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Kongruenz und Diskrepanz von Sprache und Körper­sprache im Alltag

aus: vorgänge Nr. 132 (Heft 4/1995), S. 20-22

In diesem Herbst ist die deutsche politische Szene reich an mythischen Szenarien. Aber mythisch-dramatische Konstellationen finden sich nicht nur in der Politik, sondern auch im sogenannten Geschäftsleben, in der Kleingruppe, in der Familie, in Freundschaften. Auch wenn man annehmen muß, daß nur das Spektakuläre eine Chance hat, bemerkt zu werden, so kann man doch davon ausgehen, daß, vermittelt durch Medien oder durch sie induziert, Mythenbildung stattfindet. Dabei werden archetypische Konstellationen fast unkennbar nachgestellt (woraus man schließen könnte, daß die Mythosforscher und die Tiefenpsychologen gescheite Analysen gemacht haben), die typische sprachliche und körpersprachliche Aktionen im zwischenmenschlichen „Betrieb” enthalten bzw. durch sie manifestiert werden.

Kommunikation durch Sprache und Körpersprache geschieht nicht im luftleeren Raum. Sie wird situativ ermöglicht, stimuliert oder ist von der originären Art ihrer Protagonisten geprägt so daß diese stärker die Situation gestalten und beeinflussen als umgekehrt.
Personen, Dinge, Ereignisse werden mit Symbolen bezeichnet. Die Symbole sind nicht die Ereignisse und die Personen und die Dinge selbst, dies ist eine Binsenweisheit. Auch Gesten und Sprachen stellen ihrerseits eine andere Wirklichkeit dar, als das was sie ausdrücken sollen.
Nonverbale Kommunikation umfaßt die gesamte Inszenierung mit Kulissen, Kostümen, Beleuchtung, Beschallung, mit Gerüchen, Geschmäckern, Testwahrnehmungen. In diese, oder besser gesagt auf diese, nonverbale Kommunikation wird Sprache draufgesetzt, die, wenn sie gesprochen wird, mehr ist als nur Informationsübertragung.
Auch Sprache hat ihre eigene Geste. In der Szenerie der Kommunikation laufen wechselseitig, sequentiell oder gleichzeitig, Sendung und Informationsaufnahme ab. Die Form der Rezeption stellt in der Regel auch einen Feedback-Prozeß dar, der demjenigen, der Botschaften aussendet, meldet, wie seine Informationen aufgenommen worden sind. Eben dieser wechselseitige Austauschprozeß begründet Kommunikation.

Wie aber werden Symbole und Gesten, wird Sprache verstanden? Beim Adressaten wird es darauf ankommen, ob er die vermittelten Symbole kennt, also sie für sich übersetzen kann. Der kreative Kommunikationspartner wird jedoch sowohl als Agent wie auch als Rezipient Abweichungen von bekannten Symbolen einführen, um dadurch seinem Kommunikationsbeitrag zusätzliches Leben einzuhauchen, Aufmerksamkeit zu erlangen und um auch aus dem Feedback des Adressaten abzulesen, ob bei der Aufnahme der Nachricht ebenfalls kreativ, das kann auch heißen: sinnverschiebend, wahr und aufgenommen wurde. Eine solche Kommunikation unterscheidet sich vom bloßen Jasagen und Zustimmen oder auch von dem krassen Nein-sagen ohne Kompromisse. So ist der Diskurs mit dem Ziel eines Kompromisses ein besonders gutes Beispiel für Kreativität in der Kommunikation.

