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Welche Opfer darf der Staat vom Bürger verlangen?

vorgängevorgänge 5502/1982Seite 8-15

Ein Essay über den Geheimdienstfall Faust

aus: vorgänge Nr. 55 (Heft 1/1982), S. 8-15

„An den Ufern der Havel lebte, um die Mitte des sechzehnten Jahrhunderts, ein Roßhändler namens Michael Kohlhaas, Sohn eines Schulmeisters, einer der rechtschaffensten zugleich und entsetzlichsten Menschen seiner Zeit. – Dieser außerordentliche Mann würde, bis in sein dreißigstes Jahr, für das Muster eines guten Staatsbürgers haben gelten können. Er besaß in einem Dorf, das noch von ihm den Namen führt, einen Meierhof, auf welchem er sich durch sein Gewerbe ruhig ernährte; die Kinder, die ihm sein Weib schenkte, erzog er in der Furcht Gottes zur Arbeitsamkeit und Treue; nicht einer war unter seinen Nachbarn, der sich nicht seiner Wohltätigkeit oder seiner Gerechtigkeit erfreut hätte; kurz, die Welt würde sein Andenken haben segnen müssen, wenn er in einer Tugend nicht aus geschweift hätte. Das Rechtsgefühl aber machte ihn zum Räuber und Mörder.”

So beginnt die berühmte Erzählung Heinrich von Kleists über Michael Kohlhaas, der sich gewaltsam Recht verschaffen wollte, als es ihm von den Gerichten nicht ward. Ihm wurde schließlich genüge getan, allerdings hat er dafür bis zur Vernichtung des eigenen Lebens kämpfen müssen. Der Prozess, den er angestrengt hatte, wird zwar zu seinen Gunsten entschieden, unmittelbar danach muss er jedoch die Todesstrafe wegen Landfriedensbruches erleiden. Den Landfriedensbruch hatte er begangen, weil er keine Möglichkeit sah, anders zu seinem Recht zu kommen. Michael Kohlhaas gilt als zwiespältige Figur. Man zitiert ihn eher ablehnend als einen blinden Eiferer, der aus einem fanatischem Rechtsverständnis heraus um einer Lappalie willen seine ganze Existenz und die seiner Familie aufs Spiel setzt.

Eigentlich geht uns diese Figur nichts mehr an, denn heutzutage kann jeder sein Anliegen vor Gericht vorbringen. Niemand mehr braucht zum Räuber und Mörder zu werden, um recht zu bekommen. Die Zeiten haben sich gewandelt, wir leben in einem Rechtsstaat, „in dem die freiheitlichste Verfassung der deutschen Geschichte“ gilt. Sie verpflichtet alle staatliche Gewalt auf die Achtung und den Schutz der Menschenwürde, gewährleistet jedem das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und verbürgt ihm die ins Grundgesetz aufgenommenen Menschenrechte. Diese Verfassung bestimmt die rechtsstaatliche Wirklichkeit in der Bundesrepublik Deutschland, in der jedem Bürger ein Höchstmaß auch an gerichtlichem Schutz gewährt wird”, so die Aussage der Bundesregierung vom 21. November 1977, als Antwort auf eine Kleine Anfrage der CDU/CSU-Fraktion zum „Russell-Tribunal”.

Genau acht Tage später musste der Bürger Hans-Georg Faust daran zweifeln, ob diese Aussagen auch für ihn gültig seien. Er wurde nämlich verhaftet wegen „verfassungsfeindlicher Sabotage” nach § 88 des Strafgesetzbuches, ein schwerer Vorwurf, der von Anfang an auf tönernen Füßen stand und von dem er bereits am 14. Dezember 1977 vor dem Bundesgerichtshof freigesprochen wurde. Übrig blieb nur der Bagatellvorwurf, sich gegen § 353c vergangen zu haben, der die Weitergabe geheimer Gegenstände oder Nachrichten unter Strafe stellt. Auch dieser Vorwurf konnte später nicht aufrecht erhalten werden, die Anklagepunkte waren so dünn, zudem teilweise illegal erlangt und damit unverwertbar, das nicht einmal das Hauptverfahren gegen ihn eröffnet wurde. Das heißt, er erlebte vor den Gerichten das genaue Gegenteil von Michael Kohlhaas, er bekam von allem Anfang an recht, die Anklagebehörde stets unrecht. Und dennoch ist sein Schicksal in gewisser Weise vergleichbar: er hat den Kampf um sein Recht zwar nicht mit dem Leben bezahlt, so etwas kommt bei uns nicht mehr vor, die Todesstrafe ist abgeschafft, aber er hat bezahlt mit der Vernichtung seiner ganzen bisherigen Existenz.

Hans-Georg Faust war seit über zwölf Jahren Nordrhein-Westfalen-Korrespondent einer Illustrierten, als er verhaftet und sofort – so als sei seine Schuld bereits erwiesen – von einem bestimmten Teil der Presse zum Staatsfeind Nr. 1 hoch gejubelt wurde. Das Material, das er über das Bundesamt für Verfassungsschutz gesammelt habe, so wusste „Bild” schon wenige Tage nach der Verhaftung zu melden, „wäre in der Hand einer fremden Macht oder einer Terrororganisation” Sprengstoff gegen die Bundesrepublik gewesen. „Bild” wusste das – wohlgemerkt – schon zu einem Zeitpunkt, da weder Faust noch sein Verteidiger Akteneinsicht hatte, noch genau wussten, auf welche konkreten Tatsachen sich der Haftbefehl gründete. Akteneinsicht wurde dem Verteidiger Gert Dürr nach dessen häufigen Bemühungen darum erst im Mai des nächsten Jahres gewährt.

