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Gefan­ge­nen­brief­kon­takte über die Humanis­ti­sche Union

Mitteilungen16309/1998Seite 83

Mitteilungen Nr. 163, S. 83

Immer wieder erreichen uns Nachfragen zur Vermittlung von Gefangenenbriefkontakten des HU-LV Berlin. Helga Engel, HU-Mitglied und Ingeborg-Drewitz-Preisträgerin des LV Berlin arbeitet seit längerem in der „Nothilfe Birgitta Wolf e.V.“ Murnau, begründet von der Fritz-Bauer-Preisträgerin des Jahres 1971. Helga Engel selbst betreut als ehrenamtliche Helferin intensiv mehrere Langstrafer in Brandenburg, Tegel und Bautzen.

Anfang 1998 trafen sich Ute Buggisch, Sven Lüders und ich, um zu beraten, wie der Kontakt von drinnen nach draußen und umgekehrt intensiviert werden könnte.
Durch meine nunmehr 7-jährige Tätigkeit als ehrenamtliche Betreuerin im Strafvollzug habe ich gute Kontakte zur Gefangenenzeitung der JVA Brandenburg. Seit kurzem veröffentlichen wir nun Kontaktwünsche in „unsere Zeitung“. Sven Lüders hat erreicht, daß einige große Illustrierte unsere Bitte um Adressen von draußen veröffentlichen. Das Echo ist positiv.
Der Wunsch nach Gedankenaustausch ist groß, die seelische Vereinsamung unübersehbar. Verständlich, daß viele Menschen Straftätern ablehnend oder doch zumindest reserviert gegenüberstehen. Das gilt besonders für die, welche schon einmal Opfer einer Straftat waren.
Jede Straftat ist zu verurteilen und muß geahndet werden. Leider kommt zu dem Urteil Freiheitsentzug ja aber noch soviel mehr … Trotz allem bleibt der Täter ein Mensch. Es lohnt sich, sich mit Einzelschicksalen auseinanderzusetzen, zu begreifen versuchen, wie es zu solchen Taten kommen konnte. Konflikte lassen sich am besten lösen, wenn man darüber redet.
Einer der von mir betreuten Häftlinge sagte kürzlich zu mir: „Die Menschen draußen wundern sich über Geiselnahmen, über Ausbruchsversuche, über Flucht bei Lockerungen. Der Druck im Knast ist so groß – es kommt einem manchmal einfach in den Kopf.“
Ich habe die Erfahrung gemacht, daß „meine Häftlinge“ sich langsam öffnen, wenn sie erkennen, daß ich ihnen helfen will. Sie hören meine Argumente an und sind bereit darüber nachzudenken. Viele haben in ihrem ganzen Leben noch niemandem vertraut, vertrauen können – das prägt. Man muß Geduld haben und auch auf Enttäuschungen gefaßt sein.
Für mich war einmal folgendes Zitat von Albert Schweitzer entscheidend: „Schafft Euch ein Nebenamt, ein unscheinbares, womöglich ein geheimes Nebenamt! Tut die Augen auf und sucht, wo ein Mensch ein bißchen Zeit, ein bißchen Teilnahme, ein bisschen Gesellschaft, ein bißchen Fürsorge braucht. Vielleicht ist es ein Einsamer, ein Verbitterter, ein Kranker, ein Ungeschickter, dem Du etwas sein kannst. Vielleicht ist es ein Greis, vielleicht ein Kind. Wer kann die Verwendungen alle aufzählen, die das kostbare Betriebskapital, Mensch genannt, haben kann! An ihm fehlt es an allen Ecken und Enden. Darum suche, ob sich nicht eine Anlage für Dein Menschentum findet, laß Dich nicht abschrecken, wenn Du warten mußt. Auch auf Enttäuschungen sei gefaßt. Aber laß Dir ein Nebenamt, in dem Du Dich als Mensch am Menschen ausgibst, nicht entgehen. Es ist Dir eins bestimmt, wenn Du nur richtig willst.“
Jemand fragte mich, warum ich nicht lieber im „Weißen Ring“ mitarbeite, Opferhilfe also leiste. Ich denke, die Arbeit des „Weißen Ringes“ ist genauso wichtig wie die Arbeit mit den Tätern. Jeder muß für sich selbst entscheiden, wo sein Platz ist, wo er etwas bewirken kann. Einen heute 34jährigen betreue ich seit über 6 Jahren, jede Woche geht mindestens ein Brief hin und einer zurück. Wenn das dem jungen Mann nichts bedeutete, wäre es wohl schon eingeschlafen – immerhin könnte ich altersmäßig seine Mutter sein.
Warum schreibe ich das alles? Ich möchte die Leser bitten, über das Problem Gefängnis wenigstens nachzudenken, sich über das Leben hinter Gittern zu informieren und vielleicht zu überlegen, ob nicht einem dieser rund 60.000 Inhaftierten mit Gedankenaustausch, möglicherweise sogar mal mit einem Besuch ein bißchen Freude bereitet werden kann. Viele Beispiele könnte ich nennen, wo mit wenig Aufwand viel Freude ausgelöst wurde.
Für genauere Informationen stehen wir jederzeit über den LV Berlin (Adesse siehe HU-Nachrichten) zur Verfügung.
Nur Mut!

Helga Engel

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