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Das Demon­s­tra­ti­ons­recht in der Diskussion

vorgängevorgänge 5502/1982Seite 16-21

Ein Prüfstein für unser Demokratieverständnis (1)

aus: vorgänge Nr. 55 (Heft 1/1982), S. 16-21

Großkundgebungen gegen die Errichtung von Atomkraftwerken und Flughafenanlagen, gegen Umweltverschmutzung und Aufrüstung, gegen Wohnungsspekulation und neonazistische Umtriebe wurden Anlass, die öffentliche Diskussion über das Demonstrationsrecht neu zu beleben. Gewalteskalationen in einigen spektakulären Fällen führten zu gegenseitig erhobenen Vorwürfen des Rechtsbruchs: der Demonstranten gegen die Polizei, der Strafverfolgungsbehörden gegen Aktionsteilnehmer. Die Frage nach Umfang und Grenzen der Demonstrationsfreiheit steht – wieder einmal – im öffentlichen Streit. Kontroversen um – nicht zu billigende – Gewalttätigkeiten verstellen dabei oft (das gilt für Ideologen aller Seiten) und vielleicht nicht unwillkommen die Diskussion der umstrittenen Sachfragen. Selbstkritik aller Beteiligter und eine Besinnung auf die verfassungsrechtliche Position und gesellschaftspolitische Rolle des Demonstrationsrechts ist daher dringend erforderlich. Die folgenden Überlegungen sollen dazu anregen.

1. Was ist „Demon­s­tra­ti­ons­recht”?

1.1: Man ist zunächst versucht, den Begriff als bloßes Synonym für „Versammlungsrecht” anzusehen. Es zeigt sich jedoch schnell, dass das unrichtig ist. In der Presse, in der Umgangssprache und auch im Parlament werden keineswegs nur „Versammlungsteilnehmer” als Demonstranten bezeichnet. Im Gegenteil. Oft ist da von Gewalttaten die Rede, die „Demonstranten” verübt haben sollen: von Leuten etwa, die sich von einer angemeldeten und friedlichen Demonstration abgesetzt haben, die sich nach ordnungsgemäßer Beendigung einer Demonstration erneut sammeln und auf eigene Faust los ziehen. Nicht selten kommt es dann zu Krawall und Tätlichkeiten. Oder man hört von Sympathisanten, die sich anlässlich der polizeilichen Räumung eines besetzten Hauses vor diesem einfinden. Das kann – rechtlich gesehen – eine legale Spontan-Demonstration oder Eildemonstration sein, aber auch eine ordnungswidrige bloße „Ansammlung“ (2) oder gar im Falle von Tätlichkeiten ein strafbarer Landfriedensbruch.
Beides ist (tatsächlich und rechtlich) strikt zu trennen. Die Versammlung im Sinn des Versammlungsgesetzes (VersG) unterliegt dem Schutz des Art. 8 GG, die nicht zu Kundgebungszwecken zusammengelaufene Menge dagegen nicht.
Wie unkritisch der Begriff „Demonstration” auch im Parlament verwendet wird, zeigt der Titel eines Initiativantrags der CDU/CSU-Bundestagsfraktion vom 30. 6.1981 mit der Bezeichnung „Entwurf eines Gesetzes zum Schutze friedfertiger Demonstrationen und Versammlungen”. Die Begriffe „Demonstration” und „Versammlung” werden hier offensichtlich nicht synonym gebraucht. Was ist „Demonstrationsrecht” also?
Demonstration heißt: Hinweisen, Aufzeigen, Kundgabe auch. Demonstration erfordert also einen Empfänger, ein Gegenüber. Sie ist wesentlich auf Dialog, auf Kommunikation gerichtet. Eine monologisierende Demonstration wäre sinnlos. Für das Selbstgespräch bedarf es des Aufwands nicht. Demonstration ist daher immer an einen anderen, an ein Gegenüber gerichtet. Sie ist Aufforderung zum Dialog. Die unfriedliche Demonstration ist oft nur Ausdruck der Sprachlosigkeit, der Unfähigkeit, sich anders mitzuteilen, wie eine Aggression überhaupt oft die Reaktion auf eine Zurückweisung darstellt. Damit wird (dies sei zur Vermeidung von Missverständnissen klargestellt) nicht Gewalt gerechtfertigt, sondern auf eine mögliche – im vorliegenden Zusammenhang wichtige – Ursache gewalttätiger Reaktion hingewiesen. Sie kann zahlreiche andere Gründe haben, und natürlich gibt es auch die politisch motivierten vorsätzlichen „Anheizer” und „Chaoten”. Doch sind Gewalttäter und Gewalttätigkeiten bei Demonstrationen die Ausnahme, die lediglich durch Sensations-Berichterstattung einen ihr nicht zukommenden Stellenwert im Bewusstsein der Öffentlichkeit erhält.