Was war geschehen? Faust sollte unter Anklage gestellt werden, weil man ihn verdächtigte, dem „Spiegel” geheime Akten des Bundesamtes für Verfassungsschutz über den Lauschangriff auf den Atommanager Dr. Klaus Traube gegeben zu haben.

Das Nachrichtenmagazin hatte im Februar-März 1977 bekanntlich darüber in drei großen Titelgeschichten berichtet und einen schweren Rechts- und Verfassungsbruch der Kölner Sicherheitsbehörde aufgedeckt. Der „Spiegel”, verantwortlich für diese Publikationen, wurde nicht verfolgt. Mit ihm wollte sich die Bundesregierung, die dazu die Genehmigung hätte geben müssen, aus Furcht vor einer zweiten „Spiegel“-Affäre nicht anlegen. Statt dessen hielt man sich an einen einzelnen Journalisten, hinter dem nicht Macht und Einfluss eines großen politischen Blattes standen. Über Faust hoffte man zudem, an den Informanten des „Spiegel” beim Verfassungsschutz zu kommen.

Neun Monate lang belauschten sie rund um die Uhr Fausts Telefon. Dafür hatten sie sich die notwendige Genehmigung von der zuständigen Kommission geholt, die sie nur bekamen, weil sie Faust eines Staatsschutzdeliktes, eben der „verfassungsfeindlichen Sabotage”, bezichtigten. Obwohl diese Strafnorm vorher noch nie angewandt worden war, erhielten die Verfassungsschützer ohne besondere Prüfung die erbetene Abhörgenehmigung.

Es ist das Verdienst von Fausts Anwalt Gert Dürr, das dieser hochkarätige Paragraph, der eigentlich nur für Kriegszeiten gedacht ist, schon vierzehn Tage nach Fausts Verhaftung vom Bundesgerichtshof vom Tisch gefegt wurde.

Nun hatte Faust zwar Recht bekommen, doch das half ihm wenig, denn der Burda-Verlag trennte sich von ihm, andere Auftraggeber, für die er freiberuflich tätig gewesen war, zogen sich von dem vermeintlichen „Agenten” zurück. Bis heute hat er keine neue Stellung gefunden, und er wird wohl auch keine mehr finden, seit drei Jahren lebt er von der Arbeitslosenhilfe. Welche psychische Belastung schon dies allein für einen Mann seiner Erziehung und seiner Haltung bedeutet, kann man leicht ermessen. Er ist von Hause aus konservativ, gehört eher zu denen, die bereit sind, für den Staat Opfer zu bringen als vom Staat Almosen anzunehmen. Inzwischen ist er 60 Jahre und hat zur Zeit keine andere Zukunftsperspektive als einen Schuldenberg, von dem er nicht weiß, wie er ihn abtragen soll, und einen langwierigen Kampf um Entschädigung des erlittenen Vermögensschaden, und dies, obwohl ihm das Landgericht Bonn im Juli 1980 bereits das Recht auf Entschädigung zugesprochen hat.

Für einen juristischen Laien mutet die ganze Affäre um Faust wie absurdes Theater an, unbegreiflich und undurchschaubar. Wir brauchten uns hier nicht so ausführlich damit zu beschäftigen, wenn der Fall Faust ein Einzelfall wäre, wenn man sagen könnte, zwar haben hier die Anklagebehörden von Anfang an in grob fahrlässiger Weise versagt, und die Presse hat eine ungute Rolle gespielt, aber das war ein einmaliges Versagen, eine Panne. Doch dem ist nicht so.

Die Liste der Fälle, in denen menschliche Existenzen durch haltlose und vorschnelle Anklagen völlig vernichtet wurden, ist bedenklich lang. Ich zähle im folgenden nur die bekannteren auf, die alle durch die Presse gegangen sind. Der Leser hat sie zum größten Teil wieder vergessen, die Opfer leiden oft bis heute unter der Diffamierung. Besonders gefährdet, der öffentlichen Denunziation anheimzufallen, sind Bundesbürger mit DDR-Kontakten, mit verwandtschaftlichen Kontakten wohlgemerkt. Zwar tritt die Bundesregierung in allen Verlautbarungen immer für möglichst viele Beziehungen zu Verwandten in der DDR ein. Macht man davon jedoch ausgiebig Gebrauch im Rahmen des Möglichen, wird man leicht verdächtig.

So geschehen im Fall des Biologen Rudolf Fahrig. Er pflegte – wie offiziell gewünscht – enge Kontakte zu seinen Verwandten in der DDR, besonders enge zu seinem Schwager Christian Grundert, Journalist in Ost-Berlin. Fahrig überließ ihm im Laufe der Jahre einige wissenschaftliche Sonderdrucke, die keineswegs geheim waren. Erst durch einen Zufall erfuhr der Freiburger Wissenschaftler, das sein Schwager neben seiner journalistischen Tätigkeit Mitarbeiter im Ministerium für Staatssicherheit war, daraufhin kündigte er ihm sofort die Freundschaft auf. Das freilich half ihm wenig. Die Stuttgarter Richter fanden sein Verhalten strafwürdig und verurteilten ihn zu 10 Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung. Das der international anerkannte Krebs- und Vererbungsforscher Fahrig daraufhin seinen Arbeitsplatz verlor, ist zwar nicht die direkte Schuld der Richter, war aber die unmittelbare Folge dieses Urteils, das, wenn es Schule machte, Millionen von Bundesbürgern zu Vorbestraften machen würde. Denn sicher ist Fahrig nicht der einzige, der Verwandten in der DDR wissenschaftliche Literatur mitgebracht hat. Und wie kann man erkennen, wer von den Verwandten beim SSD arbeitet? Das Merkmal eines guten Agenten ist es ja gerade, das er nicht erkannt wird.

