Publikationen / vorgänge / vorgänge Nr. 174: Die Grenzen Europas?

Mehr Nutzen als Nachteil

In Polen ist nach dem Beitritt die frühere Europa-Skepsis einer pragmatischen Zuversicht gewichen.

Aus: vorgänge Nr.174, (Heft 2/2006), S. 102-109

Im Juli 1997 wurde in Brüssel die seit langem erwartete frohe Botschaft über den Vorschlag der Europäischen Union an Polen, Tschechien, Ungarn, Estland, Slowenien und Zypern verkündet, die Verhandlungen über eine Mitgliedschaft aufzunehmen. Am 13. Dezember 2002 verkündete Polens Premierminister Leszek Miller in Kopenhagen vor den Kameras: „Alle Forderungen, mit denen wir angereist sind, wurden erfüllt. Wir akzeptieren die Bedingungen für unsere Mitgliedschaft in der EU“. Damit war nach zwölf Jahren, die seit dem Beginn der Gespräche zwischen Polen und der Europäischen Union vergangen waren, nun der Weg frei für Polens Aufnahme in die EU. (Urban 2003: 126)
Wie groß ist die Unterstützung für die Europäische Union in Polen heute? Ist die EU-Verfassung von der Mehrheit der Polen erwünscht? Welchen Einfluss üben beispielsweise die politischen Parteien auf die Wahrnehmung von durchschnittlichen polnischen Bürgern aus, wenn es um die Europäische Union geht? War auf Seiten der Bevölkerung die Unterstützung für die Europäische Union ein Jahr nach dem EU-Beitritt Polens größer als vor dem Referendum am 7. und 8. Juni 2003? Wie sieht die Lage zwei Jahre nach der EU-Erweiterung aus?
Schon die Ergebnisse der Teilnahme am Referendum über den EU-Beitritt Polens bildeten einen Beweis dafür, dass der europäische Gedanke von bestimmten Schichten unterstützt wurde. Den Wunsch nach einer Teilnahme am Referendum äußerten vor allem Personen mit Hochschulabschluss (92%) und junge Leute zwischen 25-34 Jahren (82%). Das Bildungskriterium und das Alter spielten also eine wichtige Rolle. Außerdem nahmen überwiegend Einwohner großer Städte (zwischen 101.000-500.000 Einwohner) und Personen, deren materielle Lage gut war, am Referendum teil. (CBOS, 1-4 III 2003) Im Endeffekt wurde die notwendige fünfzigprozentige Beteiligung erreicht: 58,8 Prozent aller Wahlberechtigten nahmen an der Abstimmung teil. 77,5 Prozent der Wähler sprachen sich für den EU-Beitritt Polens aus.
(http://referendum.pkw.gov.pl/sww/kraj/indexA.html)

