Rasterfahndung), dessen Begründung dermaßen dürftig war, daß er bis heute geheimgehalten werden muß.

An wen das BKA alles Informationen aus seinem großen Computer herausgibt, ist jetzt ebenfalls in den neuen Richtlinien festgeschrieben worden:

  • Zur Strafverfolgung an die Justiz- und Finanzbehörden;
  • an Bundesbahn, an Ausländer- und Einbürgerungsbehörden;
  • an den Verfassungsschutz, den Militärischen Abschirmdienst, den Bundesnachrichtendienst;
  • an die Sicherheitsorgane der NATO-Truppen;
  • an ausländische Sicherheitsbehörden, „wenn dies zur Aufklärung oder Verhütung von Straftaten im In- oder Ausland notwendig ist“.

Im Klartext: Wenn irgendeine Bananenrepublik eine angebliche Straftat meint „verhüten“ zu müssen, ist das BKA zur Stelle und schickt die gewünschten Informationen aus seinem Computer in die Diktatur.

Einziger Bürgertrost: Die Zusammenkopplung des Verfassungsschutz-Computers mit den BKA-Datenspeichern, die beiden Ämtern den direkten und unkontrollierbaren Zugriff ermöglicht hatte, wurde wieder abgeschafft. Auch der Gutgläubigste wird kaum annehmen, daß diese Entscheidung lediglich auf fundiertes Demokratieverständnis der Sicherheitsbehörden zurückzuführen ist; wahrscheinlich ist es vielmehr der ewige Futterneid zwischen Verfassungsschutz und BKA á la „Wer ist der größte Fouché?“

Überwachung

Mit elektronischer Hilfe observiert das BKA langfristig ganze Personengruppen – in die Geschichte der Bundesrepublik unter dem Namen „BeFa“ (Beobachtende Fahndung) eingegangen. Mittlerweile hat das Kind zwar einen neuen Namen bekommen, aus BeFa wurde „Polizeiliche Beobachtung“, aber inhaltlich geändert hat sich wenig. All die Personen, die der „Polizeilichen Beobachtung“ unterliegen, sind nicht Objekt eines konkreten staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens. Dennoch nimmt das BKA von ihnen eigenmächtig an, daß sie trotzdem irgendwie suspekt seien (z.B. als Sympathisanten, Kuriere). Deren Grenzübertritte werden elektronisch gespeichert, sodaß sich die Reisebewegungen – so der Polizeijargon – einer ganzen Gruppe ausmachen lassen und für die Polizei Fahndungsansätze ergeben können. Was kriminalistisch sicherlich aufschlußreich, aber rechtsstaatlich nicht zu vertreten ist. „Die beobachtende Fahndung ist eine Umgehung der Schwelle des Polizeirechts“ – so zitierte der „Spiegel“ einen nicht genannten eifersüchtigen Verfassungsschützer -„die Herren dürfen nicht Geheimdienst spielen“.

Agenten und Legalitätsprinzip

Über das Legalitätsprinzip möchte die Polizei in der Öffentlichkeit am liebsten überhaupt nichts sagen. Denn das ist der Punkt, wo sie am empfindlichsten ist und wo Gesetzesbestimmungen und Praxis am weitesten auseinanderklaffen.

Nach diesem Prinzip ist die Polizei verpflichtet, jede Straftat, von der sie Kenntnis erhält, anzuzeigen und zu verfolgen. Ihre Kollegen von den Geheimdiensten haben es da einfacher, sie dürfen – wie die Opportunität es gerade verlangt – bei Rechtsbrüchen beide Augen zudrücken. „Bei der Verbrechensbekämpfung ist der Verfolgungszwang eher hinderlich“ – war in der Fachzeitschrift „Kriminalistik“ schon vor elf Jahren zu lesen.

Seitdem versucht die Polizei, sich von dieser lästigen Fessel zu befreien. In der Rauschgiftszene haben sie ein Agentennetz aufgebaut, ihre V-Leute sind Straftäter, die sich durch ihre Spitzeldienste Strafrabatt und Handgelder verdienen – oder aber beamtete Polizisten: „Um unserer Rolle weiterhin gerecht zu werden und den Auftrag auch zu einem erfolgreichen Abschluß zu bringen, mußten wir nun gelegentlich selbst mitrauchen oder aber als Händler in Erscheinung treten“ – so beschreiben zwei Berliner Kriminalhauptmeister ihren siebenmonatigen Sondereinsatz in der Drogenszene.

Wenn Beamte ihre Anzeigepflicht verletzen oder im Einsatz selbst Straftaten begehen, so wird dies von Gerichten und Staatsanwaltschaften grundsätzlich gedeckt – es reicht der Hinweis auf § 34 Strafgesetzbuch (übergesetzlicher Notstand). Und das kommt einem generellen Freibrief für die Polizei gleich. „Deshalb erscheint es bis zum Inkrafttreten der angestrebten gesetzlichen Regelung vertretbar, übergangsweise das Fehlen einer Eingriffsermächtigung hinzunehmen und die Zulässigkeit solcher Maßnahmen allein auf § 34 StGB zu stützen“ – heißt es in einem internen Papier des baden-württembergischen Landeskriminalamtes. Wo die gesetzliche Regelung fehlt, da handelt die Polizei eben ohne.

Eine gesetzliche Regelung ist bis heute nicht zu Papier gebracht worden, wenn man einmal von behördeninternen Richtlinien absieht. Erwogen wurde auf Polizeiebene bisher die Schaffung einer polizeilichen Sonderbehörde oder aber die Befreiung bestimmter Kriminalbeamter vom Legalitätsprinzip.

Ein entsprechender Gesetzestext könnte etwa folgenden Wortlaut haben: „Die Polizei ist verpflichtet, jede Straftat zu verfolgen, es sei denn, daß sie von einem Kollegen im Dienst begangen wurde.“

Dateien

nach oben