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Es bleibt alles anders

Zur normativen Grundlage einer demokratischen und pluralistischen Linken*,

Aus: vorgänge Nr.180, Heft 4/2007, S.112-123

Einführung

„Die Linke“[1] ist links, die SPD ist seit ihrem Hamburger Parteitag wieder etwas weiter nach links gerückt, und die Grünen sehen sich ohnehin seit jeher als linke Alternative. Erstaunlicherweise bewegen sich aber nicht nur die linken Kräfte im Parteienspektrum in die linke Richtung. Auch die CDU rutscht nach links. Jedenfalls haben die Christdemokraten in einigen Politikfeldern, wie beispielsweise in der Familien-, Justiz- und Sozialpolitik, Kurskorrekturen vorgenommen, so deutlich, dass die bayerischen Gralshüter des Wertkonservatismus lautstark protestieren, unterstützt, wenn auch moderater im Ton, vom christdemokratischen Nachwuchs. Bleiben noch die Freien Demokraten: sie sind, jedenfalls aus Sicht ihres Parteivorsitzenden, die einzige bundesdeutsche Partei, die noch nicht vom Linksdrall erfasst wurde. Und in der Tat: Die zur Eintönigkeit erstarrte FDP – ausgenommen einige sozialliberale Urgesteine – propagiert seit Jahren, ja eigentlich schon seit Jahrzehnten immer nur einen Slogan: „Mehr Markt, weniger Staat“, so dass weder von einem Links- noch von einem Rechtsruck gesprochen werden kann. Die FDP bewegt sich schon lange nicht mehr und hat damit ein Problem ganz anderer Art.

Die jüngsten Entwicklungen im deutschen Parteienspektrum geben Anlass, darüber nachzudenken, was eigentlich links heißt. Denn nur so lässt sich verhindern, dass dieser Begriff zu einer Allerweltsfloskel wird, die von den einen nach Belieben zur Selbstverortung gebraucht wird, während die anderen meinen sie munter nach Gusto verunglimpfen zu können, indem sie linkes Denken beispielsweise mit staatssozialistischen Ideen sowjetischer Spielart gleichsetzen.

Freilich ist es leichter gesagt als getan, zu bestimmen, was links ist.[2] Denn die Linke existiert ebenso wenig in Reinform wie das Linke. Michael Walzer unterscheidet deshalb zwischen sechs verschiedenen Linksvarianten, um die Heterogenität[3] innerhalb des linken Spektrums zu verdeutlichen und einen Ansatzpunkt zu finden, „wohin der Weg [gehen soll].“ (Walzer 1993: 141.)

Walzer plädiert am Ende seiner Reflexionen für eine demokratische und pluralistische Linke, er lässt aber weitgehend offen, was diese linke Identitätsvariante kennzeichnet.

Im Folgenden ist es selbstverständlich nicht möglich, die von Walzer in die Diskussion gebrachte Linksvariante substantiell zu konturieren. Meine Überlegungen beschränken sich darauf herauszufinden, was die klassische Trias von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit zur Konturierung beitragen kann.

Im Unterschied zu Sartre, der Brüderlichkeit als identitären Schlüsselbegriff der Linken ansieht, sowie in Abgrenzung zu Fülberth, der die Bedeutung der Gleichheit in der linken Selbstverortung hervorhebt, vertrete ich die Position, dass nur die Trias aus Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit dem Anspruch gerecht wird, Demokratie und Pluralität als Basiselemente einer linken Identität zu begreifen. Denn es lässt sich zeigen, dass eine demokratische und pluralistische Linke auf der einen Seite fest im Liberalismus verankert ist, ihr auf der anderen Seite aber emanzipative Momente innewohnen, die über libertäre Selbstzufriedenheit hinausreichen. Die Ambivalenz zwischen liberaler Verwurzelung und notwendiger Emanzipation führt dazu, dass der Linken bis auf weiteres nur der Pragmatismus bleibt, die Demokratisierung der Demokratie voranzutreiben, also die plurale Demokratie zu stärken und zu erweitern.

Die Verknüpfung von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, so meine These, kann dabei helfen, die normative Grundlage eines solchen Projektes kenntlich zu machen.

Brüder­lich­keit als Grund­prinzip linker Identität

Jean-Paul Sartre hat in Brüderlichkeit und Gewalt (Sartre 1993) den Versuch gemacht, die Brüderlichkeit[4] als ursprüngliche und gemeinsame Basis der Linken plausibel zu machen. Seine Überlegungen sollen nachfolgend kurz betrachtet werden, weil sie erstens einen Bezug zur historischen Trias aus Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit herstellen und zweitens sind sie interessant, weil Sartre die Brüderlichkeit als eigentlichen Kern linker Identität ausmacht und damit, wie sich zeigen wird, den Weg für eine spezifische Lesart des revolutionären Dreiklangs ebnet.

Bezugspunkt von Sartres Überlegungen ist die Zeit während und nach der Französischen Revolution. Durch den Leitsatz der Brüderlichkeit „Jeder Mensch ist jedes Menschen Bruder“ unterhöhlten die Revolutionäre das Ansinnen elitärer Absonderungen vom gemeinen Volk und stellten mittels des Prinzips der Universalisierung alle Menschen auf die gleiche Stufe existenziellen Daseins (Sartre 1993: 31ff.). Wie aber lässt sich zeigen, dass nicht nur alle Menschen als Menschen gleich, sondern zudem auch noch miteinander solidarisch verbunden sind?