Einschät­zung der polnischen Regierung ein Jahr nach dem EU-Beitritt

Ein Jahr nach dem Beitritt Polens in die Europäische Union veröffentlichte die polnische Regierung einen Bericht, in dem mit den Mythen aufgeräumt wurde, die seitens der Gegner des Europäischen Integrationsprozesses konstruiert worden waren. Die Hauptthese des Rapports lautet, dass die Integration in die EU Polen gut getan habe. Polen sei kein Nettozahler, sondern habe von der EU 1,5 Mrd. Euro (6 Mrd. Zloty) mehr erhalten, als es in den EU-Haushalt eingezahlt habe. Neben den Baltischen Ländern gehörte Polen ein Jahr nach dem EU-Beitritt zu den sich am schnellsten entwickelnden Ländern in der Europäischen Union. Die Entwicklung verlief zweimal schneller als im EU-Durchschnitt; das war auch notwendig für den Nachholprozess zur Behebung zahlreicher Defizite. Die internationale Position Polens sei gestärkt worden – so der Bericht. Die wirtschaftliche Lage, auch die Entwicklung auf dem Lande, habe sich verbessert. Gerade die Landwirte haben von der EU-Erweiterung am meisten profitiert. 85 Prozent der registrierten Bewerber haben Direktzahlungen erhalten. Im Bericht ist zu lesen: „Besondere Aufmerksamkeit verdient die Zunahme der Unterstützung [für die EU – K.S.] unter den Bauern, von 20 Prozent im Januar 2004 auf über 70 Prozent im Februar 2005“. Einer der Autoren des Berichts stellt fest: „Man sieht sogar, dass ein Teil der jungen Menschen, die das Dorf verlassen hatten, nun in die Landwirtschaft zurückkehren“.
Auch für die Mitgliedsländer, die Angst vor einem großen Zustrom polnischer Arbeitskräfte hatten, musste der Bericht beruhigend wirken. „Die Arbeitsmigration in die Länder, die am 1. Mai ihre Märkte ganz geöffnet haben […], führte nicht zu Störungen auf lokalen Arbeitsmärkten.“ In Großbritannien nahmen 70.000, in Irland 30.000 und in Schweden nur 2.000 Polen die Arbeit auf. Viele von ihnen hatten dort schon vorher „schwarz“ gearbeitet und nutzten die Erweiterung zur Legalisierung ihres Aufenthaltes. Das Interesse, in einem der alten EU-Mitgliedsländer zu arbeiten, war in Polen ein Jahr nach dem EU-Beitritt deutlich geringer als vor der EU-Erweiterung. 74 Prozent der befragten Polen beabsichtigten im April 2005 nicht, in einem anderen EU-Land Arbeit aufzunehmen. (CBOS, IV 2005)
Obwohl die polnische Wirtschaft vom Anschluss an den EU-Markt profitiert habe, sei es nicht gelungen, die Zahl der Arbeitslosen zu verringern – so der Bericht weiter. Die Arbeitslosenzahl sei jedoch auch nicht angestiegen. Die Inflation nehme dagegen ständig ab, sie betrug im März 2005 3,4 Prozent (nach der Erweiterung 2004 waren es 4,6 Prozent). Die ausländischen Direktinvestitionen seien größer geworden. Im Jahr 2004 hätten sie mit 7,9 Mrd. Dollar den höchsten Stand seit vier Jahren erreicht. Polen sei für ausländische Investoren glaubwürdiger geworden. „Wir sind kein Land mehr mit hohem Risikograd“ – stellte der EU-Minister Jarosław Pietras fest. Entgegen pessimistischer Prognosen entwickelte sich auch der Handel mit Russland positiv. Im Jahre 2004 nahm, laut Bericht, der Export polnischer Waren nach Russland um fast 89 Prozent im Vergleich zu 2003 zu.
Die Experten betonen die Bedeutung der EU-Hilfefonds für Polen. Ihre Nutzung werde man jedoch erst in einigen Jahren richtig bewerten können. Der Bericht der polnischen Regierung verdeutlicht auch große regionale Unterschiede in Polen. Von dem EU-Beitritt Polens haben überwiegend westliche Wojewodschaften und Großstädte profitiert. „Demnächst werden wir vor der Wahl stehen: Entweder investieren wir weiter in diese Regionen, was zum größeren Wirtschaftswachstum führen würde, oder wir verringern den Unterschied zu den östlichen Regionen und werden uns als Land langsamer entwickeln“ – stellt einer der Autoren des Berichts fest. (Rzeczpospolita, 27.04.05)
Im Bericht der polnischen Regierung wurden auch negative Aspekte des EU-Beitritts Polens verzeichnet. In der ersten Phase nach der Erweiterung seien die Preise rascher angestiegen als erwartet. „Die größte Preiserhöhung erfolgte im Mai und Juni 2004, und sie war die Folge einer großen Nachfrage nach polnischen Landwirtschaftsprodukten und Lebensmitteln“. Im Endeffekt erhöhten sich jedoch die Lebensmittelpreise nur um zwei Prozent, wie Witold Orłowski, Chef der Wirtschaftsberater des ehemaligen polnischen Präsidenten Kwaśniewski, feststellte. Nicht alle mit der EU-Erweiterung verbundenen Hoffnungen seien erfüllt worden. Das polnische Recht sei weder übersichtlicher noch stabiler geworden – sagte Maciej Grabowski vom Institut für die Untersuchung der Marktwirtschaft. Trotzdem passen sich die polnischen Firmen an die neue Situation auf dem EU-Markt an. Am meisten haben Lebensmittel- und Möbelfirmen profitiert. (Rzeczpospolita, 27.04.05)
„Der EU-Beitritt hat zu vielen positiven, für die polnische Wirtschaft und Gesellschaft vorteilhaften Entwicklungen geführt. Gleichzeitig hat es auch gewisse negative Erscheinungen gegeben, deren Umfang jedoch die positive Bilanz des ersten Jahres der EU-Mitgliedschaft nicht beeinflusst“ – stellt der Bericht fest. (Rzeczpospolita, 27.04.05)

