Trouble in Paradise
Brent Spar – kommt eine neue internationale Politik in Sicht?
aus: vogänge Nr. 132 (Heft 4/1995), S. 68-71
Der unerwartete Sieg von Greenpeace gegen den Shell-Konzern hat politische Kommentatoren und die Sozialwissenschaftler gespalten: Das Ende der staatlichen Souveränität durch Mitregierung autonomer nichtstaatlicher Organisationen, klagen die einen. Der endlich gefundene Beweis, daß autonome gesellschaftliche Subpolitik die verkrusteten Nationalstaaten, die sich einer umweltzerstörenden, halbierten Moderne verschrieben haben, aufbrechen kann frohlocken die anderen. Einig sind sich beide nur in einem: Es zeichnet sich eine neue Form transnationaler Politik ab.
Nun hat es immer Einflüsse transnationaler Politik von nichtstaatlichen Akteuren gegeben. Im 19. Jahrhundert wurden diese vom Ultramontanismus bis zur Sozialistischen Internationale mit Verschwörungstheorien liebend wie hassend – je nach Standpunkt – in ihrem Einfluß übertrieben. Im 20. Jahrhundert hat ein international operierender Terrorismus die Nationalstaaten in Atem gehalten und die Gesetzgebung verändert. Die Abwehr transnationaler Einflüsse nichtstaatlicher Akteure hat in der Politik der Nationalstaaten nicht gerade die Freiheitssphäre der Bürger erweitert.
Die multinationalen Korporationen haben seit der 68er Bewegung für neue Verschwörungstheorien herhalten müssen. Ende Juli 1995 standen sie reuig am Pranger und heischten Mitleid: Aber wir haben daraus gelernt. Die politische Analyse wurde freilich von Shell im Unterwerfungskotau vor der öffentlichen Meinung gleich mitgeliefert. Die ursprüngliche Entscheidung, Brent Spar im Einklang mit britischen Gesetzen und internationalen Konventionen im Meer zu versenken, war nicht durchsetzbar, weil zahlreiche Regierungen der Nordsee-Anrainerstaaten den ursprünglich genehmigten Entsorgungsweg nicht mehr mittragen wollten.
Es war wie bei jedem herkömmlichen Lobbyismus: Ein Überraschungssieg des Schwächeren war nur möglich, wenn die stärkeren staatlichen Bataillone sich auf seine Seite schlugen. Bundeskanzler Kohl verband sich mit Greenpeace. Solche heiligen und unheiligen Allianzen gehören zum Alltag der Interessenpolitik Aber diese Konstellation führt in der internationalen Politik nicht immer zum Erfolg.
Brent Spar war von seinen Initiatoren ja eher als Fingerübung für eine größere Seeschlacht gedacht, die sich im Pazifik abzeichnete, seit Chirac – nicht zuletzt um den Rechten zu imponieren, die zunehmend Le Pen nachliefen – Symbolpolitik auf internationaler Ebene versuchte. Wieder zogen Greenpeace und die Bundesregierung an einem Strang. Kohl riskierte diesmal in seiner Überzeugungspolitik gegenüber Frankreich sogar mehr als mit seinen Anrufen bei Major in der Brent-Spar-Affäre, nämlich zeitweilige Verstimmung zwischen den beiden Motoren der Maastricht-Runde in Europa.
Der Erfolg dieser Politik des guten Zuredens ließ auf sich warten. Man konnte diesmal den Schwarzen Peter nicht einer multinationalen Koorporation zuschieben, die – wie Shell im Juni 1995 – selbst von der internationalen Wirtschaftspresse für ihre Uneinsichtigkeit gerügt wurde. Das Gerede vom Ende des souveränen Staates stieß rasch an seine Grenzen. Greenpeace war klar, daß Siege gegen einen staatlichen Akteur so leicht nicht zu erzielen sind. Ein Wirtschaftskonzern ist durch Boykott-Bewegungen verwundbar. Ein Staat kann nicht boykottiert werden. Zaghafte Versuche der Alternativen, mit Steuerboykotts zu operieren, hinterließen in der Regel nichts als rasch isolierbare Einzeltäter. Selbst Verbraucherboykotts mochte Greenpeace nicht verbal unterstützen. Sie könnten die französische Nation hinter ihrem Präsidenten einigen, wo es einer modernen Organisation, mit allen Wassern des Medienzeitalters gewaschen, darauf ankommen mußte, große Teile der Franzosen auf ihre Seite zu ziehen.
Nicht einmal ein staatlich organisierter Teilboykott erwies sich als wirksam. Frankreich hat sich gegen den Ausschluss französischer Unternehmen bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen mit der Androhung von wirtschaftlichen Gegensanktionen zur Wehr gesetzt. Australien reagierte gelassen. Die französischen Gründe sind international nicht anerkannt genug, um vor der Weltöffentlichkeit als gerechtfertigt zu erscheinen. Die Drohungen bleiben somit vielleicht nicht ganz ernstzunehmen. Aber dennoch zeigen sie an: Ein schneller Sieg des nichtstaatlichen Alleinakteurs ist nicht zu erwarten, auch wenn die Schlauchbootromantik durch das harte Kalkül staatlicher Druckpolitik auf internationaler Bühne ergänzt wird.
