Die AG „Bürger beobachten die Polizei in Berlin
Bürger spitzfindig, oder: Wem gehört die Polizei?
aus: vorgänge Nr. 55 (Heft 1/1982), S. 22-27
„Bürger beobachten die Polizei” – eine Namensgebung, die schon gegen den Strich deutscher Vereinsmeierei geschrieben scheint. Da ist etwas Schnüfflerisches, etwas von Observation. Vielleicht ganz gut, wenn das andere machen, aber selbst mag man von solchem Verein nicht viel wissen. Und sei es allein, weil der Name eine Situation beschreibt, für die im gelebten Alltag jede Referenz fehlt, weil der „Betroffene” in Konfrontation mit der Polizei nicht mehr oder nur selten als Subjekt selbst handelt bzw. handeln kann. Er ist gewissermaßen „ausgebürgert”, ein Status, den die Umstehenden oft nur allzu gut bebildern: wenn sie nicht be(ob)achten oder nur „gaffen”. Das, was normalerweise Garantie von Rechtssicherheit ist, nämlich das wachsame Auge der Öffentlichkeit, fehlt.
Die „AG Bürger beobachten die Polizei” (BüPo) ist ein Zusammenschluss unabhängiger, nur sich selbst repräsentierender Bürger, die sich seit Sommer 1979 regelmäßig treffen. Am 3.12.1979 hat sich die AG in Berlin offiziell als Verein konstituiert. Angeregt durch das Beispiel des Amsterdamer „Klachtenbüro Politie Optreden” versteht sie sich als Anlaufstelle für von Polizeiübergriffen Betroffene, will darüber hinaus solche Fälle dokumentieren und in geeigneter weise publizieren. Damit stellt sie die institutionell-repräsentativen Polizeikontrollen wie Parlament und Justiz direkt infrage, angesichts deren Versagen sie die Möglichkeiten und Spielräume bürgerlicher Kontrolle der Polizei neu zu bestimmen sucht.
„Die Geschäftsstelle dieser Vereinigung ,Bürger beobachten die Polizei‘ befindet sich bei der Humanistischen Union in Berlin. Das Material und die Quellen, die dort verarbeitet werden, sind auch benutzt worden von der Liga für Menschenrechte, die vor einiger Zeit eine Dokumentation herausgegeben hat, die sich auf Fälle bezog, mit denen wir uns auseinandergesetzt haben. Und die Zeugen, die dort zu Wort kommen, sind Zeugen der sogenannten Antifa, und das wiederum sind solche Leute, die, wie in letzter Zeit festzustellen war, auch bei dem Häuserkampf in Berlin-Kreuzberg anwesend waren, das sind die Leute, die z.B. das dpa-Büro in Frankfurt besetzt hatten, die das Amerikahaus in Berlin besetzt hatten und dort offene Propaganda für die RAF, für die Bewegung 2. Juni, für die Brigade Rossa machten, und das sind Leute, die auch in Zürich jedenfalls in einem Fall festgenommen worden sind bei den dortigen Krawallen.”
So flugs entfaltete der Berliner Polizeipräsident Klaus Hübner – am 27.8.1980 im ZDF-Magazin – die terroristische Genealogie der BüPo. Eine irrige Darstellung: die von ihm als „sogenannte Antifa” Bezeichneten verdankt Hübner einer von der ,Liga für Menschenrechte herausgegebenen Broschüre, in deren Mittelpunkt der Polizeieinsatz gegen eine antifaschistische Demonstration am 30. 1. 1979 stand: die Zeugen dieser Demonstration werden in der Dokumentation abgekürzt als »Antifa-Zeugen“ bezeichnet … Eine solche Reaktion ist aber nicht allein peinlich, sondern vor allem kompromittierend: für den Stellenwert ziviler Rechte in Deutschland, wo bürgerliche Freiheiten seit jeher nur im Schweiß der Staatssicherheit kondensieren.