Zwei andere Opfer einer „Ermittlungspanne”, wie Generalbundesanwalt Rebmann das nannte, waren der Lektor Steffen von Bamberg und der Oberst im Generalstab Siegfried Petrelli. Bamberg, der aus einer traditionsreichen preußischen Beamtenfamilie stammt und sich selber als „besonders treuen Staatsdiener” bezeichnet, saß 85 Tage in Untersuchungshaft, ehe sich der Vorwurf der Spionagetätigkeit als haltlos erwies. Er verlor zwar nicht seinen Arbeitsplatz, erlebte aber, wie Verwandte und Bekannte von ihm abrückten und sagte nach dem Vorfall, er, seine Frau und sein Sohn hätten „einen furchtbaren seelischen Schaden erlitten”.

Oberst Siegfried Petrelli saß ebenfalls drei Monate in Untersuchungshaft, auch hier war der Verdacht unbegründet gewesen. Dennoch durfte der qualifizierte Generalstäbler seitdem nur noch untergeordnete Dienste verrichten, eine Beförderung fiel aus, und auch sein Versuch, sich mit einem gegen sich selbst gerichteten Disziplinarverfahren vom letzten Rest des Verdachtes rein zu waschen, scheiterte. Vom Inspekteur des Heeres erhielt er den Rat, er möge doch seine Unschuld selber beweisen, wenn er Wert auf eine solche Feststellung lege.

Theoretisch ist es vor Gericht so, das die Anklage die Schuld des Angeklagten zu beweisen hat, nicht aber der Angeklagte seine Unschuld. Auch gilt jeder Angeklagte so lange als unschuldig, bis seine Schuld erwiesen ist. In allen zitierten Fällen wich man von diesen rechtsstaatlichen Grundsätzen ab, stets gab es schon Vorverurteilungen in der Presse. Auch wenn dieses Verhalten der Presse sicher aufs schärfste zu rügen ist, so bleibt den Ermittlungsbehörden der Vorwurf nicht erspart, das ohne ihre Informationen die Presse gar nichts über die Betroffenen hätte schreiben können.

Aber fahren wir fort in der Liste unschuldig und voreilig Verfolgter. Was Sie bis jetzt lasen, waren nur die harmloseren Fälle. Weit schlimmer betroffen ist zum Beispiel das ehemalige Hauptvorstandsmitglied der IG-Metall, Heinz Dürrbeck. Seit 1975 ermitteln die Staatsschützer gegen ihn, ohne auch nur die Spur eines Beweises zu haben oder zu erhalten. Dürrbeck kam nach fünf Wochen Untersuchungshaft wieder frei. Auf einen Prozess oder seine Rehabilitierung durch eine Erklärung der Bundesanwaltschaft wartet er bis 1979 vergebens; dann gab er den Kampf um seinen guten Namen auf und verschwand entnervt und gesundheitlich ruiniert aus der Bundesrepublik.

Und wieder verleumdeten ihn die Sicherheitsbehörden, sie sprachen von einer Flucht in die DDR und werteten das leichtfertig als ein Schuldbekenntnis. Ohne auch nur eine Spur von schlechtem Gewissen zu zeigen, stellten sie fest: „Für uns ist damit die Sache erledigt”. In Wirklichkeit hatte sich der todkranke Heinz Dürrbeck nach Norditalien zurückgezogen.

Ebenso leichtfertig in den falschen Verdacht des Landesverrats gerieten der frühere DGB-Sekretär Walter Böhm, der auch umgehend seine Stelle verlor, der ehemalige Pressesekretär der deutschen Botschaft in Kairo Erich Knapp, der SPD-Bundestagsabgeordnete Uwe Holtz, der Bahr-Referent Joachim Broudré-Gröger sowie die Journalisten Reinhard Spilker und Justus Müller.

Wie leichtfertig die Ermittlungsbehörden dabei vorgehen, mag an einem letzten Fall demonstriert werden.

Im März 1980 waren der frühere Präsident der Freien Universität Berlin, Rolf Kreibich, und seine Frau in den Verdacht östlicher Spionagetätigkeit geraten. Im Herbst 1979 waren angebliche Erkenntnisse an den Generalbundesanwalt gelangt. Von dort wurde das Verfahren im Oktober 1979 an die Staatsanwaltschaft beim Berliner Kammergericht abgegeben. Das es sich um höchst vage „Erkenntnisse” handeln muss, ergibt sich schon aus dem Verhalten der Berliner Justiz: das Ehepaar Kreibich war nicht eine Sekunde vorläufig festgenommen, von einem Haftbefehl ganz zu schweigen. Dennoch wurden die beiden als Ost-Spione, selbstverständlich unter voller Namensnennung, bundesweit diffamiert. Zwei Tage, nachdem die Kreibichs Schlagzeilen gemacht hatten, musste die Justiz-Sprecherin zugeben, das das Belastungsmaterial gegen den Diplom-Physiker und seine Ehefrau mehr als dürftig sei. Dies war der Presse natürlich nur mehr eine kleine Meldung wert.