Dies ist ein schwieriges Unterfangen. Bei Sartre gewährleistet die gemeinsame Abstammung die affektive Verbindung zwischen den Menschen, zwischen Alter und Ego. Das bedeutet, Personen sind solidarisch, „weil sie sich vom gleichen Ursprung fühlen.“ (Sartre 1993: 49, Hervorhebung vom Verfasser) Dass Sartre damit in mythologische Sphären gerät, sucht er dadurch zu verhindern, dass Brüderlichkeit nicht nur auf einen gemeinsamen Ursprung verweist, sondern auch ein vorwärtsgerichtetes Moment des Gemeinsamen enthält: die Verwirklichung des Menschen. Seine Erklärung für die „Beziehung von dir zu mir und von mir zu dir“ lautet somit: „Gemeinsamer Ursprung und gemeinsamer Zweck, das konstituiert […] Brüderlichkeit.“ (Sartre 1993: 49)

Die universelle Brüderlichkeit als eine Art Grundfigur aller Linken verbindet Sartre mit dem Prinzip der Radikalität. Zur Zeit der revolutionären Umbrüche in Frankreich vor mehr als zweihundert Jahren bedeutete radikales Denken:“die Gemäßigten an die Guillotine.“ (Sartre 1993: 38) Wer sich also den revolutionären Ideen in den Weg stellte oder die Zielstellung der Revolutionäre kritisierte, wurde kurzerhand beseitigt. Radikalität geriet damit in den Sog eines ideologischen Terrors.

Dass Sartre trotz der Ideologisierung der revolutionären Ziele an der Radikalität festhält, begründet er mit der ursprünglichen Zielstrebigkeit der Revolutionäre. Ihr Bestreben, die Gesellschaft grundlegend zu verändern, ist für Sartre eine linke Tugend. Allerdings kann auch er nicht an den Auswüchsen bei der Realisierung der „Terror-Brüderlichkeit“ (Sartre 1993: 38) einfach vorbeischauen. Radikalität, so relativiert Sartre, ist daher heute „weniger der verfolgte Zweck als vielmehr die Intention, diesen Zweck zu verfolgen.“ (Sartre 1993: 37) Will sagen: Die Intention kann zwar radikal sein, aber sie darf sich nicht gegenüber neuen Erkenntnissen und kritischen Einwürfen verschließen. (Sartre 1993: 28ff.) Sartre schlägt so den Bogen zur pluralen Demokratie, denn nur wenn das Prinzip der Teilhabe verstärkt und Verschiedenheit akzeptiert werde, ließen sich Veränderungen hinreichend legitimieren.

Für Sartre darf Demokratie indes nicht nur als ein politisches Konstrukt im engeren Sinne angesehen werden, um „Macht zu vergeben“ (Sartre 1993: 41), sondern die demokratische Ordnung ist für ihn eine Lebensform, eine allgemeine Art und Weise des Miteinanders in einer Gesellschaft, nicht nur im Bereich der Politik. Damit bekommt die Forderung nach Radikalität noch einen anderen Sinn: Es geht nicht allein, ja nicht einmal vorrangig, um einen Ausbau der politischen Partizipation, vielmehr sieht Sartre die Notwendigkeit, den Horizont zu erweitern. Und das meint: Mehr Füreinander durch mehr aktives Miteinander der Bürger innerhalb eines Gemeinwesens[5]

Darüber hinaus wohnt der Brüderlichkeit, wie eingangs schon gesagt, auch das Moment der Entgrenzung inne, eindringlich vertont in Schillers Hymne an die Freude im Schlusssatz der 9. Sinfonie Beethovens. Der universelle Fanfarenstoß „Alle Menschen werden Brüder“ ist Hoffnung, beinhaltet aber auch den Anspruch, dass sich Menschen als Menschen sehen und einander achten. Und in dem Sinne ist Brüderlichkeit auch Friedensperspektive, weil sie Verbrüderung beinhaltet.

Freiheit und Gleichheit als liberale und linke Prinzipien

Für die moderne politische Philosophie sind Freiheit und Gleichheit „die beiden Grundnormen“ (Nida-Rümelin 2006: 119) überhaupt. Dies wird wahrscheinlich niemand ernsthaft anzweifeln. Uneinigkeit herrscht aber darüber, was unter Freiheit bzw. Gleichheit zu verstehen ist, und auf welche Weise sie miteinander in Beziehung stehen.

Alle politischen Denker haben sich mit Frage „Was ist Freiheit?“ auseinander gesetzt und den Versuch unternommen, sie zu definieren. Die besondere Schwierigkeit liegt hier darin, dass der abendländische Freiheitsbegriff „durch eine lange und schwer zu überblickende Geschichte religiösen und philosophischen Denkens vorgeformt ist.“ (Arendt 2006: 111) Mit der Unterscheidung zwischen individueller und politischer Freiheit besteht die Möglichkeit, die verschiedenen, häufig miteinander verwobenen, Begründungslinien zumindest ansatzweise zu entwirren.