Die Abgrenzung zwischen der bürgerlichen Freiheitssphäre und der „Staatsaktion” wird, als Kompromiss zwischen einem schwachen Bürgertum und der monarchischen Exekutive, Gegenstand des ab 1860 entstehenden Verwaltungsrechts, dessen Teil das Polizeirecht ist. Mit der polizeirechtlichen Generalklausel von der Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung wird der Sicherheitsvorbehalt der Exekutive formuliert. Und zwar nicht – wie in Frankreich oder England – als eine der Volkssouveränität oder der Suprematie des Parlamentes untergeordnete Bestimmung, sondern als unmittelbare Aufgabe des Staates, als Bedingung seiner Existenz Sicherheit heißt in Deutschland das vordemokratische Taufbecken des bürgerlichen Staates.
Realitätsverlust
Bereits im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts rückt damit die Polizei als solche aus der bürgerlichen Kritik, wird einzig nach „Effizienzkriterien” diskutiert und in der Folge auch weitgehend aus dem Wahrnehmungsbereich bürgerlicher Öffentlichkeit überhaupt „In dem Maße, wie sich historisch das Interesse des liberalen Bürgertums und später auch der Sozialdemokratie mit der Erhaltung staatlicher Macht verband, in dem Maße, wie das Misstrauen gegen den innerstaatlichen Gewaltapparat dem Interesse an der Ausschaltung lästiger Kritiker wich, wurde die Kritik an Polizei und Staat zu einem Monopol linker Gruppen. Dies nicht zuletzt deshalb, weil Linke als maßgeblich Betroffene staatlicher Repressionen ein dringendes Interesse an ihrer Minderung hatten“ (1).
Dies „dringende Interesse” linker Gruppen, denen auf diese weise die Polizeikritik weitgehend zugeschoben war, garantierte freilich alles mehr als eine spürbare Kontrolle der Polizei, die deren Verhalten tatsächlich hätte beeinflussen können. Die Ausgangssituation linker Polizeikritik beschreibt sich eher als Topographie aus Resignation, Kleingruppenmentalität und dem Zuschneiden der Kritik auf die Interessen eines gesellschaftlich relevanten Adressaten, von dem aufgrund von Analyse oder auch bloßer Illusion Hilfe erwartet wird. In solcher Landschaft gedeihen nebeneinander ojektivistische und spontaneistische Varianten von Polizeikritik, die Strategie „Gewerkschaftlicher Orientierung”.
Was für die einen stets nur als Fall des namenlosen „einer von uns” verhandelt wird, die Konfrontation mit der Polizei, deren Einsätze systematisch als „Ausdruck” des lange schon erkannten gesellschaftlichen Ordnungsprinzips skandalisiert werden, wandelt sich im Munde von anderen zur „Betroffenheit” – der jeweiligen, versteht sich. Polizeikritik mit extra-territorialem Status, vorgetragen von einem moralischen und kulturellen Kontinent, dessen Zugehörigkeitskriterium in dem Maße subjektiv freigestellt bleibt, wie es die Ablehnung traditioneller Politik und der damit wie auch immer umfassten Realität erweitert.
Genau darauf rekurrieren aber die Vertreter der „Gewerkschaftlichen Orientierung”, im Notbehelf durch eine Mechanisierung von Politik und Polizei. Der lohnabhängige, möglichst gewerkschaftlich organisierte Polizeibeamte wird ans richtige Ufer des gesellschaftlichen Antagonismus definiert. Aber im Eifer der Distanzierung von „Sektierern” und „Chaoten” bleibt von der Abgrenzung unverstanden, was an ihr Ausgrenzung ist. Und wenn sie dann erfahren wird, muss sie verschwiegen werden: aus der Polizeikritik wird deren taktische Variante, die der gesellschaftlichen Ortsbestimmung ihrer Träger mehr verpflichtet ist als den Anforderungen einer wirksamen Kontrolle des innerstaatlichen Gewaltapparats. Und damit fällt sie zurück ins grundlegende Dilemma linker Polizeikritik: ihren scheinbar unvermeidlichen Realitätsverlust.
