Medienkampagnen mit Feindbildern und strategische Interaktion
aus: vorgänge Nr. 132 (Heft 4/1995), S. 72-81
Politische Kampagnen, also Feldzüge, sind ein Kind des modernen Parteienstaates; sie sind ebenfalls in modernen Diktaturen zu finden. Aber auch soziale Bewegungen haben auf spezifische Weise versucht, politische Kampagnen zu inszenieren. Ob alles und jedes zum Gegenstand einer politischen Kampagne werden kann, ist umstritten. Alte Kämpfen der Arbeiterbewegung sagen, nicht alles sei „kampagnenfähig”; amerikanische Public interestfirms sind bereit, für Geld in jeder Sache eine Kampagne zu inszenieren. Ich greife diese Frage auf, doch sie kann hier nicht beantwortet werden. Sie weist jedoch auf eine neue technische Voraussetzung politischer Kampagnen: Die neuen elektronischen Medien verändern sowohl die Struktur politischer Kampagnen und als auch von Politik.
Für politische Kampagnen gilt mehr und mehr der Grundsatz: Nur wer in Medien Gehör findet, ist politisch existent. Noch knapper und einprägsamer hat das der israelische Politikwissenschaftler Yehezkel Dror formuliert: Vedeor ergum sum, ich werde gesehen, also bin ich.
Kampagnen arbeiten mit Feindbildern. Mit Feindbildern arbeiten nicht nur Feinde, sondern auch politische Gegner in parlamentarischen Demokratien mit pluralistischen Grundstrukturen. Seit den Erfahrungen mit der Kriegspropaganda in den beiden Weltkriegen und in totalitären Systemen gibt es auch in Demokratien so etwas wie eine wissenschaftliche Produktion von Kampagnen mit Feindbildern.
Neu ist die Form der Umsetzung und neu ist der Versuch, mittels der Herrschaft über das Ausstrahlen von Bildern das zu beherrschen, was als Politik gilt. Kurz: Neu sind die gegenwärtigen Medienkampagnen mit Feindbildern. In der Öffentlichkeit wird dieses Thema seit den Kampagnen von Greenpeace gegen die Versenkung der Ölplattform durch Shell und gegen die französischen Atomtestversuche auf Mururoa diskutiert.
Der Sozialwissenschaftler Eric Hobsbawm hat dazu gesagt, daß das Neue an diesen Kampagnen das „Entstehen transnationaler politischer Aktionseinheiten” ist; sie werden ausgelöst, mittels einer „straff gelenkten Organisation, welche die technischen Möglichkeiten ausnutzt”. Hobsbawm meint: „Ob eine solche Kampagne Erfolg hat oder nicht, hängt ganz und garnicht von ihrer politischen oder intellektuellen Rechtfertigung ab, sondern von der Manipulation der Massenpsychologie.” Dazu heißt es noch präziser: „Greenpeace hat die Öffentlichkeit auf die gleiche Weise zu mobilisieren versucht wie etwa Berlusconi …, nämlich durch direkte Ansprache an das Publikum mittels der modernen Medien.”
Auf die für soziale Bewegungen wichtige Frage, ob solche Kampagnen in der Lage sind, die Aktionen sozialer Bewegungen abzulösen, antwortet Hobsbawm: „Sozialrevolutionen werden aus diesen Kampagnen nicht herauskommen.” Doch auch dieses Problem und die Frage, ob Medienkampagnen mit Feindbildern die Antwort von rechts auf das, was soziale Bewegungen von links in Gang zu setzen versuchten, will ich in diesem Rahmen nicht antworten.
Auch Greenpeace ist bei seinen Aktionen von der Herrschaft über Bilder abhängig. Greenpeace ist nur dann in der Lage, die von dieser Organisation mitproduzierten Bilder durchzusetzen, wenn sie mit Feindbildern arbeitet und „ihre” Bilder verbreiten kann. Es verdient Beachtung, daß der Kampf gegen die Killer der Wale als „Feinde” zu den meisten Spendengelder geführt hat und daß Greenpeace seine Bilder über Mururoa in Frankreich nicht verbreiten konnte.
Ich konzentiere mich im Folgenden auf Medienkampagnen mit Feindbildern. Ich skizziere zunächst die Struktur solcher Kampagnen, untersuche die Gefahren und Frage nach den Möglichkeiten strategischer Gegenwehr.