Individuelle Freiheit ist, wie Sartre herausgestellt, vor allem die Willensfreiheit des Einzelnen.[6] Nicht vorprogrammiert zu sein wie Tiere, die ihrem Instinkt folgen müssen, ist der Grundakt des Freiseins. Sartre spricht deshalb von dem Willen als einem „Nichtungsvermögen“ (Sartre 1998: 757), weil die Autonomie des Einzelnen die Möglichkeit eröffnet, das Gewollte selbst festzulegen und individuell zu verändern. Die Willensfreiheit selbst ist freilich nicht das, was Sartres Denken ausmacht, sondern die Ausweitung der Kombination aus Freiheit und Verantwortlichkeit auf ein Maximum.[7] Das bedeutet: Sartre macht den Einzelnen in jeder Situation für sich und sein Leben verantwortlich. Jeder trägt gewissermaßen beim Handeln „das Gewicht der gesamten Welt auf seinen Schultern.“ (Sartre 1998: 950)

Von dieser individuellen Lesart der Freiheit ist die politische zu unterscheiden. Dies wird deutlich, wenn man das Freiheitsverständnis der griechischen Polis in den Blick nimmt.

Den Rechtssystemen der Griechen und Römer ist eine auf den Einzelnen zugeschnittene Freiheitssphäre völlig fremd. Dies rührt daher, dass in Athen und Rom nicht der Mensch, sondern der Bürger die zentrale Bezugsgröße im politischen Diskurs ist. Bürger zu sein, bedeutet „weder als Sklave dem Zwang eines Anderen noch als Arbeiter der Notwendigkeit des Broterwerbs unterstellt [zu] sein.“ (Arendt 1993: 38) Wer mit den profanen Lebensnotwendigkeiten belastet ist, der kann nicht frei sein, so dass die griechische Polis ebenso wie die römische Res Publica Orte bezeichnen, wo Gleiche mit Gleichen „jenseits von Gewalt, Zwang und Herrschaft miteinander verkehren.“ (Arendt 1993: 39)

Freiheit existiert demzufolge nur im politischen Raum, mithin dort, wo alle Bürger als Bürger, nicht als Privatpersonen, zusammen kommen. Frei sind die Bürger in der Polis deshalb, weil man nach griechischem Verständnis „nur unter seinesgleichen frei sein kann.“ (Arendt 2006: 113) Freiheit setzt also voraus, dass es einen Raum gibt, in dem nicht Herrscher und Beherrschte aufeinander treffen, sondern Gleiche. Kurzum: Freiheit und Gleichheit sind in der griechischen Antike eine Eigenschaft des Politischen, weder der Sklave noch der Sklavenhalter ist außerhalb der Polis frei und gleich.

Unter der Maßgabe, dass die einen, sprich die (Voll-)Bürger, in die Gunst der Freiheit kommen, den anderen hingegen die Freiheit verwehrt bleibt, entsteht notwendig eine Kluft zwischen den Menschen in einem Gemeinwesen, weil lediglich eine privilegierte Minderheit an Politik teilhat.

Die Aufteilung der Menschen in Freie und Unfreie bleibt auch nach dem Zerfall der griechischen Demokratie und des römischen Imperiums bestehen – im Mittelalter sind es vor allem die Kirchenoberen, die zu den Privilegierten gehören, in der frühen Neuzeit profitiert insbesondere der Hochadel von der Unterdrückung des Volkes.

Erst im Zuge der Aufklärung gewinnt dann die Idee der allgemeinen Freiheit an Gewicht. Jeder Einzelne soll, so die Vorstellung der liberalen Denker, in der Privatsphäre vor willkürlichen Eingriffen seitens staatlicher oder kirchlicher Obrigkeit geschützt sein. Freiheit im Sinne der Nichteinmischung in den privaten Bereich des Einzelnen ist daher, so Isaiah Berlin, „immer Freiheit von etwas.“ (Berlin 1995: 207, Hervorhebungim Original) Er definiert sie als negative Freiheit, weil sie das „Fehlen von Übergriffen jenseits einer unfesten, aber stets erkennbaren Grenze“ (Berlin 1995: 207) beinhaltet. Inwiefern gehört diese Freiheit zum Identitätsprofil der Linken?

Streng genommen gehört die negative Freiheit in den Kernbereich des Liberalismus. Allerdings darf nicht außer Acht gelassen werden, dass die individuelle Freiheit nicht irgendwann, gleichsam wie von Zauberhand hervorgebracht, Realität geworden ist. Sie musste gegen den Widerstand der weltlichen und geistlichen Obrigkeit erkämpft werden. Diese Befreiung, also „die Umwandlung der Freiheit als eines Privilegs weniger in ein Recht aller“ (Fülberth 1998: 2) durch das Volk selbst, ist ein Teil linker Identität. Grundlage hierfür ist die Idee von der „Veränderbarkeit der gesellschaftlichen Wirklichkeit.“ (Brie et al. 2006: 8)

Linke stimmen demnach darin überein, dass gesellschaftliche Privilegien und Hierarchisierungen durch gemeinsames Handeln überwunden werden können. Statt irgendwelche Ungerechtigkeiten einfach bloß hinzunehmen und damit irgendwie auf eine andere Gesellschaft zu hoffen, sind sich linke Positionen über die Bedeutung einig, bewusst einzugreifen und durch das aktive und gemeinsame Handeln gesellschaftlichen Wandel zu initiieren. In einem Satz: Linke lehnen es strikt ab, „Hierarchien, Privilegien und Elend als konstante Sozialfaktoren“ (Krüger 1963: 20, Hervorhebung vom Verfasser) anzusehen. Im gemeinsamen Handeln kommt mithin die Freiheit für etwas zum Tragen; dies ist die positive Dimension der Freiheit. Ist links also eine Kombination aus negativer und positiver Freiheit? Die Antwort lautet: Ja und Nein.

