Publikationen / vorgänge / vorgänge 55

Lehren aus Affären mit dem Bundes­nach­rich­ten­dienst (BND)

vorgängevorgänge 5502/1982Seite 60-68

aus: vorgänge Nr. 55 (Heft 1/1982), S. 60-68

Vor kurzem machte noch einmal ein Mann Schlagzeilen, der eine der spektakulärsten Geheimdienstaffären der BRD auslöste, nämlich Günter Guillaume anlässlich seines Austausches gegen westliche Spione in der DDR (1). Es scheint mir deshalb sinnvoll, im Rahmen eines Beitrags über den Bundesnachrichtendienst (BND) an die im Jahre 1974 publik gewordene Guillaume-Affäre zu erinnern, weil der sie thematisierende parlamentarische Untersuchungsausschuss zahlreiche Fakten über diesen Geheimdienst ans Tageslicht förderte, die erstmals einer breiteren Öffentlichkeit einen gewissen Einblick in Nachrichtendienst-Praktiken vermittelte, die viele bis dahin wohl für unmöglich gehalten haben.

Bundeskanzler Schmidt sagte aus Anlass des 25jährigen Jubiläums des BND vor circa einem halben Jahr: „Die Nachrichtendienste sollen unsere demokratische Ordnung, sie sollen unsere freie, offene Gesellschaft schützen“ (2) Schmidt weiter: Die Bürger müssten wissen, dass die „notwendige Kontrolle der Dienste gewährleistet ist“ (3). Weder der einen noch der anderen Behauptung Schmidts kommt nach den aus mehreren Affären zu ziehenden Schlüssen ein allzu hoher Realitätsgehalt zu. So ließ z. B. die Guillaume-Affäre folgendes deutlich werden:

1. Bespit­ze­lungen und Denun­zia­ti­onen

Der BND, eigentlich nur für Spionage im Ausland zuständig, hat zumindest bis zum Regierungsantritt der SPD/FDP-Koalition auftragswidrig mindestens 54 namentlich bekannte bundesdeutsche Politiker bespitzelt und über sie Akten angelegt. Der „Stern” berichtet von einer insgesamt „600 Personen umfassenden Sonderkartei“ (4). Diese Dossiers wurden unkontrolliert fotokopiert und auch an Dritte weitergegeben.

Zur rechtlichen Würdigung der BND-Praktiken ist es zunächst notwendig, darauf hinzuweisen, dass es eine gesetzliche Grundlage für den BND bis auf den heutigen Tag nicht gibt. Vielmehr wurde der BND „durch Kabinettsbeschluss vom 11. Juli 1955 am 1. April 1956 in Dienst gestellt . . . Grundlage dieses Beschlusses war die der Bundes-regierung ipso jure zustehende Organisationsgewalt“ (5). Die nur in vertraulichen Kabinettsbeschlüssen festgelegten Aufgaben des BND umriss BND-Präsident Wessel folgendermaßen: „Der BND sammelt und bearbeitet im Interesse der Sicherheit unseres Landes und im Auftrag der Bundesregierung im Ausland Nachrichten, die aus anderen Informationsquellen nicht zur Verfügung stehen und deshalb als Beurteilungselemente für die Entscheidungen der Regierung unentbehrlich sind.” Zum Bereich Beschaffung heißt es in den BND-Statuten: „Beschaffung von Informationen militärischen, wirtschaftlichen und rüstungstechnischen, sowie politischen Inhalts mit nachrichtendienstlichen Mitteln aus dem Ausland“ (6).

Entgegen dieser klaren Beschränkung des BND auf Auslandsaufgaben bestätigten vor dem Untersuchungsausschuss der ehemalige Kanzleramtschef und BND-Dienstherr Horst Ehmke und der damalige BND-Präsident Gerhard Wessel BND-Spitzeldienste im Inland. Die entsprechenden Dossiers umfassten nicht nur die politischen Aktivitäten der Bespitzelten, sondern ebenso ihre „Ess-, Trink- und Bettgewohnheiten”. Ehmke laut „Spiegel”: „Der frühere BND-Präsident Gehlen brauchte das, um sich allen Versuchen, den Dienst unter Kontrolle zu bringen, entziehen zu können. Woher wusste wohl Adenauer, dass sein FDP-Vize Blücher mal was mit ’ner Mulattin gehabt haben soll, wenn nicht vom BND” (7).