Hoffnungen erfüllt, Ängste bestätigt? – die Einschät­zung des         EU-Bei­tritts durch die polnische Bevölkerung

Der EU-Beitritt hat die Stimmung in Polen bezüglich des Europäischen Integrationsprozesses positiv beeinflusst. Während einen Monat vor dem Beitritt die negative Stimmung überwog, wurden nach der EU-Erweiterung im Mai 2004 überwiegend Hoffnung, Freude und Stolz, und in viel kleinerem Ausmaß Befürchtungen, Trauer und Verbitterung empfunden. Die größte Akzeptanz betraf die Wirtschaftsintegration, sie wurde von 71 Prozent der Polen befürwortet. 52 Prozent der Befragten unterstützen auch die Vereinigung Polens mit der Europäischen Union im politischen Bereich. Nur 49 Prozent der Polen vertraten die Meinung, dass die Europäische Gemeinschaft die Werte und Lebensziele der Menschen umfassen sollte. Die Integration auf dem kulturellen Gebiet wurde von den wenigsten Polen (24%) unterstützt. (CBOS, Mai 2004)
Innerhalb eines Jahres ist die Befürwortung der polnischen EU-Mitgliedschaft um 7 Prozent angestiegen. 58 Prozent der Polen vertraten im Mai 2005 die Meinung, dass der EU-Beitritt für Polen Vorteile gebracht habe. Während 2004 15 Prozent der Polen in der Erweiterung Nachteile sahen, waren es ein Jahr später nur noch 10 Prozent. Die Meinung, dass die Erweiterung zu negativen Änderungen führte, vertraten ein Jahr nach der EU-Erweiterung 11 Prozent der befragten Polen. Jeder dritte Befragte war der Meinung, dass sich die Situation im Lande verbessert habe. Lediglich 15 Prozent der Polen stellten eine Verschlechterung fest. (Gazeta Wyborcza, 11.05.05) Die Unterstützung für die Zugehörigkeit Polens zur EU blieb in den nächsten Monaten stabil. Im Juni 2005 gehörten 74 Prozent der Polen zu den Befürwortern der Integration, während ihre Gegner nur 15 Prozent ausmachten. (CBOS, 3-6 VI 2005)
Die Mehrheit der Polen war der Meinung, dass sich durch den EU-Beitritt in ihrem persönlichen Leben nichts verändert habe. Lediglich 8 Prozent haben, ihrer Einschätzung zufolge, nach der EU-Erweiterung persönliche Vorteile erfahren. (Gazeta Wyborcza, 11.05.05) Die Ergebnisse der Meinungsumfragen weisen auf eine Kluft zwischen der Bewertung der persönlichen Vorteile aus der polnischen EU-Mitgliedschaft auf der einen Seite und der Vorteile für Polen als Land auf der anderen Seite auf. 45 Prozent der befragten Polen betonten den positiven Einfluss des EU-Beitritts auf die internationale Rolle Polens. (Rzeczpospolita, 31.03.2005) 40 Prozent der Polen brachten zum Ausdruck, dass der EU-Beitritt Polens ein wichtiges historisches Ereignis gewesen sei. Polen sei sicherer innerhalb der EU – stellten 51 Prozent der Befragten fest. (CBOS, 3-6 VI 2005) Gleichzeitig konnte eine Mehrheit der Polen (73%) in der Erweiterung der Europäischen Union keine persönlichen Vorteile für sich erkennen. (Gnauck 2005) Drei Monate vor der EU-Erweiterung hatten 29 Prozent der Polen persönliche Vorteile für sich selbst erwartet. Ein Jahr nach dem EU-Beitritt Polens konnten lediglich 27 Prozent der Befragten positive Folgen der Integration für sich selbst feststellen. Gleichzeitig haben sich die Befürchtungen bezüglich negativer Folgen der EU-Mitgliedschaft Polens auf das Leben der Leute nicht bestätigt. Vor der Erweiterung hatten 34 Prozent der Polen mehr Verluste als Vorteile befürchtet. Ein Jahr nach der Erweiterung schätzten 23 Prozent der Polen die persönlichen Folgen der Integration negativ ein. (CBOS, 3-6 VI 2005)