Links kombiniert in der Tat den Schutz des Einzelnen (Grundrechte als Basis der Freiheit) mit der Partizipation der Bürger (verstanden als demokratische Ausformung der Freiheit), um so zu gewährleisten, dass Rechtsstaatlichkeit und Demokratie ineinander greifen. Insofern ist links eine Kombination aus beiden Dimensionen liberaler Freiheit.

Linkes Denken und Handeln hat aber ferner die reale Lebenspraxis im Blick, um zu prüfen, wo der Schutz rechtlicher Freiheiten und das Engagement aktiver Bürger durch die Krafteinwirkung struktureller Macht-bzw. Herrschaftsfaktoren entweder beschränkt oder sogar ganz verhindert wird. Daher reicht die Kombination der beiden Dimensionen nicht aus. Fülberth spricht deshalb zur Konturierung des Begriffs links nicht nur von Freiheit, sondern von „Befreiung oder auch Emanzipation.“ (Fülberth 1998: 2)

Dies kann man auf den ersten Blick für spitzfindige Rhetorik halten. Tatsächlich ist das Moment der Befreiung aber mehr als das, stellt es doch den erreichten Status quo der Freiheit fortwährend in Frage. Dies lässt sich exemplarisch an Marx‘ Ausführungen zu den Menschen- und Bürgerrechten ablesen. So sehr er auf der einen Seite die politische Emanzipation gutheißt und als wichtigen Schritt zur Befreiung ansieht, so sehr pocht er doch darauf, sich nicht mit der bürgerlichen Freiheit zufrieden zu geben. Für ihn ist das eigentliche Ziel die menschliche Emanzipation. (MEW 1970: 366ff.)

Die Diskrepanz zwischen tatsächlicher und möglicher Freiheit zu verdeutlichen, gehört zur Identität der Linken, und deshalb steht die Linke einerseits in der Tradition liberalen Denkens, andererseits reicht sie deutlich über dieses hinaus, indem sie Freiheit nicht nur als eine Kombination aus negativer und positiver Freiheit versteht, sondern auch als Befreiung.[8]

Dem Begriff der Gleichheit sind genauso wie dem der Freiheit zwei Bedeutungen zu eigen. Zum einen beinhaltet Gleichheit das Moment der Rechtsgleichheit. Diese besagt, dass Gesetze allgemein gelten, mithin Geschlecht, Einkommen, Bildungsstand, Religionszugehörigkeit usw. nicht den Kreis der Rechtsadressaten oder -autoren beschränken. Diese Rechtsgleichheit schließt selbstverständlich nicht aus, dass Ungleiches ungleich behandelt wird.

Über die liberale Rechtsgleichheit hinaus kommt eine zweite Dimension zum Tragen: Fülberth bezeichnet sie als die „Gleichheit des Ergebnisses“. (Fülberth 1998: 2) Das bedeutet: Alle Bürgerinnen und Bürger haben neben der gesetzlich verbrieften Möglichkeit, alles zu tun, was nicht verboten ist, zudem einen Anspruch darauf, „einen gleichen Anteil an den vorhandenen gesellschaftlichen Positionen und Ressourcen“ (Fülberth 1998: 2) zu bekommen.

Zur Charakterisierung des linken Identitätsprofils macht diese Erweiterung deshalb Sinn, weil damit der Aspekt der Gerechtigkeit in ihrer konkreten Realisierung in die Betrachtungen einfließt. So kann, um ein Beispiel zu nennen, die rechtliche Gleichstellung der Geschlechter gesetzlich fixiert sein; die Schwierigkeit liegt aber darin, sie in der gesellschaftlichen Realität umzusetzen. Deshalb ist es notwendig, die Praxis in die Reflexion immer mit einzubeziehen, um festzustellen, ob Rechtsgleichheit sozusagen nur auf dem Papier Bestandskraft hat oder tatsächlich erreicht ist.

Rechts- und Ergebnisgleichheit in einem Atemzug zu nennen, birgt aber die Gefahr in sich, dass sich „rechtliche Gleichheit“ und „Gleichheit in der gesellschaftlichen Wirklichkeit“ zu einer dogmatischen Resultatgleichheit addieren. Walzer spricht in diesem Zusammenhang von der „einfachen Gleichheit“. Einfach deshalb, weil sie Differenz einebnet oder zumindest für eine Einebnung leicht instrumentalisiert werden kann. Ungleichheiten können nämlich in der Praxis reduziert, nie aber wirklich völlig eliminiert werden. Was bedeutet dies für die Kennzeichnung des Begriffs Gleichheit?