Nicht nur Einzelpersonen wurden überwacht, sondern auch Organisationen. Noch im März 1971, also zwei Jahre nach der Regierungsübernahme von SPD und FDP, flog eine BND-Angestellte auf, die Material über die SPD sammelte. SPD-Interna – unter anderem Aufzeichnungen von vertraulichen Vorstandssitzungen (8) – hatte der einstige Leiter des früher in der DDR nachrichtendienstlich arbeitenden Ostbüros der SPD für den BND zusammengetragen (9). Dass diese BND-Dossiers auch an Dritte zum Beispiel an Parteien oder Journalisten weitergegeben wurden, hielt BND-Präsident Wessel für denkbar (10). Der damalige SPD-Bundesgeschäftsführer Holger Bömer hatte Anhaltspunkte dafür, dass „Ergebnisse von solchen Ausspähungen auch als innenpolitische Knüppel” verwandt wurden (11). Ehmke sagte aus, dass zum Beispiel „das über die SPD vorn BND ‚ohne Auftrag der Auslandsaufklärung‘ zusammengetragene Material ‚interessierten politischen Kreisen‘ zugänglich gemacht wurde” (12). Der frühere Chef der BND-Abteilung Beschaffung, General a. D. Lankau bekannte, dass er Material über Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens aus anfallenden Berichten zusammengefasst und als sogenannte
Führungsnotizen direkt an den damaligen BND-Präsidenten Gehlen weitergegeben habe, worauf die Originalunterlagen vernichtet worden seien, so dass eine spätere Kontrolle der „Notizen”, die Gehlen wahrscheinlich in seine Sonderkartei genommen habe, nicht mehr möglich gewesen sei (13).

Neben Politikern, führenden Oppositionellen, wie etwa Wolfgang Abendroth oder Viktor Argartz (14), und der SPD bespitzelte der BND auch noch ausgiebig Verlage, Journalisten und Verleger; so den „Stern” und den „Spiegel”, den Springer- und Bauer-Verlag, Augstein und Nannen, Sebastian Haffner und 08/15-Autor Hans-Hellmut Kirst (15), Margarethe Buber-Neumann und Gert Bucerius (16). Ein Star-Inlandsagent des BND in dieser Sache, Günther Heysing, beschaffte übrigens noch bis 1973 einschlägiges Material für den BND (17). Er beschränkte sich nicht auf Materialbeschaffung, sondern zettelte durch heimliche Denunziationen und Tipps an reaktionäre Organisationen aktiv Kampagnen etwa gegen Kirst oder Haffner an. Auch den BND animierte er „zu praktischer psychologischer Kriegsführung”. In Dokumentationen und durch stete Wiederholung von Vorwürfen, die darin gipfeln sollten, Haffner stehe im Sold der SED, müsse der Kommentator so unglaubwürdig gemacht werden, dass selbst Herausgeber Bucerius das Vertrauen in seinen Mann verliere. Heysing an den BND: „Eine Einschränkung der Wirksamkeit von H. kann nur erreicht werden, wenn ihm die publizistische und wirtschaftliche Basis beim ‚Stern‘ zerstört wird“ (18).

2. Innen­po­li­ti­sche Obstruktion gegen die parla­men­ta­ri­sche Linke

Waren mit BND-Unterstützung innenpolitische Kämpfe zu führen, so richteten sich diese stets gegen die politische Linke, wie das oben genannte Beispiel bereits zeigt. Hatte R. Gehlen die Mitglieder seines Dienstes vorwiegend aus SD-, Gestapo- und Nachrichtenoffizieren der NS-Ära rekrutiert, so wurde die reaktionäre Gesinnung dadurch konstant gehalten, dass neue Mitarbeiter vorwiegend auf Empfehlung von Bekannten und Verwandten angeworben wurden. „Folge: In dem ohnehin schon konservativen Nachrichtendienst bildeten sich immer neue rechtslastige Zirkel“ (19), was auch eine Zusammenarbeit mit entsprechenden gesellschaftlichen Kräften nahelegt.