Hängen bleibt dagegen der Spionageverdacht. Den vergisst die Umgebung nicht so schnell, selbst wenn es zu einer der seltenen Rehabilitierungs-Erklärungen der Bundesanwaltschaft kommt, wie 1975 im Fall des Gewerkschaftlers Walter Böhm: „Jeder Verdacht ausgeräumt”, hieß es lapidar. Haften aber bleiben im Gedächtnis Riesenschlagzeilen wie diese: „Neuer Super-Spion in Bonn – Mit vielen Ministern gut bekannt”, daneben noch zu allem Überfluss ein Foto des Betroffenen mit zwei Ministern und dem der Spionage überführten Günter Guilleaume. Haften bleibt den unschuldig Verdächtigten immer ein Verdachts-Etikett, die Folgen davon sind häufig – wir sagten es schon – Familientragödien und Existenzvernichtung. Die Zahlung eines Schmerzensgeldes durch den Staat, der durch Missachtung des Persönlichkeitsrechts dem Betroffenen und seinen Angehörigen schweren Schaden zufügte, kommt so gut wie nie vor. Der einzige Fall von Schmerzensgeld in einem solchen Zusammenhang, der mir bekannt ist, wurde an Eleonore Poensgen bezahlt, allerdings nicht vom Staat, sondern vom SpringerVerlag. Das Oberlandesgericht Düsseldorf verurteilte den Verlag zur Zahlung von DM 25.000, weil im Zusammenhang mit der Ermordung des Bankiers Jürgen v. Ponto Eleonore als „Terror-Mädchen” bezeichnet worden war. Nach wochenlangen Diffamierungs-Kampagnen stellte sich auch bei Eleonore Poensgen ihre völlige Unschuld heraus. Die Staatsanwaltschaft äußert sich zu solchen Fällen meist nicht, für sie ist der Fall bei Nicht-Eröffnung oder Einstellung des Verfahrens erledigt.

Nur im Fall Faust, der drei Jahre lang durch die Presse ging, äußerte sie etwas von einer „persönlichen Opfergrenze” jedes Betroffenen. Das heißt zu deutsch und ganz konkret: vom einzelnen wird eine bestimmte Opferleistung für den Staat erwartet. Aber wie weit hat sie zu gehen, was muss jeder auf sich nehmen im „Interesse des Rechtsstaates”? Hier wird nicht nur ein unbestimmter, sondern ein höchst bedenklicher Rechtsbegriff ins Spiel gebracht, bedenklich umso mehr, als bei Hans-Georg Faust es sich nicht um eine Ermittlungspanne gehandelt hat, um einen vorschnellen Verdacht, sondern um den Versuch, ihn mit Mitteln der Justiz Mund tot zu machen. Bei den anderen Fällen, die unschuldig verfolgt wurden, lässt sich das nicht oder nur schwer behaupten, bei Faust aber ist es eindeutig. Darum ist es nötig, das wir uns mit seinem Fall noch ein wenig näher befassen. Er bietet zudem alles, was an Fehlern, Irrtümern, aber auch bewussten Diffamierungen seitens der Staatsanwaltschaft, aber auch Vertretern der Regierung möglich ist Alles, was die vorher genannten Betroffenen zum Teil erlebt haben, hat Faust bis zur Neige auskosten können.

Begonnen hat das Ganze schon im Jahre 1963, ohne das Faust das damals auch nur im geringsten hätte ahnen können. Es ist der klassische Fall, wie Tatsachen, für sich genommen harmlose Fakten, Banalitäten, vor Gericht zusammengezogen und zu Indizien werden, exakt so, wie Kurt Tucholsky es vor über fünfzig Jahren in einer Gerichtssatire dargestellt hat unter dem Titel: „Ich bin ein Mörder”:

„Ich, Ignaz Wrobel, liebe es, den Schaffner auf dem Omnibus zu betrügen, dann fahre ich umsonst. Ich bin jähzornig: ich habe schon zweimal meinen Bademantel zerrissen, um ihn zu strafen; Krawatten zerschnitten, ein Glas auf den Boden hin gefeuert. Ich kann kein Blut sehen. Doch: ich kann Blut sehen, von Tieren. Ein merkwürdiges Gefühl – nicht angenehm; eigentlich doch angenehm, ich traue mich nicht, das zu sagen: doch angenehm. Ich esse unregelmäßig, manchmal tagelang nichts, dann unmäßig. Ich bin unsolide. Ich hasse meinen Vater. Ich lebe unregel. . ., aber das sagte ich schon. Was ist das alles?”
„Nichts besonderes. Sehen Sie sich um -: solchen kleinen oder großen Packen trägt jeder, jede, jeder, mit sich herum . . . alle tragen ihn. Es ist nichts Besonderes.”
„Es ist nichts Besonderes -? Ich habe nichts zu fürchten -?”
„Es ist nichts Besonderes. Sie haben nichts zu fürchten. Wenn Sie nicht…“
»Ja?»
„Wenn Sie nicht vor Gericht stehen. Wenn nicht irgendein schwerer Verdacht auf Sie fällt wegen einer Tat, die Sie bestreiten. Dann …”
„Dann?”
„Nun, … dann wandeln sich diese Tatsachen, die Sie mir eben erzählt haben, in etwas anderes. Dann sind es nicht mehr die Anomalien, die jeder Richter, jeder Staatsanwalt, jeder Geschworene, jeder Schöffe im Keim bei sich fühlen könnte, wenn er nur ehrlich sein wollte. Dann, Wrobel, ist auf einmal alles ganz anders.”
„Was … was ist dann …? Wenn es aber alle haben? Und was -?”
„Indizien, Herr Wrobel!”

