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An ihrer Sprache sollt ihr sie erkennen

vorgängevorgänge 1611/1975Seite 105-107

aus: vorgänge Nr. 16 (Heft 4/1975), S. 105-107

Joseph Ratzingers „Einführung in das Christentum”, 1968 erstmalig erschienen, gehört zu den meistgekauften theologischen Schriften in der Bundesrepublik: Die Ausgabe des Kösel-Verlags erreichte bereits 11 Auflagen, zu denen inzwischen mehrere Auflagen als dtv-Taschenbuch hinzukamen. Der dtv-Umschlag nennt das Buch großspurig „eine Summe der modernen Theologie”, verfaßt „in einer Sprache, die auch dem Nichttheologen verständlich ist”. Gerade mit der Sprache, mit den Sprachmitteln dieses Buches möchte ich mich befassen, ohne näher auf den Inhalt einzugehen.

Es ist nicht verwunderlich, daß dieses Buch „ankommt” : Ratzinger versteht es, kunstvoll gedrechselte Sätze in geschliffener Sprache aneinanderzureihen. Auf den ersten Blick erscheint alles so schön, so richtig, so einleuchtend (und Ratzinger betont auch immer wieder, wie recht er hat, und wie logisch er ist), man läßt gerne dieses leicht dahinplätschernde Gesäusel über sich ergehen, bis es einem zu dumm wird, bis man daran geht, die Sache, die Sprache, die „Argumentations“-Weise etwas näher zu untersuchen. Dann kann es einem ergehen wie Frau Alving in Ibsens „Gespenster”, die Pastor Manders gegenüber bemerkt: „Da war es, daß ich Ihre Lehren an meinem eigenen Saum prüfen wollte. Nur einen einzigen kleinen Stich wollte ich auftrennen; aber als ich den gelöst hatte, riß das Ganze auf. — Da erkannte ich, daß alles nur Maschinennäherei war.”
Joseph Ratzingers Maschinennäherei besteht darin, daß er alles, was er behauptet (aber gerade in den wichtigsten Aussagen kaum wirklich entwickelt, geschweige denn beweist), als absolut logisch und schlüssig hinstellt, während er auf andere Lehrmeinungen gar nicht näher eingeht, sondern sie schlecht und lächerlich zu machen sucht.
Es geht in dem Buch um Glaubensfragen, speziell um das „Glaubensbekenntnis”. Aber Ratzinger sagt nun nicht — wie man vielleicht erwarten könnte: Das ist meine Meinung; so könnte man dies auffassen; es gibt aber noch andere Interpretationsmöglichkeiten; aus dem und dem Grund neige ich eher zu dieser Ansicht. Nein: Ratzinger meint nicht, entwickelt nicht, wählt nicht, er hat gar nicht die Möglichkeit dazu; denn bei ihm entwickelt sich alles von selbst: Es „ergibt sich zwingend”, bzw die „Logik ist zwingend”, und zwar nicht irgendeine, sondern „die innere Logik” zwingt; mit einer „inneren Notwendigkeit” (und das wird des öfteren betont) geht da alles vor sich. Da kann man nichts machen. Das liegt einfach an der „unbestreitbaren Schlüssigkeit des Systems”, an der „Unausweichlichkeit” der von Ratzinger „entwickelten Logik”. Das wird jeder „sofort erkennen”, der „näher” oder „genauer zusieht”. Und wenns jemand nicht erkennen sollte, dann liegt das weder an den (nicht vorhandenen oder nicht plausiblen) Argumenten des Autors noch an der (Nicht-)Schlüssigkeit des Ganzen, sondern am Leser: Der hat eben nicht genau genug hingeguckt. Der gehört dann eben zu jenen anderen, die sich dieser „unausweichlichen Logik” nicht beugen wollen, aus „verstecktem Stolz” oder aus „Vernunftsstolz”, zu jenen „unkritischen”, die sich „so kritisch gebärden”, um „nur ja nicht etwa rückständig” zu erscheinen. (Man beachte diese Aneinanderreihung von Flickwörtern: „nur ja nicht etwa”) Nein, da möchte man nicht dazugehören, zu diesen „unernsten”, ja „unehrlichen” mit ihrer „Widersprüchlichkeit, die man beinahe als tragisch bezeichnen möchte” (eine Wallung der Rührung für diese ach so bedauernswerten Geschöpfe), zu denen, die „wohlklingende Allgemeinheiten” auftischen, welche „den Ohren der Zeitgenossen schmeicheln”; zu denen, „die sprachlich nicht exakt vorgehen” (ein Vorwurf, der gerade auf Ratzinger selbst zutrifft: siehe S. 177 und 214) und „alles durcheinandervermischen, was man gern zusammenhängen sehen möchte”.