Die Unterstützung der EU-Mitgliedschaft Polens dominiert in allen polnischen Parteien. Sogar die Mehrheit der Angehörigen der polnischen nationalistischen Parteien wie Samoobrona (Selbstverteidigung) und Liga Polskich Rodzin (Liga der Polnischen Familien) unterstützt die EU-Zugehörigkeit ihres Landes. (CBOS, 3-6 VI 2005) Das ist ein großer Erfolg, wenn man berücksichtigt, dass diese Parteien vor der EU-Erweiterung zahlreiche Kampagnen gegen den EU-Beitritt Polens durchführten. (Polityka 2005: 46)
Die Unterstützung der Polen für die Europäische Union hängt auch von solchen Faktoren wie Ausbildung, Einkommen, Alter und Religiosität ab. Vor allem junge Polen bis 34 Jahre, Personen mit Hochschulabschluss und diejenigen, die mit ihrem Lebensstandard zufrieden sind, gehören zu Befürwortern des Europäischen Integrationsprozesses. Junge Leute, Schüler und Studenten geben meistens zu, dass sie von dem polnischen EU-Beitritt profitiert haben. Arbeitslose und Rentner bewerten die Ergebnisse der Integration meistens negativ. Es hat sich auch erwiesen, dass nicht praktizierende Katholiken in viel größerem Ausmaß die polnische EU-Mitgliedschaft befürworten als Personen, die mehrmals in der Woche die Kirche besuchen. (CBOS, Juli 2004 und Dezember 2004, Juni 2005)
Zu den positiven Folgen der Integration zählen die Polen vor allem: offene Grenzen, Reisefreiheit, Vorteile für die Wirtschaft, vor allem für die Landwirtschaft, den Zufluss der EU-Fonds nach Polen, die Verbesserung des Zustandes der Straßen und der Autobahnen. Auch die Verbesserung des Zustandes der Umwelt in Polen wurde als positive Folge des EU-Bitritts Polens erwähnt. Viele betonten die besseren Zukunftsperspektiven für junge Leute. (CBOS, 3-6 VI 2005) Auch die Arbeitsbedingungen in Polen selbst – etwa die Beschäftigung in einer westlichen Firma oder die Teilnahme an den durch die EU finanzierten Schulungen für Arbeitslose – wurden als positive persönliche Folgen der polnischen EU-Mitgliedschaft genannt. (CBOS, Juli 2004 und Dezember 2004)
Nicht nur zahlreiche Polen nutzen die Vorteile der offenen Grenzen für die Möglichkeit der Arbeitsaufnahme im Ausland. Immer häufiger kommen auch ausländische Arbeitskräfte, um in Polen zu arbeiten. In Danzig wurden im Jahre 2004 insgesamt 500 Arbeitsgenehmigungen von der Pommerschen Wojewodschaft für ausländische Arbeitskräfte ausgestellt. Für EU-Bürger ist es ziemlich einfach, eine offizielle Arbeitsgenehmigung zu erhalten. Viel schwerer haben es Bürger aus Nicht-EU-Ländern; von dort drängen die meisten Arbeitskräfte auf den polnischen Arbeitsmarkt. Zahlreiche Ukrainer, Weißrussen und Russen arbeiten in Polen als Schweißer und Monteure. Aber auch Arbeitskräfte aus dem Westen kommen immer häufiger nach Polen. Im Gegensatz zu den Arbeitern aus den östlichen Nachbarländern sind die meisten westlichen Gastarbeiter hochqualifiziert. Sie sind Unternehmer, Berater, Fremdsprachenlehrer, Hochschullehrer, Ärzte und Informatiker. Manche arbeiten in großen Konzernen, vor allem in Warschau, oder gründen eigene mittelständische Firmen. In letzter Zeit haben auch viele Gaststättenbesitzer aus Deutschland ihre Geschäfte nach Polen verlagert, weil, ihrer Meinung nach, die Nachfrage in dem neuen EU-Land größer ist. (http://www.n-ost.de)
