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Zum Regieren nicht geschaffen

Die Tragik der deutschen Sozialdemokratie

Aus: vorgänge Nr.180, Heft 4/2007, S. 53-66

1. Die Lage der SPD zur Jahreswende 2007/2008

Bei der Neuwahl des Bundestags im September 2005 wurde die SPD von 16.2 Mio. Wahlberechtigten gewählt. Das entsprach einem Anteil von 26,2 Prozent aller Wahlberechtigten. Bei der Bundestagswahl 1998 gaben noch 20.2 Mio. Wahlberechtigte (= 34,7 Prozent) der SPD ihre Stimme. In sieben Jahren rot-grüner Koalition auf Bundesebene büßte die Partei fast 4 Mio. Stimmen ein – ein Wählerschwund von 21 Prozent!

Auf das Gebiet der alten Bundesrepublik bezogen schnitt die SPD nur bei den ersten Wahlen nach Gründung der Bundesrepublik – 1949, 1953 und 1957 – schlechter ab als 2005. Und auf das Gebiet des wiedervereinigten Gesamtdeutschlands bezogen, war die SPD 2005 wieder auf den Anteil zurückgefallen, den sie bei der ersten gesamtdeutschen Wahl im Dezember 1990 mit ihrem damaligen Kanzlerkandidaten Oskar Lafontaine erzielt hatte.

In den zwei Jahren nach der Wahlniederlage von 2005 hat die SPD durch ihre Beteiligung an der Regierung der Großen Koalition keine neuen Anhänger gewonnen. Im Gegenteil: Sie hat einen weiteren Vertrauensschwund zu registrieren. So wollen Ende 2007 von 100 befragten Wahlberechtigten nur noch 18 SPD wählen. Damit käme die SPD nur noch auf 11.4 Mio. Stimmen – 4.8 Mio. (oder 30 %) weniger als 2005. Und im Vergleich zur Bundestagswahl 1998, als die SPD nach 1972 zum zweiten Mal in der Wahlgeschichte der Bundesrepublik stärkste Partei werden konnte, würde die SPD zur Jahreswende 2007/2008 8.8 Mio. Stimmen weniger erhalten (ein Wählerschwund in noch nicht einmal einem Jahrzehnt von 44 Prozent!). Das sind aus den kontinuierlich durchgeführten Umfragen zur politischen Stimmung[1] abgeleitete Zahlen.

Doch auch die Ergebnisse der 6 Landtagswahlen, die seit der Bundestagswahl 2005 stattfanden (Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern sowie die Abgeordnetenhauswahl in Berlin und die Bürgerschaftswahl in Bremen), belegen den Wählerschwund der SPD seit 2005. Erhielt die SPD bei der Neuwahl des Bundestags in der Summe dieser sechs Länder noch fast 4.2 Mio. Stimmen, waren es in der Summe der Landtagswahlen nur noch knapp 2,8 Mio. Stimmen. Das sind 1.4 Mio. Stimmen weniger (oder ein Schwund von 34 Prozent). Bei der Bundestagswahl 1998 wählten in der Summe der sechs Länder noch 5.1 Mio. Wahlberechtigte die SPD. Bei den Landtagswahlen nach 2005 erhielt die SPD somit über 2.3 Mio. weniger Stimmen als 1998. Dieser tatsächliche Wählerschwund von 46 Prozent in noch nicht einmal 10 Jahren entspricht somit den auch in den aktuellen Umfragen zu erkennenden Verlusten.

SPD-Ergebnisse (in % der Wahlberechtigten) bei den Bundestagswahlen
1949 bis 2005

Bundestagswahl Bundesrepublik (alt) Gesamtdeutschland % % 1949 22,2 1953 24,0 1957 26,8 1961 30,5 1965 33,3 1969 36,4 1972 41,4 1976 38,3 1980 37,6 1983 33,7 1987 30,9 1990 27,8 25,7 1994 29,9 28,4 1998 34,7 33,2 2002 30,6 30,1 2005 27,2 26,2