So überrascht es nicht, dass die von dem BND-Agenten Bährwald – später „Berater” der CDU/CSU-ausgespähten SPD-Interna der CSU-Landesleitung in München zugespielt wurden (20) und dass der seinerzeit zuständige Kanzleramtsminister H. Ehmke nicht vom BND sondern zuerst von F. J. Strauß erfuhr, dass bei einer BND-Außenstelle die Akte über SPD-Intema sichergestellt wurde (21). Zu diesem Zusammenspiel zwischen BND-Mitgliedern und konservativen Kräften gehört weiter, daß

– „die CDU/CSU durch Indiskretionen aus einigen Bundesdienststellen in der Affäre Guillaume über erheblich mehr Informationen als die Regierung verfügt“ (22);
– von Vertretern der CDU/CSU präzise Fragen zu Ermittlungskomplexen im Falle Guillaume gestellt wurden, die zu diesem Zeitpunkt von den Behörden noch geheimgehalten wurden (23) bzw. bis dahin noch nicht einmal dem Kanzleramt bekannt waren (24);
– die CDU/CSU-nahe Presse Andeutungen über Ermittlungsergebnisse veröffentlichte, bevor im Vertrauensmänner-Gremium die Abgeordneten darüber unterrichtet worden waren (25);
– dem konservativen ZDF-Moderator Löwenthal BND-Geheimberichte zugespielt wurden (26);
– BND-Mitarbeiter von Akten, die Ehmke zu vernichten befohlen hatte, Fotokopien anfertigten und an konservative Massenmedien weitergaben (27);
– Erkenntnisse aus einer geheimen Verschlusssache der Führungsorientierung des BND bei der Fragestunde des Bundestages durch den CSU-Abgeordneten L. Niegel veröffentlicht wurden (28);
– die „ ‚CSU-Seilschaft‘ (Pullach-Jargon) . . . noch heute die Personalpolitik des BND beeinflusst.
– trotz sozialliberaler Reformversuche“ (29) und es schaffte, die Antikommunistin und Anti-Brandtkämpferin S. Sievers als BND-Mitarbeiterin anzustellen (30);

Ehmke: „Was den BND in den Rufgebracht hat, mit der CSU verfilzt zu sein, ist das Zusammenspiel in vielen Kampagnen . . . Da liegt dann die Gefahr nahe, dass sich Teile dieses Dienstes verselbständigen und Mitarbeiter auf fremde Rechnung arbeiten“ (31). Außer ehemaligen BND-Agenten sind übrigens auch solche des Verfassungsschutzes (VS) für die CDU/CSU tätig (32). Nur am Rande sei erwähnt, dass auch diese Praktiken auftragswidrig sind, denn es gehört natur-gemäß nicht zu den Aufgaben des BND – zudem gegen den Willen der Bundesregierung -‚ konservative Kräfte mit geheimem Material zu versorgen.

3. Bestechung von Journa­listen durch den BND

Der BND hat sich zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung, zur eigenen Absicherung und zur Inlandsaufklärung Journalisten und andere „politisch einflussreiche Persönlichkeiten durch Zahlung von Gefälligkeitshonoraren und Übernahme der Kosten für teure Vergnügungsreisen” verpflichte (33). Einem „Stern“-Bericht zufolge wagten es viele Politiker nicht, gegen den BND „aufzutreten, weil er Persönliches aus ihrer Privatsphäre in seinen Dossiers gesammelt hatte. Und außerdem hatte er einflussreiche Leute durch finanzielle Zuwendungen so an sich gebunden, dass sie sich bei Bundeskanzler Adenauer, dessen Staatssekretär Globke und Knieper für ihn einsetzten.” Laut Ehmke, der von „übelster Korrumpierung von Teilen der Presse” durch den BND sprach, hat es seinerzeit erhebliche Zahlungen an Journalisten gegeben, „die für den Dienst Inlandsaufklärung betrieben hätten”. Er schilderte, dass Journalisten, die nebenher für den BND arbeiteten, gegen Honorar Berichte an BND-Außenstellen gaben und wenige Tage später unter Berufung auf diese Berichte Meldungen für ihre Blätter schrieben“ (34). Für diese Spitzeleien seien zwischen 1.500 und 15.000 DM monatlich – natürlich steuerfrei – gezahlt worden (35).