Die wirtschaftlichen Folgen des EU-Beitritts Polens haben sich besser als erwartet erwiesen. Die Ängste der Polen, dass die polnische Wirtschaft nach der EU-Erweiterung verfallen werde, haben sich nicht bestätigt. 47 Prozent der Polen vertraten ein Jahr nach der Erweiterung die Meinung, dass sich der Zustand der polnischen Wirtschaft verbessert habe. (CBOS, 3-6 VI 2005)
Die größte Sorge der Polen vor der EU-Erweiterung betraf die befürchteten Verluste für die polnische Landwirtschaft. Diese Sorge hat sich nicht bestätigt; vielmehr gehören die polnischen Bauer heute zu den größten Gewinnern des EU-Beitritts. In nur wenigen Monaten ist die Unterstützung für den Europäischen Integrationsprozess unter polnischen Landwirten von 20 auf 63 Prozent angestiegen. Sie profitieren von riesigen EU-Zuschüssen für den Einkauf der Landwirtschaftsmaschinen (vor allem aus dem Programm SAPARD) und von Direktzahlungen. Dazu kommen noch die höheren Preise für die von ihnen hergestellte Milch und Fleisch. (Polityka 2005: 50) Fast Zweidrittel der Polen – 64 Prozent – sind der Meinung, dass die polnische Landwirtschaft von der EU-Integration profitiert habe. Lediglich 14 Prozent der Befragten behaupten das Gegenteil. (CBOS, 3-6 VI 2005)
Während vor dem EU-Beitritt Polens 54 Prozent der EU-skeptischen Polen fürchteten, dass ihr Land durch fremdes Kapital aufgekauft werde und 39 Prozent von ihnen dachten, dass die polnische Wirtschaft zu schwach für die Konkurrenz innerhalb der EU sei, erzielen heute polnische Firmen überwiegend Gewinne aus der EU-Erweiterung, und das Wirtschaftswachstum betrug im Jahre 2004 5,3 Prozent. Es kam zu einer richtigen Explosion des Exports polnischer landwirtschaftlicher Produkte und Lebensmittel auf die EU-Märkte. Vor allem Milchprodukte und Fleisch (überwiegend Geflügel), aber auch Champignons werden exportiert. Kleine Unternehmer haben von Zuschüssen für ihre Firmen, von neuen Kontakten und zusätzlichen Aufträgen profitiert. Auch die Angst, dass Ausländer, vor allem Deutsche, nach der EU-Erweiterung polnische Häuser, Bauernhöfe und Grundstücke kaufen würden, hat sich als bloße Phobie erwiesen. (Polityka 2005: 50)
Als eine negative Folge des EU-Beitritts Polens, die sich auf das persönliche Leben ausgewirkt hat, wurden von der Mehrheit der Polen an erster Stelle steigende Preise für Waren (überwiegend Lebensmittel, Medikamente und Benzin) und Dienstleistungen genannt. Nach dem 1. Mai 2004 stiegen die Preise vieler Lebensmittel drastisch an. Das betraf vor allem Fleisch- und Milchprodukte. Steigende Preise führten auch dazu, dass im Jahre 2004 die Inflationsrate 4,4 Prozent betrug – 2,7 Prozent mehr als im Jahr davor. Besonders schmerzhaft war der Anstieg der Lebensmittelpreise, weil die Ausgaben für Lebensmittel im Budget der Polen unvergleichlich größer sind als im Budget der Bürger der alten EU. In Polen geben die Bürger für Lebensmittel ungefähr 30 Prozent ihres monatlichen Einkommens aus, in den alten EU-Ländern nur ungefähr 12 Prozent. Nicht alles ist jedoch teurer geworden, sondern manches auch preisgünstiger – so etwa elektronische Geräte (um 4,3%), Schuhe (um 5,3%) und Textilien (um 2,7%). (CBOS, Dezember 2004) Als negative Folge des EU-Beitritts Polens wurde auch „das Verlassen Polens durch Fachleute, gut ausgebildete Leute, Ärzte, Krankenschwestern und Jugend“ genannt. Aber auch die Stärkung der Bürokratie in Polen wurde zu den negativen Folgen der EU-Erweiterung gerechnet.  (CBOS, 3-6 VI 2005)