2. Ein „Linksruck“ in Deutsch­land?

Die SPD – sofern sie die nüchternen Fakten nicht völlig verdrängt – versucht sich nun damit zu trösten, dass es trotz des Vertrauensverlustes für die Sozialdemokraten durch das Erstarken der Linkspartei aus PDS und WASG nunmehr eine klare Mehrheit links von Union und FDP gebe. Die These eines „Linksrucks“ in Deutschland wird dabei auch von einigen nicht sonderlich kundigen Marktforschern propagiert. So meint z.B. der in London basierte Marktforschungskonzern TNS: „Deutschland ruckt wieder nach links“[2]). Und auch viele Medien teilen die Einschätzung, dass die Linken in Deutschland „gefährliche Stärke“ gewinnen. Doch diese Einschätzung ist falsch. Vergleicht man die Stimmenanteile, die bei den Bundestagswahlen 1998 und 2005 auf SPD, Grüne und PDS bzw. Linkspartei entfallen sind, dann ist das „linke“ Wählerlager 2005 sowohl in Gesamtdeutschland als auch in Ost und West schwächer als 1998. Das „rechte“ Wählerlager (aus CDU/CSU, FDP und rechten Parteien) hingegen ist zwischen 1998 und 2005 weitgehend stabil geblieben. Zugenommen hat der Anteil der Nichtwähler bzw. der Wähler kleinerer Splitterparteien.

Die Entwicklung der Wählerlager 1998 bis 2005 (in % der Wahlberechtigten)

„linkes“*) Wählerlager % „rechtes“**) Wählerlager % Nichtwähler***) % Deutschland insgesamt 1998 2005 42,7 39,1 36,3 36,1 21,0 24,8 Ost 1998 2005 47,6 44,4 28,0 27,3 24,4 28,3 West 1998 2005 41,4 37,5 38,6 38,4 20,0 24,1

*) SPD, Grüne und Linke (PDS)

**) CDU, CSU, FDP und rechte Parteien

***) einschließlich ungültige Stimmen sowie Anteile sonstiger Parteien

Und auch seit 2005 ist das „linke“ Wählerlager nicht größer geworden – im Gegenteil: Bei der Bundestagswahl kam das linke Lager in den sechs Bundesländern, in denen seither Landtagswahlen stattfanden, zusammen auf fast 6.7 Mio. Stimmen. In der Summe der Landtagswahlen 2006/2007 erhielt das linke Lager nur noch knapp 4.4 Mio. Stimmen – also rund 2.3 Mio. Stimmen weniger als bei der Bundestagswahl (das entspricht einem Stimmenrückgang von einem Drittel).
Das linke Wählerlager ist also seit der Bundestagswahl 2005 keinesfalls stärker, sondern wegen des anhaltenden Vertrauensverlustes der SPD schwächer geworden. Insofern sind die Teile der SPD, die dieser falschen These aufgesessen sind und eine stärkere Orientierung ihrer Partei nach links fordern, schlecht beraten. Neues Vertrauen schafft ein politischer Linksschwenk auf keinen Fall. Und mehr Nähe zu den „Menschen“ bringt er auch nicht.

So konnte auch vom Hamburger SPD-Parteitag mit der Verabschiedung des neuen Grundsatzprogramms der Partei kein positives Aufbruchsignal ausgehen. Der von der ARD unmittelbar nach dem Parteitag vermeldete Zugewinn von 3 Prozentpunkten entpuppte sich als Fehleinschätzung. Auch nach dem Hamburger Parteitag bleibt die SPD im Stimmungstief.

3. Die Krise der SPD ist mehr als ein vorüber­ge­hendes Stimmungs­tief

Die SPD hofft nun darauf, dass die CDU bei den Landtagswahlen in Hessen und Niedersachsen sowie der Bürgerschaftswahl in Hamburg Stimmen einbüßt. Das ist zwar durchaus zu erwarten, weil die Landtagswahlen am 2. Februar 2003 für viele CDU-Anhänger in Hessen und Niedersachsen eine Art Rache für den 27. September 2002 waren, als Schröder den von Januar bis August sicher geglaubten Sieg kurz vor der Wahl noch verhinderte.

Dieser Motivationsschub fehlt bei den Wahlen 2008 in Hessen und Niedersachsen. Und in Hamburg ist die 2004 vorhandene Sondersituation nach dem Zerfall der Schill-Partei 2008 auch nicht mehr gegeben, so dass die CDU auch in der Hansestadt wie schon zuvor in Hessen und Niedersachsen Probleme bei der Mobilisierung ihrer Anhänger haben dürfte. Doch durch diese Mobilisierungsdefizite der CDU dürfte die SPD kaum auf Dauer Vertrauen zurückgewinnen. Dafür ist die Auszehrung der SPD-Wählersubstanz zu nachhaltig.

So zeigt die nachfolgende Übersicht, dass die Wählersubstanz in allen alten Bundesländern zwischen 1980 (der letzten „Helmut-Schmidt-Wahl“) und der Neuwahl des Bundestags im Herbst 2005 deutlich geschrumpft ist. Der geringste Schwund war noch in den Ländern Schleswig-Holstein und Niedersachsen zu verzeichnen, die höchsten Verluste hatte die SPD im Saarland sowie in Hamburg und Hessen.