Wer verfolgte in der Bundesrepublik nicht das Spektakel, das die sozialdemokratische Partei bzw. ihre Führung in den letzten Monaten bietet. Da gibt es natürlich verschiedene Kraftfelder und Spannungen, die zu Dauerkonflikten hochstilisiert worden sind. Der Partei- und Fraktionsvorsitzende auf der einen Seite, die SPD-Ministerpräsidenten, der Parteivorstand und das Schattenkabinett. Eigentlich braucht man die Texte bei Fernsehpressekonferenzen oder Berichten über SPD-Gremiensitzungen gar nicht mehr zu kommentieren, man könnte den Ton abstellen, um zu sehen, was wirklich gemeint ist und nicht nur was geredet wird. Mit der müden Geste des Resignierten versucht der Vorsitzende neue Solidarität zu beschwören. Die stärkebewußten Brüder wie Schröder und Lafontaine zeigen sich stets kraftvoll, lachend, scheinbar von keiner Sorge getrübt. Und bald werden sie den „Dolch im Gewande” zum Sprechen bringen, sagen ihre Gesten. Davor wiederum fürchtet sich der Vorsitzende, auch wenn er sich betont „honorig” gibt. Wenige Wochen vor dem Parteitag, bei dem der Vorsitzende bestätigt werden will und seinen neuen Geschäftsführer präsentieren möchte, betreiben die „Brüder” unter dem Deckmantel von kollektiver Leitung die Demontage ihres Parteibruders. Wenn das Spiel lang genug dauert, wird sich die Entfernung zum Parteivolk und nicht nur zum „allgemeinen Deutschen vor dem Fernseher” gefährlich wachsen. Denn dies haben Anhänger wie Neutrale und Gegner gemeinsam; Sie verabscheuen Brudermord.
Wenn es nicht abgesprochen war, so war es gut inszeniert: Die freudige Überraschung des CDU-Parteivorsitzenden und Kanzlers bei Überreichung des Plüschlöwen am Beginn des CDU-Parteitags im Oktober. Schwere Männer haben es so an sich: Sie können mit grinsender Gelassenheit das ignorieren, was die Ironie in der Geste ist. Dies ist dem Bundeskanzler gelungen, und seine Gestik und Intonation (abgesehen davon, daß er zu jenen Deutschen gehört, die ihre Sprache besonders schlecht sprechen) drückten als situativen Kontext selbstverständlich den Fortbestand der bestehenden CDU-Führung aus, der durch nichts in Frage zu stellen sei. Diese positive Resonanz wurde von den Regisseuren so in den Vordergrund gespielt, daß „Frauenquote” und „Bürgermitbestimmung” am dünnen Schwanz des Programms relativ unbedeutend geworden sind, auch wenn sie nicht nach dem Willen des „großen Vorsitzenden” verlaufen sein sollten.

Betrachten wir also die dargestellten Situationen. Prinzipiell haben wir davon auszugehen, daß das Gelingen einer beabsichtigten Kommunikation von der auf Kongruenz gerichteten Verhaltensweise der Beteiligten abhängt.
Folgende fünf Elemente der Körpersprache lassen sich im Verlauf der Kommunikationsprozesse analytisch unterscheiden: Körperhaltung, Abstand, Gestik, Mimik, Tonfall der Sprache und anderer akustischer Äußerungen.
Um es noch mal zu sagen: Kongruenz und Diskrepanz sind die Maßstäbe, die interessant sind im Hinblick auf die einzelnen Verständigungsebenen, daß heißt innerhalb dieser Ebenen und zwischen den Ebenen. Ein Signal für sich alleine hat keine Aussagekraft, sondern muß in Beziehung gesetzt werden zu den Elementen im situativen Umfeld.

Die Kommunikationssituation läßt sich analytisch in drei Ebenen aufteilen (die im Kommunikationsgeschehen unteilbar sind):

Resonanzfelder, morphische (Sheldrake hat mit seiner Theorie damit eine Alternative zum Gehirnspuren-Theorem in der Gehirn- und Gedächtnisforschung entwickelt). Sie stellen so etwas wie kollektive Gedächtnisfelder dar, die um so starker wirken, je mehr Menschen und je intensiver sie genutzt werden. Wie schon immer ist es die Werbepsychologie, die instinktiv die Existenz solcher Felder nutzt bzw. selbst neue aufbaut. Resonanzfelder sind „ererbt”, oder aufgesucht, oder entstehen (auch ungerufen) und bauen sich selbst wieder ab. Sich ihnen nur passiv auszuliefern, sich von ihnen unterhaltend in Schwingung bringen lassen, macht uns zwar ruhiger, aber auch inaktiver, und schließlich abgestumpft, eher aber disponierter für weitere Resonanzräume dieser Art (die auf passiven Konsum abzielen). Solche Resonanzfelder können aber auch als Stimulans genommen werden und so günstige Räume für Selbstgesteuerte Aktivitäten darstellen. Es gilt, solche Resonanzfelder aufzuspüren. Telepathie und Intuition, auch Kreativität, beruhen überwiegend darauf, sich „auf Empfang bzw. Sendung” einzustellen.