Der damalige. Redaktionsdirektor der Illustrierten „Quick” behauptete, dass „gut zehn Dutzend der führenden Journalisten in der Bundesrepublik Sonderverbindungen mit dem BND haben”, was eine „ehrenhafte” Sache sei (36), der „Extra-Dienst” wusste von 60 „BND-Mitarbeitern aus Journalistenkreisen” zu berichten (37). Laut „Frankfurter Rundschau” soll die „Führungsstelle für journalistische Mitarbeiter des BND . . . ihren Sitz seit Jahren in Neu-Isenburg südlich von Frankfurt haben“ (38). Dass sich Journalisten vom BND bestechen lassen, nannte BND-Chef Wessel eine „staatserhaltende Pflicht”, General-Bundesanwalt a. D. Martin befand: „Was ist schon dabei?“ (40). Dagegen erhob der Deutsche Presserat gegen diese Praktiken schärfsten Protest und drängte außerdem auf eine Änderung der „bisherigen Praxis” (!) BND-Residenten im Ausland als Journalisten zu deklarieren (41).

4. Inter­na­ti­o­nale Waffen­ge­schäfte

Der BND beteiligte sich am internationalen Waffenhandel und sorgte mit hoher Wahrscheinlichkeit mit dafür, dass unter Verstoß gegen das Außenwirtschaftsgesetz Kriegswaffen ohne die notwendige Genehmigung durch die zuständigen Bundesbehörden in Spannungsgebiete exportiert wurden.

Über die frühere Frankfurter Firma „Radio A. I. R.”, nach dem Bericht des Fernsehmagazins „Monitor” eine Außenstelle des BND und die Firmen „Merex AG” und „Dobbertin” scheint der BND mit geholfen zu haben, illegale Rüstungsgeschäfte in Millionenhöhe zu tätigen und unter anderem über 100 Flugzeuge, sowie Geschütze, Raketen, Maschinengewehre, Bordkanonen etc. an Saudi-Arabien, Nigeria, Indien, Pakistan u. a. zu liefern (42). Das Kriegsmaterial stammte zum überwiegenden Teil aus überschüssigen Beständen der Bundeswehr und wurde aufgrund gefälschter Exportpapiere zur Ausfuhr freigegeben. Dem „Spiegel” zufolge soll nicht nur der BND, sondern auch der Staatssekretär des damaligen Bundeskanzlers Erhard, Ludger Westrick, über den Waffenhandel informiert gewesen sein. Auskünfte über diesen Waffenhandel wollten BND-Vertreter vor dem Untersuchungsausschuss nicht abgeben. Einzelheiten könnten nur in nichtöffentlicher Sitzung erörtert werden. Horst Ehmke allerdings antwortete auf die Frage: „Bestätigen Sie also, dass der BND Waffenhandel betrieben hat?”: „Das ist vom Präsidenten (des BND) vor dem (Guillaurne-)Ausschuss schon gesagt worden“ (43). Selbst nach Ansicht des früheren Kanzleramtschefs Carstens, dessen Verwicklung in diese Affäre nie geklärt wurde, ist der Waffenhandel „durch die Vorschriften für den BND nicht gedeckt“ (44).