Gleichheit, die über die liberale Rechtsgleichheit im engeren Sinne hinausreicht, ist als Option und Prozess, nicht als Option und Ergebnis zu spezifizieren. Denn eine solidarische Gesellschaft zeichnet sich eben gerade nicht dadurch aus, dass im Ergebnis alle dasselbe machen, bekommen oder haben. Die Gleichheit im Prozess realisiert vielmehr Chancen; sie lässt gewissermaßen gesetzliche Optionen lebendig werden. Dass dann am Ende tatsächlich eine Gleichheit im Ergebnis zu verzeichnen ist, mag in dem ein oder anderen Fall wünschenswert sein und auch tatsächlich ab und an in der realen Lebenspraxis Wirklichkeit werden, aber die pure Egalität bleibt eine Illusion. Mehr noch: Sie ist mit Freiheit unvereinbar.

Fülberth verzerrt daher das Bild linker Identität, wenn er behauptet, Gleichheit „sei ein ausschließlich der Linken gehörender Begriff.“ (Fülberth 1998: 3) Denn – auch historisch gesehen – ist zunächst die Realisierung rechtlicher Gleichheit das politische Ziel emanzipatorischer Bewegungen (gewesen). Insofern ist auch seine Behauptung, der Begriff der Gleichheit werde „erst durch Universalität zu einem Basisbegriff der Linken“ (Fülberth 1998: 3) missverständlich, denn die Vorstellung, dass „alle Menschen gleich sind“ (Fülberth 1998: 2) bezieht sich, wie die verschiedenen Menschen- und Bürgerrechtserklärungen belegen, zu allererst darauf, dass alle Menschen die „gleiche[n] Rechte haben sollen.“ (Fülberth 1998: 2) Diese Forderung gehört also primär zu den originären Errungenschaften des Liberalismus, ist aber zugleich auch ein wichtiger Bestandteil des linken Identitätsprofils.

Der Gleichheitsgrundsatz bekommt seine linke Färbung, wenn neben der Geltung der liberalen Rechtsgleichheit der Anspruch besteht, gesellschaftliche Ungleichheiten und individuelle Benachteiligungen zu reduzieren.

Walzer spricht in diesem Zusammenhang von einer komplexen Gleichheit. Dieser Begriff ist deshalb besonders gut geeignet, weil er deutlich macht, dass man mit einfachen Formeln und griffigen Leitbildern der Komplexität der Sache nicht gerecht wird. Statt von einem „Recht auf Gleichheit des Ergebnisses“ (Fülberth 1998: 2) zu sprechen, empfiehlt Walzer, einzelne Ungleichheiten nicht isoliert zu betrachten, sondern in ihrer Gesamtheit. Denn erst dadurch werde deutlich, ob es einer Gesellschaft gelingt, verschiedene Ungleichheiten auszutarieren, also gewissermaßen eine Balance in der Verteilung sozialer Güter herzustellen und zu sichern. Dann wären „zwar Einzelne bezüglich dieses oder jenes Guts ‚oben‘ oder ‚unten‘, aber niemand würde sich bezüglich aller Güter ‚oben‘ oder ‚unten‘ vorfinden.“ (Walzer 1997: 30)

Ob Walzers Überlegungen einer kritischen Prüfung standhalten, muss hier offen bleiben. Sie machen jedenfalls deutlich, dass Gleichheit aus linker Perspektive mehr ist als formale Rechtsgleichheit, aber auch deutlich weniger als absolute Resultatgleichheit.

Es ist festzuhalten: Die Begriffe Freiheit und Gleichheit haben – schon rein historisch bedingt – einen liberalen Kern. Freiheit ist danach zunächst eine Kombination aus negativer und positiver Freiheit. Das linke Verständnis geht aber insofern über diese liberale Vorstellung hinaus, als Freiheit über das Moment der Emanzipation bzw. Befreiung deutlich stärker normativ eingefärbt wird. Ähnlich verhält es sich bei der Gleichheit. Die liberale Rechtsgleichheit ist ein tragendes Element des modernen Gleichheitsverständnisses. Will man sich nicht mit dieser formalen Gleichheit der Rechte begnügen, ist der soziale Ausgleich ein wichtiger normativer Bezugspunkt, da sich Ungleichheiten zwar reduzieren, aber eben nicht vollständig einebnen lassen.

Freiheit und Gleichheit sind für Linke zweifelsohne zentrale Begriffe, wobei genau genommen ihre Kombination das linke Identitätsprofil prägt. Allerdings wird die gegenseitige Verschränkung von Freiheit und Gleichheit erst durch die Brüderlichkeit komplettiert und maßgeblich getragen. Dies gilt es im Folgenden zu explizieren.

Brüder­lich­keit als Verknotung von Freiheit und Gleichheit

In der politischen Ideengeschichte werden Freiheit und Gleichheit oftmals in eine Rangfolge gebracht. Im Extremfall zählt dann für die einen nur die Freiheit, während die anderen für eine absolute Priorität der Gleichheit plädieren. Warum eine solche scharfe Gegenüberstellung nicht trägt, ist zunächst kurz zu erörtern.