Einstellung der Polen zu der EU-Ver­fas­sung

Das Interesse an der EU-Verfassung war in Polen von Anfang an nicht groß. Im Februar 2005 interessierten sich nur 38 Prozent der Polen einigermaßen für das europäische Verfassungswerk. Nur 6 Prozent der Polen bezeichneten Ihr Interesse als groß. Ähnlich wie bei der Unterstützung der EU, spielen auch bei der EU-Verfassung die Ausbildung und das Einkommen die wichtigste Rolle. Je höher der Bildungsgrad und das Einkommen desto größer das Interesse an der Verfassung. In der ersten Hälfte 2005 konnte man keine Unterschiede zwischen den Vertretern des rechten und des linken politischen Spektrums bei der Frage nach dem Interesse für die EU-Verfassung feststellen. Die Wähler der rechten Partei (heutige Regierungspartei) Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość) und der liberalen Freiheitsunion (Unia Wolności) äußerten in gleichem Maße ihr Interesse an der Verfassung (71%). (CBOS, 4-7 II 2005). Das änderte sich mit der internationalen Entwicklung. Im Juni 2005, nach den Referenden über die EU-Verfassung in Frankreich und den Niederlanden, interessierten sich die Vertreter des rechten politischen Spektrums (55%) mehr als die Wähler der linken Parteien (39%) für das Schicksal der EU-Verfassung. (CBOS, 3-6 VI 2005)
Die Prozentzahl der Befürworter der EU-Verfassung nahm im Zeitraum von Februar bis April 2005 von 64 Prozent auf 56 Prozent ab. (CBOS, 1-2 IV und 9-10 IV 2005) Die Befragten, die die EU-Verfassung akzeptierten, argumentierten damit, dass ihre Entscheidung die logische Folge des EU-Beitritts sei. Die Gegner der EU-Verfassung gaben als Grund für ihre Entscheidung häufig an, dass sie für Polen ungünstig sei. Jeder vierte Gegner der EU-Verfassung (25%) kritisierte, dass es im Verfassungswerk keine Anknüpfung an die christliche Tradition gebe. Personen, die keine Religion praktizieren, sprachen sich für das Verfassungswerk viel häufiger aus als gläubige Menschen. Der entscheidende Faktor war jedoch auch in diesem Punkt der Bildungsgrad. 60 Prozent der Befürworter der EU-Verfassung waren Personen mit Hochschulabschluss. Auch die Führungskader, die Intelligenz, private Unternehmer, Studenten und Schüler sprachen sich in hohem Maße für die EU-Verfassung aus. (CBOS, 4-7 II 2005, 1-2 IV und 9-10 IV 2005)
Das niedrige Interesse an der EU-Verfassung in Polen ist vor allem auf die unzureichenden Kenntnisse der Polen über dieses Dokument zurückzuführen. Nur 13 Prozent der Polen waren überzeugt, dass sie genügend Kenntnisse hatten, um im Referendum über die EU-Verfassung eine richtige Entscheidung zu treffen. 78 Prozent der Polen bezeichneten ihre Kenntnisse auf diesem Gebiet als nicht ausreichend. Sogar diejenigen Personen, die ihr Interesse an der Annahme der EU-Verfassung deklarierten, hatten meistens den Eindruck, dass ihr Wissen über dieses Dokument unzureichend sei. (CBOS, 1-2 IV und 9-10 IV 2005)
Die Ablehnung der Verfassung in Frankreich und in den Niederlanden entmutigte die Polen noch mehr. Im Mai 2005, vor dem Referendum in Frankreich, befürworteten 60 Prozent der Polen die EU-Verfassung. Im Juni 2005 unterstützten nur noch 43 Prozent der befragten Polen das europäische Verfassungswerk. (Rzeczpospolita, 20.05.2005; 23.06.2005, CBOS, 3-6 VI 2005) Die Polen fühlten sich danach desorientiert. 47 Prozent der Befragten konnten nicht sagen, ob die Franzosen und Niederländer richtig entschieden haben. Nur die Wähler der Parteien: Liga der Polnischen Familien (Liga Polskich Rodzin), Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość) und Selbstverteidigung (Samoobrona) waren mehrheitlich zufrieden mit dem Ergebnis der Referenden in Frankreich und den Niederlanden. Aber auch nach diesem Ereignis interessierten sich nur 37 Prozent der Polen für die EU-Verfassung. Trotzdem sprachen sich 41 Prozent der Polen für ein Referendum über die EU-Verfassung aus. 11 Prozent der Befragten vertraten die Meinung, dass das Parlament die Entscheidung treffen sollte. 21 Prozent der Polen wollten den Ratifizierungsprozess unterbrechen. Überwiegend Personen mit dem Hochschulabschluss (46%) vertraten die Meinung, dass die EU-Verfassung niemals ins Leben eingeführt werde. (CBOS, 3-6 VI 2005)

