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Kampa­gnen­po­litik

In: Vorgänge 132, S. 40-54

In den Medien wird seit einiger Zeit der Kampagne als besonderer Form der Politik große Aufmerksamkeit geschenkt, und auch die Kollegen aus den Sozialwissenschaften stehen nicht zurück. Während Ulrich Beck seinen „Erfindungen des Politischen“ euphorisch die Erkenntnis nachreicht, mit den Kampagnen von „Greenpeace“ gegen den Shellkonzern sei in Gestalt des weltweiten Verbraucherboykotts endlich das adäquate „demokratische Mittel“ der sich abzeichnenden „Weltgesellschaft“ gefunden, mit dem die (Welt-)-Bürger und (Welt-)Bürgerinnen „direkt“ auf die globale (Sub-)Politik Einfluß gewinnen könnten, schwant der skeptischen Gesine Schwan – wie im Übrigen schon vorher dem Feuilleton der FAZ – völlig zurecht, daß sich solche politische Spontaneität und Unmittelbarkeit zu einer Gefahr für die „bewährten Institutionen“ der repräsentativen Demokratie und der Gewaltenteilung aus wachsen könnten. Ob diese allerdings angesichts der neuen Entwicklungen einfach so bleiben könnten, wie sie sich „seit Jahrhunderten“ bewährt haben, stellt sich ihr nicht als naheliegende Frage.Auffälliger als der normative Gegensatz ist die bei allen Beiträgen der aktuellen Debatte implizierte und für zutreffend gehaltene Unterstellung, politische Kampagnen seien ein neues Phänomen der Politik, dessen sich informelle und extrakonstitutionelle Akteure bedienten, um solchermaßen außerhalb des Institutionengefüges der repräsentativen Demokratie – und gelegentlich auch außerhalb des rechtlich Zugelassenen – auf den für normal gehaltenen Gang der Politik unbotmäßig Einfluß auszuüben. Hier wird also mit einem unterschwelligen Gegensatz gearbeitet, in dem „Kampagne“ für das unnormale, außeralltägliche, gelegentlich auch illegale und von unlegitimierten Akteuren veranstaltete, reguläre „Politik“ demgegenüber für die Routinen des professionellen Geschäfts von dazu Berufenen in dazu geschaffenen Institutionen gehalten wird. Meine These ist, daß die Sache so nicht stimmt, daß hier ganz an der Oberfläche aktueller Ereignisse argumentiert und einäugig beobachtet wird. Kampagnen sind weder ein neues Phänomen in der – vor allem demokratischen – Politik, noch bleiben sie extrakonstitutionellen oder informellen Akteuren vorbehalten. Sie finden auch keineswegs stets außerhalb oder gar gegen die Institutionen der repräsentativen Demokratie statt, sondern vielmehr häufig in ihnen und durch sie vermittelt. Kampagnen – dazu gleich mehr – als eine spezifische Form der politischen Mobilisierung von Unterstützung, sind in ihren Mitteln, Durchführungs- und Erfolgsbedingungen stets abhängig von der historisch besonderen Form der „Öffentlichkeit“, deren sie bedürfen und an die sie sich richten. Die haben sich aber mit der Heraufkunft einer politischen Gesellschaft verändert, in der tatsächlich alles zum politischen Problem, damit aber auch zum Anlaß oder Inhalt politischer Kampagnen und Entscheidungen werden kann (Greven 1995a). Hier schließlich und bei der neuartigen „audiovisuellen Mediatisierung“ der Öffentlichkeit haben ökonomisch, institutionell und technisch bedingte Veränderungen der letzten Zeit so massiv auf die Art der Möglichkeit von Kampagnen Einfluß genommen, daß mit neuartigen Phänomenen auch neuartige Probleme und Gefahren entstanden sind, von denen nachfolgend einige diskutiert werden sollen.

I.

Was also ist eine Kampagne? In der Wissenschaft wird der Ausdruck gelegentlich in ausführlichen Analysen verwendet – als verstünde er sich von selbst – aber nicht weiter analytisch geklärt oder gar in einen analytischen Zusammenhang gestellt; ein gutes Beispiel dafür ist die ansonsten überzeugende und materialreiche Analyser der Kampagnen im Zusammenhang der Kandidatur Kurt Waldheims zum österreichischen Staatspräsidenten.In der Wirtschaft beispielsweise wird aussagekräftig von einem „Werbefeldzug“ gesprochen, wenn es darum geht, der Konsumentenöffentlichkeit den Namen eines bestimmten Produkts „einzuhämmern“ oder Marktanteile zu „erobern“. Die amerikanische Öffentlichkeit benutzt das Wort seit eh und je, um die Anstrengungen der Kandidaten aber auch der um Wiederwahl bemühten Präsidenten – meines Wissens gab es noch keine Kandidatin -, ausreichend Aufmerksamkeit und Unterstützung bei den Medien, den Spendern und in der Wählerschaft zu gewinnen, zu bezeichnen. Rainer Barschel und Björn Engholm sahen sich zu Zeiten wechselseitig einer „Rufmordkampagne“ ausgesetzt, und Abtreibungsgegner engagieren sich in einer „Kampagne für das Leben“ unerwünschter Kinder, während die Friedensbewegung es immer mal wieder, bisher erfolglos, mit einer „Kampagne für Abrüstung“ versuchte. Die indische Regierung war in den sechziger Jahren mit einer Alphabetisierungskampagne relativ erfolgreich, verschiedene italienische Regierungen blieben bei ihren zahlreichen Kampagnen gegen „tangentiopolis“ unterschiedlich erfolgreich (und glaubwürdig), die SPD in Nordrhein-Westfalen versuchte es in den sechziger Jahren – aus der Opposition heraus – mit dem „Blauen Himmel über der Ruhr“, und die bayerische Staatsregierung engagiert sich im Augenblick mit allen Mitteln in einer Kampagne gegen des sogenannte Kruzifix-Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Was haben diese Vorgänge bei aller Verschiedenheit gemeinsam? Sie zeigen zunächst, daß in der politischen Gesellschaft tatsächlich alles politisiert werden kann, daß die Politik keineswegs auf spezifische Regelungsprobleme oder das „politische System“ begrenzt ist, wie uns manche szientistische Theorien weismachen wollen.Stets geht es bei einer Kampagne um die zielgerichtete Mobilisierung einer Öffentlichkeit aufgrund eines Plans, um die gewissermaßen strategische Herbeiführung eines öffentlichen Meinungsklimas, das, je nach dem, sich für oder gegen etwas, für oder ge-gen jemanden, als Unterstützung oder Protest oder in einer Verhaltensänderung auswirken soll. Bei der politischen Kampagne soll dabei das veränderte Meinungsklima eine veränderte Lage für politische Entscheidungen herbeiführen. Dafür werden auf Zeit besondere Anstrengungen und Ressourcen eingesetzt, anderes zurückgestellt; eine Kampagne ist Ausdruck einer gewissen Priorität und Dringlichkeit, die von ihren Initiatoren ihrem Anliegen beigemessen werden. Eine Kampagne hat also – neben einem bestimmten Träger- oder Unterstützerkreis, einem Limit an Ressourcen und einem einigermaßen präzisierten Ziel – stets auch einen begrenzten Zeitrahmen. Eine endlose Kampagne wäre keine, sondern „normale“ Politik. Auch wenn nicht alle eingesetzten Ressourcen und Mittel einer Kampagne, etwa Spenden der Industrie oder versteckte Honorare für journalistische Meinungsmacher, aber auch organisatorische und sonstige „Hilfen“ verschiedener Parteien in der Friedensbewegung, öffentlich sichtbar werden oder werden sollen, so ist das Ziel einer Kampagne doch stets auf die Öffentlichkeit gerichtet und erreicht nur in ihr die kampagnenspezifische Form. Eine clandestine Kampagne wäre ein Widerspruch in sich – oder besser: eine Intrige. Das Spezifikum einer Kampagne als politisches Mittel oder als politische Form liegt also weder in bestimmten Trägern oder Akteuren, noch in bestimmten Zielen oder Absichten und eben auch nicht in der Frage eines Gegensatzes konstitutioneller oder extrakonstitutioneller Politik.