Zur Struktur der Medienkampagnen mit Feindbildern
Das Feindbild: Feindbilder sind nicht identisch mit einem Feind, sondern etwas Drittes, ein spezifisches Bild, das zwischen uns und den „Feind” oder ein Problem geschoben wird: Durch dieses Bild wird alles reduziert auf ein Entweder-Oder, auf schwarz oder weiß, ein Dazwischen – und damit Differenzierungen – gibt es nicht. Auf der einen Seite steht der „Feind”, auf der anderen „Wir”. Der Feind ist eine Bedrohung, unheimlich und nicht greifbar. Er verursacht Angst. Das „Wir” entsteht aufgrund dieser Angst, weil jeder befürchten muß, selbst betroffen zu sein. Neu ist dabei in diesem Jahrhundert eine spezifische Instrumentalisierung von Medien, die versuchen, den Einzelnen in seinen Ängsten unmittelbar „anzusprechen”.
Die Funktion solcher spezifischen Feindbilder ist erstens die Enddifferenzierung. Zweitens eine besondere Form der Entlastung; der eigene Anteil an einem Konflikt wird ausgestoßen und dem „Feind” als Sündenbock aufgeladen. Drittens dienen Feindbilder und die durch sie produzierten Ängste dem Zusammenschluss; auf Grund von Feindbildern kann das produziert werden, was als künstlich erzeugte Kampfgemeinschaft keine eigenständige Solidarität ist. Schließlich verhindern Feindbilder jede Zwischenposition und versuchen, Oppositionsbildung auszuschließen; wer nicht für die vorgeschlagene Form der Feindbekämpfung ist, hilft direkt oder indirekt dem „Feind”.
Feindbilder brauchen keinen realen Feind, es genügt der imaginäre Feind. Nicht selten sind es gerade diejenigen, die nicht sehen wollen, daß es Feindschaft geben kann, die besonders zum Produzieren von Feindbildern beitragen. Deshalb finden wir auch in den parlamentarischen Demokratien des Westens eine rege Feindbildproduktion. Es werden Konstellationen erfunden, in denen es Feinde geben könnte, oder es werden Feindbilder ersonnen, um den politischen Gegner durch ein Feindbild schaden zu können.
Feindbilder werden verstärkt durch das Produzieren von Ereignissen: Ein besonderer Fall dieser auf Medien zielenden Verwendung von Feindbildern ist das Herstellen von Fakten, die der Gegenseite untergeschoben werden. Waffen oder besondere Beweisstücke werden an einen Ort gebracht, Papiere werden gefälscht oder falsche Zeugenaussagen fabriziert und verbreitet, um ein Feindbild aufzubauen. Diese meist kriminelle Feindbildproduktion schafft eine „qualitative” Veränderung. Besonders markant wurde dies durch den Überfall auf den Sender Gleiwitz, der vom NS-Regime selbst inszeniert, aber als „polnischer Angriff” zum Signal für Hitlers „Gegenangriff` auf Polen ausgegeben wurde.
Nicht immer beruht diese „materialistische” Form einer Feindbildproduktion auf strategischem oder kriminellem Kalkül. Zuweilen wird ein Vorfall aufgegriffen und für den Aufbau eines Feindbildes verwendet. So ist weder beim Reichstagsbrand von 1933 (oder der Barschel -„Affäre”) bis heute nicht eindeutig geklärt, ob die Nazis den Brand gelegt (bzw. ob und wie weit Barschel die Machenschaften Pfeiffers angeregt hat). Beiden Fällen gemeinsam ist, daß „Fakten” zur Basis wurden für eine Feindbildproduktion. Gerade der Verdacht, daß diese Fakten fabriziert wurden, hat dann zu entsprechenden Gegenkampagnen mit umgedrehten Feindbildern geführt.
Zusammengefaßt läßt sich sagen, solche Kampagnen mit Feindbildern übertragen die im Rahmen von Kriegspropaganda, psychologischer Kriegsführung und totalitärer Propaganda entwickelten Methoden auf Wahlkämpfe und das Bekämpfen des innenpolitischen Gegners. Feindbilder werden als Instrumente produziert, entweder um die eigene Macht ausweiten oder und den politischen Gegner einem Feind zuordnen zu können.