Körpersprache, die alle motorischen Aktionen im Kommunikationsprozeß umfaßt, die von den Kommunikationspartnern „gesendet” werden, also Ortsveränderung, Gestik und Mimik. Die Körpersprache repräsentiert die Beziehungsebene zwischen den Kommunikationspartnern und wird teilweise als „analog” bezeichnet. Birkenbihl (Signale des Körpers, 1994) spricht im Hinblick auf die Übereinstimmung von Sprache und Körpersprache von Selbst-Synchronizität, während sie als Synchronie die Übereinstimmung der körpersprachlichen Signale der Kommunikationspartner bezeichnet. Elemente der Synchronie sind Rhythmus und „Ton(us)” der Körpersprache („Es ist schwieriger, ohne Worte zu lügen“). Für den Sachverhalt „Synchronie” würde ich gerne in Analogie zum morphischen Resonanzbegriff von Sheldrake den Begriff „motorische Resonanz” einführen. Körpersprache muß zugelassen, gelernt und angewandt werden. Es geht also um den Mut zur Expression seiner körperlichen Motionen, die mit den inneren (Gefühlen) in Kongruenz gebracht werden sollten. Dadurch entsteht bei den Kommunikationspartnern eine höhere Akzeptanz, weil ihnen durch die Kongruenz – auch mit den sprachlichen Inhalten – eine höhere Glaubwürdigkeit signalisiert wird. (Auch die Lehre von den Handlungstypen nach Satir bedeutet nicht, daß man auf Handlungsmuster für immer festgelegt ist. Allerdings bedarf es entsprechender Bemühungen, um die Neigung zu bestimmten Reaktionsmustern, die wahrscheinlich auch durch entsprechende morphische Resonanzfelder gestützt werden, zu schwächen bzw. aufzulösen). Mehr Körpersprache zuzulassen hat auch den Effekt, daß motorische Frustrationen weniger leicht entstehen, die Emotionen erzeugen, vorausgesetzt, sie ist kongurent in sich und mit dem was gesagt wird.

Die gesprochene Sprache bezieht sich in der Regel auf den inhaltlichen Aspekt der Kommunikation und wird von den genannten Autoren als „digital” bezeichnet. Übersehen wird von vielen Autoren, daß die Sprache auch einen formalen Aspekt in dem Sinne hat, daß unterschiedliche Inhalte, Situationen etc. eine je spezifische Kongruenz von Inhalt und Form der benutzten Sprache erfordern, sowohl bei der gesprochenen als auch bei der geschriebenen Sprache. Die gesprochene Sprache – auch die gedruckte/geschriebene sollte laut gelesen werden! – kann durch mehr Ausdruck in Ton, Rhythmus, Wortwahl und Syntax die Inhalte, die sie transportieren will, plastischer und damit verständlicher machen. Sie regt damit die Körpersprache an, sich ebenfalls stärker auszudrücken. Beide werden dadurch immer kongruenter, der Sprechend immer glaubwürdiger werden. Kongruenz sollte schließlich mit den morphischen Feldern (bezogen auf Kommunikationspartner und Kommunikations-Situationen) hergestellt werden, um die Kommunikation besonders wirkungsvoll zu machen. Nicht vergessen werden sollte, daß die „verschiedenen Sprachen” (Alltags-, Fach-, poetische Sprache etc.) ihre je eigene, inhaltsabhängige Form haben sollten, so daß eine Art innerer Kongruenz in der Sprache selbst liegt.

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