Dokumentation
Auf diesem Hintergrund, der teils auch der einzelner Mitglieder der BüPo ist, verstehen sich die Konturen ihres Verständnisses bürgerlicher Polizeikontrolle: neben dem direkten Beistand eine Form von Polizeikritik, die strikt auf der Basis des Dokumentationsprinzips verbleibt und auf ein Credo politischer Aprioris verzichtet. Der politische Konsens innerhalb der Gruppe hat nicht länger die Einigkeit gemeinsamer Analyse zum Gegenstand, sondern ist eine auf ein spezifisches Problem gerichtete Arbeitsform. Worin sich der spezifische Unterschied der BüPo gegenüber allen ihr vergleichbaren Vorgängern in Deutschland begründet.
Anders als bei Ermittlungsausschüssen, wie etwa dem studentischen zur Polizeiaktion gegen die Anti-Schah-Demonstration am 2. Juni 1967, im Unterschied auch zur „Roten Hilfe” und der „Arbeiterphotographenbewegung” der Weimarer Republik, handelt es sich bei der BüPo weder um ein Selbsthilfeorgan gegenüber der Polizei noch überhaupt um einen unmittelbar mit dem Ziel einer politischen Bewegung verbundenen „Polizeibeobachter”. Das Interesse der Gruppe erschöpft sich mithin nicht allein an Fällen mit politischem Hintergrund, sondern richtet sich auch und gerade auf die alltäglichen Übergriffe, deren Akzeptanz vonseiten des Bürgers noch am deutlichsten die „Normalität” polizeilichen Handelns auszudrücken vermag. Was wiederum eine dauerhafte Polizeibeobachtung voraussetzt, ganz im Unterschied zu einer Vorgehensweise, die an spektakulären Einzelfällen „anzusetzen” sucht.
Die AG BüPo ist mithin darauf verwiesen, den Bezug zu den Betroffenen jeweils erst „schaffen” zu müssen – mit allen Einschränkungen, aber auch Möglichkeiten, die in solcher Formulierung zum Ausdruck kommen. Prekär insofern, als dieser Bezug stets dem historisch gewordenen Spannungsfeld aus bürgerlicher Nicht-Öffentlichkeit und genötigter linker Wachsamkeit ausgesetzt bleibt. Genau dadurch aber hat die BüPo ihre Adressaten nicht mehr nur im linken Lager. Der Dokumentationsstil bietet, wenn auch keine Versicherung gegen Realitätsverlust, so doch die größtmögliche Chance, sich immer wieder mit der Realität von Polizei und Polizeiübergriffen auseinander zusetzen, die Normalität nicht aus den Augen zu verlieren. Die BüPo richtet sich an die Öffentlichkeit, mit dem Ziel zu überzeugen, Beweise, triftige Anzeichen für Rechtsbrüche durch die Polizei vorzulegen. Ob und wo sie am Ende Adressaten für ihre Argumente findet, wird wesentlich vom Durchhalten des Dokumentarstils in der öffentlichen Auseinandersetzung abhängen.
Demokratieverständnis
„Der Senat betrachtet die Bildung der genannten Arbeitsgruppe mit Gelassenheit. Er ist indes der Auffassung, dass die Mitglieder der Arbeitsgruppe ein Misstrauen offenbaren, das von mangelndem Demokratieverständnis zeugt. Denn es richtet sich nicht nur gegen die Polizei, sondern auch und besonders gegen das Berliner Abgeordnetenhaus und seine Ausschüsse als die verfassungsgemäß zuständigen parlamentarischen Kontrollinstanzen. Durch diese Gremien werden die Rechte des Bürgers und der Öffentlichkeit voll gewahrt, so dass eine Existenzberechtigung einer außerparlamentarischen Gruppe kaum zu begründen ist. Die Berliner Polizei ist ein demokratisches, der Rechtsstaatlichkeit verpflichtetes Exekutiv-Organ. Verhalten und Leistung der Berliner Polizei in der Vergangenheit verdienen Anerkennung und Vertrauen der Bürger unserer Stadt.”