Machtausweitung geschieht durch durch Feindbildproduktion: Feindbilder sind ein Instrument, um aus Sachproblemen einen imaginären Feind zu konstruieren, den es zu bekämpfen gilt („Die“ Drogenbosse, „die” Mafia, „das” Organisierte Verbrechen, OK). Der bestimmte Artikel deutet darauf hin, daß ein Feind fast magisch beschworen wird. Damit wird so etwas wie ein Ersatzkrieg geschaffen. Der gescheiterte Antidrogenkrieg der USA bleibt Vorbild für das, was in der Bundesrepublik „Verbrechensvorbeugung” und „Verbrechensbekämpfung” genannt wird. Hier wie dort geht es (wie im Krieg) darum, Bürgerrechte einzuschränken und neue Machtbefugnisse durchzusetzen.
Die Zuordnung des Gegners zum Feind: Eine besondere Form solcher Machtausweitung durch Feindbildkampagnen ist die Feindzuordnung. Der politische Gegner wird dabei mittels spezifischer Feindbilder in Zusammenhang mit einem Feind gebracht. Die Zuordnung zum Feind kann zum einen erfolgen, um den politischen Gegner unglaubwürdig zu machen, zu diskreditieren oder diskriminieren und zum anderen auch deshalb, um ihn zu einer Distanzierung vom „Feind” zu zwingen und damit dazu zu bringen, ein Feindbild als herrschend zu bestätigen.
Für die genannte Inszenierung und Instrumentalisierung von Feindbildern gibt es in der Nachkriegsgeschichte Westdeutschland viele Fälle. Ich erinnere an die Kampagne gegen die sogenannten Sympathisanten der RAF und den immer wieder vorgebrachten Vorwurf, friedliche Demonstranten schützten den harten Kern der Gewalttätigen. Neu (in der Bundesrepublik) und damit eine Bedrohung des demokratischen Verfassungsstaates ist es, daß nicht nur gewählte Politiker, sondern Exekutivorgane, also Beamte (die zu der einem Beamten gebotenen Zurückhaltung verpflichtet sind) sich an der Proktion von Feindbildern beteiligen oder die genannte Zuordnung zum Feind vornehmen. Neu ist auch, daß beispielsweise das Bundeskriminalamt (BKA) und der Bundesnachrichtendienst (BND), selbst derartige Medienkampagnen inszenieren. BKA, Verfassungsschutzbehörden und BND können nicht nur selbständig entscheiden, wann sie etwas als Faktum an die Medien geben. Sie haben auch andere spezifische Einfußchancen auf Medien, und sie können selbst Ereignisse produzieren, die als solche eine öffentliche Kampagne in Gang setzen.
Als Beispiel für das Letzte erwähne ich hier die Plutoniumaffäre. Als im Herbst 1994 die SPD im Deutschen Bundestag und der Bundesrat gegen die Ausweitung der BND-Befugnisse auf die elektronischen Fernmeldeaufklärung votiert hatte, das Gesetz also zu scheitern drohte, gab es plötzlich auffallend viele Funde von Plutonium auf deutschem Boden. Da in diesen Fällen die Polizei unmittelbar zugreifen konnte, entstand schon damals der Verdacht, daß hier etwas inszeniert sei. Heute kann man als bewiesen davon ausgehen, daß zwar nicht das Amt mit Wissen des Präsidenten tätig wurde, wohl aber Angehörige des Amtes für diese „Gleiwitz-Aktion” und dafür verantwortlich sind, daß 400 Gramm Plutonium von Moskau nach München geflogen wurden.
Wer noch einmal nachliest, was mit diesem provozierten Kriminalfall produziert wurde (es erinnert in der Täuschung der Bevölkerung fatal an Hitlers Fall Gleiwitz), dem wird deutlich, daß damit jede Opposition gegen die neuen Befugnisse (Erfassen des Fernmeldeverkehrs zwischen der Bundesrepublik und dem Ausland durch den BND) mundtot gemacht wurde.