II.

Auch wenn der Kampagne schon wegen ihres zeitlich begrenzten und besondere Anstregungen zumindest suggerierenden Charakters etwas Außeralltägliches anhaftet, so sind Kampagnen doch keineswegs ein der Demokratie fremdes oder wie manche behaupten, ihr vor allem gefährliches Element. Demokratische Politik kann vielmehr ohne Kampagnen gar nicht richtig funktionieren und ist historisch nie ohne sie ausgekommen. Die Lösung der meisten politischen und gesellschaftlichen Probleme, vor die sich in der komplexen politischen Gesellschaft Regierungen heute gestellt sehen, ließe sich nicht allein durch die Kombination von Gesetzgebung, Regierungshandeln und administrativer Praxis bewerkstelligen. Schon immer und legitimerweise besaß die Demokratie als Regierungspraxis einen populistischen Zug, der sich einerseits aus dem Wiederwahlwunsch der auf Zeit Regierenden ergab und der andererseits über die Rückkopplung bei den seltenen Wahlen hinaus für ein gewisses Maß an Responsivität zu sorgen hatte. Nur extreme Anhänger eines „repräsentativen Absolutismus“ im Sinne „demokratischer Eliteherrschaft“ vertraten modellhaft die Ansicht, daß allein im Wahlkampf diese Rückkopplung stattzufinden habe, daß es ansonsten aber gerade auf eine möglichst vollständige Abkopplung der auf Zeit legitimierten Regierung vom potentiellen Einfluß des Wahlvolkes ankomme, um vernünftiges Regieren zu ermöglichen. Von der Wirklichkeit sind diese Modellüberlegungen weit entfernt; sie ist heute eher durch das andere Extrem eines permanenten Wahlkampfes, jedenfalls durch eine mindestens demoskopisch ermittelte ständige Rückkopplung der Regierenden auch während der Legislaturperiode charakterisiert. Und gerade Regierungen reagieren auf festgestellte Unterstützungsdefizite für bestimmte Politikvorhaben mit zielgerichteten Kampagnen, bei denen nicht nur in letzter Zeit Parteiwerbung und Mobilisierung für Regierungspolitik häufig ineinander verschwimmen. Jürgen Seifert hat in einem glänzenden Beitrag gezeigt, daß darüber hinaus nicht nur die jeweilige Regierung, sondern auch einzelne Behörden und „Dienste“ in den sog. „Sicherheitskampagnen“ (z.B. gegen die sog. „organisierte Kriminalität“ und für den „großen Lauschangriff‘) massiv über die Medien vermittelt in den politischen Willens-bildungsprozeß hineinwirken und ihre institutionellen Sonderinteressen vertreten. (Seifert, 1995, 42ff) Aber über dieses zu allen Zeiten inhärente populistische Element der demokratischen Regierungsform hinaus machen heutzutage die komplizierten Anforderungen für die Umsetzung politischer Steuerung in gesellschaftliche Funktionsbereiche Kampagnen funktional notwendig. Das traditionelle Steuerungsrepertoire interventionistischer Politik, also der Einsatz von gesetzlichem Zwang oder von monetären (positiven wie negativen) Anreizen, reicht in vielen neuen Politikfeldern heute deswegen nicht aus, weil mit diesen relativ „groben“ Mitteln die gewünschten Steuerungseffekte – in der Regel ja Verhaltensänderungen großer Bevölkerungsgruppen – nicht erreichbar sind. Hinzukommen muß verhaltensrelevante „Überzeugung“ – und diese ist mit Zwang oder Geld allein häufig nicht zu erreichen. Die Politik kann dabei in der durch Traditionsverlust, Individualisierung und moralischen Relativismus zunehmend charakterisierten politischen Gesellschaft zur Herstellung solcher „Überzeugung“ oder gar verhaltensrelevanter Einstellungen auch auf keine soziokulturellen Bestände mehr zurückgreifen, sondern muß sie in politischen Kampagnen selbst herzustellen versuchen. Ein nicht unbeträchtlicher Teil der deutschen Bevölkerung wäre zum Beispiel offenkundig bereit, sich die Bequemlichkeiten des Individualverkehrs auch noch ziemlich viel mehr kosten zu lassen als bisher schon. Wenn das richtig ist, dann scheidet eine Verteuerung des Autofahrens als Steuerungsmittel für eine gewünschte Verringerung des individuellen Verkehrsaufkommens für jene weiten Teile der Bevölkerung aus, für die größere Ausgaben fürs Autofahren nicht schon ein Existenzproblem darstellen und da sich das Autofahren aus verfassungsrechtlichen Gründen auch nicht einfach einschränken oder verbieten ließe, funktioniert auch das Recht nur als Mittel der Regulierung, aber nicht der substanziellen Verminderung des Verkehrsaufkommens.Wenn man andererseits sieht, wie schnell ein Großteil der Bevölkerung in Deutschland in den letzten Jahren ohne gesetzlichen Zwang oder relevante monetäre Anreize dazu gebracht wurde, den eigenen Hausmüll in teils aufwendigen Verfahren zu trennen, in manchen Küchen oder Kellern in bis zu vier oder fünf Behältern zeitweise zwischen-zulagern und ihn teils kostenlos an Sammelstellen abzuliefern, dann ist dies ein alltägliches Beispiel für den Erfolg des Steuerungsmittels „Überzeugung“, das ohne Kampagnen nicht auskäme. Ähnliche Fälle ließen sich aus der Gesundheitspolitik, aber zum Beispiel auch aus dem scheinbar ganz anderen Feld der Europapolitik nennen, wo immer wieder verschiedene europäische Regierungen – seien sie schon Mitglied der EU oder wollten sie es erst werden – in großen Kamgagnen mit durchaus wechselndem Erfolg, wie die Beispiele Norwegens und der Schweiz zeigen, darum besorgt sein mußten, bei ihren Bevölkerungen ausreichendes Verständnis für ihre Vorhaben zu besorgen. Kampagnen sind also, anders als die aktuelle Mediendebatte auch die Fachleute glauben machen will, weder ein neues Phänomen demokratischer Politik, noch sind sie auf nichtetablierte politische Akteure wie „Greenpeace“ beschränkt. Unter bestimmten Gesichtspunkten sind sie sogar ein funktional notwendiges Steuerungsmittel oder werden es immer mehr – auch und gerade einer Regierungsweise, die sich nicht allein auf immer mehr gesetzlichen Zwang oder steuernde Eingriffe in primäre Vermögens- und Einkommensverteilungen als „Regierungskunst“ verlassen will.

