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Die (un)heimliche Staats­ge­walt: Das Memorandum

Vorbemerkung

aus: vorgänge Nr. 55 (Heft 1/1982), S. 79-80

Die Verfasstheit der Bundesrepublik Deutschland als Rechtsstaat und Demokratie bedeutet auch, dass staatliches Handeln prinzipiell öffentlich sein muss. Nur dann ist eine Kontrolle durch die Parlamente, die Öffentlichkeit, die Gerichte sowie den Bürger als Wähler möglich. Ein Geheimdienst jedoch arbeitet heimlich, nicht öffentlich, nicht kontrolliert – steht also prinzipiell in Widerspruch zu diesen unser sonstiges staatliches Leben bestimmenden Grundsätzen. Aus diesem Zusammenprall gegensätzlicher Prinzipien ergeben sich zwangsläufig Spannungen. Dass einer solchen „heimlichen Staatsgewalt” Misstrauen entgegengebracht wird, dass sie Ängste und Befürchtungen provoziert, ist daher in der Natur der Sache angelegt.

Diese kritische Einstellung – und eine solche ist Basis jeder Demokratie – wird verstärkt durch Vorgänge aus den letzten Jahren. Wie insbesondere im ersten Teil des Memorandums gezeigt wird, ist die Tätigkeit des Verfassungsschutzes immer weiter ausgeufert, sind auch immer mehr Fälle zweifelhafter oder auch eindeutig rechtswidriger Aktionen bekannt geworden. Eine solche Entwicklung ist typisch bei jeder kaum oder nicht kontrollierten Organisation. Bedenkt man, dass wegen der heimlichen Tätigkeit des Verfassungsschutzes und wegen der Verpflichtung aller beteiligten Personen zur Geheimhaltung nur die Spitze des Eisbergs bekannt wird, so wird deutlich, dass eine Reform unabdingbar ist.

Die Humanistische Union hat daher in einem Arbeitskreis ein Memorandum zur Reform des Verfassungsschutzes erarbeitet, das hier vorgelegt wird. Dabei handelt es sich nicht um ein lediglich theoretisches Modell des Verfassungsschutzes, vielmehr sind Argumente etwa hinsichtlich der Effektivität des Verfassungsschutzes mit berücksichtigt worden. Soll ein Verfassungsschutz jedoch die Grundlagen einer rechtsstaatlich verfassten Demokratie wirklich schützen, so muss er selbst rechtsstaatlich ausgestaltet sein. Ein Vorrang der angeblichen Effektivität vor der Rechtsstaatlichkeit kann nicht akzeptiert werden. Für die Erarbeitung des vorgelegten Memorandums waren dem Arbeitskreis Gespräche mit dem Bundesbeauftragten für den Datenschutz, Dr. Hans Peter Bull, sowie mit den Professoren Dr. Erhard Denninger und Dr. Hans Peter Schneider sehr hilfreich. Der Verfassungsschutz selbst verweigerte sich jedoch, trotz mehrfacher Versuche,- symptomatisch?- einem Gedankenaustausch.

Die Humanistische Union verkennt nicht, dass ein Teil der hier aufgeführten Gefahren nicht nur vom Verfassungsschutz ausgeht. Andere Behörden im Sicherheitsbereich Bundeskriminalamt, Bundesnachrichtendienst, Militärischer Abschirmdienst, Bundesgrenzschutz, Staatsschutzpolizei – weisen teilweise ähnliches Verhalten, teilweise ähnliche Probleme auf. Im Bewusstsein dieser Unvollständigkeit beschränkt die Humanistische Union ihre Thesen und Forderungen auf den Verfassungsschutz.

Für einen Geheimdienst ist die Bezeichnung „Verfassungsschutz” verharmlosend und irreführend. Das Wort Verfassungsschutz löst heute weitgehend negative Assoziationen aus. Dadurch wird der positive Sinngehalt, den das Wort Verfassung als Staatsgrundgesetz haben sollte, ins Negative verkehrt. Die Bezeichnung „Verfassungsschutz” sollte daher richtigerweise in „Bundesnachrichtendienst (Inland)” geändert werden. Der jetzige Bundesnachrichtendienst wäre als „Bundesnachrichtendienst (Ausland)” zu bezeichnen. Um Missverständnisse beim Leser zu vermeiden, wird in diesem Memorandum noch von „Verfassungsschutz” gesprochen.

Die Humanistische Union will mit der Vorlage dieses Memorandums das Bewusstsein derjenigen schärfen, die den Rechtsstaat für die Basis und Norm unseres Zusammenlebens halten. Dabei will sie besonders darauf hinweisen, dass ein großer Teil der Thesen und Forderungen zwar nicht Praxis ist, aber schon heute dem geltenden Recht entspricht. Zu denken ist dabei insbesondere etwa an die Ausführungen über die gesetzlichen Aufgaben des Verfassungsschutzes, über seine Befugnisse, über den Begriff des zulässigen nachrichtendienstlichen Mittels sowie über das Verbot des Rückgriffs auf den überverfassungsrechtlichen Notstand als sogenannte Ermächtigungsgrundlage für ein rechtswidriges Handeln des Verfassungsschutzes. Darüberhinaus werden Forderungen an eine künftige Gesetzgebung gestellt, etwa hinsichtlich der Kontrolle oder eines allgemeinen Auskunftsanspruchs.

Unseres Erachtens kann nur bei einer Realisierung dieser Forderungen von einem rechtsstaatlich ausgestalteten Verfassungsschutz gesprochen werden. Dabei darf nicht vergessen werden, dass die Verfassung wirksam nur geschützt werden kann, wenn sie fest im Bewusstsein der Bürger verankert ist. Der Souverän unseres Staates, die Bevölkerung, kann den Schutz der Verfassung nicht einer Behörde überlassen, sondern muss selbst für ihn eintreten.

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