Feindbildkampagnen verändern Politik und demokratische Strukturen
Machtpolitik versus „das Politische“: Inszenierte und instrumentalisierte Medienkampagnen wären nicht möglich, ohne eine zunehmende Vermarktung der Medienwelt. Eng mit dieser Vermarktung verbunden ist die zunehmende Mediatisierung von Politik. Kampagnen mit Feindbildern zielen auf Macht: auf Machterhalt, auf Machtgewinnung oder auf die Macht neuer Befugnisse. Sozialen Bewegungen dagegen geht es weder um Politik im Sinne solcher Kampagnen noch um Macht oder um das bloße Durchsetzen von Figuren. Soziale Bewegungen (als Bürgerinitiativen oder sozialer Protest) leben davon, daß sie bei aller Politik zugleich „das Politische” entwickeln als ein (Widerspruch ertragendes) gemeinsames Denken und Handeln von Bürgerinnen und Bürgern. Es ist etwas anderes, ob Menschen „politisch” werden und sich von sich aus zusammenfinden, weil sie glauben, daß der Zustand der Wirklichkeit ein Handeln erfordert, das Wirklichkeit verändert oder ob, Medienkampagnen mit Feindbildern inszeniert werden, die dabei mit genau kalkulierten Methoden die Psyche von Menschen „ansprechen”.
Veränderung des demokratischen Verfassungsstaates: Medienkampagnen mit Feindbildern versuchen nicht nur das auszulöschen, was Hannah Arendt das Politische genannt hat; sie sind zugleich eine permanente Bedrohung von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und für den Schutz von Minderheiten. Zum einen verselbständigen sich damit Organe der vollziehenden Gewalt zu immer weniger politisch kontrollierbaren, aber dennoch innerhalb bestimmter Grenzen unter bestimmten Voraussetzungen (Deckung durch die Bundesregierung) selbständig agierenden Exekutivmacht. Man hat das früher (im Blick auf die Reichswehr) als Staat im Staate bezeichnet. Zum anderen wird durch Feindbildkampagnen nicht nur Opposition still gestellt, sondern die Axt an die Substanz der Opposition gelegt. Gegen solche Instrumentalisierung kann – wenn sie nicht aufgedeckt wird und politische Konsequenzen gezogen werden – Opposition nur mit spezifischen Methoden und hoher Intelligenz ankommen.
Angriff auf die Mündigkeit der Bürgerinnen und Bürger: Durch solche Kampagnen (insbesondere dann, wenn es nicht mehr um Worte geht, sondern um die über die Medien transportierten Bilder) werden unmittelbar Ängste von Menschen angesprochen und zu politischen Zwecken instrumentalisiert. Mündige Bürgerinnen und Bürger können potentiell wieder zu dankbaren und ängstlichen Untertanen einer Schutz gewährenden Obrigkeit verwandelt werden. Das ist dank der neuen elektronischen Medien möglich, die in der Lage sind, eine künstliche („zweite“) Wirklichkeit herzustellen.
Zum Erkennen von Feindbildkampagnen
Vielfach werden die zunehmende Mediatisierung von Politik und der spezifische Charakter von Kampagnen mit Feindbildern nicht wahrgenommen. Die letzten Jahre zeigen, daß vor allem die SPD, fixiert auf die Ergebnisse von Meinungsumfragen (und bisher getragen von sozialen Bewegungen), weder die Struktur noch die Bedeutung solcher Kampagnen erkannt hat (obwohl sie selbst solche inszenierte). Das macht das konkrete Verhalten führender Sozialdemokraten deutlich. Sowohl Björn Engholm als auch Rudolf Scharping haben die (von der Gegenseite ihnen im Rahmen der Kampagne vom politischen Gegner zugedachte) Rolle haargenau mitgespielt. Sozialdemokraten haben damit durch eigenes Verhalten diese Kampagnen unterstützt – und nicht erkannt, daß sie sich damit selbst schaden.
Vielfach werden Oppositionsparteien gerade deshalb zum Opfer solcher Kampagnen oder selbst inszenierter Gegenkampagnen, weil weder die Struktur solcher Kampagnen erkannt wird noch eine Problemlösung im Vordergrund steht. Das Ergebnis ist eine fatale Fixierung auf „Erfolg”, die zum Teil dadurch zum Ausdruck kommt, daß es nur noch darum geht, einen Politiker der Lüge oder einer anderen Schwäche zu überführen und dadurch zu kippen.
Es gibt keine Patentrezepte, wie solchen Kampagnen begegnet werden kann. Dennoch gibt es einige Merkpunkte, die dargelegt werden sollen, bevor ich mich auf Einzelheiten der strategischen Interaktion einlasse.