III.

Selbst wenn Kampagnen also der Demokratie, auch in ihrer repräsentativ verfaßten Form, keineswegs fremd gegenüberstehen, sondern in ihr durchaus funktional eingepasste Aufgaben zu erfüllen vermögen, so heißt das andererseits nicht, daß nicht bestimmte Formen oder die Dominanz von Kampagnenpolitik sich nicht zu einem Problem aus wachsen könnten. Es wurde bereits festgestellt, daß selbstverständlich und zu allen Zeiten seit den antiken Formen der Demokratie die auf die Mobilisierung der Öffentlichkeit zu einem bestimmten Zweck gerichtete Kampagne von den gesellschaftlich und technisch vorhandenen Möglichkeiten und Ressourcen abhängig und geprägt war. Die direkte Rede, die Flug- oder Plakatschrift, der Leitartikel gesellschaftsweit verbreiteter Tages- oder Wochenblätter, der Rundfunk und schließlich das Fernsehen prägen technisch bestimmte Entwicklungsstufen der politischen Kommunikation, die in Verbindung mit den anderen gesellschaftlichen und ökonomischen Faktoren für die unterschiedliche Gestalt und Wirkungsmöglichkeit politischer Kampagnen verantwortlich sind.So war in der antiken Stadtdemokratie mit ihrer unmittelbaren personalen Kommunikation in der zentralen Versammlung die Demagogie, die direkte Ansprache und wahrhaft mitreißende Rede ein zentrales Mittel jeder Kampagne „… und es steht unzweifelhaft fest, daß Demokratie und Rhetorik sich hier wechselseitig befruchtet und vorwärtsgetrieben haben“ (Bleicken, 1994, S. 391). Die Kunst der Rede und Überzeugung, durchaus auch der Überredung und Manipulation, wurde daher in eigenen Rhetorenschulen gegen Geld gelehrt, und die Kunst der Rede war in diesem kulturellen Kontext natürlich wie überall eine ungleich verteilte, aber zum Teil in Form der sogenannten Sykophanten auch käuflich erwerbbare Ressource für eine erfolgversprechende Kampagne. Daneben haben bei den relativ kleinen und überschaubaren Personengruppen, die überhaupt relevant werden konnten, natürlich Stimmenkauf, Bestechung und alle Möglichkeiten des ökonomisch oder anders ausgeübten Drucks oder Versprechungen im Falle von Wohlverhalten immer schon als Mittel der strategisch geplanten Kampagne gegolten. Wo immer es heute, wie zum Beispiel in Parlamenten oder Parteigremien, um genau abgegrenzte und überschaubare Stimmkörperschaften geht, liegen dieselben strukturellen Bedingungen vor, so daß man sich über das gelegentliche Sichtbarwerden solcher clandestinen Aspekte von Kampagnen nicht allzu sehr wundern sollte. Aber die Öffentlichkeit einer modernen Massendemokratie kann man nicht bestechen oder kaufen oder ihr irgendwelche Ämter anbieten, auch wenn Versprechungen natürlich seit jeher zum normalen Repertoire des öffentlichen Kampfes um Unterstützung gehörten. Auch die auf Überzeugung angelegte Rede des Demagogen erreicht in ihrer unmittelbaren Wirkung in Relation zu der gesamten Bürgerschaft einer modernen politischen Gesellschaft nur noch einen kleinen Ausschnitt, während ihre Wirkung auf diesen weiteren Kreis, zumeist das eigentliche Ziel, vollständig von dem Ausschnitt und der Art der medialen Übermittlung durch die modernen Massenkommunikationsmittel abhängig wird. Damit gewinnt die Frage, wer über diese verfügen und ihren Einsatz bestimmen kann, zentrale politische Bedeutung. Die politisch geförderte Verbreitung des symbolisch „Volksempfängers“ getauften Radios durch die Nationalsozialisten und sein strategisch monopolisierter Einsatz zeigen den einen Extremfall, in dem der Besitz totaler politischer Macht mit der monopolisierten direkten Verfügung über das zentrale Kommunikationsmittel für politische Kampagnen zusammenfällt. In diesem Extremfall ist also die Verfügung über die zentralen Mittel der Kampagnen direkt, aber die Kommunikation basierend auf modernen Übertragungstechniken bereits indirekt. Letzteres hat bedeutsame Wirkungen, weil zum Beispiel der Empfang durch den Adressaten der Kampagne zumeist in der Vereinzelung der Privatsphäre geschieht und durch die Initiatoren kaum noch kontrolliert werden kann. Auch tut die Vereinzelung selbst ihre Wirkung, weil sie die emergenten Effekte gemeinschaftlicher oder kollektiver Ereignisse oder Empfindungen im Guten wie im Schlechten unterbindet. Seit Politik unter modernen Bedingungen der freiheitlichen Demokratie aber auf die indirekte Ansprache eines Massenpublikums angewiesen ist, haben die Medien der Meinungs- und Informationsvermittlung über diese strukturell oder technisch bedingten Effekte hinaus eine bedeutsame und eigenständige Rolle gewonnen und vor allem begonnen, die politischen Prozesse und die Art ihrer Planung und Durchführung selbst zu bestimmen. So ist die direkte Ansprache an das Publikum in Kundgebungen oder das beliebte Händeschütteln der Kandidaten in Fußgängerzonen nur noch für besondere Funktionen reserviert, bei denen es auf die unmittelbar Beteiligten kaum noch ankommt, weil sie mehr oder weniger nur ihrerseits zum Mittel einer geschickten Inszenierung geworden sind, durch die vermittels der Medien Popularität und Volksverbundenheit der Kandidaten dem zuschauenden Publikum suggeriert werden sollen. Das kann den politischen