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Fritz Bauer – Die Humanität der Rechts­ord­nung

Mitteilungen16309/1998Seite 90

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Mitteilungen Nr. 163, S. 90

Fritz Bauer – Ausgewählte Schriften Herausgegeben von Joachim Perels und Irmtrud Wojak., Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 1998, 443 S., DM 48,– , ISBN 3-593-35841-7; Wissenschaftliche Reihe des Fritz Bauer Instituts, Bd.5

Fritz Bauers juristisches Wirken war geprägt durch die Gedankenwelt der Aufklärung und das Rechtsdenken Gustav Radbruchs. 1930 der jüngste Amtsrichter Deutschlands, zählte er schon in der Weimarer Republik zur Minderheit republikanischer Richter. Er war einer der Mitbegründer des republikanischen Richterbundes in Württemberg und Vorsitzender der Ortsgruppe Stuttgart des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold. Als junger Assessor in Stuttgart schloß Fritz Bauer Freundschaft mit Kurt Schumacher, der ihm nach dem Zweiten Weltkrieg zur Rückkehr nach Deutschland verhalf.
Dazwischen lagen Jahre der Verfolgung und des politischen Exils, KZ-Haft in Deutschland, 1936 Flucht nach Dänemark und 1943, mit dem Einsetzen der Judenverfolgung im besetzten Dänemark, Flucht nach Schweden.
Als Remigrant zählte Fritz Bauer seit seiner Rückkehr im Jahr 1949 zu der Minderheit politischer Flüchtlinge, die in der bundesrepublikanischen Nachkriegsjustiz am Neuaufbau eines demokratischen Rechtsstaats beteiligt waren. Er wurde Generalstaatsanwalt in Braunschweig, 1956 berief ihn Georg August Zinn zum Generalstaatsanwalt des Landes Hessen. Nach seiner Rückkehr machte Fritz Bauer die Gedankenwelt des republikanischen Rechtsdenkens von Weimar, das er in der Emigration aufrechterhielt, für den Aufbau einer neuen, demokratischen Rechtsordnung fruchtbar. Er war sich dabei der Kräfteverhältnisse in der bundesdeutschen Justiz, in der die personelle Kontinuität der „Gerichtsbarkeit“ des NS-Regimes wiederhergestellt war, bewußt und betrachtete ihre Reformierbarkeit mit Skepsis.
In der Justiz und im Rahmen des restaurativen Rechtsdenkens der Ära Adenauer traf der „Jurist aus Freiheitssinn“, den er selbst vom „Juristen aus Ordnungssinn“ unterschied, auf viele Widerstände.
Fritz Bauers Name ist mit dem Remer-Prozeß in Braunschweig, dem spektakulärsten Prozeß zur Wiederherstellung der rechtlichen Integrität der Widerstandskämpfer gegen daß NS-Regime, und mit dem großen Frankfurter Ausschwitz-Prozeß als wichtigstem Verfahren zur Ahndung der staatlich organisierten Massenverbrechen verbunden. Der vorliegende Band enthält sowohl das Plädoyer Fritz Bauers im Remer-Prozeß, als auch einige der wichtigsten Beiträge zur rechtlichen Aufarbeitung der NS-Verbrechen. Sie veranschaulichen – wie nicht zuletzt seine Beiträge zum Widerstandsrecht – Fritz Bauers Verständnis von einer „Ordnung aus Freiheitssinn“ und der Verantwortung des Individuums, seine Pflicht zum Widerstand gegen schrankenlose staatliche Macht und Willkür. Aus den Schriften Fritz Bauers ergibt sich über die Notwendigkeit der Selbstaufklärung der Gesellschaft hinaus ein demokratischer Sinn der NS-Prozesse: „Die entscheidene Lehre der Prozesse“, faßte er zusammen, „gebietet die Bereitschaft zum eindeutigen Nein gegenüber staatlichem Unrecht.“
Fritz Bauers in der bundesdeutschen Nachkriegsjustiz singuläres Wirken steht für die juristische Aufarbeitung der NS-Verbrechen insgesamt. So war der engagierte politische Jurist ebenso Mitbegründer der Humanistischen Union sowie der Zeitschrift Kritische Justiz und der Zeitschrift Die Neue Gesellschaft. Er setzte sich mit der obrigkeitsgläubigen Realität der jungen Bundesrepublik auseinander. Fritz Bauer war ein Verfechter des Widerstandsrechts, der Liberalisierung des Strafrechts und der Resozialisierung. Die Reform des Strafrechts, dies machen die Beiträge deutlich, gehörte für ihn zum Neuaufbau der demokratischen Rechtsordnung, denn damit verbunden ist die Reflexion der sozialen Bedingungen der Kriminalität.
Der vorliegende Band sammelt wichtige Beiträge des streitbaren Juristen zu den Themen Aufarbeitung der NS-Verbrechen, Widerstandsrecht und Strafrechtsreform. Die Herausgeber übernahmen eine Einführung in „Motive im Denken und Handeln Fritz Bauers“. Die hier ausgewählten Beiträge richten sich nicht ausschließlich an ein juristisches Fachpublikum, einige der Beiträge schrieb der Hessische Generalstaatsanwalt speziell für junge Leser. Die Auswahl der Schriften spiegelt insofern zugleich ein Anliegen wider: Recht und Gestaltung der Rechtsordnung sind die Angelegenheit potentiell aller Menschen und nicht nur die einer gebildeten Schicht.

Das Schriftenverzeichnis der wissenschaftlichen Reihe des Fritz Bauer Instituts ist erhältlich über

das Fritz Bauer Institut:
Rheinstraße 29, 60325 Frankfurt/Main
Tel. 069/9758110

oder den Campus Verlag:
Heerstr. 149, 60488 Frankfurt/Main
Tel. 069/97651610

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