Zum einen kommt es darauf an, Feindbilder zu erkennen. Dazu ist es wichtig, daß der Unterschied zwischen einem Problem (oder einem gefährlichen Gegner) gesehen und herausgearbeitet wird. Warum, so gilt es zu fragen, gelingt es, ein Drittes zwischen uns und ein Sach- oder Personenproblem zu schieben? Zum anderen kommt es darauf an, zu begreifen, welche Funktion einem Feindbild für die Seite zukommt, die es aufbaut, und welche Rolle der eigenen Seite dabei zugeschoben wird. Konkret ist zu fragen: Dient das Feindbild zum Durchsetzen neuer Befugnisse oder zielt das Manöver mehr auf die Schwächung der eigenen Seite? Ferner muß man wissen, daß gegenüber solchen Feindbildkampagnen (weil Feindbilder auf der steten Widerholung beruhen und Zwischenpositionen ausschließen) jeder Versuch des Argumentierens und Überzeugens unfruchtbar ist – und daß es dennoch zugleich darauf ankommt, die besseren Argumente zu finden. Schließlich ist es bei Feindbildkampagnen wichtig, den richtigen Zeitpunkt zur Reaktion nicht zu verpassen. Häufig versucht – wie bei dem bekannten Brettspiel – der politische Gegner eine Zwickmühle aufzubauen. Wer dies nicht bemerkt und nicht rechtzeitig die Gegensteine setzt, hat bereits verloren.
Strategische Interaktion
Gegenüber Kampagnen mit Feindbildern hilft kein Bitten und Betteln. Es geht um politische Konkurrenz, bei der es – wie in der Ökonomie – hart zugeht. Jeder, der die von Ökonomen entwickelte Spieltheorie studiert hat, weiß, daß das strategische Verhalten im Wettstreit ein unerbittliches Geschäft ist. Wer in der politischen Konkurrenz die strategische Bedeutung von Begriffen wie „Solidarität der Demokraten” oder „staatstragende Funktion der Volksparteien” nicht erkennt, gibt wichtige Ausgangspositionen preis.
Es kommt darauf an, auf die Abwehr von Feindbildkampagnen das zu übertragen, was in der Spieltheorie unter dem Namen „strategische Interaktion” entwickelt worden ist. Politik muß – so meine These – aus dem Verhalten im Rahmen ökonomischer Konkurrenz und aus der „Spieltheorie” strategisch lernen. Es wäre verfehlt zu glauben, man könnte aus der im Rahmen der Spieltheorie entwickelten strategischen Interaktion konkrete Handlungsanweisungen für Politik ableiten. Gerade das macht das „Politische” auch im Rahmen von Machtpolitik aus, ob Politiker im konkreten Zusammenhang jeweils spezifisch die entscheidenden „Gegensteine” setzen. Man kann das als Kunst des Politischen bezeichnen.
Dennoch ist es (für Lernzwecke) sinnvoll, wenigstens die Grundmuster solcher Kampagnen und mögliche Gegenstrategien darzulegen. Ich stelle formal an Hand von drei Beispielen einige Reaktionsmöglichkeiten dar.
Beispiel 1: Der Gegner wird durch ein Feindbild selbst zum Feind gemacht: Damit wird die Gegenseite zum Feind. Das kann auf unterschiedliche Weise erfolgen: Man spricht den Gegner die Loyalität gegenüber der Verfassung oder dem Staatswesen ab, sagt die Politik der Gegenseite führe zum Untergang des Staates oder man behauptet, die Partei X bestehe aus Chaoten und gefährde wirtschaftspolitisch den „Standort” des eigenen Landes.
Ich skizziere fünf exemplarische Reaktionsweisen:
Die Argumentation mit der Unwahrheit. Diese Verhaltensweise ist die primitivste Reaktion. Sie ist deshalb meist wirkungslos, weil mit der argumentativen Widerlegung in der Regel verbunden ist, daß der Vorwurf des Gegners wiederholt wird. Wer so argumentiert verhält sich hilflos. Er entschuldigt sich, gerät in die Defensive und läßt sich letztlich von der Gegenseite den Boden unter den eigenen Füßen entreißen. Entscheidend ist der Gestus; man verhält sich so und sagt mitunter am Ende selbst: „Wir sind doch gar nicht so schlimm.” Auch die im Ausgrenzungs- und Diffamierungsvorwurf versteckte Reaktionsweise bleibt auf der Ebene der einfachen Negation. Man wird diffamiert und regt sich darüber auf (was erreicht werden soll) und was meistens in der Öffentlichkeit nicht ankommt.