Von einem emphatischen Verständnis natürlicher Freiheit ausgehend, ist Freiheit „nicht das Ergebnis wechselseitiger Anerkennungsverhältnisse und politischer Institutionalisierungen, sondern die Menschen sind ursprünglich, also vor aller politischer Ordnung, frei.“ (Nida-Rümelin 2006: 114) Freiheit als etwas Vorpositives anzusehen, hat zur Konsequenz, dass sich jede staatliche Ordnung danach bemessen lassen muss, ob es ihr gelingt, die Freiheit jedes Einzelnen soweit als eben möglich zu garantieren. Dies kann aus Sicht derer, die diese libertäre Position vertreten, nur gelingen, wenn sich Staatlichkeit auf ein Mindestmaß reduziert. Denn je weniger der Staat in das Leben der Menschen eingreift, desto mehr kann jeder Bürger die eigene ursprüngliche Freiheit gestalten. Der Staat ist hier somit nur eine Art Schutzgemeinschaft, die ein geordnetes Miteinander ermöglicht.

Rawls‘ Überlegungen (Rawls 1997: 45ff.; Rawls 2006) zeigen, dass Ultraliberale ein verkürztes Verständnis von Freiheit haben, da sie der gerechten Verteilung von wichtigen Grundgütern zu wenig Beachtung schenken. In einer wohlgeordneten Gesellschaft, in der viele Grundgüter, nicht nur das der Freiheit, zu verteilen sind, muss die politische Ordnung für Rawls so konstituiert sein, dass die Wohlfahrt im Ganzen zunimmt. Ein Minimalstaat, der allein der individuellen Freiheit verpflichtet ist, kann dieser erweiterten Aufgabenzuteilung nicht gerecht werden. Soll also ein faires Miteinander auf der Grundlage einer Kooperation der Bürger erzielt werden, ist die unbeschränkte Freiheit des Individuums mit Bedacht zu begrenzen. Ob die ursprüngliche oder die gemäßigte Form des Liberalismus letztlich die besseren Argumente auf ihrer Seite hat, muss hier offen bleiben.

Wichtig ist an dieser Stelle festzuhalten, dass Freiheit nicht nur reinindividualistisch verstanden werden darf. Dahrendorf spricht deshalb zu Recht in diesem Zusammenhang von der Wirkungseinheit von Aktionen, Optionen und Ligaturen.[9] Will sagen: Freiheit ist Handeln nach eigenen Vorstellungen; aber es passiert nicht im luftleeren Raum und kann daher nicht allein den Einzelnen zum Maßstab machen. Normativ gesehen, kommt damit die Idee der Brüderlichkeit ins Spiel, denn sie bezieht sich per se auf die Relation zwischen Personen und erweitert so, wie gesehen, den Horizont auf das Miteinander. Freiheit und Brüderlichkeit sind demnach keine Gegensätze. Im Gegenteil: Eine staatliche Ordnung, die soziale Belange nicht entpolitisieren will, kann Solidarität und damit auch das Prinzip der Brüderlichkeit nicht vollständig privatisieren.

Ganz ähnlich verhält es sich in dem anderen Fall: der Orientierung allein an der Gleichheit. Carl Schmitt bezeichnet sie als eine substanzielle Gleichheit. Diese verdichtet er in Anlehnung an Rousseau so stark, dass für ihn in letzter Konsequenz „alle das gleiche wollen“ (Schmitt 2003: 229), mithin Homogenität zur eigentlichen Bezugsgröße politischen Denkens wird. Eine Gleichheit, die auf Gleichartigkeit reduziert wird, führt jedoch zwangsläufig zu einer scharfen Trennung zwischen denjenigen, die „an der Substanz teilhaben“ (Schmitt 2003: 228) und allen übrigen, die substanziell anders sind und deshalb als potentielle Feinde gelten können. Die Tragweite dieser Überlegungen wird freilich erst dann richtig deutlich, wenn ein weiterer Gedanke Schmitts zum Begriff der Gleichheit mit einbezogen wird: Die klare Zuordnung, wer zu den Gleichartigen gehört und wer dieser Gemeinschaft nicht zuzurechnen ist, hat zur Konsequenz, dass die allgemeine Menschengleichheit zu einer belanglosen Kategorie degradiert wird. In seiner Verfassungslehre stellt Schmitt fest: „Daraus, dass alle Menschen Menschen sind, lässt sich weder religiös noch moralisch, noch politisch, noch wirtschaftlich etwas Spezifisches entnehmen.“ (Schmitt 2003: 226) Ist dem wirklich so? Macht das Postulat der Gleichheit aller Menschen tatsächlich „nicht mehr möglich, irgendeine spezifische Unterscheidung durchzuführen“ (Schmitt 2003: 226)?

Ohne Zweifel, die Idee der allgemeinen Menschengleichheit schließt per definitionem alles ein, „was Menschenantlitz trägt“ (Schmitt 2003: 226), und zwar ohne Ausnahme. Im Bereich des Politischen hingegen spielen die Kategorien ‚Inklusion‘ und ‚Exklusion‘ eine wichtige Rolle. Allein die Erfordernis, festzulegen, wer wann an welchen Entscheidungen in einem Gemeinwesen beteiligt ist, lässt sich nicht auf der Basis der allgemeinen Menschengleichheit festschreiben. Dennoch behält die Idee der Gleichheit aller Menschen ihre Geltungskraft, weil sie, anders als Schmitt annimmt, sehr wohl eine wichtige Funktion übernimmt: Das Postulat der Gleichheit aller Menschen dient in einer säkularen Ordnung dazu, Regeln und Normen einer universellen Geltungsprüfung zu unterziehen. Dass sich diese Überprüfung der Universalisierbarkeit in der politischen Praxis nicht eins zu eins wiederfindet, schwächt aber keineswegs die zentrale Relevanz der universellen Vernunftidee. Geht es doch vornehmlich darum, sie als ein methodologisches Prinzip zu verstehen, mittels dessen eine Art Perspektivenverschränkung unterschiedlicher Wertordnungen überhaupt möglich wird (Habermas 2001: 15ff.). Damit ist allerdings noch nicht geklärt, wie sich die Erweiterung der Perspektive (über die substanzielle Gleichheit hinaus) begründen lässt.

