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Verfas­sung­be­schwerde zur Recht­schrei­bungs­re­form zurück­ge­nommen

Mitteilungen16309/1998Seite 76-77

Pressemitteilung, Dienstag, 07.07.1998 15:30 Uhr

Mitteilungen Nr. 163, S. 76-77

Verfassungbeschwerde zur Rechtschreibungsreform zurückgenommen – Bürgerrechtsorganisation Humanistische Union kritisiert sensationsgierige Medien und fordert faires Verfahren bis zur Urteilsverkündung.

Das vorab bekanntgewordene Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts zur Rechtschreibreform führte inzwischen zur Zurücknahme der vielbeachteten Verfassungsbeschwerde durch die Kläger. Die Beschwerdeführer, ein Lübecker Elternpaar, hatten mit ihrer Verfassungsbeschwerde abzuwenden versucht, daß ihre zehnjährigen Zwillinge nach den angekündigten neuen Rechtschreibregeln unterrichtet werden. Die mündliche Verhandlung hierzu fand am 12. Mai des Jahres statt.
Gestützt auf Informationen aus „zuverlässiger Quelle in Bonn“ veröffentlichte das Magazin Focus gestern, also über eine Woche vor dem Urteilstermin in Karlsruhe, nicht nur bereits die Ablehnung der Verfassungsbeschwerde, sondern führte auch Entscheidungsgründe aus dem Urteil an. Die Eltern, beides Anwälte, nahmen diese Veröffentlichung zum Anlaß, ihre Klage zurückzunehmen.
In der Begründung sehen sich die Eltern durch die Vorabveröffentlichung in ihrem Recht auf einen fairen Prozeß verletzt, der die Urteilsverkündung einschließt. Weiterhin führen sie an, daß die im Wochenmagazin wiedergegebenen Entscheidungsgründe teilweise verfälscht dargestellt wurden. Beispielsweise sollen durch die Rechtschreibreform nicht wie angegeben 185 Wörter des amtlichen Wörterverzeichnisses geändert werden, sondern ca. 1.000 Wörter. Am Schluß ihrer Begründung verweisen sie auf die in Schleswig-Holstein anstehende Volksabstimmung zur Rechtschreibreform und die damit gegebene Option einer „urdemokratischen“ Verhinderung der Reform.
Die Humanistische Union, älteste deutsche Bürgerrechtsorganisation, fordert das höchste bundesdeutsche Gericht auf, seiner Pflicht zur Gewährleistung eines fairen Verfahrens bis zum Schluß des Verfahrens, d.h. einschließlich der Urteilsverkündung im Namen des Volkes, künftig besser nachzukommen und die internen Beratungsergebnisse optimal zu schützen.
Der Vorfall bietet darüber hinaus Anlaß das journalistische Selbstverständnis bei der Prozeßberichterstattung bestimmter Medien kritisch zu hinterfragen. Es ist unerträglich, daß aus dem offenkundigen Motiv der Sensationsmache wie auch immer bekanntgewordene Gerichtsinterna benutzt werden, um auf Kosten der Beteiligten und eines fairen Verfahrens das Ansehen der Rechtsprechung herabzuwürdigen. Auch wenn es im Einzelfall nicht von vornherein vermeidbar ist, daß Ergebnisse vorab bekannt werden, ist dieser Vorfall nicht nur peinlich für das Gericht:
Die offenkundige Panne zeigt auch einen verurteilungswürdigen Umgang der Medien mit kaum zu überschätzenden Folgen für das Verständnis von Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung hierzulande – auch und gerade in Wahlkampfzeiten sollten Medien das nötige Maß an Zurückhaltung gegenüber internen Beratungsergebnissen eines Gerichts stets wahren.

Humanistische Union, Bundesgeschäftsstelle

Weitere Materialien sind erhältlich bei:
Bundesgeschäftsstelle: Humanistische Union e.V., Haus der Demokratie, Friedrichstr. 165, 1O117 Berlin, Tel. O3O/2O45O2-56, Fax -57 e-mail: HU@IPN-B.de

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