1.2.: Es ist ungemein wichtig, die Demonstration als Mittel, als Aufforderung zur Kommunikation zu begreifen. Denn daraus folgt, dass die rein polizeiliche Reaktion ungenügend, ja schädlich ist. Es ist heute allgemein bekannt, dass Kokte – persönliche wie gesellschaftliche – nicht mit Gewalt döst werden können (es sei denn, die „Lösung” ziele auf die Vernichtung des Gegners ab). Wir wissen, dass Ignorierung, Zurücksetzung, Unterdrückung von Emotionen Aggressionen auslöst, dass die Mittel der „schwarzen Pädagogik” (Alice Miller) nur Schaden stiften. Ebenso können (künftige) Ausschreitungen bei Demonstrationen nicht mit dem Polizeiknüppel oder gar mit „Distanzwaffen” verhindert oder mit Erfolg bekämpft werden. „Gewalt, als Delikt verboten, wird als Sanktion geboten, umbenannt und gerechtfertigt”, doch „Rechtfertigung erzeugt und eskaliert, was sie leugnen und verbergen will: die „eigene Gewalt und „gerechtfertigte Gewalt verführt zur Nachahmung sowohl der Rechtfertigung wie der Gewalt”: so einige bedenkenswerte Thesen Friedrich Hackers (4) – Thesen, die sich prägnant schon in der biblischen Weissagung finden: „Wer Wind sät, wird Sturm ernten“ (5).
Dem lässt sich nicht entgegenhalten, staatliche Gewalt sei – rechtmäßig ausgeübt – legitim, weil das sich perpetuierende Prinzip, das nur Gewalt gegen Gewalt setzt und so neue Gewalt erzeugt, kein Problem der Legitimität ist und auch nach Verfassung und Gesetz legitime Staatsgewalt zur illegitimen werden kann. Zu den Aufgaben des Staates gehört es, den Rechtsfrieden zu gewährleisten. Wer „Distanzwaffen” gegen Demonstranten ein-setzen will, provoziert dagegen bürgerkriegsähnliche Zustände. Denn er antwortet auf den Versuch zum Dialog (mag er zornig und unbequem, ja aggressiv und gewaltsam sein) mit unpersönlicher Technik, also erneuter Zurückweisung, kriegsmässig eben (6).
Zwar ist in jüngster Zeit viel vom Dialog die Rede. Hans Jochen Vogel als Regierender Bürgermeister von Berlin wollte mit den Hausbesetzern ins Gespräch kommen. Der CDU-Parteitag 1981 suchte prononciert den Dialog mit der Jugend. Andererseits sah Bundeskanzler Schmidt in der Teilnahme von SPD-Funktionsträgern an der Friedensdemonstration in Bonn eine „interne Kampfansage gegen die Bundesregierung“ (7), wurde die Frankfurter Polizei bei der Räumung des Hüttendorfes im Flughafen West wegen unmäßiger Härte gescholten, eine Räumung, die zudem einer kurz bevorstehenden Gerichtsentscheidung zuvor kam und vollendete Tatsachen schaffte. Und die Bundestagsfraktion der CDU/CSU diskreditierte das Dialog-Angebot ihrer eigenen Partei durch einen im Bundestag eingebrachten Entschließungsantrag zur „Wiederherstellung des inneren Friedens und der inneren Sicherheit“ (8), dessen „Feststellungen” in einem mit den Verhältnissen in der Bundesrepublik Deutschland nicht Vertrauten den Eindruck erwecken könnten, als stehe das Land kurz vor der Anarchie; und in dessen Begründung so oberflächliche Schlussfolgerungen gezogen werden wie: „Noch nie seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland hat es in einem derartig großen Ausmaß Rechtsbrüche gewalttätiger Minderheiten gegeben, noch nie waren andere Bürger so sehr durch Straftaten und Verbrechen bedroht. Zu keiner Zeit waren der Zerfall der demokratischen Gesinnung und das Schwinden des Rechtsbewusstseins in Teilen der Gesellschaft so offenkundig wie heute. Die letztlich entscheidende Ursache liegt in der wachsenden Gleichgültigkeit oder gar offenen Missachtung gegenüber den Grundsätzen unserer Wertordnung und den demokratischen Verfahrensregeln unserer Verfassung, die notwendig sind, um in Frieden zu Entscheidungen zu gelangen.” Die nahe liegende und tatsächlich erhebliche Frage nach den Gründen für die angeblich zunehmende Gleichgültigkeit gegenüber den Verfassungsprinzipien und deren „offener Missachtung” wird nicht gestellt. Die Abgeordneten hätten dann möglicherweise einen gefährlichen Schwund des Vertrauens in ihre Tätigkeit und die von staatlichen Organen konstatieren und einsehen müssen, dass monströse Erklärungen zur Bewältigung konkreter Probleme ungeeignet sind.