Erst der Gegenvorwurf, alles sei nur parteipolitische Taktik bedeutet den entscheidenden Schritt über die einfache Reaktion hinaus. Die Kunst besteht darin, formal zu bleiben und nicht in der Sache zu antworten, sondern der Gegenseite lässig zu sagen, das berührt uns nicht, denn das ist bloße Parteitaktik. Dazu kann auch gehören, das Feindbild als ein Zugeständnis an einen Parteiflügel zu bezeichnen, der dies verlangt. Auf dieser Ebene liegt auch das Argument, die Gegenseite will nichts anderes als von ihren eigenen Problemen ablenken.
Die Selbststilisierung als Opfer ist eine weitere Form des Schritts über die einfache Negation hinaus: Seht wie autoritär und undemokratisch die Gegenseite ist! Ein parteipolitischer Gegenspieler schwingt sich zum Richter auf! Wir sind ein Opfer bloßer Machtpolitik! Wer so mit dem Gegner oder Andersdenkenden umgeht, grenzt aus, ist kein Demokrat.
Gegenvorwurf: Wer Feindbilder braucht, ist schwach. Von einem wirklichen Gegenangriff kann erst dann gesprochen werden, wenn es gelingt, den Feindbildvorwurf der Gegenseite zu wenden und deutlich zu machen: Die Gegenseite braucht ein abstruses Feindbild über uns, weil sie Angst hat.
Beispiel 2: Eine Zuordnung eines Gegners zum Feind hat es (wie oben dargelegt) in der Geschichte der Bundesrepublik häufig gegeben. Der politische Gegner wird als Unterstützer, Sympathisant oder als trojanischer Esel mit einem „Feind” in Verbindung gebracht, um ihn unglaubwürdig zu machen, zu diskriminieren oder zu diskreditieren. Zweck dieser Feindzuordnung ist: Die Gegenseite dazu zu zwingen, der eigenen Feinderklärung zuzustimmen. Der politische Gegner soll sich vom Feind distanzieren und damit zur Festigung des hergestellten Bildes vom Feind gebracht werden. Die Gegenseite soll erklären, daß sie nicht auf der Seite des Feindes steht und nicht versuchen wird, den Feind auf diese oder jene Weise in die eigenen Strategien einzubeziehen; d.h. keinerlei Bündnisse, Koalitionen oder andere Verbindungen mit dem „Feind” einzugehen. Die Gegenseite soll dadurch schließlich daran gehindert werden, zum Feind Kontakt aufzunehmen („Kontaktschuld“), vom Feind sachlich richtige Positionen zu übernehmen („Konsensschuld“) und Vorstellungen des „Feindes” in die eigene Politik aufzunehmen.
Ich stelle folgende Reaktionsmöglichkeiten dar:
Die Übernahme der Gegnerposition: Man reagiert so, wie es die Gegenseite es erwartet, d.h. erkennt den Feind an, und schließt sich durch die eigene Distanzierung der Feinderklärung der Gegenseite an bzw. baut mit am Feinbild, um der Feindzuordnung zu entgehen. Politik wird ersetzt durch bloße Reaktion. Die Distanzierungsfalle wird überhaupt nicht erkannt.
Die Position des „Ja, abers”: Zur Konstruktion dieser Distanzierungsfalle gehört auch die Reaktion eines unklaren „Ja, abers”. Man distanziert sich von Feind, um einer Feindzuordnung zu entgehen, macht aber Einwände hinsichtlich der Auseinandersetzung mit dem Feind. Das Feindbild wird übernommen, eventuell modifiziert. Doch weil das Feindbild im Prinzip anerkannt wird, ist die Gegenposition im Ansatz in der Regel gelähmt. Das historische Beispiel dieser Reaktionsweise in der Geschichte der Bundesrepublik wurde in dem Satz zusammengefasst: „Wir sind gegen Adenauer, aber auch gegen Ulbricht.”