Für Habermas wohnt der Praxis verständigungsorientierten Handelns per se eine Dezentrierung der eigenen Position inne, weil in einer gewissenhaft geführten Argumentation davon auszugehen ist, dass mit jeder Erweiterung des Kreises der Diskutanten auch wieder neue Gründe bzw. Überlegungen in die Debatte eingebracht werden (Habermas 2001: 42ff.). Die Argumentation kann man sich also sozusagen als eine Art asymptotische Annäherung an eine vollständige Inklusion aller potentiellen Diskursteilnehmer vorstellen. Diese „kontrafaktische Ausdehnung der sozialen Welt“ hin zu einer „vollständig inklusiven Welt wohlgeordneter interpersonaler Beziehungen“ in Diskursen bedeutet aber nichts anders als: „Alle Menschen werden zu Brüdern (und Schwestern)“ (Habermas 2001: 42). Soll die demokratische Gleichheit nicht im Sinne von Schmitt allein auf Immanenzvorstellungen beschränkt bleiben, sondern sowohl eine Offenheit gegenüber dem Fremden beinhalten als auch von der Idee der allgemeinen Menschengleichheit getragen sein, dann ist dies nur möglich, wenn das Prinzip der Gleichheit mit der Idee der Brüderlichkeit verbunden wird. Anders gesagt: Gleichheit gerät ohne die Geltung universeller Brüderlichkeit in das Fahrwasser einer entgrenzenden Exklusion.

Kurzum: In den Fällen, in denen entweder allein die Freiheit zählt oder ausschließlich die Gleichheit von Belang ist, entfaltet die Fraternité ihre Wirkungskraft – hier mildert sie die libertäre Überhöhung der individuellen Freiheit, dort verhindert sie eine Beschränkung der Sicht auf rigide Gemeinschaftsideale. Oder anders gesagt: Einmal zügelt sie den Liberalismus, das andere Mal unterstützt sie seine universelle Geltung. Man kann daher durchaus (im Sinne Sartres) sagen, dass Brüderlichkeit eine wichtige Kennung linker Identität ist, da sie Freiheit und Gleichheit miteinander verknotet.

Wohin des Weges?

Als Walzer aufgefordert war, nach den Umbrüchen in den Revolutionsjahren 1989/1990 eine Prognose zur Linken abzugeben, blieb er dem ersten Anschein nach eine Antwort schuldig. Walzer zeigte lediglich Möglichkeiten der Linken auf, indem er relativ schematisch verschiedene Linksvarianten kurz skizzierte. Am Ende seiner Ausführungen lautet sein Votum: Die demokratische und pluralistische ist „vermutlich die beste aller denkbaren Spielarten der Linken.“ (Walzer 1993: 149f.) Und er fügt hinzu: „Wir müssen allerdings mehr darüber sagen, was damit eigentlich gemeint ist und wie sie sich verwirklichen lässt.“ (Walzer 1993: 149)

Walzers Zurückhaltung ist Programm und Mahnung zugleich. Programm ist sie insofern, als er von der demokratischen Linken spricht. Diese darf, ja sie muss das Bild einer besseren Welt vor Augen haben, aber sie ist auch an den Pragmatismus verwiesen. Erhard Eppler (Eppler 2006: 1130ff.) hat diesen jüngst mit Leben gefüllt und gezeigt, dass Politik, auch linke Politik, ein mühsames und langsames Fortbewegen ist, wenn sie demokratische Praxis ist bzw. weil sie demokratische Praxis sein soll.

Mahnung ist Walzers Zurückhaltung, weil die Linke als pluralistische Linke sich davor hüten muss, mit einfachen Formeln und Rezepturen zu operieren. Linke sind seit jeher stark gefährdet, in einen marxistischen Objektivismus abzudriften und damit, langfristig gesehen, offene und lebendige Pluralität zu unterdrücken. Offenheit ist aber ein Signum pluraler Demokratie. Und Walzers Unbestimmtheit bringt eben genau dies zum Ausdruck. Um „Terror-Brüderlichkeit“ zu verhindern, ist, darin sind sich Sartre und Walzer einig, die Stärkung der Demokratie notwendig. Sartre spricht von der Demokratie als Lebensform, Walzer sieht die Notwendigkeit, die Wirtschaft zu demokratisieren und „die zivile Gesellschaft zu stärken.“ (Walzer 1993: 149) Fragt man allerdings danach, wie diese Forderung zu begründen sind, ist man auf die Verknüpfung von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit verwiesen (Derrida 2006: 84ff.). Denn erst diese Kombination liefert die normative Basis, die Linke als eine demokratische und pluralistische Linke anzusehen. Dass Linken eingezwängt zwischen liberaler Verwurzelung und notwendiger Emanzipation bis auf Weiteres nur der Pragmatismus bleibt, die Demokratisierung der Demokratie voranzutreiben, also die plurale Demokratie zu stärken und zu erweitern, ist zwar vielleicht ernüchternd, aber dennoch eine ebenso anspruchsvolle wie reizvolle Aufgabe. Kurz gesagt: Es bleibt alles anders.