Die angeblich so neue Lobbypolitik der neuen sozialen Bewegungen ist nur in einigen Aspekten neu. Neu ist die kalkulierte Regelverletzung im Zeitalter der Nachmoderne, da auch die Akteure, die Änderungen des Systems durchsetzen wollen, nicht mehr an Gewalt, Revolution und raschen Sieg der Volksmassen glauben. Die Organisation von Greenpeace ist ja auch deshalb so effektiv, weil sie sich in Organisation und Logistik ihren Gegnern angepaßt hat: Modernste Computer und Übertragungstechnik werden eingesetzt. Nicht mehr Utopien werden propagiert, sondern mit technischem Sachverstand machbare Alternativen angeboten, bis selbst der Gegensachverstand nachgibt. Nicht so sehr, weil er von der Alternativlösung überzeugt ist. Es bleiben viele Experten der Wirtschaft vielmehr überzeugt, daß die Entsorgung von Brent Spar an Land nicht weniger Umweltbelastung mit sich bringt. Aber die Technokraten der Großunternehmen haben längst begriffen, daß sie die sachliche Kompetenz um soziale Kompetenz im Umgang mit einer immer leichter erregbaren öffentlichen Meinung bereichern müssen. Shell bekannte in seiner Anzeige: Das hat uns gezeigt, daß die Übereinstimmung einer Entscheidung mit Gesetzen und internationalen Bestimmungen allein nicht ausreicht. Hinzukommen muß die notwendige Akzeptanz in der Gesellschaft. Die gleichen Multis, die in den 70er Jahren noch die Prügelknaben der Sozialwissenschaftler waren, sind zu den Hunden geworden, die heute der Subventionsstaat zum Jagen tragen muß, sobald ein Projekt auf dem schlüpfrigen Grund des Verdachts mangelnder öffentlicher Akzeptanz steht, ob es um Kernkraftwerksbau oder Müllverbrennungsanlage geht. Das Frohlocken der Wächter des moralischen Fortschritts übertönt freilich die Unkenrufe derer, die eine zunehmend technisch innovationsfeindliche Investitionspolitik der großen Unternehmen in jenen Ländern befürchten, die sich gern als das Öko-Gewissen der Welt aufspielen.
Neu an der Greenpeace-Politik erscheint auch die Anpassung an die Entscheidungsstrukturen der potentiellen Gegner. Solange von Basisdemokratie die Rede war, kam Greenpeace über symbolische Appellpolitik kaum hinaus. Die schnelle Eingreiftruppe des ökologischen Weltgewissens hat das Pendant der UNO in der Organisation der Friedenssicherung in Krisengebieten längst überrundet: Im Schlauchboot kann man nicht abstimmen, hat Thilo Bode, Geschäftsführer der Greenpeace-Organisation in Deutschland, einmal bekannt. Neu an dem transnationalen Lobbyismus von Greenpeace ist auch der Abbau einstiger alternativer Berührungsängste mit Technik, neuen Medien und konservativen Bündnispartnern. Aber trotz all dieser Innovationen, die der Organisation unerwartete Sympathien und Erfolge bescherten, kann sie einige Regeln der Interessenpolitik nicht außer Kraft setzen: Erfolge nutzen sich ab. Die Aufmerksamkeit, die Brent Spar und Mururoa in der Saure-Gurken-Zeit der Sommermonate erzielte, ist nicht beliebig reproduzierbar. Greeapeace hat keine Illusionen, daß die Konsumentensouveränität die Souveränität von Staaten brechen könnte. Konsumenten sind eine zu große Gruppe, um einheitlich organisierbar zu sein. Sie teilen diesen Mangel mit der Frauenbewegung. Die Alternativen der Wal-Politik zeigen es: generelles Walfangverbot gegen begrenzten Walfang, der die Reproduktion der Tiere sichert. Der Streit hat selbst die Greenpeace-Aktivisten erfaßt. Brent Spar war transnationale Firmenpolitik mit internationaler Begleitmusik von Staaten, Mururoa hingegen zeigt resistentere Strukturen. China meldet sein Interesse an weiteren Versuchen an – und führt sie durch. Rußland hält sich bedeckt. Wenn die Brent-Spar-Überrumpelungsaktion im Pazifik scheitern sollte, bleibt die Greenpeace-Politik dennoch erfolgreich. Eine neue internationale Politik ist durch die transnationale Politik der schnellen Eingreiftruppe Greenpeace nicht obsolet geworden. Der Staat ist auch nicht nur der Popanz kleiner gesellschaftlicher Akteure. Das Geflecht internationaler und transnationaler Einflußpolitik ist so kompliziert wie eh und je.
Angesichts der Dritten Welt, die sich anschickt, mit bestem antiimperialistischem Gewissen alle Fehler der alten Industriestaaten noch einmal zu wiederholen, ist Greenpeace auf das Mittel des Überredungsdirigismus verwiesen. Es kann China Alternativen beim Bau von Kühlschränken vorführen. Wenn sie akzeptiert werden, bleibt jedoch ein Nationalstaat der entscheidende Akteur. Indien oder China eignen sich schwerlich als Adressat für Regelverletzungen. Der Gandhiismus hat es schon vermuten lassen: gewaltfreie Politik mit begrenzter Regelverletzung bedarf relativ aufgeklärter staatlicher Akteure, die bei ihrer Politik ein hinreichend schlechtes Gewissen entwickelt haben und eine Opposition respektieren, die dieses schlechte Gewissen permanent moralisch unterstützt.
Eine grundsätzlich neue internationale Politik ist nicht in Sicht. Aber die erfreuliche Diskrepanz zwischen der Kleinheit des Akteurs, der das ökologische Weltgewissen repräsentiert, und der Größe seiner innovativen Anstöße, weist auf eine kommende Gesellschaft hin, in der die Verrechtlichung gewisser Grundnormen weltweit voranschreitet. Wo die UNO noch um die Universalität der Geltung von Menschenrechten streiten muß, ist die Universalität ökologischer Grunderfordernisse weit weniger umstritten, als die technischen Mittel, die zu ihrer Realisierung eingesetzt werden sollen.
Frankfurter Rundschau vom 2. September 1995