Für Hans-Georg Faust begann das, was später als Indizienkette gegen ihn verwendet wurde, 1963 mit dem sogenannten Fall Pätsch: Pätsch, damals ein Mitarbeiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz, nahm den Namen dieses Amtes wörtlich und fühlte sich in der Tat berufen, die Verfassung zu schützen. Er konnte es nämlich mit seinem Gewissen nicht vereinbaren, das schon damals in vielen Fällen illegal eine Fernsprech- und Postüberwachung vorgenommen wurde. Vor allem wollte er daran nicht mehr länger mitwirken. Als er sich deshalb an seinen Referatsleiter wandte und von diesem die lapidare Auskunft erhielt: „eigentlich dürften wir das nicht tun”, er, Pätsch, solle aber mitmachen und mit niemandem darüber sprechen, ließ er sich von dem Bruder des Spiegel-Herausgebers, dem Rechtsanwalt Josef Augstein, beraten. Sie kamen beide zu dem Schluss, das dem permanenten Verfassungsbruch nur durch Veröffentlichung in der Presse abzuhelfen sei. Selbstverständlich wurde Pätsch daraufhin aus dem Amt entfernt, und es kam zur Anklage, „weil er vorsätzlich Staatsgeheimnisse an Unbefugte habe gelangen lassen und dadurch fahrlässig das Wohl der Bundesrepublik gefährdet habe. Außerdem habe er als Beamter vorsätzlich unbefugt Amtsgeheimnisse offenbart und dadurch vorsätzlich wichtige öffentliche Interessen gefährdet”.

Der Bundesgerichtshof entschied am 8. 11. 1965 erfreulich klar und entschieden zu Pätschs Gunsten. Die Kernsätze dieses Urteils lauten: „Einen Gesetzes- und insbesondere einen Verfassungsverstoß kann jedermann wie jeden Missstand im öffentlichen Leben mit dem Ziele der Beseitigung rügen; das ergibt sich aus dem Grundrecht der freien Meinungsäußerung. Der verantwortungsbewusste Staatsbürger sieht darin nicht nur ein Recht, sondern einen Aufruf zu tätiger Mitarbeit am Staate. Das Recht zur Rüge von Missständen im öffentlichen Leben tritt also, wenn die Rüge zur Preisgabe von Staatsgeheimnissen zwingt, in Widerstreit zu der Pflicht, Staatsgeheimnisse geheim zuhalten. Bei diesem Widerstreit gehen nicht ohne weiteres die Landesverrats-Vorschriften dem Grundrecht aus Art. 5 des Grundgesetzes vor. So hat auch der Sitzungsvertreter des Generalbundesanwalts der Meinung Ausdruck gegeben; ,Blinder Kadavergehorsam oder frommer Autoritätsglaube wären mit den Grundrechten nicht vereinbar‘.” – Der Senat gelangt zu dem Ergebnis, das ein Verstoß gegen die Grundwerte des demokratischen Verfassungsstaates, wie sie durch den Rechtsbegriff der verfassungsmäßigen Ordnung umrissen sind, zur unmittelbaren öffentlichen Rüge berechtigt. – „Die Besonderheit, das der Angeklagte Behördenangestellter war, ändert an dem Ergebnis der obigen Rechtsausführungen nichts. Der Angeklagte ist zwar strafrechtlich als Beamter zu behandeln; staatsrechtlich betrachtet ist er kein Beamter. Wenn es sich schon um so schwere Verfassungsverstöße handelt, muss auch die Verschwiegenheitspflicht des Beamten hinter dem Recht zur öffentlichen Rüge zurückzutreten, dies umso mehr, als der Beamte gesetzlich verpflichtet ist, bei Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung für deren Erhaltung einzutreten.”

Einer der wenigen, die Pätschs Haltung für richtig hielten, war Hans-Georg Faust, zu der Zeit ebenfalls Mitarbeiter beim Bundesamt für Verfassungsschutz. Im Rahmen damals einsetzender Recherchen, wer die Informationen über die illegalen Abhörpraktiken an den „Spiegel” und die „Zeit” weitergegeben haben könnte, hatte man damals auch Faust verdächtigt. Er konnte nachweisen, das der Verdacht grundlos war, war über die erniedrigende Art der Ermittlungsmethoden jedoch so empört, das er kündigte und noch mit 43 Jahren einen beruflichen Neubeginn wagte. Er zeigte damit einen Mut und eine Konsequenz, wie sie sicher nicht jeder besitzt. Außerdem war er aber auch noch ehrlich. Er beging den „Fehler”, die Gründe für sein Ausscheiden aus dem Amt offen darzulegen. Der letzte Satz in seinem Kündigungsschreiben vom 28. Februar 1964 lautete: „Das, was mir in den letzten Wochen an Demütigungen widerfahren ist, werde ich nicht vergessen.” Dieser Satz sollte ihm 13 Jahre später zum Verhängnis werden.