5. Vettern­wirt­schaft und Unter­schla­gungen

Schließlich werden in dem von Ex-Staatssekretär Reinhold Mercker im Auftrag der Großen Koalition erstellten Bericht über den BND diesem weiterhin vorgeworfen (45):

– Fälschung von Nachrichten, die der Bundesregierung übermittelt wurden;
– „eklatante Missachtung von Sicherheitsbestimmungen”; so war der später als Sowjet-Spion enttarnte Heinz Felfe ohne genaue Sicherheitsüberprüfung beim BND eingestellt worden. „Felfes Zugehörigkeit zum Schwarzen Korps genügte zur Aufnahme in die Agententruppe, wo zahlreiche SD- und Gestapoleute untergeschlüpft waren”;
– Vetternwirtschaft und Unterschlagungen: „lukrative Jobs” vergab Gehlen gern an eigene Angehörige und an Verwandte leitender Mitarbeiter. Dabei kam es sogar zu „Unterschlagungen in größerem Ausmaß” (Mercker: „ein korruptes Unternehmen“). Gehlen selbst versorgte beim BND allein 16 Verwandte.
– Nach einem „Vorwärts“-Artikel, auf den sich der „Extra-Dienst” bezieht, scheinen selbst Geheimdienst-Morde nicht auszuschließen zu sein (46).

6. Nur „relativ tüchtige” bundes­deut­sche Geheim­dienste …

Nicht zuletzt haben wir der Guillaume-.Affäre die Einsicht zu verdanken, dass die bundesdeutschen Geheimdienste „nur relativ tüchtig sind” – wie es Rudolf Augstein dezent ausdrückte (47), oder, dass nach dem Urteil des CIA-Experten V. L. Marchetti, „der BND ein durch und durch unfähiger Geheimdienst“ ist (48). Möglicherweise weil BND wie Verfassungsschutz (VS) (49) soviel mit Aufgaben zu tun haben, mit denen sie ihrem Auftrag zufolge eigentlich nichts tun haben?

7. Guillaume Ermitt­lungen

Alle Pannen und den Dilettantismus der bundesdeutschen Geheimdienste allein in der Guillaume-Affäre im einzelnen zu beschreiben, würde Bände füllen. Deshalb soll hier nur eine ;kleine Auswahl aus den „Ermittlungen” gegen Guillaume genannt werden, um die oben zitierten Urteile überprüfbar zu machen:

– bei der unter Einschaltung des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BIV) und des BND durchgeführten Sicherheitsüberprüfung Guillaumes fiel nicht auf, dass der Verlag „Volk und Wissen”, bei dem Guillaume früher gearbeitet hatte, eine Tarnorganisation des DDR-Staatssicherheitsdienstes war; obwohl sowohl dem BND (50) als auch einer Abteilung des BfV (51) entsprechende Erkenntnisse über den Verlag vorlagen. Die BfV-Abteilungserkenntnis befand sich jedoch nicht in der zur Überprüfung herangezogenen Zentralkartei, die BND-Erkenntnis kam aufgrund mangelnder Kooperation zwischen den Geheimdiensten nicht zum Tragen; – bei der Sicherheitsüberprüfung entging den Geheimdiensten weiterhin, dass Guillaume im ‚Mai 1966 schon einmal in eine Spionage-Affäre verwickelt war, in die Sieberg-Affäre (52);

– ebenfalls war versäumt worden, eine im BfV bereits seit 1956 existierende Top-Quelle zur Überprüfung Guillaumes heranzuziehen, die konkrete Verdachtsmomente enthielt und später zur Enttarnung beitrug (53);

– bereits 1958 meldete ein Doppel-Agent dem Hamburger Landesamt für VS, dass er Briefe des DDR-Staatssicherheitsdienstes für den damals in Frankfurt wohnenden G. Guillaume deponierte. Dem BW war das nicht bekannt Der frühere Doppel-Agent: „Die haben derart primitiv gearbeitet, die haben das sicher verschlafen und gar nicht weitergegeben“ (54);

– als die Verfassungsschützer schließlich begannen, Guillaume zu überwachen, beschatteten sie zunächst tagelang die frühere Frankfurter Wohnung Guillaumes, weil sie nicht mitbekommen hatten, dass der Verdächtige längst in Bonn wohnte, wo er übrigens auch im Telefonbuch stand (55) – wie weiland 1968, als in Düsseldorf der „Spiegel“-Geschäftsstellenleiter Erich Fischer als Rudolf Augstein verhaftet wurde (56), während Augstein wie gewöhnlich in Hamburg im Verlagshaus war;