Akteuren, die in der pluralistischen Demokratie mit ihrem vielfältigen Mediensystem nicht mehr direkt über die Medien verfügen können, freilich nur erfolgversprechend gelingen, wenn sie ihrerseits Medienpräsenz und den Medieneinsatz im Sinne ihrer Ziele zu beeinflussen vermögen. Auch wo etwa auf einem Wahlparteitag heute eine Partei vor hunderten von Delegierten ihren Führungskräften Gelegenheit zur Selbstdarstellung und den Anwesenden zur Beifallskundgebung (Jetzt gehts lo-os“) gibt, tritt der entscheidende und auch stra-tegisch angezielte Effekt doch durch die Vermittlung dieses ansich relativ begrenzten Ereignisses durch die Massenmedien ein. Die Planung, interne Struktur und Inszenierung eines Parteitages ist daher heute auch, ganz wie in einem Drehbuch, auf Medienwirkung beim Publikum hin festgelegt. Auch bei der Planung von Parlamentsdebatten, etwa des Zeitpunktes, zu dem die Regierungen oder Vertreter der Landesregierungen von ihrem Rederecht Gebrauch machen, wird ganz den Rhythmen und Tagesabläufen der Massenmendien angepaßt. Eine Parlamentsrede nach dem Redaktionsschluss der Hauptnachrichtensendungen oder der nationalen Zeitungen bleibt die Aufgabe von Hinterbänklern, und sie steht in der Gefahr, wie bedeutsam auch immer ihr Inhalt gewesen sein mag, auf dem schnelllebigen Informationsmarkt der Massenmedien bis zum Redaktionsschluss des nächsten Tages schon durch aktuellere Ereignisse und Nachrichten überholt zu werden.Der Kampf um die Öffentlichkeit ist zuerst ein Kampf um die Wahrnehmung der Massenmedien, insbesondere des Fernsehens. Gelingt dieser Schritt nicht oder nicht so wie beabsichtigt, dann ist jegliche Kampagne schon im Vorfeld gescheitert – denn „…über den Nachrichten wert von Ereignissen entscheiden allein die internen Medienfaktoren“, schreibt Thomas Meyer, auch auf dem Hintergrund seiner praktisch-politischen Erfahrungen in einem weiterführenden theoretischen Essay über „Die Transformation des Politischen“ auch und vor allem durch die Macht des Fernsehens (1994, vor allem Teil V.). Besonders der zweite Aspekt hat inzwischen ein problematisches Gewicht gewonnen, weil damit den Medien und insbesondere heute dem Fernsehen gewissermaßen politisch konstitutionell eine Rolle zugewachsen ist, die in dem ursprünglichen Modell der repräsentativen Demokratie so nicht vorgedacht und institutionell eingefügt worden ist.Dieses ursprüngliche Modell von „Öffentlichkeit“ – von Habermas in seiner berühmten Habilitationsschrift rekonstruiert und demokratietheoretisch-normativ expliziert (1962) – war geprägt durch die Vorstellung, daß ein pluralistischer freier Zeitungsund später Medienmarkt gerade über die inhärent wirksamen Mechanismen der ökonomischen, weltanschaulichen und politischen Konkurrenz der Bürgerschaft ein multiperspektivisches, sich wechselseitig relativierendes und kontrollierendes „Bild“ der politischen Wirklichkeit vermitteln könnte, das ihr eine eigene Urteilsbildung ermöglichen und sie vor einseitiger Manipulation schützen sollte. Schon immer waren einige Annahmen dieses Modells für die Bürgerschaft als ganze gesehen allzu optimistisch, weil sie, um es in zeitgenössischer Theoriesprache zu sagen, die Transaktionskosten der Informationsaufnahme vernachlässigten und grundlegende Interessendifferenzen ignorierten. Oder, um es viel einfacher auszudrücken: Anders als im normativ imprägnierten Demokratiemodell der politischen Öffentlichkeit hat sich im Alltag der modernen politischen Gesellschaft immer nur eine kleine Minderheit regelmäßig politisch informiert, die Mehrheit selbst der politisch Interessierten liest nur eine Zeitung – und zwar immer diesselbe. (siehe als generelle Einführung mit vielen empirischen Befunden zur Mediennutzung und -wirkung in der Bundesrepublik: Kaase, M./Schulz, W., 1989). Außerdem sind fortbestehende Differenzen und politische Gegensätze nicht nur Ausdruck eines mißlun-genen Diskurses, sondern verweisen auf Interessengegensätze und einen vermachten Mediensektor. (Greven, 1995b) Es kann also keine Rede von der normativ unterstellten „Multiperspektivität“ sein; auf der Ebene der meisten Bürger und Bürgerinnen ist der wenn überhaupt auf dem Medienmarkt noch vorhandene Pluralismus auf die Identifikation mit einer Zeitung und einem Sender beziehungsweise dessen „anchorman“ reduziert. Damit aber wird der regelmäßige Leser in seinem „Bild“ der politischen Wirklichkeit abhängig von dem mit welchen Motiven auch immer durch das Medium vermittelten.Um vieles intensiver, weil nicht allein auf die bewußt vermittelten oder weggelassen Informationen beschränkt, sondern Information und Kommentar, Bild, Ton, Atmosphäre und Stimmung pseudorealistisch in einem Gesamtkonstrukt dem bewußt wie unbewußt Rezipierenden als „Wirklichkeit“ nahebringend und nahelegend, wirkt gegenüber der Zeitung das Fernsehen. Empirisch wissen wir heute um die ganz eindeutige Dominanz des durch das Fernsehen vermittelten Gesamtbildes der politischen Wirklichkeit. Und damit gewinnt politisch und normativ die Frage zentrale Bedeutung: Wer verfügt heute realiter über die Macht, im und vermittels des