Im März des Jahres 1977 nämlich suchte man wieder einen Schuldigen, einen Sünden-Bock, ein Opfer. Wieder ging es um illegale Lauschoperationen, diesmal gegen einen der Geschäftsführer von „Interatom”, Dr. Klaus Traube. Man erinnert sich, man hatte Traube fälschlich für einen Atomwissenschaftler gehalten, der engen Kontakt zu Terroristen pflegte, hatte darum illegal in seine Wohnung eingebrochen und eine „Wanze” angebracht, um sein Telefon zu überwachen. Der „Spiegel” berichtete im Frühjahr 1977 in aller Breite darüber. Wieder empörte man sich beim Verfassungsschutz und auch in Bundesregierung und Opposition mehr über den „Verräter” des Verfassungsbruchs als über den Verfassungsbruch selbst. Diesmal war es schwerer als beim Fall Pätsch, den Schuldigen zu finden. Zu viele hatten Kenntnis gehabt von der „Operation Müll” genannten Abhöraktion. Im Netz hängen blieb schließlich Hans-Georg Faust, und zwar eben wegen jenes 13 Jahre alten Schlußsatzes in seinem Kündigungsschreiben. Nur der konnte das Geheimmaterial weitergegeben haben, so folgerte man messerscharf, und zwar unter Ausnutzung immer noch bestehender Verbindungen zu seinem früheren Amt. Ein Motiv war auch gefunden: Rachsucht. Daneben gab es vage Verdachtsmomente, die von Anfang an wenig stichhaltig waren, für das Amt aber ein Grund waren, Faust zumindest eins aus zu wischen, wenn man ihn nicht sogar Mund tot machen konnte.

Faust hatte nämlich in den letzten Jahren begonnen, als Journalist Material für ein Buch über seine ehemalige Dienststelle zu sammeln. Dabei war er keineswegs konspirativ vorgegangen, sondern hatte dieses Vorhaben ganz offen in Briefen an die Präsidenten des Amtes angekündigt und um Unterstützung gebeten. Er hatte auch zu dem Zweck verschiedene Interviews mit Mitarbeitern des Amts gemacht und Material über längst abgeschlossene Vorgänge gesammelt.

Es sollte ein kritisches Buch werden. Das gibt Faust unumwunden zu, weil er das Amt aus seiner intimen Kenntnis heraus für wenig effizient hielt, aber er hatte nicht vor, Staatsgeheimnisse zu verraten; zumindest nicht solche, die bei Erscheinen des Buches aktuell gewesen wären.

Fausts gesamtes Material ist bei der der Verhaftung vorangehenden Hausdurchsuchung beschlagnahmt worden; er hat es bis heute nicht zurückerhalten. Wer heute wissen will, was Faust in etwa beabsichtigte zu schreiben, muss in der „Springer“-Presse nachlesen. Ich zitiere aus der „Welt” vom 17. Mai 1978 unter der Überschrift:

„Was Hans-Georg Faust über den Verfassungsschutz noch schreiben wollte:”

„Das Bundesamt für Verfassungsschutz ist eine Sicherheitsbehörde, die über das Niveau einer aufgeblähten, aber wenig effizienten Auskunftei nicht hinauskommt. Eine durchaus vernünftige und notwendige Einrichtung kann sich nicht entwickeln und ist zur Erfolglosigkeit verurteilt. Warum, werde ich begründen.” Und dann stellt er die Beamten des Amtes ihren Gegenspielern aus Ost-Berlin so gegenüber: „Hier biedere Juristen, ohne inneres Verhältnis zum geheimen Nachrichtendienst, zur Welt der Konspiration. Drüben dagegen erfahrene, entschlossene Verschwörer. Die einen haben die Besoldungsordnung im Kopf und den Pensionsanspruch vor Augen, die anderen wollen partout die Welt verändern!”

Den Beweis dafür, wie treffend diese Beschreibung Fausts war, lieferten die beamteten Fahnder, zeitweise acht an der Zahl, die man seit März 1977 auf ihn ansetzte, gleich mit den Recherchen in seinem Fall selbst. Das Material, das sie zusammen trugen und das die Grundlage für Haftbefehl und Anklageerhebung bildete, war so dürftig, das Fausts Pforzheimer Anwalt Gert Dürr dazu bemerkte: „Mir wurde schon beim ersten Durchlesen klar, das da Haftgründe an den Haaren herbeigezogen worden waren. Es stimmte hinten und vorn nicht.”

Es ist nicht nötig, das wir den weiteren Leidensweg Fausts bis in alle Einzelheiten verfolgen, er wurde ausführlich in der Presse dargestellt. Aber es gilt, einige Punkte dieser Geschichte schärfer ins Licht zu rücken, weil sie in ihrer Häufung nicht mehr als zufällige Pannen eingestuft werden können, sondern als Angriff auf den Rechtsstaat selbst zu werten sind.

Die Schwierigkeiten begannen für Faust bereits bei der Suche nach einem Rechtsanwalt. Er machte die Erfahrung: „Recht ist teuer in diesem Land, Recht kann sich eigentlich nur erhoffen, wer sich gute, also teure Anwälte leisten kann. Doch einen Anwalt für ein politisches Verfahren zu finden, gleicht einem Lotteriespiel. Zwei winkten gleich ab, sie könnten ihren Ruf riskieren, ein anderer befürchtete, danach auf ewig abgehört zu werden.” Es spielt keine Rolle, ob das, was diese Anwälte befürchteten, hinterher auch eingetreten wäre. Allein, das sie diese Furcht äußern, steht dem „freiheitlichsten Rechtsstaat deutscher Geschichte” schlecht an.