1.3: Die innenpolitische Situation heute ist in manchem der Mitte bis Ende der sechziger Jahre ähnlich, mit einem wesentlichen Unterschied allerdings: Schutz gegen Kriegsangst, Umweltschäden, Existenzgefährdung wird vielfach nicht mehr von Politikern und Staatsorganen erwartet. Die Politiker haben aus den Vorgängen Ende der sechziger Jahre wenig gelernt. Zwar gab es 1970 eine Amnestie für Demonstrationsdelikte. Doch der versprochene Dialog mit der Jugend wurde, kaum aufgenommen, bald wieder abgebrochen. Im politischen und sozialen Bereich findet eine Kommunikation zwischen „denen da oben” und „denen da unten” kaum mehr statt. Dialoge bewegen sich vielfach innerhalb geschlossener Zirkel.
Politiker und Journalisten können sich äußern, sie haben ihre Medien, der „einfache” Bürger kaum. Sein Medium ist das der Straße, der Demonstration. Sie muss ihm den runden Tisch ersetzen, an den er nicht gebeten wird, an dem er sich vielleicht auch nicht artikulieren könnte, weil er inzwischen stumm geworden ist, man ihm auch den Sachverstand abspricht. Daher ist das Demonstrationsrecht ein Recht auf Kommunikation.

2. Das Demon­s­tra­ti­ons­recht in der Verfassung

Im Grundgesetz und in einer Reihe von Länderverfassungen – ist das Demonstrationsrecht als Versammlungsrecht garantiert. Dieses Recht auf freie Versammlung ist ein Grundrecht des Einzelnen sowohl wie der Versammlung als solcher. Es garantiert sowohl den Bestand der Versammlung als auch das Recht des einzelnen, daran als Veranstalter, Leiter oder einfacher Teilnehmer mitzuwirken. Das Recht auf freie Versammlung gehört auch zu den elementaren, ursprünglichen vorstaatlichen – naturrechtlich begründeten – Menschenrechten, es kann daher auch durch Verfassungsänderung nicht aufgehoben werden.
Das Versammlungsrecht ist insbesondere als politisches Grundrecht und Kommunikationsgrundrecht garantiert, wie das BVerfG ausdrücklich festgestellt hat: „Meinungsfreiheit, Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit, Versammlungsfreiheit und Petitionsrecht sichern die Freiheit der Meinungs- und Willensbildung des Volkes”, die von unten, vom Volk zu den Staatsorganen hin erfolgen müsse, nicht umgekehrt, und sich nicht im Wahlakt erschöpfe (9). Die Versammlungsfreiheit ist ferner garantiert in Art.10 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie in Art. 21 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte vom 19. 12.1966 (in kraft seit 23. 3.1976). Auch aus der historischen Entwicklung dem Zusammenhang von Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit beispielsweise ergibt sich der politische und kommunikative Aspekt des Grundrechts.
Die Institution „Versammlung” schließlich bildet die Grundstruktur der Demokratie: Parlamente, Parteien, Vereinigungen aller Art tagen in Versammlungsform, fassen dort ihre Beschlüsse. Das Grundrecht stellt auch ein wichtiges Gegengewicht zur „mehr radikal-egalitären parteien-staatlichen Demokratie” (BVerfG) dar, zu der sich das politische System in der BRD mehr und mehr entwickelt. Die Veranstaltung einer Versammlung ist folglich das gegebene Mittel der parlamentarischen Opposition, der Bürgerinitiativbewegung, um sich Gehör zu verschaffen.
In Art.8 GG ist „das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln” garantiert, wobei für Versammlungen unter freiem Himmel Einschränkungen durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes erfolgen können (so die Anmeldepflicht nach § 14 des VersG). Das Grundrecht darf dabei nicht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.
Das Grundrecht des Art. 8 GG ist grundsätzlich polizeifest, daher bedarf auch die unfriedliche Versammlung des vorbeugenden Verbots oder der polizeilichen Auflösung im rechtsförmlichen Verfahren, ehe gegen sie und ihre Teilnehmer eingeschritten werden darf. Unter einer „Versammlung” im Sinn des Art.8 GG und des VersG versteht man die Zusammenkunft einer zahlenmäßig nicht bestimmten Mehrheit von Menschen (drei Personen sind jedenfalls ausreichend) an einem gemeinsamen Ort zu dem gemeinsamen Zweck, bestimmte Angelegenheiten gemeinsam zu erörtern, zu beraten oder kundzugeben. Liegen diese Voraussetzungen vor, steht die Zusammenkunft unter dem Schutz des Grundgesetzes. Das gilt auch für die unfriedliche Versammlung bis zu ihrer Schliessung oder Beendigung durch den Versammlungsleiter oder bis zur Auflösung durch die Polizei.