Der Vorwurf: Zuordnung zum Feind ist unmoralisch und undemokratisch: Diese Reaktionsweise versucht deutlich zu machen, daß das Prinzip der Zuordnung zum Feind unmoralisch ist und auch den Prinzipien einer demokratischen Republik widerspricht. Ein Beispiel für eine solche Gegenkampagne war die Reaktionsweise des „Spiegel” 1962 gegenüber dem Vorwurf, dem Feind nicht nur zu nützen, sondern Landesverrat betrieben zu haben. Dem wurde vom „Spiegel” auch mit juristischen Argumenten entgegengetreten. Auch wenn das Bundesverfassungsgericht das am Ende (in einer 4 zu 4-Entscheidung) diese Position nicht bestätigt hat: Für die Mehrheit der Bevölkerung der Bundesrepublik war damals klar, die Zuordnung zum Feind war verfassungswidrig und verletzte die Pressefreiheit. Den Sozialdemokraten in Berlin dagegen ist die Abwehr der ihnen von CDU (ihrem Koalitionspartner in der Regierung) vorgeworfenen künftige Zusammenarbeit mit der PDS nach der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus im Herbst 1995 nicht gelungen.
Das Zurückführen auf die Funktion: Man macht deutlich, daß die Feindzuordnung nichts mit Realität zu tun hat, daß die Gegenseite damit nur versucht, jede abweichende Auffassung durch den Hinweis auf den Feind zu unterbinden. (Beispiele: Der Vorwurf des Landesverrats war schon immer ein Versuch zur Ausschaltung des politischen Gegners mit juristischen Mitteln; der Sympathisanten begriff ordnet auch diejenigen dem Feind zu, die auf strikte Rechtsstaatlichkeit bei der Bewältigung des Terrorismus bestehen und Terrorismus strikt ablehnen, aber gesellschaftliche Veränderungen für erforderlich hielten.)
Der Vorwurf.‘ die Feindzuordnung ist kontraproduktiv: Jede Feindzuordnung versucht im Prinzip den „Feind” dadurch zu schwächen, daß man ihm deutlich macht, daß er faktisch isoliert ist. Wenn sich die Feindzuordnung auf Grund von Medienkampagnen verselbstständigt, kann das dazu führen, daß der „Feind” nicht isoliert wird, sondern auf Grund der verselbständigten Feindzuordnung sich von einer breiten Basis von „Sympathisanten” unterstützt fühlt. Alle diejenigen, die aus Gründen der Schwächung des politischen Gegners (der SPD) zu Sympathisanten gestempelt wurden, wurden aufgrund der ideologischen Feindzuordnung — obwohl sie nichts zu tun hatten mit tatsächlichen Unterstützern – den Terroristen als ihre Basis zugerechnet. So hat die aus politischen Gründen betriebene Übertreibung der Zahl der „Sympathisanten” die Gewalttäter und ihre aktiven Unterstützer faktisch bestärkt, ihren Kampf fortzusetzen.
Feindzuordnung setzen gegen Feindzuordnung: Wenn die eine Seite ihren Gegner durch die Zuordnung zum Feind zu schwächen und diskriminieren versucht, kann die Gegenseite kontern mit dem Gegenvorwurf: Ihr unterstützt durch Eure Eskalation und Zuordnung den Feind. Jede Seite wirft der Gegenseite eine direkte oder indirekte Unterstützung des Terrors oder unterschiedlicher Feinde vor. Das geschieht nach dem Motto: „Ihr auch!”. Aber es gibt auch Modifizierungen. Die eine Seite wirft der Partei X vor, sie ziehe sich „rote Socken” an, weil sie der Nachfolgepartei der SED (dem „Feind” also) Einflußchancen einräume. Die andere Seite antwortet: „Ihr habt Euch die Parteien B und C einverleibt, die als „Blockparteien” (mit dem „Feind”) kooperierten und für den Mauerbau mitverantwortlich sind.”
Das Zurückspiegeln der Feindzuordnung: In diesem Fall wird nicht gekontert mit einer Feindzuordnung nach dem Muster „Ihr auch”, sondern die Fragen gestellt: Warum braucht Ihr einen Feind? Warum könnt Ihr nicht leben, ohne jeden Andersdenkenden einem Feind zuzuordnen. Das Suchen nach Feinden und das Produzieren von Feindbildern wird entlarvt als ein Zeichen von Schwäche, von fehlender Souveränität.