Der zweite Punkt, der zu denken gibt, ist das BGH-Urteil vom 14.11.1977, in dem die Staatsanwaltschaft mit ihrer Anklage nach § 88, also „verfassungsfeindlicher Sabotage”, eine glatte Bauchlandung erlitt, wie die Presse kommentierte. Von dem Verfassungsfeind Faust blieb nichts übrig, man warf ihm nur noch die Weitergabe geheimen Materials vor, ein Bagatellfall, zumal für einen Journalisten. Dennoch blieb er weiterhin in Haft, wegen „Verdunkelungsgefahr”. Was es im Fall Traube, denn um die angebliche Weitergabe dieser Akten ging es ja, noch zu verdunkeln gab, bleibt das Geheimnis der Anklagebehörde. Gert Dürr dazu: „Ein Rechtsprofessor würde das Prüfungsgespräch beenden, wenn ein Kandidat so argumentiert.”

Den wirklichen Grund für die fortdauernde Haft erfuhr Fausts Kölner Anwalt Friedrich Paashaus in einem Telefongespräch am 2. Januar 1978 mit dem Vorsitzenden Richter am Landgericht Bonn, Schmitz-Justen, der wörtlich sagte: „Ich habe den Eindruck, es geht den Strafverfolgungsbehörden offensichtlich darum, zu verhindern, das der Beschuldigte sein geplantes Buch über das Bundesamt für Verfassungsschutz veröffentlicht.” Dieses Ziel, wenn es das Hauptziel war, haben die Behörden erreicht. Bis heute hat Faust einen Großteil seiner beschlagnahmten Unterlagen nicht zurückerhalten, und dies, obwohl, wie schon erwähnt, die Anklagepunkte gegen ihn so schwach waren, das nie die Hauptverhandlung gegen ihn eröffnet wurde und zudem das beschlagnahmte Material zum überwiegenden Teil nichts mit dem Fall Traube zu tun hatte.

Faust bemerkt dazu bitter: „Rudolf Bahro wurde in der DDR verhaftet, nachdem sein Buch in der Bundesrepublik erschienen war, mich machte man schon mundtot, bevor auch nur eine Zeile erschienen war.”

Auch sonst taten die Behörden alles, um Fausts Ruf gründlich zu ruinieren, was der stellvertretende Regierungssprecher Grünewald am 23.12. 77, also eine gute Woche nach dem entlastenden BGH-Urteil, über Faust äußerte, grenzt an Ehrabschneidung.

Später, als Fausts Rechtsanwälte mit viel Mühe endlich die Haftverschonung ihres Mandanten erreicht hatten, machte man ihm solche Auflagen, das es ihm unmöglich war, seinen Beruf als Journalist weiter auszuüben. Man entzog ihm Pass und Führerschein, und er hatte sich zweimal wöchentlich bei der örtlichen Polizeidienststelle zu melden. Als Begründung wurde diesmal angegeben: Fluchtgefahr. So war es ihm unmöglich, ein Angebot seines ehemaligen Chefredakteurs anzunehmen, das im Frühjahr 1978 an ihn erging, sicher die letzte Chance für den damals 57jährigen. Vorher hatten die Verfassungsschützer schon dafür gesorgt, das sich „das Klima im Hause Burda entscheidend zulasten Fausts verschlechterte”, wie Gert Dürr den Rausschmiss umschreibt. Offiziell einigte man sich darauf, „wegen der Probleme und Ungewissheiten im Zusammenhang mit den gegen Herrn Faust im Ermittlungs- und Haftbefehlsverfahren erhobenen Vorwürfen und zur Vermeidung eines Arbeitsrechtsstreites das Anstellungsverhältnis zum 1. März 1978 aufzulösen”.

Hier gibt es deutliche Parallelen zum Fall Traube. Auch in seinem Fall sorgten die Staatsschützer für die Kündigung. Auch Traube fand keinen neuen Arbeitsplatz.

Erst am 24.11.1978 wurde der Haftbefehl gegen Faust aufgehoben und zugleich die Eröffnung der Hauptverhandlung abgelehnt. Seitdem kämpft Faust um eine Entschädigung zumindest für den erlittenen Vermögensschaden, der ihm nach dem „Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen” eindeutig zusteht. Wieder dauerte es ungebührlich lange, bis das Gericht über diesen juristisch so unstreitigen Fall entschied. Am 14. Juli 1980 erst erkannte ihm das Landgericht Bonn „eine Entschädigung aus der Staatskasse zu, soweit er durch den Vollzug der Untersuchungshaft und andere Strafverfolgungsmaßnahmen einen Schaden erlitten hat”. Das heißt aber nun nicht, das ihm seitdem auch nur eine halbwegs angemessene Entschädigung zuteil geworden wäre. Als unstrittig gilt bisher nur die Entschädigung für die erlittene Untersuchungshaft, dafür stehen ihm DM 10 pro Tag zu, DM 650 wurden ihm endlich im Februar dieses Jahres (1981) zugesprochen. Um alles andere muss er mühsam kämpfen, in einem Zivilprozessverfahren, weil die Landesjustizverwaltung` NRW der Meinung ist, die Untersuchungshaft habe nichts mit der Rufschädigung zu tun, die daraufhin erfolgte. Ein schlechter Ruf sei zwar bedauerlich, aber sei nicht die unmittelbare Folge der U-Haft, ebenso wenig wie seine Entlassung bei Burda.