3. Der Gesetz­ent­wurf der CDU/CSU zum Demon­s­tra­ti­ons­recht (3)

Er fordert das Verbot der „Passivbewaffnung”, des Maskentragens, die Einführung einer Strafvorschrift gegen die öffentliche Aufforderung zur Teilnahme an einer bereits verbotenen Versammlung sowie die Änderung der Strafvorschrift über den Landfriedensbruch in § 125 StGB, Die Vorschläge sind nicht neu. Sie entsprechen im wesentlichen den von der CDU/CSU bereits 1977 erhobenen Forderungen, die im Gesetz zur Änderung des Versammlungsgesetzes vom 25. 9.1978 nicht berücksichtigt wurden (10). Zusätzliche Argumente seither sind nicht ersichtlich. Allerdings unterstützt der Deutsche Richterbund in einer Stellungnahme zum Gesetzentwurf des Bundesrats die vorgeschlagene Änderung des Landfriedensbruch-Paragraphen und die Personalisierung der öffentlichen Aufforderung zur Teilnahme an einer verbotenen Versammlung, rät jedoch „im gegenwärtigen Zeitpunkt” davon ab, auch ein Verbot der Vermummung und der „Passivbewaffnung” einzuführen (11). Das Verbot der Vermummung und „Passivbewaffnung” soll nach den Vorschlagen der CDU/CSU den Inhalt haben, unter Strafandrohung zu untersagen, bei öffentlichen Versammlungen unter freiem Himmel oder Aufzügen

1. Gegenstände, die zum Schutz vor der Anwendung unmittelbaren Zwangs durch die Polizei bestimmt und ihrer Art nach dazu geeignet sind, mit sich zu führen ohne behördlich ermächtigt zu sein,
2. sich maskieren oder sonst unkenntlich (zu)machen, es sei denn, dass die zuständige Behörde dies zugelassen hat, weil ein friedlicher Verlauf der Veranstaltung gewährleistet ist, oder dass es sich um herkömmliche Veranstaltungen, insbesondere Volksfeste handelt, bei denen maskierte Personen teilzunehmen pflegen.