Fernsehen mit solcher problematischen und für viele durch kaum noch etwas ausbalancierten Intensität auf die politische Wirklichkeitskonstruktion der Bevölkerung Einfluß zu nehmen?Lange Zeit schon war die Diskussion sich durchaus der imprägnierenden Gewalt des Fernsehens bewußt, konzentrierte sich aber auf die Frage des Parteieneinflusses. Die Frage nach der eigenständigen Macht und Wirkung der Medien blieb latent. Den Parteien wurde durchaus realistisch unterstellt, die Medien und vor allem das öffentlichrechtliche Fernsehen in Deutschland zu ihren Zwecken zu mißbrauchen und durch Personalpolitik und andere Wege der Einflußnahme die „Freiheit und Unabhängigkeit“ dieses Mediums zu unterminieren und damit seine eigenständige Kontrollfunktion in der Demokratie auszuhebeln. Aus dieser Perspektive hatte es eine gewisse Rationalität, sich von der Zulassung privater Fernsehsender auch mehr Information und Kontrolle zu versprechen. Aber diese Perspektive war von vorne herein einseitig und falsch, wie schon damals der Blick auf den privaten und kommerziellen Fernsehmarkt in den USA hätte zeigen können. (Postman, 1985) Mit dem nun zunehmend auch in Europa hinzugekommenen privaten Fernsehmarkt haben sich analog zu den Printmedien die dort früher heiß diskutierten Fragen der privaten Verfügungsmacht, der Monopolbildung, des Einflusses der Werbekundschaft usw. hinzugesellt. Selten aber wurde nach der genuinen Machtbasis der in den Medien selbst Arbeitenden gefragt, also der Meinungsmacher und Trendsetter unter den Journalisten, deren medial geborene „Popularität“ ihnen heute eine eigenständige Machtposition in den Medien hat zuwachsen lassen, mit der sie die rezipierte „politische Wirklichkeit“ eines Massenpublikums, das in anderer Gestalt im Sinne der Demokratievorstellung doch als der demokratische Souverän fungieren soll, fast nach belieben zu manipulieren vermögen, wenn unter ihnen erst einmal die Konkurrenz ausgeschaltet ist. Was Th. W. Adorno generell über die „Kulturkritiker“ feststellte, gilt für die „Wirklichkeitskonstrukteure“ des Fernsehens in besonderem Maße: „Das Vorrecht von Stellung und Information erlaubt ihnen, ihre Ansicht zu sagen, als wäre sie die Objektivität“ (1976, S.9). Welcher Politiker oder welche Politikerin hätte denn heute noch eine politische Zukunftschance, wenn sich die Meinungsmacher erst einmal darüber einig wären, daß er oder sie sie nicht verdiente – hieße er nun früher Möllemann oder Krause oder demnächst vielleicht … Scharping. Das über die Medien geprägte Gliche, wie zufällig auch immer entstanden, erweist sich als resistent und von den Betroffenen einfach nicht abzuschütteln. Schließlich war Herr Möllemann nicht der einzige Lehrer, den es in die Politik verschlagen hatte – und unter den Fachleuten schnitt er bei nüchterner Betrachtung vor allem als Bildungs- und Wissenschaftsminister keineswegs so schlecht ab, wie das mediengeprägte Image vom prinzipienlosen Aufsteiger (auf welche Minderheit von Berufspolitikern träfe letzteres nicht zu?) unverrückbar suggerierte. Selten und untersuchenswerte Ausnahmen scheinen mir die Beispiele, in denen sich einzelne Persönlichkeiten gegen ein längere Zeit schier einhelliges Negativbild in den Medien positiv zu behaupten vermochten, wie Helmut Kohl im letzten Drittel der heute fast vergessenen achtziger Jahre. Oder ein Beispiel auf ganz anderer Ebene: Wer wüßte schon etwas über den jahrelangen blutigen Bürgerkrieg in Angola, der parallel zu den medienbeachteten Kriegen erst am Golf und dann im ehemaligen Jugoslawien ein Vielfaches an Toten und Grausamkeit mit sich brachte? Wäre das alleine durch die geographische Nähe und unser politisches Interesse geprägt, warum war dann der sogenannte „Biafrakrieg“ Anfang der siebziger Jahre ein europäisches Medienereignis erster Güte – von dem wir dank ausführlicher Untersuchungen inzwischen wissen, daß es nahezu ausschließlich als Ergebnis einer mit vielen Millionen Dollar durch die biafranischen Sezessionisten bezahlten Werbekampagne einer professionellen Schweizer Agentur produziert wurde. Erinnern Sie sich vielleicht noch Ihrer moralischen Empörung über den Tod so vieler Christenkinder? Haben Sie damals vielleicht auch gespendet – und ohne es zu wissen, damit vor allem die Waffeneinkäufe der Sezessionisten finanziert?Halten wir vorläufig das prinzipiell Neuartige fest: Heute ist innerhalb der Medien, insbesondere des Fernsehens, eine in den Dimensionen und Auswirkungen neuartige Machtbasis entstanden, die es einigen wenigen erlaubt, die politische dominante Wirklichkeitskonstruktion unkontrolliert und einseitig zu beeinflussen oder zu manipulieren. (Schulz, 1990) Aus einem Medium der Machtkontrolle ist damit ein im verfassungsmäßigen Gefüge der parlamentarischen Demokratie so jedenfalls nicht vorgesehener eigenständiger Macht- und Einflussbereich entstanden, in dem inzwischen einige wenige Personen – wobei es hier im Augenblick auf die Unterscheidung zwischen der Macht von privaten Eigentümern oder der genuinen Medienmacht von journalistischen Meinungsmachern gar nicht ankommt – das unkontrollierte Sagen haben.