– nach neun Monaten Überwachung hatten die Verfassungsschützer schließlich herausgefunden, dass Guillaume zwei Söhne habe, was Willy Brandt gemeldet wurde, der zurecht Zweifel an den Verdächtigungen hatte, denn Guillaume hatte nur einen Sohn;

– während Guillaume bereits überwacht wurde, konnte er dank der Unachtsamkeit der Geheimdienstler noch geheime Akten studieren und intime Kontakte mit der Sekretärin des Chefunterhändlers der Bundesregierung zur DDR, Gaus, anknüpfen (57);

– Guillaumes Beschatter verhielten sich derart auffällig, dass Guillaume seine Beschattung erkannte und sich die Autonummern seiner Verfolger notierte, woraufhin die Beobachtung für einige Wochen unterbrochen werden musste (58);

– bei seinem letzten Frankreich-Urlaub sollen sich die Beschatter wiederum derart dilettantisch verhalten haben, dass der Agent aufmerksam wurde und einen bislang noch nicht verhafteten Komplizen in der BRD hat warnen können (59).

Nun muss man nach den bekannt gewordenen Praktiken der bundesdeutschen Geheimdienste froh sein, wenn sie nicht funktionieren – auch wenn für den mehr als 6.000 Mitarbeiter umfassenden BND-Apparat (60) und das circa 3.500 beamtete Staatsschützer (61) zählende BW Hunderte von Millionen DM Jahr für Jahr verschleudert werden. So wie die Dinge liegen, muss man es auch eher begrüßen, dass BND, VS und Staatsschutzabteilungen der Polizei in der Vergangenheit eher gegeneinander gearbeitet haben als zu kooperieren (62) und eher makaber mutet es an, wenn man verfolgt, wie die sozial-liberale Koalition in den letzten Jahren begonnen hat, den in Teilen völlig arbeitsunfähigen BND wieder funktionstüchtig zu machen, den VS durch enorme Geldspritzen aufzurüsten und die Kooperation zwischen den verschiedenen Geheimorganisationen zu effektivieren.

8. Was eigentlich ist ein „Bundes­nach­rich­ten­dienst” wert?

Wenn die BRD Weltmachtträumen abgeschworen hat, wozu bezahlt sie dann eigentlich BND-Agenten in Seoul, Saigon oder Hongkong (63), und wenn bereits 1970 ein Anruf beim französischen Geheimdienst genügt hätte, Guillaume zu enttarnen (64), warum werden dann Mammut-Organisationen deutscher Dunkelmänner ausgehalten, die eine gewisse Effektivität eigentlich nur im Kampf gegen die politische Linke in der BRD entwickelt haben? Eben diese Funktion scheint die eigentliche Rechtfertigung für die diversen Geheimdienste zu sein – ihre Brauchbarkeit bei der Vorbereitung von Berufsverboten, Zensurmaßnahmen oder der Beschattung und Einschüchterung breiter Bevölkerungsgruppen. Dies beweisen auch die jüngsten BND-Affären:

– Da leistete der BND 1975 dem VS „technische Hilfe” beim Einbruch in die Wohnung des Atommanagers Klaus Traube, bei dem eine Wanze installiert wurde, um den Verdacht der Sympathie gegenüber Terroristen zu erhärten (65). Dass es sich bei dieser Aktion um einen klaren Verfassungsbruch handelte, kümmerte weder VS noch BND;

– Da wurde 1978 bekannt, dass der BND im Rahmen seiner „strategischen Kontrollen” jährlich etwa 1,6 Millionen Briefe öffnet und entsprechend viele Telefonate abhört im Post- und Fernmeldeverkehr von BRD-Bürgern mit Bekannten in Ostblock-staaten – der Chef der BND-Unterabteilung I D Referat 2: „Extensiv kontrollieren – alles was wir kriegen können“ (66). 250 Mitarbeiter, so der „Stern”, seien mit nichts anderem als dieser Fernmeldeüberwachung beschäftigt. Sie spicken darüber hinaus „ihre Kollegen vom VS und vom Militärischen Abschirmdienst mit Meldungen über Bundesbürger, die sie für unsichere Kantonisten halten“ (67), was ebenfalls gesetzwidrig ist.
Kanzleramtschef Schüler, dem der BND unterstand, bestätigte und rechtfertigte diese Überwachungspraktiken mit schier unglaublichem Zynismus: Die Überprüfung von „nur” 1,6 Millionen Briefen mache deutlich, „dass damit der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sorgfältig beachtet wird“ (68). Das Ergebnis einer in dieser Sache eingeleiteten Verfassungsbeschwerde (69) bleibt abzuwarten.