Das Verbot der „Passivbewaffnung” (ein sehr unpassendes Schlagwort) bedeutet also: Versammlungsteilnehmer sollen keine Helme, keine Gasmasken, keine Körperpolster, wohl auch keine Regenmäntel und kein Ölzeug gegen Wasserwerfer mit sich führen dürfen. Da der Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte in § 113 STGB mit Strafe bedroht ist, der Gesetzentwurf auch selbst von Gegenständen „zum Schutz vor der Anwendung unmittelbaren Zwangs durch die Polizei” spricht, kann das geforderte Verbot nur bedeuten, dass auch der Selbstschutz vor gesundheitlicher Beschädigung verboten werden soll, und zwar auch gegen unrechtmäßige polizeiliche Eingriffe oder Übergriffe, auch als Schutz gegen mögliche Tätlichkeiten unfriedlicher Demonstranten.
Das vorgeschlagene Verbot ist daher unmenschlich, verstößt gegen Art. 2 Abs. 2 GG (Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit) und greift das Grundrecht des Art. 8 GG auch in seinem Wesensgehalt an, denn wer wird noch an einer Veranstaltung teilnehmen wollen, wenn man ihn per Gesetz auch der primitivsten Schutzmittel beraubt. Die Mitnahme solcher Gegenstände lässt auch nicht etwa auf die unfriedliche Absicht des Trägers schließen, da – wie die Erfahrung lehrt – auch die friedlichste Demonstration einen unfriedlichen Ausgang nehmen kann. Das Verbot würde daher gerade alle, die zwar friedfertig aber nicht unvorsichtig sind, von der Teilnahme an einer Versammlung unter freiem Himmel abschrecken.
Das geforderte Verbot dient auch nicht Sicherheits- und Ordnungspolizeilichen Gründen, die allein eine Einschränkung des Grundrechts erlauben, und verstößt zudem gegen Art. 21 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte, der bestimmt, die Ausübung des Rechts auf freie Versammlung dürfe „keinen anderen als den gesetzlich vorgesehenen Einschränkungen unterworfen werden, die in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse der nationalen oder der öffentlichen Sicherheit, der öffentlichen Sittlichkeit oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig sind”. Es soll ersichtlich nur die Festnahme von Versammlungsteilnehmern oder deren Zerstreuung erleichtern: ein echtes Novum in der Rechtsgeschichte.

Ähnlich verhält es sich mit dem Maskierungsverbot. Bundesinnenminister Gerhart Baum hat im Bundestag bereits darauf hingewiesen (12), auch er sei der Meinung „freie Bürger in einem freien Staat sollten offen für ihre Sache werben, sie sollten ihr Gesicht zeigen. Nur so sind sie glaubwürdig. Aber auch ich sehe natürlich die Gründe, die Ursachen, denen wir nachgehen müssen, die einige veranlassen, sich zu vermummen, ohne dass sie bereit wären, Gewalttätigkeiten zu begehen.” Tatsache ist, dass die Maskierung in vielen Fällen erst die Voraussetzung schafft, überhaupt vom Recht auf freie Versammlung Gebrauch zu machen: so wenn ausländische Versammlungsteilnehmer aus Ländern mit totalitären Regimen dort mit erheblichen Repressalien zu rechnen haben. Auch kann eine Maskierung – ebenso wie ein mitgeführtes Transparent – zur wirksamen politischen Aussage erforderlich sein (13). Das Verbot würde im übrigen auch Vorrichtungen zum Selbstschutz umfassen („Passivbewaffnung“), so Schutzbrillen, Gasmasken usw. Das vorgesehene Verbot greift daher ebenfalls in den Wesensgehalt des Grundrechts des Art.8 GG ein und ist daher nach Art.19 Abs. 2 GG unzulässig.

Im übrigen würde das Verbot in der Praxis zu erheblichen und überflüssigen Schwierigkeiten führen, da möglicherweise schwer feststellbar ist, ob ein über das Gesicht gezogener Schal der Vermummung oder dem Schutz vor Kälte dient, ob eine Sonnenbrille den Träger unkenntlich machen oder seine lichtempfindlichen Augen schützen soll. Im übrigen ist die vorgesehene Genehmigungsfähigkeit („Verbot mit Erlaubnis-Vorbehalt“) für den Fall, dass „ein friedlicher Verlauf der Veranstaltung gewährleistet ist”, reine Torheit. Eine solche Gewähr gibt es nie.
Die auch vom Deutschen Richterbund befürwortete Einfügung einer Strafvorschrift gegen Aufforderungen zur Teilnahme an verbotenen Versammlungen ist überflüssig, weil der Tatbestand von § 111 StGB in Verbindung mit § 26 VersG jetzt bereits voll erfasst wird.