Beispiel 3: Die Zwickmühle: Wie bei dem bekannten Brettspiel „Mühle” ist es eine besondere Kunst auch in der Politik gegenüber dem Gegnerspieler eine Zwickmühle aufzubauern. Jeder kennt das Spiel: der Aufbau einer Zwickmühle gelingt dann, wenn die Gegenseite nicht rechtzeitig reagiert, wenn nicht rechtzeitig der Gegenstein gesetzt wird. Die Partei, die eine Zwickmühle aufbaut, setzt darauf, daß ihr Ziel nicht bemerkt wird. In der Politik wird man deshalb etwa zu Gesprächen über „große Politik” gebeten. Es geht angeblich um grundsätzliche Fragen der Außen- oder „Staatspolitik”, tatsächlich jedoch darum, daß der entscheidenden Stein beim Aufbau einer Zwickmühle zu spät gesetzt wird. Wer sich täuschen läßt und nicht wenigstens vorsorglich einen Gegenstein setzt, hat die Partie verloren.
Nur wer die Struktur solcher „Zweckmühlen” in der Politik frühzeitig durchschaut, ist in der Lage, den Gegenstein rechtzeitig zu setzen, d.h. die Funktion der Feindbildkampagne gegen die Gegenseite zu wenden. Eine klassisch gewordene Zwickmühle hat Helmut Kohl (vielleicht war es auch Wolfgang Schäuble) 1990 bei den Verhandlungen über den Vertrag über die Währungsunion mit der DDR aufgebaut. Die Konzeption sah so aus: Entweder stimmen SPD und GRÜNE der Währungsunion zu, dann votieren sie für die Politik des Bundeskanzlers, oder sie stimmen dagegen, dann wenden sie sich gegen die Wiedervereinigung (unterstützen also den Feind). Die SPD hat diese Zwickmühle nicht erkannt. Sie hätte nur zu Beginn der Verhandlungen sagen können: Wir bestehen darauf, die Verhandlungen mitbestimmen zu können. Das ist nicht geschehen. Oskar Lafontaine, der damalige Kanzlerkandidat, konnte auf Grund seiner Verletzung nur sehr spät reagieren. Das damalige Hickhack in der SPD-Bundestagsfraktion war nicht mehr als das Lamento über den nicht rechtzeitig gesetzten Gegenzug.
Strategische Interaktion ist kein Patentrezept
Politik heißt Entscheiden. Wer in der Auseinandersetzung mit einem Feind oder einem politischen Gegner nicht erkennt, daß es auf die rechtzeitige Entscheidung gegen Feindbildkampagnen auf der Grundlage strategischer Interaktion ankommt, hat schon verloren. Wer meint, sich auf die fragwürdigen Ergebnisse momentaner Meinungsumfragen verlassen zu können und deshalb weder fähig ist, eigene politische Positionen zu setzen noch auf die Feindbildkampagnen der Gegenseite rechtzeitig, angemessen und überlegen zu reagieren, erweist sich als unfähig, Politik zu betreiben.
Die heutige mediale Machtpolitik lebt davon, eigene Kampagnen durchsetzen und Feindbildkampagnen abwehren zu können. Wer dazu nicht in der Lage ist, wird über kurz oder lang abtreten müssen. Der Marktwert eines Politikers wird nicht nur an Programmpunkten gemessen. Auf dem Markt wird ein Produkt abgesetzt, das sich sich nicht verkaufen läßt. Das ist auf dem Wahlstimmenmarkt (das zeigte die SPD auf dem Parteitag in Mannheim) nicht anders.
Modelle strategischer Interaktion können nicht mehr sein, als eine Art Leitlinie für die rechtzeitige und angemessene Reaktion. Im Nachhinein haben solche Modelle noch eine andere Qualität. Sie sind unbarmherzige Messlatten, wenn nachgewiesen wird, daß nicht einmal die Grundkenntnisse strategischer Interaktion beherrscht wurden. In der Politik ist derjenige verloren, der über nicht über dies handwerkliche Können verfügt. Politisch durchsetzen vermag sich nur derjenige, der das politische Reagieren – wie beim Segeln beherrscht – und dennoch in der Lage ist, Kurs zu halten.