* Für Beate, die gegen alle Widerstände und Kritik den Weg des Lernens gegangen ist.

[1] Zur Gründung der Partei „Die Linke“ aus dem Zusammenschluss von PDS und WASG vgl. Greffrath 2005: 1-4, Seils 2007: 1-2. Zum Programm und Profil der neuen Partei vgl. Fickinger 2007.

[2] Anthony Giddens und das Gros der sogenannten Postmodernisten plädieren trotz aller Divergenzen im Detail für eine Abkehr von dem Begriffsschema „Rechts-Links“ (Giddens 1995) Sie verweisen darauf, dass die politischen Lager in vielen Belangen nicht mehr so eindeutig und trennscharf voneinander zu unterscheiden seien, wie dies vor einhundert Jahren oder noch früher der Fall war. Aber weil sich rechts und links angleichen oder sich die Vorzeichen sogar ab und an verkehren, also zum Beispiel Linke rechts-konservative, ja nationalistische Ideen adaptieren, wie der Blick nach Frankreich zeigt, bedeutet dies keineswegs, dass politische Farblehren und Lagerbildungen völlig obsolet geworden sind. Es besteht vielmehr die Notwendigkeit, genauer hinzuschauen, da sich manche Divergenzen erst in der Detailsicht zeigen. (Bobbio 2006).

[3] Er spricht erstens von der „sektiererischen Linken“, als zweitens nennt er die „Altlinke“, als drittes Lager sieht er die „Linke neuer sozialer Bewegungen“, als viertes spricht er von der „kommunitaristischen Linke“ und die „postmoderne Linke“ ist für ihn die fünfte Spielart linken Denkens. Zur Spezifizierung der einzelnen Varianten vgl. Walzer 1993: 141ff. Die sechste Variante, die „demokratische und pluralistische Linke“, umreißt Walzer hingegen nur sehr kurz.

[4] Zum Begriff „Brüderlichkeit“ vgl. Zoll 2000: 38-53, Derrida 2000: 304ff. Im Hinblick auf die Abgrenzung gegenüber verwandten Termini vgl. Hondrich et al. 1992, Nell-Breuning 1990. Zur Kritik vgl. Adorno 1998: 217-236.

[5] Sartre wendet sich somit gegen eine abstrakte Verfahrensrationalität, wie sie der Diskursethik zu eigen ist, aber ebenso widerspricht er auch all jenen Linken, die allein die Veränderungen der ökonomischen Strukturen zur Bedingung für eine gerechtere Welt machen.

[6] Neben dem Willen als einem Akt der Reflexion unterscheidet Sartre in diesem Zusammenhang die Leidenschaft, beide zusammen manifestieren die Freiheit des Subjekts (Sartre 1998: 771f.).

[7] Dies wird insbesondere deutlich, wenn man seine Ausführungen zum Kriegseinsatz des Einzelnen liest (Sartre 1998: 951).

[8] Dies beinhaltet, die Methoden zur Bestimmung von Freiheitshemmnissen zu verfeinern. Foucaults Machtanalysen sind hierfür ein gutes Beispiel, weil sie zeigen, dass Macht und Herrschaft bis in das Subjekt hineinwirken und damit weitaus subtiler sind, als dies etwa in hierarchischen Souveränitätsvorstellungen zum Ausdruck gebracht wird. Foucault schreibt: „[…] es geht nicht darum, die regulierten, legitimen Formen der Macht in ihrem Kern, in ihren möglichen allgemeinen Mechanismen und ihren konstanten Wirkungen zu analysieren, sondern darum, die Macht an ihren äußersten Punkten, an ihren letzten Verästelungen, dort, wo die Kanäle haarfein sind, zu erfassen […].“ (Foucault 1978: 81.)

[9] Aktionen sind individuelle Wahlentscheidungen. Eingebettet bzw. getragen werden Aktionen von Optionen, also von „in sozialen Strukturen gegebenen Wahlmöglichkeiten.“ (Dahrendorf 1979: 50) Hinzu kommen Zugehörigkeiten und Bindungen; sie bezeichnet Dahrendorf als Ligaturen. Sie sind gleichsam die „Fundamente des Handelns“, während die Optionen „das Ziel und den Horizont des Handelns betonen.“ (Dahrendorf 1979: 50).

Literatur

Adorno, Theodor W.: Negative Dialektik. Jargon der Eigentlichkeit (Gesammelte Schriften: Band 6), Darmstadt 1998.

Arendt, Hannah: Was ist Politik. Fragmente aus dem Nachlass, hg. von Ursula Ludz, München 1993.

Arendt, Hannah: Denken ohne Geländer. Texte und Briefe, hg. von Heide Bohnet et al., München 2006.

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