Die geforderte Neufassung des § 125 StGB (Landfriedensbruch) schließlich stellt inhaltlich weitgehend die Wiederherstellung der Fassung dar, die vor dem 3. Strafrechtsreformgesetz von 1970 galt. Der Gesetzgeber hat seinerzeit aufgrund der Erfahrungen aus den Demonstrationsprozessen die Vorschrift mit dem Ziel geändert, die Strafbarkeit der bloßen Zugehörigkeit zu einer feindseligen Menschenmenge zu beseitigen und zu versuchen, sie auf diejenigen Personen zu beschränken, die tatsächlich feindselig vorgehen (Täter, Teilnehmer, Anheizer). Die Forderung nach Wiederherstellung der alten Fassung attestiert den Strafverfolgungsbehörden die Unfähigkeit, die tatsächlich unfriedlichen Personen in der Menge zu ermitteln. Das wird in der Tat nicht immer möglich sein; stattdessen friedliche Nachbarn eines Gewalttäters in „Sippenhaft” zu nehmen, stellt weder unter rechtsstaatlichen noch unter kriminalpolitischen Aspekten eine Verbesserung dar. Der Entwurf will ersichtlich das Wasser strafen, weil es den Fisch beherbergt, obwohl es vielfach nichts dafür kann, dass er sich in ihm tummelt. Das heißt: Unschuldige sollen wieder bestraft werden, weil man der Schuldigen nicht habhaft wird.
Auch die Einschränkung der Strafbarkeit auf diejenigen, die sich nicht aus der Menge entfernen, „nachdem ein Träger von Hoheitsbefugnissen die Menge aufgefordert hat, auseinander zugehen”, stellt keinen Schutz Unschuldiger dar: Es ist eine Illusion, zu glauben, jedermann könne sich ohne weiteres aus einer Menschenmenge von mehreren hundert oder tausend Personen entfernen, wenn er sich nicht gerade an der Peripherie befindet, wobei das Sich entfernen nicht selten durch polizeiliche Absperrung unmöglich gemacht wird. Der Deutsche Richterbund unterstützt die Restaurierung der alten Land-friedensbruch-Vorschrift, jedoch mit der Modifizierung, es „sollte die Möglichkeit vorgesehen werden, bei Personen, die Gewalttätigkeiten nicht begehen und auch nicht aktiv unterstützen, von Strafe abzusehen”; ferner sollten Personen nicht strafbar sein, die sich „wie Journalisten und Polizisten aus dienstlichen oder beruflichen Gründen in der Menge” aufhalten und ferner solche, „die sich nachweisbar von sich aus darum bemühen, Gewalttätigkeiten zu verhindern und auf eine Mäßigung hinzuwirken (,Abwiegler‘)”. Doch diese Modifizierung stellt nur scheinbar einen rechtlichen Vorteil dar, denn sie überbürdet dem, der sich auf diese Vergünstigungen berufen will, die Beweislast für die eigene Friedlichkeit. Jeder Praktiker weiß, dass ein solcher Beweis kaum je zu führen ist.
Die erneut zur Diskussion gestellten Gesetzesänderungen „zum Schutze friedfertiger Demonstrationen und Versammlungen” zeichnen sich also weitgehend durch Praxisferne aus, ein Teil ist sogar verfassungswidrig. Das Recht auf freie Demonstration würde zu Tode geschützt. Der polizeitaktische Idealzustand wäre erst erreicht, wenn tatsächlich nur noch unfriedlich Gesonnene sich versammelten: man könnte sie dann guten Gewissens sofort dingfest machen.