Mit solchen und ähnlichen schmeichelhaften und pauschalen Urteilen bedenkt Ratzinger seine Gegner, die er kaum je beim Namen nennt, kaum je durch Zitate zu Wort kommen läßt. Dann müßte er sich nämlich damit auseinandersetzen. So aber kann er nach Belieben Popanze errichten und überwinden, um dann als siegreicher Drachentöter von dannen zu ziehen, neuen Aufgaben entgegen. Wie sagte doch Machiavelli so schön? Der Fürst solle sich „mit List Feinde schaffen, damit er durch ihre Überwindung seinen Ruhm vergrößere”! Am besten sind natürlich fingierte Feinde; ein solcher wird im Kapitel „Ein modernes Klischee des ,historischen Jesus” aufgebaut: Eine wahre Meisterleistung auf dem Gebiet der Überwindung von (in d e r Form gar nicht vorhandenen) Gegnern mittels Lächerlichmachung, Übertreibung und geschickter Wortwahl (hier z B Klischee, Vulgarisierungsform, vorgeben, abstrus, absurd, Hypothesen-Konglomerat).
Der Beginn dieses Kapitels klingt ganz sachlich, behutsam, vertrauenerweckend: „Wir müssen langsam vorgehen. Wer war eigentlich Jesus von Nazareth? Wie verstand er sich?” Diese Fragen werden nun quasi aus der Sicht des Gegners beantwortet: „Wenn man dem Klischee glauben dürfte, das sich als Vulgarisierungsform moderner Theologie heute weithin auszubreiten beginnt, wären die Dinge etwa so verlaufen: Den historischen Jesus müßte man sich als eine Art von prophetischem Lehrer vorstellen …” Und so geht es dann weiter, schön im Konjunktiv und zwar über zwei Seiten hinweg: immer wieder „sei” (15 x), „habe” (10 x), werde, hätte, könne müsse …(Man setze irgendeinen plausibel klingenden Satz in den Konjunktiv, dann wirkt er bedeutend unglaubwürdiger, unwahrscheinlicher!) Weitere Zitate gefällig? Bitte sehr: „Halten wir uns nicht dabei auf, daß eine so inhaltslose Botschaft, mit der man vorgibt (Frage: Wer tut das eigentlich?), Jesus besser zu verstehen, als er sich selbst verstand, schwerlich jemandem etwas hätte bedeuten können. Hören wir lieber einfach zu (wem eigentlich?), wie es weitergegangen sein soll. Aus Gründen, die nicht mehr recht zu konstruieren seien, sei Jesus hingerichtet worden… Danach sei auf eine auch nicht mehr recht (schon wieder!) erkennbare Weise der Auferstehungsglaube entstanden…”
Natürlich hat es Ratzinger dann nicht mehr nötig, auf irgendein Argument näher einzugehen. Nach dem letzten „sei” kommt auch gleich sein Urteil: “Das Ganze ist für den historisch Denkenden (Ratzinger zählt sich offenbar zu diesen!) ein absurdes Gemälde, auch wenn es heute scharen-weise seine Anhänger findet; für meinen Teil gestehe ich freilich, daß ich, auch vom christlichen Glauben abgesehen (?)‚ lieber und leichter zu glauben imstande bin, daß Gott Mensch wird, als daß ein solches Hypothesen-Konglomerat zutrifft”. (Raffiniert: nur zwei Alternativen aufzustellen und dann die unwahrscheinlichere auszusondern. Die andere stimmt dann unweigerlich, oder?) Das dürfte genügen: Es spricht für sich selbst und das Niveau des Obertheologen Joseph Ratzinger.

Noch ein kleines Schmankerl als Dreingabe: Ratzinger spricht gerne (wie auch obige Zitate zeigen) in der Wir-Form, wohl um den Leser gleich in seine Gedanken- bzw Glaubenswelt miteinzubeziehen oder einfach, weil er von sich eingenommen ist; der Papst verwendet ja auch den Pluralis majestatis. Im Abschnitt über die Dreifaltigkeit benutzt nun Ratzinger das Bibelwort „Laßt uns den Menschen machen” (Gn 1,26) als Argument dafür, daß Gott in mehreren Personen existiert („  . . . daß Gott im Gespräch mit sich selbst zu stehen scheint. Es gibt ein Wir in Gott”). Womit auch die 3-Faltigkeit Ratzingers bewiesen sein dürfte.

Übrigens: Die dtv-Reihe, in der dieses Buch erschienen ist, heißt „wissenschaftliche Reihe”.

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