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Nordrhein-West­falen

Am Sonntag, 19. Juni 2022, fand in Dortmund die 11. Verleihung des Ingeborg-Drewitz-Literaturpreis für Gefangene[1] statt. Der Preis wird seit 1989 verliehen. Bedingt durch die Corona-Epidemie musste die Ausschreibung 2020 bis 2021 verlängert werden, so dass nun 2022 erst der Preis wieder verliehen wurde.

Die Ausschreibung 2020, bzw. 2021, stellte das emotionale Erleben des Einzelnen in der Haft ins Zentrum und verband diese mit den Entwicklungen in der Welt „draußen“. So hieß es im Ausschreibungstext: „Unsere Welt gerät gerade gehörig aus den Fugen: die tödliche, alles beherrschende Coronapandemie. Klimakatastrophen. Flüchtlingsströme. Finanzkrisen. Was bin ich in der Einsamkeit der Zelle, in der zunehmend chaotischen Welt ringsum, die das

Leben aller bedroht, verändert, vernichtet? Auch das tägliche Leben im Knast? Wie kann ich umgehen mit meinen Ängsten und Hoffnungen?“

Aus den Einsendungen wählte die Jury die qualitativ gelungensten und eindrucksvollsten Texte (Gedichte, Erzählungen, Romanauszüge, Tagebuchaufzeichnungen, Reportagen, Briefe, Hörspiele etc.) aus. Die Jury besteht aus sechs Juroren. Zur Grundidee des Preises gehört die paritätische Zusammensetzung der Jury aus (teilweise ehemaligen) Gefangenen und Nicht-Gefangenen. Bei Letzteren wird zumeist versucht, Persönlichkeiten aus den Bereichen Literaturkritik, Journalismus oder Kriminologie zu gewinnen. Mit Johannes Feest ist nun auch ein Mitglied des Bundesvorstandes der HU in der Jury vertreten.

Bei der Preisverleihung in Dortmund konnten – wie Johannes Feest hervorhob – wie so oft nur wenige der 17 Preisträger anreisen. Christian „Bär“ Templiner durfte im Gegensatz zu anderen inhaftierten Preisträgern am frühen Sonntagmorgen in Begleitung durch zwei Vollzugsbedienstete aus Berlin anreisen. Die anderen anwesenden Preisträger*innen waren bereits entlassen oder kamen aus dem offenen Vollzug, wie z.B. Rero W., der bereits das dritte Mal zu den Preisträgern zählt, aber jetzt das erste Mal live dabei sein konnte.

Per Video dazu geschaltet erzählte der Schirmherr der diesjährigen Preisverleihung, der Liedermacher und Musiker Konstantin Wecker von seiner ersten Inhaftierung als 18 jähriger. Er hob hervor, wie zentral bereits damals das Schreiben für ihn war. Er bezeichnete das Schreiben als die Chance, hinter der Realität die Wirklichkeit zu entdecken. Schreiben bedeute, im eigenen Selbst einzutauchen, wie er es in seinem Buch: „Die Kunst des Scheiterns“ erzählt. Eine andere Funktion, nämlich die des Brückenbaus zur Außenwelt hob Christian „Bär“ Templiner hervor. Templiner, der seit 28 Jahren in Haft und Sicherungsverwahrung sitzt, und dort zwei Bücher veröffentlicht hat und derzeit an einem Kinderbuch arbeitet, bezeichnete das Schreiben als „einen Schlüssel nach draußen, der die Justiz nicht mehr sein kann!“.

Die Texte der Preisträger werden – wie immer – in einer Anthologie veröffentlicht. Die aktuelle Ausgabe trägt den Titel: „Gewitter hinter Wolken“ und erscheint, mit Vorworten von Konstantin Wecker und Helmut H. Koch, im Rhein Mosel Verlag und kann ebenda für 12,00 Euro bestellt werden (https://www.chance-muenster.de/verlag.html)

Für den Sommer 2023 ist eine erneute Ausschreibung vorgesehen.

[1] Zum Trägerkreis des Preises gehören das Strafvollzugsarchiv an der Fachhochschule Dortmund und der Verein Chance e.V. Münster, die Humanistische Union Nordrhein-Westfalen, die Katholische Gefängnisseelsorge in Deutschland e.V., die Evangelische Konferenz für Gefängnisseelsorge in Deutschland und die Dokumentationsstelle Gefangenenliteratur der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster.

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