– 1979 berichtete der „Spiegel”: „Bonn ist ‚in eine unmögliche Situation geraten‘ (Innenminister Baum), die das Verhältnis zu den arabischen Staaten trübt: Israelische Geheimdienstler verhörten in bayerischen Gefängniszellen Palästinenser und stifteten, so die Araber, einen PLO-Mann zu einem Mord an . . . BND-Chef Klaus Kinkel . . . : Sein Dienst sei als Vermittler tätig gewesen, er selbst habe von der Amtshilfe aber nicht gewusst… (70)

– Ebenfalls 1979 wurde bekannt, dass der BND „etwas außerhalb der Legalität Grenzbeamte Personalausweise von harmlosen Touristen fotografieren und DDR-Reisende aushorchen” ließ (71). Der BND „habe zu diesem Zweck 23 Grenzüber-gangsstellen mit einer speziellen Fotoausrüstung ausgestattet, die er auch mit dem notwendigen Filmmaterial beliefere . . ‚ Mit den 23 Geräten des BND würden monatlich 200 Filme mit jeweils 36 Aufnahmen belichtet“ (72) – über 80 000 Fotos also pro Jahr.

9. Die sozia­l-­li­be­rale Koalition zieht keine Lehren

Alle Affären des BND haben die sozialliberale Koalition bisher allenfalls zu kosmetischen Operationen veranlasst und die Lehre aus allen Affären ist die, dass sie die Regierenden nichts lehren werden. Lediglich die Vetternwirtschaft im BND wurde 1974 etwas abgebaut – etwa 130 ohnehin funktionslose Verwandte von BND-Mitarbeitern wurden gefeuert, und vielleicht ist auch das Budget zur Journalistenbestechung leicht gekürzt worden. 15.000 DM monatlich mussten es ja auch nicht unbedingt sein.

Auf grundlegende Änderung, die die häufig gesetzwidrige Arbeitsweise des BND in rechts-staatliche Bahnen lenken würde, besteht keinerlei Aussicht. So wird der BND, der im ganzen Bundesgebiet 75 Dependancen unterhält und 1980 über einen offiziell ausgewiesenen Etat von 153 Millionen DM verfügte (73) (weitere Mittel sind im Verteidigungsetat versteckt), weiter wuchern und in Grundrechte der Bundesbürger eingreifen, obwohl er eigentlich nur für Auslandsspionage zuständig ist.

Dabei scheint es in dieser „Branche” ohnehin unüblich zu sein, selbst bei Gesetzesbruch zur Rechenschaft gezogen zu werden. Nach Konsequenzen gegen BND-Angehörige gefragt, die entgegen ihrem dienstlichen Auftrag in der BRD Politiker bespitzelt haben, antwortete die parlamentarische Staatssekretärin im Bundeskanzleramt, Marie Schlei, 1974, dass keine Disziplinarmaßnahmen eingeleitet werden sollten. Hier halten es die Sozialdemokraten wie die Unionschristen: Auf die Frage, was der seinerzeit für den BND zuständige CDU-Carstens auf die im Mercker-Bericht erwähnten strafrechtlichen Verfehlungen und „Unterschlagungen in erheblichem Ausmaß” unternommen habe, erklärte Carstens, er habe „einem Beamten damals seine Missbilligung ausgesprochen” – nichts weiter (74).