Bei der Bundestagswahl 1980 wurde die SPD in Hamburg und Bremen von mehr als 45 Prozent aller Wahlberechtigten, in weiteren vier Ländern (Saarland, Niedersachsen, Hessen und Nordrhein-Westfalen) von mehr als 40 Prozent der Wahlberechtigten gewählt. 2005 wurde die SPD nur noch in drei Ländern (Niedersachsen, Bremen und Nordrhein-Westfalen) von mehr als 30 Prozent der Wahlberechtigten gewählt.

Betrachtet man die letzten Landtagswahlen, dann wurde die SPD nur in Rheinland-Pfalz und in Schleswig-Holstein von mehr als 25 Prozent der Wahlberechtigten gewählt. In Baden-Württemberg und Bayern gaben nur noch 13 bzw. 11 von 100 Wahlberechtigten der SPD ihre Stimme. Und in Sachsen-Anhalt, Thüringen und Sachsen wählten sogar weniger als 10 Prozent der Wahlberechtigten SPD.

Bei allen Landtagswahlen vor oder nach 2005 konnte die SPD zudem deutlich weniger Wähler mobilisieren als bei der Bundestagswahl 2005. Am besten konnte die SPD ihre potentiellen Anhänger noch in Rheinland-Pfalz zum Gang zur Wahlurne bewegen. In Thüringen und Sachsen wählte hingegen nur ein Drittel der der SPD im September 2005 verbliebenen Wähler bei der Landtagswahl wieder die SPD.

SPD-Wählersubstanz in den Bundesländern 1980 und 2005 (in Prozent der Wahlberechtigten)

Bundestagswahl Veränderung letzte Mobilisierungs1980 2005 (in %) Landtagswahl quote bei der % % 2005-1980 % Landtagswahl Bremen (Land) 45,7 31,9 -30 20,9 66 Hamburg 45,7 29,7 -35 20,7 70 Saarland 43,1 25,8 -40 16,7 65 Niedersachsen 41,6 33,8 -19 22,1 65 Hessen 41,4 27,4 -34 18,4 67 NRW 41,3 30,9 -25 23,1 75 Rheinland-Pfalz 38,0 26,7 -30 26,0 97 Schleswig-Holstein 41,2 29,8 -28 25,4 85 Baden-Württemberg 31,9 23,3 -27 13,3 57 Bayern 28,4 19,6 -31 11,0 56 alte Bundesländer insgesamt 37,6 27,2 -28
Berlin 26,1 17,5 67
Brandenburg 26,4 17,6 67 Sachsen-Anhalt 22,7 9,3 41 Mecklenburg-Vorp. 22,5 17,5 78 Thüringen 22,1 7,5 34 Sachsen 18,2 5,8 32
neue Bundesländer insgesamt (einschließlich Ost-Berlin) 22,2

Eine solche im Vergleich zu einer Bundestagswahl geringere Mobilisierung der potentiellen SPD-Wähler bei Landtagswahlen war in der Wahlgeschichte der Bundesrepublik nicht immer zu registrieren. An den Beispielen der Länder Hessen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen lässt sich zeigen, dass die SPD ihr Wählerpotential zwischen 1949 und 1969 sowohl bei Bundes- als auch bei Landtagswahlen weitgehend mobilisieren konnte. Bei einigen Landtagswahlen erhielt sie sogar mehr Stimmen als bei der jeweils vorausgegangenen Bundestagswahl.

SPD-Wähler (in % der Wahlberechtigten) bei Bundestags- und Landtagswahlen 1949 bis 1969 in Hessen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen

Hessen Niedersachsen Nordrhein-Westfalen % % % Bundestagswahl 1949 23,5 25,4 24,8 Landtagswahl zwischen 1949 und 1953 27,5 25,1 22,6 Bundestagswahl 1953 28,0 25,9 26,6 Landtagswahl zwischen 1953 und 1957 34,3 26,9 24,5 Bundestagswahl 1957 32,3 28,3 28,6 Landtagswahl zwischen 1957 und 1961 37,9 30,3 29,7 Bundestagswahl 1961 36,3 33,1 32,0 Landtagswahl zwischen 1961 und 1965 38,8 34,2 31,3 Bundestagswahl 1965 38,9 34,0 36,7 Landtagswahl zwischen 1965 und 1969 40,7 32,3 37,4 Bundestagswahl 1969 41,8 37,8 40,3