So der Berliner Senat – „mit Gelassenheit“ – am 4. 10.1979 auf eine kleine Anfrage in Sachen BüPo. In dieser Antwort sind bereits alle Elemente des Widerspruchs enthalten, die gegen eine Bürgerinitiative zur Polizeikontrolle seither vorgebracht wurden. Und mit solcher Kritik hat sich die BüPo allerdings auseinander zusetzen, stellt doch allein schon ihre Präsenz sowohl die „verfassungsmäßigen Kontrollorgane” in Frage als auch eine Reihe gepflegter Thesen über Funktion und Einsatz der Polizei. Etwa jene, derzufolge die Polizei selbst die Demonstrationsfreiheit schütze, wenn nicht gar verkörpere.
Aus heutiger Sicht etwas delikat, begründete Polizeipräsident Hübner diese These noch bis Ende 1979 mit dem Hinweis auf die sinkenden Ziffern von Demonstrationsdelikten: „Die Bürger unserer Stadt machen zunehmend Gebrauch von ihrem Recht auf öffentliche Meinungsäußerung bei Aufzügen und Kundgebungen. 1968 endeten von 109 Veranstaltungen 47 unfriedlich. Das waren 48,9 %. Im laufenden Jahr hatten wir bis Anfang Dezember 1979 303 Veranstaltungen, von denen nur noch drei, nämlich 1%, unfriedlich verliefen. Dies sagt mehr über den polizeilichen Schutz der wichtigsten Grundrechte aus, als das misstönende Geräusch, mit dem diese Tatsachen übertönt werden sollen“ (2). Und noch im Februar dieses Jahres, erstaunlich genug, vertrat Innensenator Ulrich ähnliches: „Es gibt keine Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Instandbesetzern. Das gibt es nicht, sondern der Ausgangspunkt liegt ausdrücklich bei Gewalttätern“ (3).
Es ist einsichtig, dass unter solchem Blickwinkel die Grundrechte des Bürgers der Handhabung durch die Polizei zufallen. Aus solchem Verständnis müssen in der Folge Konflikte zwischen Bürgern und der Polizei geleugnet werden. Oder es taucht notwendig und ohne Überprüfung im Konkreten der „Gewalttäter” auf. „Indem sie die Bürgerrechte verwalterisch an sich zieht, muss ein politischer Angriff auf die Polizei auch immer ein Angriff auf Demokratie und Bürgerrechte darstellen“ (4).
In den Reihen der Polizei selbst hält man der BüPo vor allem die Vorstellung disziplinarischer Selbstreinigung entgegen, die gegen die „schwarzen Schafe” ausreiche. Dass es bei der Ermittlung von Polizisten gegen Polizisten unweigerlich zu einem Loyalitätskonflikt kommen muss, dass es so etwas wie Corpsgeist gibt, scheint da beinahe ein unziemlicher Hinweis. Aber die konziseste Formulierung solchen Verdachts geht auch nicht auf einen Kritiker der Polizei zurück, sondern auf den Berliner Vorsitzenden der „Polizeigewerkschaft im Deutschen Beamtenbund” (PDB) Egon Franke: „Zwar gehört die Sicherheit dem Bürger, aber die Polizei gehört den Polizisten“ (5).
Rechtsstaat
Nun ist die PDB mit Sicherheit nicht die aufgeschlossenste Interessenvertretung, und die wesentliche Kritik einer bürgerlichen Polizeikontrolle im Sinne der BüPo ist von anderem Gewicht als markiger Satz. Die sehr viel offenere „Gewerkschaft der Polizei” (GdP) verweist denn auch angesichts der von der Gruppe vorgetragenen Argumente auf die Zuständigkeit der Gerichte und warnt vor der Massierung von Negativvorstellungen.
Vor der Personalrätekonferenz der GdP auch formulierte Innensenator Ulrich den entscheidenden Einwand gegen die von der BüPo vertretene Konzeption, als er ihr vorwarf: „Sie wolle die Polizei in ihrer Substanz als demokratischen und rechtsstaatlichen, den verfassungsmäßigen Instanzen verantwortlichen Ordnungsfaktor treffen“ (6).
Die selbst ernannten Kontrolleure der Polizei implizieren, ob sie dies wollen oder nicht, allein schon mit ihrem Anspruch eine Bankrotterklärung der „verfassungsmäßig zuständigen Instanzen”. Das heißt, es ist zu prüfen, ob und inwieweit etwa das Parlament seiner Rolle als Kontrollorgan gerecht wird.