Der von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion beklagte „Zerfall der demokratischen Gesinnung und das Schwinden des Rechtsbewusstseins in Teilen der Gesellschaft“ (14) – richtig wohl eher: der Vertrauensverlust in die demokratischen Institutionen – und damit die potentielle oder tatsächliche Unfriedlichkeit von Demonstrationen lässt sich folglich nur überwinden durch die Einübung von Kommunikation statt Konfrontation. Dazu gehört auch ein Umdenken bei Politikern und Polizeieinsatzleitern. Es gibt eine Reihe von Beispielen aus jüngster Zeit, in denen Unfriedlichkeit offenbar durch polizeitaktisch falsches Verhalten provoziert wurde. Es gibt ebenso eine Reihe von Beispielen, in denen kluges und einfühlsames Vorgehen der Polizei befürchtete Gewalttätigkeiten verhindert hat;
Damit soll gewiss nicht gesagt sein, dass das Verhalten der Polizeikräfte (und es ist hinzu zusetzen: der Verwaltungsbehörden bei Verboten und Auflagen) allein für den Ausbruch von Gewalttätigkeiten und ihre Eskalation verantwortlich ist. Zumindest sie aber können und sollten in erster Linie dafür sorgen, dass Konfrontationen erst gar nicht entstehen, entstandene Spannungen abgebaut werden. Demonstrationen (seien es Versammlungen oder ungeordnete Menschenmengen ohne Kundgebungscharakter) sollten in erster Linie als Ausdruck eines Wunsches zum Dialog, als Möglichkeit zur Kommunikation begriffen werden. Ihnen mit Hundestaffeln, Chemischen Keulen, Wasserwerfern und gar „Distanzwaffen” zu begegnen, ist verfehlt. Die Strafverfolgungsbehörden haben ihrerseits nicht selten die Möglichkeit, ein Verhalten nicht als strafbar, sondern nur als ordnungswidrig zu qualifizieren und können im letzteren Fall sogar nach dem Opportunitätsprinzip von der Verfolgung absehen. Nur zu oft wird stattdessen bei völlig friedlichem, aber eben ordnungswidrigem Verhalten versucht, eine Verurteilung wegen eines Strafdelikts zu erreichen. Die Kriminalisierung friedlicher Verhaltensweisen aber trägt nicht zur Bewahrung des Rechtsfriedens bei.

Anmerkungen
(1) Der Beitrag stellt die überarbeitete Fassung eines Referats dar, gehalten am 14. 11. 1981 in der Evangelischen Akademie Rheinland-Westfalen in Mülheim/Ruhr zur Einführung der Tagung „Demonstrationsrecht auf dem Prüfstand”.
(2) Ordnungswidrig handelt nach § 113 OWiG, wer sich einer öffentlichen Ansammlung (die keine Versammlung nach dem VersG sein darf) anschließt oder sich aus ihr nicht entfernt, obwohl ein Träger von Hoheitsbefugnissen die Menge dreimal rechtmäßig aufgefordert hat, auseinander zugehen.
(3) BT-Drucks. 9/628; wörtlich identisch mit einem Gesetzesantrag der Länder Baden-Württemberg, Bayern, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein vom 12. 6.1981 im Bundesrat, Drucks. 255/81.
(4) F. Hacker, Aggression. Die Brutalisierung der modernen Welt(1971), S. 15f
(5) Prophet Hosea 8,7 (8 Jh. v.u.Z.).
(6) Vgl. hierzu: S. Ott, Von der Utopie der gewaltlosigkeit, in: „vorgänge“ Heft 31 (1978), 77ff.
(7) Süddeutsche Zeitung v. 1. 10. 1981, S. 1.
(8) Vom 2. 12. 1981.
(9) BVerfGE 20, 56, 98ff.; zu Einzelheiten vgl. a. S. Ott, Kommentar zum VersG, 3. Aufl., Einführung RdNr. 2ff und in: Perels (Hrsg), Grundrechte als Fundament der Demokratie, Suhrkamp 1979, S. 139ff.
(10) Vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung von Terrorismus und Gewaltkriminalität sowie zum Schutze des inneren Friedens v. 26. 4. 1977, BTDrucks. 8/322 Art. 1 Nr. 7 und Art. 4 Nr. 8 sowie Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Bekämpfung von Terrorismus und Gewaltkriminalität sowie zum Schutz des inneren Friedens v. 5,10.1977, BTDrucks. 8/996 Art. 5 Nr. 1.
(11) Deutscher Richterbund, Information 11/81; vgl. hierzu Spiegel-Gespräch in „Der Spiegel” Nr. 46/1981 5. 119ff.
(12) Am 22, 10. 1981, zit. nach Frankfurter Rundschau v. 11,11,1981, S.
(13) Vgl. „Anachronistischer Zug“; hierzu NJW 1981, 2428 mit Stellungnahme von S. Ott, S 2397.
(14) Aus der Begründung zur Entschließumg vom 2.12.1981, oben Fn 8.

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