IV.

Nun liegen mögliche Einwände gegen eine solche Sicht der Dinge natürlich sofort auf der Hand, zuvorderst wahrscheinlich der Verdacht, eine solche Argumentation könnte oder sollte gar dazu dienen, die Meinungsfreiheit, von der die angesprochenen Journalisten ja schließlich nur Gebrauch machten, und förderhin sogar die demokratisch so wichtige Pressefreiheit, einzuschränken oder zu regulieren. Beides ist jedenfalls keineswegs meine Absicht; und jeder Versuch, die angesprochene Machtkonstellation demokratisch oder demokratieadäquat einzubinden oder zu legitimieren, wird sich an dem unverrückbaren Maßstab der zu schützenden Grundrechte bewähren müssen.Dies normativ ebenso wie jedenfalls in der Tendenz nach die oben skizzierte Mediatisierung der Politik in Rechnung gestellt, ergibt sich freilich ein Dilemma zwischen den Grundrechten der Journalisten und dem Grundsatz der Pressefreiheit einerseits sowie dem Grundprinzip der Demokratie andererseits, nach dem es keine unlegitimierten politischen Machtbasen und Privilegien geben dürfe, das praktisch politisch nicht so einfach aufzulösen wäre – was hier aber auch gar nicht die erste Absicht darstellt. Hier geht es zunächst um eine möglichst zutreffende Erkenntnis und Analyse der zugrundeliegenden Probleme. Immerhin hat die normative demokratische Theorie offenkundig nicht damit gerechnet, daß aus der Ausübung eines ihrer elementaren Grundrechte – und eine Demokratie ohne unbeschränkte Meinungsfreiheit wäre immer im Kern beschädigt – unter bestimmten Verhältnissen und vermittels technischer Großsysteme eine Gefährdung des demokratischen Prozesses und eine schier unbeschränkte Machtausübung erwachsen könnte. Immerhin könnte man für’s erste gedanklich überprüfen, ob die institutionellen Vorkehrungen, die in der Demokratie ansonsten für den legitimierten und kontrollierten Umgang mit der Macht getroffen werden, nicht auch hier Abhilfe schaffen könnten? Das hieße im Gedankenexperiment zunächst einmal davon auszugehen, daß wer im Mediensystem auf dem angedeuteten Wege über soviel politische Macht verfügen könnte, eigentlich als der Inhaber eines politischen Amtes anzusehen sei. Aber wie wäre er dann legitimiert? Wer hätte ihn gewählt? Wo wären die Kompetenzen und Grenzen seines Amtes beschrieben? Wem wäre er Rechenschaft pflichtig? Wie könnte er kontrolliert werden? Wodurch würde seine Amtszeit begrenzt? Und nochmals: Wie wäre das alles mit Meinungs- und Pressefreiheit vereinbar? Der Zusammenhang, in dem sich diese Fragen eher am Rande ergaben, soll aber nicht vergessen werden. Wo die interne Logik und Funktionsweise des Fernsehens prägend für die Formen des Politischen wird, und ein Element davon ist (worauf ich gleich zurückkomme) der neuartig verstärkte Zwang zur Kampagne, da stellt sich die Frage nach der politischen Legitimation über den üblichen engeren Rahmen der politischen Institutionen und Akteure hinaus. Es stellt sich hier aber vor alle die Frage nach der sich tendenziell abzeichnenden Gestalt des Politischen von Morgen. Die These ist, im Zusammenwirken aller Faktoren wird aus der Kampagne als einem gelegentlichen Mittel der Politik in der Zukunft der politischen Gesellschaft Kampagnenpolitik zur verherrschenden Alltagserscheinung.

V.