Ein solcher Versuch stößt freilich auf Hindernisse, auf die schon angesprochene fatale Identifikation von Staat und Sicherheit. Und es gibt kaum einen staatlichen Bereich, der mehr Tendenzen zur Geheimhaltung hätte als eben der der Inneren Sicherheit. Entscheidungsrelevante Informationen sind dem Plenum entzogen, an Fachausschüsse delegiert, mithin nunmehr Gegenstand von Expertenüberlegungen, nicht aber von grundlegender politischer Diskussion. Wobei die Möglichkeit distanzierter Beurteilung der mit der Polizei mindestens in Informationssymbiose lebenden Fachausschüsse noch ein ganz eigenes Problem darstellt. Aber unter Verweis auf eben deren Zuständigkeit hat der Berliner Innensenator Ulrich selbst Fragen zum Stand der Planung auf dem Gebiet des Zivilschutzes und nach der Stärke der Bereitschaftspolizei als „öffentlich nicht beantwortbar” qualifiziert. Angesichts solcher Zurückhaltung ist es denn auch kaum mehr überraschend, dass die Mehrzahl der Gesetzesvorlagen zur inneren Sicherheit im Plenum ohne Debatte verabschiedet wird. Diese Aushöhlung tatsächlicher parlamentarischer Kontrolle hat in Fragen der inneren Sicherheit einen „Allparteienkonsens” weniger geschaffen als schleichend eingeführt, der an Bruchstellen sehr deutlich erkennbar wird. So verteidigt sich etwa die F.D.P., wegen ihrer Forderung nach Kennzeichnung von Polizisten, wie folgt: „Die F.D.P.-Fraktion ist nach wie vor der Auffassung, noch auf dem Boden der Verfassung zu stehen, wenn sie die Polizisten nicht nur als Exekutivorgane zur Durchsetzung von Ordnung, sondern auch als Garanten für Rechtsstaatlichkeit versteht“ (7). Verworrener kann man seine Sache kaum vertreten: Oder fordert die F.D.P. die Aufhebung der Anonymität der bewaffneten Staatsmacht, die der Polizist schließlich repräsentiert, damit dies dem Bürger gegenüber der Polizei als „Garanten der Rechtsstaatlichkeit” nutze?
Fallroutine
Für den Alltag legislativer Kontrolle gegenüber der Polizei mag das nachfolgende, von der AG BüPo dokumentierte Beispiel stehen: Der Fall des Österreichers Norbert K., 53 Jahre, der im Polizeirevier Friedrichstraße – um die Ecke der Ausländerbehörde Puttkamerstraße – krankenhausreif geschlagen worden war, ist von der AG BüPo an die Zeitschrift Der Stern weitergegeben worden, die diesen Skandal in ihre Rubrik „Behördenwillkür” aufnahm. Die Reaktion der Volksvertreter auf diesen Pressehinweis bestand in der kleinen Anfrage des Abgeordneten Reinhard Führer (CDU):
1. Treffen Presseberichte zu, wonach der Österreicher Norbert K. von Berliner Polizeibeamten auf einer Polizeiwache krankenhausreif geschlagen wurde?
2. Wenn ja, wie kam es zu solchen Handlungen?
3. Wenn nein, wird dann der Senat in geeigneter Weise gegen den Verfasser bzw. Verleger dieses Presseberichtes vorgehen?“ (8)
Norbert K. verklagte die Polizisten wegen Körperverletzung im Amt und erhielt als Retourkutsche eine Anzeige wegen Beleidigung und Widerstands. Letzteres Verfahren meint der Senat, wenn er antwortet:
Zu 1.: Ein in gleicher Sache eingeleitetes strafrechtliches Ermittlungsverfahren ist noch nicht abgeschlossen. Es kann deshalb gegenwärtig zur Angelegenheit nicht Stellung genommen werden. Nach Abschluss des Verfahrens wird der Senat entsprechend berichten. Es wird daher um Fristverlängerung bis Ende Dezember 1980 gebeten,
Wolfgang Lüder, Bürgermeister, Senator Harry Ristock für den Senator für Inneres“ (9).