Reicher Westen, armer Osten – regionale Unter­schiede

Nicht alle polnischen Regionen haben von der EU-Erweiterung profitiert. Der Westen Polens ist wirtschaftlich besser entwickelt als der Osten. (Ciok 2004: 97) Das wirkt sich auf die Unterstützung des europäischen Integrationsprozesses aus. Regionale Unterschiede kamen im Referendum über den EU-Beitritt Polens deutlich zum Ausdruck. Einwohner der westlichen Regionen Polens äußerten häufiger den Wunsch nach einer Teilnahme am Referendum als Einwohner der östlichen Wojewodschaften. Im Westen Polens war die Unterstützung für den EU-Beitritt Polens viel größer als im Osten. Vor allem die östlichen Grenzregionen Polens (polnisch-ukrainisches, polnisch-russisches und polnisch-weißrussisches Grenzgebiet) sind wirtschaftlich unterentwickelt und landwirtschaftlich geprägt. In Großstädten gibt es vor allem für die junge Generation bessere Entwicklungschancen als auf dem Land. Das führt in städtischen Gebieten zu einer stärkeren Befürwortung des Europäischen Integrationsprozesses. In den Dörfern herrscht dagegen immer noch große Angst vor Europa und den Nachbarländern, was wiederum zur Ablehnung der EU führt. (Schuller 2005: 14) Als zukünftige Aufgabe für die polnische Regierung erscheint – in Zusammenarbeit mit europäischen Institutionen – die Unterstützung der Ostgebiete Polens als vordringlich.
 
 
Literatur  
Ciok, Stanisław 2004: Pogranicze polsko-niemieckie. Problemy współpracy transgranicznej (Die deutsch-polnische Grenzregion. Probleme grenzüberschreitender Zusammenarbeit), Wrocław
Dylla, Daria/Jäger, Thomas 2003: Politik und öffentliche Meinung in Polen. Die Legitimation des Beitritts zur EU; in: vorgänge, Jg. 42, H. 2, S. 26-35
Gazeta Wyborcza, 11.05.05; 29.05.2004
Gnauck, Gerhard 2005: Die Polen bereuen den Beitritt nicht. Noch immer finden 70 Prozent die Zugehörigkeit zur EU gut; in: Die Welt, 02.05.2005
Gnauck, Gerhard 2005: Ein Datendiebstahl entzweit die Bürger Polens. Journalist veröffentlicht Spitzel-Listen im Internet; in: Die Welt, 7.2.2005
OÖNachrichten, 26.05.2004.
Polityka, Nr. 16, 23.04.2005
Przegląd Polityczny 2002/55, S. 34-43
Rzeczpospolita (28-29.08.2004; 31.03.2005; 27.04.2005; 20.05.2005; 23.06.2005)
Schuller, Konrad 2005: Nicht alle genießen die Vorteile des EU-Beitritts; in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 02.05.2005
Urban, Thomas 2003: Polen, München

Internet-Adressen:
http://www.cbos.pl/Raporty/r2003.htm (Bericht vom März 2003)
http://www.cbos.pl/Raporty/r2004.htm (Bericht vom Mai 2004, Juli 2004 und Dezember 2004)
http://www.cbos.pl/Raporty/r2005.htm (Bericht vom April 2005, Juni 2005)
http://www.n-ost.de
http://referendum.pkw.gov.pl/sww/kraj/indexA.html
 

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