Die Faktoren, die zu dieser Tendenz beitragen und die Probleme, die sich aus ihr ergeben, liegen auf der Hand. Wie bereits festgestellt, gehört die thematische und sachliche Priorisierung, die Konzentration von Aktivitäten und Mitteln ebenso wie der abgesteckte Zeitrahmen zum Wesen politischer Kampagnen. Diese Tendenzen werden durch die innere Funktionslogik des Fernsehens eigentümlich verstärkt und vervielfacht. Oft wurde schon die medienspezifische Kurztakttigkeit der Redebeiträge, der Zwang zum eindrucksvollen Bild, der Wiedererkennungswert einerseits, der Zwang immer neue Sensationen zu bieten andererseits, schließlich zur Inszenierung von Ereignissen und ihres visualisierbaren Rahmens analysiert, die das Fernsehen unter den heutigen Bedingungen allen Akteuren offenkundig unvermeidlich aufnötigt. Politiker und Politikerinnen lassen sich (heimlich) in der Kunst fernsehgerechter Kommunikation schulen, lernen Stereotype zu prägen, mit denen das Publikum sie sogleich identifizieren kann (und aus dem selben Grund abrupte Frisur- oder Brillenwechsel zu vermeiden), versuchen in kurzen Sätzen unter Vermeidung von Fachterminologie zu sprechen, bemühen sich aber auch um die Kunst, das Wort nicht wieder abzugeben und der Antwort auf die eine gestellte Frage stets noch jene Aussagen anzuhängen, um deren Vermittlung es ihnen gerade zu tun ist. Das alles mag man bei den weniger Talentierten erkennen und belächeln. Aber die tiefliegenden Konsequenzen einer Politik, die entweder fernsehgerecht zubereitet zu werden vermag oder im arcanum professioneller Regierungs- oder gar Verwaltungspraxis verschwindet, ist für die Zukunft der Demokratie höchst bedenklich und gefährlich. Kampagnenpolitik mit ihrem Zwang zur Konzentration verlangt also nach einem höchst reduktionistischen Politikverständnis. Der immer komplizierteren Verflechtung der Probleme und erst recht der Wege ihrer möglichen Lösung steht der medial verstärkte Zwang zur strikt vereinfachenden Kampagne gegenüber. Glatte Alternativen, in der Praxis von Politikverflechtung und Kompromißsuche gerade nicht geboten, bestimmen die politische Kommunikation in Kampagnen. Zum Beispiel werden komplexe Sachfragen als politische Konkurrenzen personalisiert, die Lösung der solchermaßen konstituierten Personalfrage wiederum fälschlich als die Entscheidung in der Sache ausgegeben. Andererseits ergibt die medial erzeugte Personalisierung und die Medienpopularität in anderen Politikarenen manchmal eine nicht durch Wahlen oder Ämter legitimierte eigenständige Machtbasis – wie etwa im Falle von Heiner Geissler in der CDU oder von Joschka Fischer bei den Grünen und darüber hinaus. Der gewisse Zwang, gerade auch für Nachwuchspolitiker, politischen Einfluß innerhalb der Partei über den Umweg von Medienreputation aufzubauen, provoziert neben der „Pflege“ bestimmter Kontakte auch ein spezifisches Kalkül in der Wahl von Themen und zwingt andererseits der innerparteilichen Kommunikation andere Formen auf. Gremien verlieren an Bedeutung, der Zugang zu bestimmten Medien wird entscheidend. Aber immer bleibt die Ambivalenz aus der Sicht der Politiker und Politikerinnen zu beachten, die sich aus der eigenen Machtstellung der Medienakteure ergibt.Interessant ist die Verkopplung beider Ebenen wie etwa in der teilweise fernsehvermittelten Wahl des letzten SPD-Vorsitzenden. Die ursprünglich als eine der innerparteilichen Demokratie und Kohäsion förderlich gedachte Idee einer kompetitiven Urwahl des oder der Vorsitzenden änderte in dem Augenblick vollständig ihren Charakter,als Fernsehanstalten sich der Sache bemächtigten. Aus innerparteilichen Versammlungen, auf denen die Mitglieder mobilisiert und Kandidaten und Kandidatin auch kritisch befragt werden sollten, aus Mitgliederdiskussionen und interner Meinungsbildung, wurden, vor allem in der plötzlich durch Live-Übertragung zentral gewordenen Abschlußveranstaltung in Düsseldorf, die nachträglich alle anderen Veranstaltungen relativierte, eine nationenweite mediengerecht inszenierte politische Show-Veranstaltung der Kandidaten und der Kandidatin, an deren Ergebnissen die Partei heute noch herumwürgt. Die im wesentlichen durch Fernsehnachrichten und Politiker-Talkshows konstituierte politische Öffentlichkeit verträgt schon aus rein internen Medienfunktionsgründen kaum mehr als drei Themen zur selben Zeit. Während man die Lektüre einer Zeitung im Laufe eines Tages bei vielfältigen Gelegenheiten zeitlich selbst steuern kann, was Unterbrechungen und auch nochmaliges Lesen oder Nachschauen ermöglicht, was wiederum auch die Rezeption längerer Dokumente oder zum Beispiel Reden ermöglicht, zwingen die Fernsehnachrichten den Konsumenten ihre Spartenverteilung, Rhythmen und Zeitlogik auf. Nicht nur wenige Themen, auf die Sparten Politik, Sport, Kultur, „Menschliches“ nach vermeintlichem Konsumentenwunsch stereotyp verteilt, sondern auch deren Präsentation in wenigen Augenblicken – buchstäblich! – wird dadurch erzwungen. Ein Wortbeitrag von „1:30“ in den Hauptfernsehnachrichten gilt für den Berufspolitiker bereits als außergewöhnliche Chance, seine „message rüber zu bringen“; sie wird nur wenigen und tendenziell immer denselben eingeräumt. Ein solches „Statement“, etwa zwischen 20:00 und 20:15 Uhr in der ARD, kann manchmal bereits das Ergebnis einer in diesem Augenblick schon gelungenen politischen Kampagne darstellen, ein anderes Mal sie mit einem Schlag „lostreten“. Die Entscheidung darüber fällt eine anonyme Programmkonferenz, die heute das politische „agenda-setting“ in Deutschland, wenn schon nicht monopolisiert, so doch wie niemand sonst beeinflußt. Die öffentlich wahrnehmbare politische Agenda von Sachfragen und anstehenden Problemen wird auf diese Weise gegenüber der Vielschichtigkeit des komplexen politischen Prozesses in einer Weise reduziert, die mit den normativen Vorstellungen der Demokratie keineswegs mehr in Einklang zu bringen ist. „Agenda-setting“ und „issue-placement“, ursprünglich dem analytischen Fachchinesisch der Politikwissenschaft entstammend, beschreiben heute mediengerechte professionelle Praktiken von Politikern und Journalisten, die ein wesentliches Machtpotential beinhalten und die Form der politischen Kommunikation und damit der Politik selbst verändert haben. Kampagnenpolitik unterscheidet sich also von dem berühmten „Bohren dicker Bretter“ – das natürlich anderswo und der Öffentlichkeit in der Regel unsichtbar weiterhin geschieht – durch ihre Tendenz, Probleme zu simplifizieren oder, was manchmal dasselbe ist, zu personalisieren, kurzfristige den langfristigen Lösungen vorzuziehen, vor allem aber das Populäre aufzugreifen und das Unbequeme liegen zu lassen, von der Hand in den Mund zu leben, statt in die Zukunft zu investieren.

VI.