Vermeinte Öffentlichkeit
Ein solcher Fall, der Anspruch der BüPo überhaupt, publizistische Aktion zu initiieren, stellt Fragen an die Relevanz und Reichweite von Polizeikontrolle durch Massenmedien. Anders als die parlamentarische Kontrolle, die sich oft nur als Schutzschild der zu kontrollierenden Polizei gegen von „außen” kommende Kritik erweist, müssten die Massenmedien doch genau jene Öffentlichkeit schaffen, die anzusprechen die AG BüPo sich zum Ziel gesetzt hat.
Dass eine effektive Polizeikontrolle vonseiten der „veröffentlichten Meinung” nicht ausgeübt wird, hat eine Vielzahl von teils sehr vermittelten Gründen. Unmittelbar einsichtig jedoch, dass auch hier die „Informationsherrschaft” der Polizei eine wichtige Rolle spielt, d. h. ihre „Definitionsmacht”, die umso ungebrochener ins Medium gelangt, je kürzer dessen Erscheinungszeitraum ist und damit auch die Zeit für Eigenrecherche. Dabei ist es ohnehin bereits eher die Ausnahme, wenn die Berichterstattung über Polizei und Gerichte das Feld bloßer Kriminalberichterstattung verlässt, in der die Polizei per se stets als Organ der Verbrechensbekämpfung auftritt. Hier auch lässt sich die mediale Zurichtung polizeilicher Normalität verfolgen, die – auf wie immer dubiosen – Nachrichtenwert zielt: Kriminalität als gesellschaftliche Wirklichkeit ist in den Medien dieser Gesellschaft nur noch als spektakuläres Kapitalverbrechen aufzufinden.
Vielleicht noch wesentlicher für das Scheitern einer Öffentlichkeitsfunktion der Medien gegenüber der Polizei ist jener fatale „Erklärungsjournalismus”, der, ausgehend von sogenannten „Statements”, stets nur verlautbart, was ohnehin alle wissen oder so nicht (mehr) wissen wollen. Aber Erklärungen sind immer relevant, repräsentieren sie doch die Meinung einer Gruppe oder Organisation, drücken – anders als Dokumentation oder Schilderung – eine Entscheidung aus und sind demzufolge Nachricht. Gleiches wird von Diskussion eben nicht behauptet. Zudem lassen sich „Statements” gut „behandeln”, in Anführungsstriche setzen, in indirekte Rede um stülpen, und solche Gelenkigkeit weiß zu schätzen, wer ausgewogene, objektive Berichterstattung fabrizieren soll. In der Summe bleibt damit von der Polizeikontrolle durch die Massenmedien ausgenommen, was sich mit zwei – offenbar kongruenten – Adjektiven beschreibt: „alltäglich” und „nicht von öffentlichem Interesse”.
Reichweiten
Wenn aber schon die institutionellen Kontrollen der Polizei nicht greifen, dann muss sich die AG BüPo allerdings die Frage stellen, ob eine Polizeikontrolle, die nicht einmal die Weihen der Repräsentanz vorzuweisen hat, sondern nur das partikulare Interesse einzelner Bürger, bis in die Praxis der Polizei hineinreichen kann, deren Verhalten zu kontrollieren vermag.
Dieser Handlungsspielraum erscheint auf parlamentarisch-juristischer Ebene sehr begrenzt, bleibt gebunden an das Verständnis einzelner Abgeordneter, die u. U. zu einer kleinen parlamentarischen Anfrage bereit sind, bleibt beschränkt auf die Vermittlung von guten und billigen Anwälten an von Polizeiübergriffen betroffene Bürger. Ohne die Bedeutung solcher Hilfe herabzusetzen, bleibt doch die Feststellung gültig, dass eine wirklich aktive Rolle, z. B. als anerkannte Vertreterin von Betroffenen, für die Gruppe auf lange Sicht ausgeschlossen bleibt. Weder gibt es entsprechende nicht gerichtliche Klagewege wie in England, Holland, den USA und vielen skandinavischen Ländern. Noch ist die Gruppe, noch ist überhaupt eine Bürgerrechtsorganisation in der Bundesrepublik Deutschland und West-Berlin soweit öffentlich anerkannt, dass sie in direkte Unterhandlungen mit der Polizei über einen bestimmten Polizeiübergriff treten könnte.
