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Glaubens­sym­bole des Lehrper­so­nals gehören nicht in die Klassen­räume

Pressemitteilung, Mittwoch, 5.8.98, 8:00 Uhr

Mitteilungen Nr. 163, S. 78

Zu der anhaltenden Kritik an der sogenannten „Kopftuch-Entscheidung“, der baden-württembergischen Kultusministerin Annette Schavan (CDU), erklärt die Humanistische Union:

Die Entscheidung der Ministerin ist im Ergebnis plausibel, diskreditiert sich aber durch ihre falsche Begründung. Es geht nicht um die Frage, ob das Kopftuch ein Symbol für Toleranz ist oder nicht. Es ist daher verständlich, wenn sich viele Muslime in Deutschland diskriminiert fühlen. Besser wäre es gewesen, wenn die Ministerin ihre Entscheidung ausschließlich auf das verfassungsrechtliche Gebot der Trennung von Staat und Kirche begründet hätte, statt sich in fragwürdige Spekulationen über religiöse Themen zu ergehen. Diese Fragen sind innerhalb der islamischen Glaubensgemeinschaften ohnehin umstritten.
Bei der „Kopftuch-Frage“ kommt es indes nicht auf die theologische Bedeutung dieser Kopfbedeckung an, sondern einzig auf die weltanschauliche Neutralität der Schule. Hier stellt sich die Frage, ob sich das Lehrpersonal im Klassenraum durch sein Äußeres zum Übermittler religiöser Überzeugungen machen darf oder nicht. Dabei spielt es überhaupt keine Rolle, um welches Symbol welcher Religion es sich dabei handelt. Weder die christliche Ordenstracht, noch das Emblem einer Freidenkervereinigung hat innerhalb des Unterrichts seinen Platz. Was nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts für das Kreuz an der Wand gilt, muß erst recht für die Lehrerinnen und Lehrer gelten.
Im Zusammenhang mit der aktuellen Diskussion müssen sich die Kritiker der Entscheidung fragen lassen, ob die betroffene Lehrerin als schon durch ihre Kleidung erkennbar bekennende Muslimin beispielsweise auch die Kinder einer jüdischen Einwandererfamilie aus Rußland unterrichten soll. Wäre gerade in einem solchen Fall das religiöse Symbol nicht vielmehr ein Hindernis für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Schule und Elternhaus?
Bei allem Respekt vor der Religionsfreiheit, der aus ihr abgeleiteten Verwendung religiöser Symbole und der Einhaltung von Bekleidungsvorschriften: der staatliche Raum muß für alle Menschen Schutz und die auch symbolisch dokumentierte Gewißheit geben, von unwillkommenen religiösen, weltanschaulichen und politischen Einflußnahmen verschont zu werden. Das ist kein Berufsverbot, sondern eine zulässige Regelung der Geistesfreiheit für alle im Bereich der Bildung.
Der Streit um das Kopftuch zeigt erneut, wie notwendig es ist, die Verpflichtung des Staates zur weltanschaulichen Neutralität ins öffentliche Bewußtsein zu bringen. Ein gedeihliches und tolerantes Miteinander der Kulturen und Religionen kann nur gelingen, wenn niemand den anderen bevormundet oder das Gefühl gibt, „nicht dazu zu gehören“. Letztlich kommt dieses Toleranzgebot gerade den Religionen zugute, die es hierzulande besonders schwer haben. Das gilt gerade für den Islam.

Jürgen Roth, Pressesprecher Humanistische Union

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