Ebenso ging es seinen Verteidigern die man mit DM 1.325 im Falle Dürr bzw. DM 1.991 im Falle Paashaus abspeiste. Die wirklichen Kosten beliefen sich für beide jeweils etwa auf das Zehnfache. Allein, wenn man weiß, das die Akte Faust 10.000 Blatt umfasst, wird klar, das die Summen nicht zu hoch angesetzt sind. Die Verteidiger haben inzwischen Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht erhoben.

Dabei kann Faust noch von Glück sagen, das ihm überhaupt – wenn auch bisher nur formal eine Entschädigung zugesprochen wurde. Eigentlich hatte man die Absicht, wie aus Pressemeldungen hervorgeht, Fausts Begehren abzuweisen mit dem Hinweis auf § 2 des Strafentschädigungsgesetzes, in dem es heißt: „Die Entschädigung ist ausgeschlossen, wenn und soweit der Beschuldigte die Strafverfolgungsmaßnahmen vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht hat.” Offensichtlich besann sich das Gericht noch rechtzeitig darauf, das im Falle Faust allenfalls die Ermittlungsbehörden grob fahrlässig gehandelt hatten, nicht dagegen der Beschuldigte.

Übrigens wurden im November 1980 zwei ehemalige SS-Angehörige, die dem Kommandanturstab des Konzentrationslagers Auschwitz angehört hatten und denen die Anklage mehrfachen Mord vorgeworfen hatte, vor dem Schwurgericht Aschaffenburg nicht nur freigesprochen, „weil kein einziges schriftliches Dokument zu den Beschuldigungen vorgelegen habe”, sondern sie erhielten selbstverständlich ohne weiteres eine Haftentschädigung zuerkannt.

Bei Faust hingegen war wieder von der ominösen Opfergrenze die Rede, die jeder einzelne im Interesse des Rechtsstaats zu erbringen habe. Diese Opfergrenze erlangte kürzlich wieder eine makabere Aktualität. Ebenfalls im November 1980 wurde bekannt, das die Akten über den „Fall Stoltzenberg” nun endgültig geschlossen werden sollen. Man erinnert sich, es handelt sich um die offene Lagerung von Kampfgasen auf dem Gelände der Hamburger Chemiefirma Stoltzenberg. Beim Spielen mit diesen Giften verunglückte ein Junge tödlich, zwei andere wurden schwer verletzt. Jetzt sind die Akten geschlossen, ohne das auch nur gegen einen einzigen Beamten disziplinarrechtliche Schritte eingeleitet wurden, geschweige denn strafrechtliche. Und das, obwohl der Untersuchungsausschuss festgestellt hatte: „Einzelne Erscheinungsformen des bürokratischen Handelns sind für den Untersuchungsausschuss schlicht nicht mehr fassbar.” In einem Jahr oder zwei werden alle diese Beamten befördert sein. Die am Verfassungsbruch gegen Traube beteiligten Verfassungsschützer sind es inzwischen auch.

Auch gegen den letzten Besitzer der Firma hat die Staatsanwaltschaft die Klage rücksichtsvoll zurückgezogen. Nach zwei Herzinfarkten sei er ohnehin verhandlungsunfähig. Selbst der Verteidiger spricht hier von einer politischen Entscheidung. „Die Verhandlungsunfähigkeit meines Mandanten war eine gute Gelegenheit, die Affäre Stoltzenberg endgültig unter den Tisch zu kehren.” Wäre man nämlich an der Aufklärung interessiert gewesen, hätte man zumindest das Gericht die Verhandlungsunfähigkeit feststellen lassen. Man verhielt sich in diesem Falle parallel wie im Falle des „Spiegel” nach der Veröffentlichung über den illegalen Lauschangriff. Die Regierung erteilte hier niemals die Genehmigung, wegen § 353c zu ermitteln, desselben also, weswegen man Faust vor Gericht bringen wollte. Dabei sollte er nur geheimes Material weitergegeben haben, der „Spiegel” aber hatte es veröffentlicht. Man zog es vor, ganz allein Faust den Sündenbock spielen zu lassen.

Genauso ging man zunächst auch in Hamburg wieder vor. Man stellte nämlich einzig und allein den Vater des tödlich verunglückten Jungen unter Anklage. Begründung: Er habe die Experimente der Jungen unterstützt. Der Verteidiger nannte diese Begründung einen Skandal, bevor er mit viel Mühe die Verfahrenseinstellung erreichte. Ein Skandal war es sicher, das es überhaupt zur Anklage kam, aber abgesehen davon: War die Staatsanwaltschaft der Ansicht, die „persönliche Opfergrenze” dieses Mannes, der durch die Fahrlässigkeit der Behörden seinen Sohn verloren hatte, sei noch nicht erreicht? Die der SS-Soldaten, deren Verfahren mit Freispruch endete, war offenbar schon durch die Untersuchungshaft bis zur Neige ausgekostet. Zufall, oder ist Justitia wieder mal auf dem rechten Auge blind?

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