Die Möglichkeiten der BüPo zu bürgerlicher Polizeikontrolle, die sich über publizistische Aktion an die Öffentlichkeit vermittelt, erscheinen bereits aussichtsreicher – oder jedenfalls ambivalenter. Immerhin ist vorstellbar, dass die strikte Dokumentationsarbeit und unmittelbare Gegenbeweisdarstellungen zur polizeilichen Version eines Vorfalls, wie sie bisher bereits in einigen (wenigen) Fällen gelungen ist, der Gruppe solchen „moralischen Kredit” verschafft, dass die Eingangsschwelle zu bestimmten Medien und bei bestimmten Journalisten merklich absinken könnte.
Dabei ist allerdings nicht zu übersehen, dass der polizeiliche Informationsapparat im unverhältnismäßigen Vorteil bleiben wird. Und auch nicht die Gefahr, dass nach dieser – vonseiten der Polizei und des Senats durch heftige Irritation gekennzeichneten – Eingangsphase die Arbeit der Gruppe totgeschwiegen ins Leere läuft. Ob das Interesse der Medien am virulenten Konflikt um die AG BüPo mit dem Interesse an Zusammenarbeit zu Fragen polizeilichen Verhaltens gleichgesetzt werden kann, bleibt abzuwarten.
Bei aller Skepsis unstrittig ist dagegen der bedeutende Handlungsspielraum, der sich direkt an die von polizeilichen Übergriffen Betroffenen bindet. Bereits die Kenntnis seiner Rechte kann dem Bürger in der Konfrontation mit der Polizei genügend Verhaltenssicherheit geben, um das klassische Muster des „Umspringens” auszuschließen; und damit auch jenes unsichere Schwanken zwischen Stillhalten und, besonders nach Provokationen, unüberlegtem Handeln, in dessen Schweif noch immer der Beweis dessen folgt, was der Jargon interaktionistischer Kriminologie schamhaft die „geringe Beschwerdemacht“ des Bürgers nennt. Und endlich: niemandem eher als dem so betroffenen Mitbürger wird einsichtig sein, dass die Erhaltung bürgerlicher Freiheitsrechte ein wesentlicher und zentraler Bestandteil der Erhaltung seiner Sicherheit ist. Dass Sensibilität dafür in der deutschen Öffentlichkeit entsteht, wird für die Wirksamkeit der Initiative „Bürger beobachten die Polizei” auf lange Sicht entscheidend sein. „Die selbsternannten Beobachter werden aber keine Ruhe geben. Sie werden uns weiter verdächtigen, am liebsten in Frage stellen und uns auf jeden Fall verunsichern wollen“ (10). Im Wort der Zunft: Hoffen wir das beste, lieber Leser!
Verweise
1 Heiner Busch: „Zum Problem bürgerlicher Kontrolle der Polizei am Beispiel der Arbeitsgruppe „Bürger beobachten die Polizei”, (Diplomhausarbeit am FB 15 der FU), Berlin 1981(Mschrift), S. 24.
2 in: Die Polizeischau Berlin, Nr. 12/1979, S. 3.
3 in: Blickpunkt, Zeitschrift des Landesjugendringes, Berlin Februar 1981, S. 34.
4 Heiner Busch, op. cit., S. 87.
5 Egon Franke (Referat auf dem Öffentlichkeitstag der PDB, November 1980), in: Polizeispiegel (Zeitschrift der PDB), Nr.12/1980 („Die Situation der Polizei“).
6 Rede des Innensenators Ulrich, LPD-Berlin 10, 10. 1980.
7 Informationsdienst der F.D.P. im Abgeordnetenhaus von Berlin, 16. 9. 1980.
8 Kleine Anfrage Nr. 1395 vom 11. 7. 1980, LPD-Berlin v. 8. 8.1980.
9 LPD-Berlin v. 8. 8.1980.
10 Polizeipräsident Klaus Hübner, in: Polizeischau, Berlin, Nr.12/1979, 5. 3.