Verweise

1  Vgl. z. B. Frankfurter Rundschau (FR) 25. 9. 81
2  FR 2. 4. 81
3  ebenda
4  Stern 41/74, S. 160
5  Thomas Walde: ND-Report, Die Rolle der geheimen Nachrichtendienste im Regierungssystem der BRD, München 1971, S. 79
6  ebenda, S. 81f
7  Spiegel 42/74, S. 25ff, die Namen von bespitzelten Politikern veröffentlichte die FR in ihrer Ausgabe vom 10. 10. 74
8  FR vom 23. 10. 74
9  FR 19. 10. 74
10 FR 10. 10. 74
11 FR 23. 10. 74
12 FR 10. 10. 74
13 FR 8. 11. 74
14 FR 10. 10. 74
15 Spiegel 47/74, S. 91-102, FR 18. 11. 74
16 FR 10. 10. 74
17 Spiegel 47/74, 5. 102
18 ebenda
19 Spiegel 9/74, 5. 55
20 FR 17. 10. 74
21  FR 17. 10. 74
22 FR 8. 5. 74
23 FR 6. 5. 74
24 Spiegel 19/74, S. 21
25 ebenda
26 FR 15. 6. 74
27 ebenda
28 FR 21. 6. 74
29 Spiegel 21/74, 5. 68
30 benda, S. 72
31 Extra-Dienst 29. 10. 74, S. 10
32 FR 12. 9. 74
33 Stern 51/74, S. 159
34 FR 10. 10. 74
35 Spiegel 44/74
36 FR 24. 10. 74
37 Extra-Dienst vom 29. 10. 74, S. 9
38 FR 23. 10. 74
39 FR 25. 10. 74, 10. 10. 74
40 Spiegel 45/74, S. 8
41 FR 4. 12. 74
42 Spiegel 47/74, S. 65-70, FR v. 23. 10. 74, FR 12. 11. 74; vgl. auch Spiegel 51/1978, S. 24-31
43 Extra-Dienst 29. 10. 74, S. 11
44 FR 11. 10. 74
45 Die folgenden Angaben sind zitiert nach dem „Stern” 41/74, S. 158-160; Zur 46 Vetternwirtschaft vgl. auch Spiegel 36/74, 5. 24f
46 Extra-Dienst, 20. 10. 74, S. 9
47 Spiegel 42/74, S. 26
48 Spiegel 42/74, 5. 169
49 Zu den Praktiken des VS vergl. D. Damm, So arbeitet der Verfassungsschutz, Berlin 1970; ders.: Berufsverbot durch VS „Kritische Justiz” 3/73, 5. 447-455
50 FR 31. 8. 74
51 FR 29. 8. 74
52 Spiegel 19/74, S. 23
53 ebenda, S. 25
54 Spiegel 40/74, S. 44; FR l. 10. 74
55 Spiegel 38/74, 5. 28
56 Spiegel 42/74, S. 26
57 ebenda, S. 28
58 FR 6. 12. 74
59 Spiegel 19/74, S. 21
60 Spiegel 14/1980, S. 23
61 FR 9. 5. 1981
62 So der frühere Abteilungsleiter im BfV, Hermenau laut FR vom 29. 8. 74; Zu den ausgedehnten Machtkämpfen zwischen BND und VS vergl. Spiegel 22174, S. 25-29
63 vergl. DS 21174, S. 72
64 Spiegel 19/74, S. 23
65 vgl. K. Traube: Lehrstück Abhöraffäre, in: Narr (Hg.): Wir Bürger als Sicherheitsrisiko, Reinbek 1977
66 Der Stern 46/1978, S. 75
67 ebenda, S. 76
68 Spiegel 47/1978, S. 25
69 Spiegel 1/1979, S. 14
70 Spiegel 44/1979, 5. 19f
71 Spiegel 14/1980, S. 23
72 FR 11. 4. 1979
73 DS 14/1980, 5. 23
74 FR 11. 10. 1974, Carstens erklärte weiter: Normalerweise trete er in solchen Fällen für klare Konsequenzen ein. Bei Geheimdiensten bestehe jedoch das Risiko, dass durch öffentliche Gerichtsverhandlungen Interna aus den Diensten bekannt würden – ein Freibrief für jegliche Art von Verbrechen.

nach oben