Mehr und mehr ist heute aber auch die Chance zur relevanten Partizipation in öffentlichen Angelegenheiten an die Fähigkeit gebunden, erfolgreiche Kampagnen zu starten; Wer dazu nicht in der Lage ist, hat kaum eine Chance, Gehör zu finden. Politische Chancengleichheit zeigt sich hier für einzelne wie kollektive Akteure höchst ungleich verteilt.Wie gezeigt, verfügen Regierungen, Parteien, wohl auch etablierte Verbände und vielleicht die großen Kirchen und die in den Medien selbst Mächtigen heute über diese Chance zuerst.In den Parteien gibt es – angestoßen durch „Politikverdrossenheit“, Mitgliederschwund und mangelndes Engagement“, aber auch bedingt durch machtpolitische Überlegungen strategisch denkender Politikprofis – seit längerem Überlegungen, die traditionelle Form der tief in einem bestimmten Milieu verankerten Mitglieder- und Partizipationspartei durch effektivere und „schlankere“ Organisationsformen zu ersetzen. Eigentlich brauchte die politische Führungsgruppe, so der ehemalige Chefdenker der CDU-Zentrale Peter Radunski (1993), die Unterstützung der „Mitgliedschaft“ nur als Legitimationsbasis für ihr eigenes Handeln, als gelegentlich für politische Kampagnen und Wahlkämpfe kurzfristig mobilisierbare Unterstützungsszene und als Spender beziehungsweise Finanziers. Könnte man den ganzen komplizierten Massenapparat eines tief gestaffelten Systems der Mitgliederpartizipation, von der Ortsgruppe bis zum Präsidium, der noch dazu aus der Sicht der Parteioberen gelegentlich unkalkulierbare Tendenzen zur Selbstständigkeit zeigt und Außenseitern und Konkurrenten unwillkommene Chancen zur innerparteilichen Gegenmobilisierung anbietet, nicht durch eine politische Form ersetzen, bei der das notwendige Geld – das meiste stammt sowieso nicht mehr aus den Mitgliedsbeiträgen – durch Spendenkampagnen und Fundraising aufgebracht, die eigentliche politische Arbeit aber durch bezahlte Professionelle und Stäbe von Experten erledigt wird? Man könnte das auch als „Amerikanisierung“ des Parteiwesens bezeichnen und gesellschaftlich durch die Tendenzen zur Individualisierung und nachlassende Bindungs und Loyalitätsbereitschaft gestützt ansehen. Jedenfalls zeigen solche nach wie vor virulenten Überlegungen in den Parteizentralen, daß die Zukunft der klassischen Mitgliederpartei und damit ja auch eines jedenfalls in Europa wichtigen Elements politischer Partizipation und Demokratie keineswegs gesichert ist.Das viel bestaunte Medienereignis(!) „Greenpeace“, ein „kleiner Verein“, der ja eigentlich eher ein professionell geführter Tendenz-Konzern ist, der sich über den Erfolg seiner Kampagnen refinanzieren muß, weist eher auf Versuche außerhalb des machtpolitischen Establishments hin, angesichts der Zwänge von Kampagnenpolitik in der politischen Gesellschaft und einer eindeutigen Dominanz der etablierten Akteure mit ihren überlegenen Ressourcen, Auswege aus einer Überforderung des klassischen Partizipationsrepertoires der meisten Bürger und Bürgerinnen zu finden. Schon immer standen den Möglichkeiten der etablierten Akteure, Kampagnen zu lancieren, ja die Instrumente und Möglichkeiten der nicht-organisierten Bevölkerung gegenüber. Vieles was seit den Siebzigern zunächst unter dem Stichwort „Bürgerinitiativen“, später dann der angeblich so neuen sozialen Bewegungen thematisiert wurde, besitzt ja neben anderem auch den Aspekt der Kampagnenform und weist viele der Charakteristiken aber auch Probleme auf, die hier angesprochen wurden. Wesentlich war und ist diesen partizipationsbasierten Kampagnen freilich der freiwillige, ehrenamtliche und nicht-professionelle Charakter. Das macht den Erfolg, ja schon das Auftreten dieser Formen so unsicher. Was am Beispiel „Greenpeace“ allen auffällt und manche aus der Sicht partizipatorischer Demokratievorstellungen gegen den Strich geht, ist die eigentümliche Verbindung eines „eigentlich“ für partizipatori-sche Politik reservierten Themas mit internen Strukturen und erfolgsorientierten Handlungsformen, die ansonsten eher aus dem gewerblichen und etablierten Bereich bekannt sind. Aber immerhin hat „Greenpeace“ noch eine nicht beliebige und – wenn man so will – idealistische Zielfestlegung. Es bleibt damit immer noch Symptom für eine in der Forschung seit langem beobachtete Professionalisierung und Institutionalisierung des „Bewegungssektors“ (Roth, 1994, S. 182ff.), der sich freilich intern inzwischen in den stark demokratieorientierten partizipativen und in den eher instrumentell auf bestimmte Ziele festgelegten Zweig aufzuspalten scheint; dem letzteren kann man sich auch durch Mitgliedsbeiträge oder Spenden und ohne eigene regelmäßige Aktivität verbunden fühlen. Hier entstehen folglich eigene Berufsmuster und Rollen, Bewegungsunternehmer oder – Sekretäre, die politisches Verständnis und Engagement mit höchst professionellem Wissen und Vorgehen verbinden und die – um es mit Max Weber zu sagen – nicht nur für ihr Engagement, sondern auch von ihm leben können und müssen. Ihre wesentliche Qualifikation besteht in der Fähigkeit, mit den ihnen zur Verfügung gestellten Ressourcen in dem festgelegten Bereich Kampagnen zu planen, anzuzetteln und erfolgreich durchzuführen. Dabei kommt es zu einer eigenartigen Vermischung von politisch-charismatischen und rein management- oder berufsorientierten Aspekten, die vielleicht nur ein Übergangsphänomen darstellen, in das das ideelle Engagement, das den Ausgangspunkt bildete, ungleichzeitig noch hineinreicht. In den USA tritt uns seit längerem bereits in Gestalt bestimmter Anwaltsbüros, sogenannter public- interest- firms und von fund- raising- agencies die professionalisierte Akteurokonstellation von Kampagnenpolitik entgegen; es steht zu erwarten, daß auch hier mit ihr zu rechnen ist. Dieses Stadium ist erreicht, wenn sich die professionelle Fähigkeit zur Gestaltung einer erfolgreichen Kampagne weitgehend von allen Inhalten gelöst hat und ganz kommerziell betrieben wird, ohne daß es auf den Inhalt der Kampagne negativ abfärbt. Die wesentliche Klippe ist das Glaubwürdigkeitsproblem, bei dem bisher die Kirchen oder andere non-profit- Einrichtungen einen Vorsprung hatten, der vielfältig und auch kulturell durch lange Traditionen bedingt ist. Wenn aber eine generelle öffentliche Rechenschaftspflicht und Überwachung – wie zum Teil schon in den USA existent – hier Zweifel beseitigen hilft oder sogar deutlich zu machen vermag, daß der ehrlich ausgewiesene „Erfolgsanteil“ der public- interest- firms, aufgrund eines effektiveren Managements niedriger liegt als der für die Endzwecke letztlich vorenthaltene beispielsweise bei einigen Kirchen, dann stellt sich die Sache hinsichtlich der zukünftigen Entwicklungschancen und auch vielleicht politisch-moralisch keineswegs mehr so eindeutig dar. So kann man denn in der Zukunft der politischen Gesellschaft Profis anheuern, die eine Spendenaktion für vergewaltigte Frauen im ehemaligen Jugoslawien und für die Einrichtung von Betreuungseinrichtungen trotz ihrer, sagen wir zwanzig prozentigen Erfolgsbeteiligung, schneller und – wohlgemerkt auch für die betroffenen Frauen – erfolgreicher „hochziehen“, als das jede Bürgerinitiative oder soziale Bewegung vermöchte. Und warum sollte am Ende eine solche „Firma“ denn überhaupt noch eines Auftraggebers bedürfen und sich nicht gleich selbst auf dem „Spendenmarkt“ mit einem aussichtsreichen Thema zu placieren versuchen? So gesehen zeigt sich in dieser Zukunftsperspektive vielleicht andeutungsweise, wie eine immer dominanter werdende Kampagnenpolitik und die mit ihr verbundenen strukturellen Effekte langfristig den gesellschaftlichen Humus bürgerlicher politischer Partizipation austrocknen und die vielfältigen Formen des politischen und sozialen Engagements auch in diesen Bereichen durch professionelles und kommerziell vermarktetes Handeln ersetzen könnten. Daß in der politischen Gesellschaft alles politisiert zu werden vermag, heißt nicht, daß es noch in den traditionellen Formen ehrenamtlichen Engagements oder der Europa typischen Parteiorganisationen zu geschehen hätte. Kommerzialisierung und Professionalisierung machen auch vor der Politik nicht halt; wer dabei nur auf die steigenden Einkommen der Politiker achtet, verkennt die Tiefendimension und Radikalität des sich vollziehenden Wandels.

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