Nach 1983, nach dem Sturz von Helmut Schmidt im Oktober 1982, aber konnte die SPD – obwohl im Bundestag wieder wie schon vor 1966 in der Opposition – ihr Wählerpotential bei Landtagswahlen nicht mehr wie in der Adenauer- und Erhard-Ära voll mobilisieren. Die Mobilisierungsdefizite wurden dabei im Laufe der 1990er Jahre immer größer[3]. So wählten bei den Landtagswahlen zwischen 1983 und 1987 bundesweit noch 31,1 Prozent aller Wahlberechtigten die SPD. Dieser Anteil sank von 29,2 Prozent zwischen 1987 und 1990 und 24,3 zwischen 1990 und 1994 auf 23,8 Prozent zwischen 1994 und 1998. Im Durchschnitt verlor die SPD innerhalb eines Jahrzehnts und schon vor dem Regierungswechsel 1998 auf der Ebene der Landespolitik fast ein Viertel ihrer Wähler.

Dieser Negativ-Trend bei Landtagswahlen setzte sich auch nach dem Regierungswechsel 1998 fort: Zwischen 1998 und 2002 kam die SPD nur noch auf 22,5 Prozent und zwischen 2002 und 2005 auf 17,7 Prozent (bezogen auf alle Wahlberechtigten). In den sechs Ländern, in denen nach 2005 Landtagswahlen stattfanden, sank der Anteil nochmals auf 16,2 Prozent.

Bei Bundestagswahlen hingegen erhielt die SPD – anders als in den 1950er und 1960er Jahren – mehr Stimmen als bei den nachfolgenden Landtagswahlen.

SPD-Wähler bei Bundestags- und Landtagswahlen seit 1983 (in Prozent der Wahlberechtigten)

% Bundestagswahl 1983 33,7
Landtagswahlen zwischen 1983 und 1987 31,1
Bundestagswahl 1987 30,9
Landtagswahlen zwischen 1987 und 1990 29,2
Bundestagswahl 1990 25,7
Landtagswahlen zwischen 1990 und 1994 24,3
Bundestagswahl 1994 28,4
Landtagswahlen zwischen 1994 und 1998 23.8
Bundestagswahl 1998 33,2
Landtagswahlen zwischen 1998 und 2002 22,5
Bundestagswahl 2002 30,1
Landtagswahlen zwischen 2002 und 2005 17,7
Bundestagswahl 2005 26,2
Landtagswahlen nach 2005*) 16,2
*) Wahlen in sechs Ländern (Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern, Berlin und Bremen)

Diese gegenläufigen Tendenzen der Entwicklung des SPD-Wählerpotentials auf Bundes- und Landesebene zeigen sich – wie die nachfolgende Übersicht zeigt – durchgängig in allen Bundesländern. Lediglich in Mecklenburg-Vorpommern konnte die SPD bei der letzten Landtagswahl 2006 etwas mehr Stimmen erzielen als bei der ersten Landtagswahl nach der Wiedervereinigung. In allen anderen Ländern verlor die SPD zwischen den Landtagswahlen Anfang der 1990er Jahre und denen nach 2002 zwischen 63 Prozent im Saarland und 23 Prozent in Schleswig-Holstein.

SPD-Anteile bei den Landtagswahlen zwischen 1991 und 1994 und zwischen 2003 und 2007 in den Bundesländern (in Prozent der Wahlberechtigten)

Landtagswahlen zwischen 1991 und 1994 2003 und 2007 % % Veränderungsraten ( in %) alte Bundesländer: Saarland Bremen (Land)*) Nordrhein-Westfalen 44,8 37,9 35,6 16,7 20,9 23,1 —
62,7 44,9 35,1 Schleswig-Holstein 32,9 25,4 -22,8 Niedersachsen 32,7 22,1 -32,4 Rheinland-Pfalz 32,5 26,0 -20,0 Hamburg 31,1 20,7 -33,4 Hessen 28,4 18,4 -35,2 Baden-Württemberg 20,3 13,3 -34,5 Bayern 16,8 11,1 -33,9 Berlin 24,3 17,5 -28,0 neue Bundesländer: Brandenburg 24,9 17,6 -29,3 Mecklenburg-Vorp. 16,9 17,5 + 3,6 Sachsen-Anhalt 16,4 9,3 -43,3 Thüringen 15,9 7,5 -52,8 Sachsen 13,5 5,8 -57,0
*) Bürgerschaftswahl 1987

Noch krasser sind die Rückgänge der SPD-Wählersubstanz auf kommunaler Ebene. Dabei war die lokale Verankerung der SPD in den Städten und Gemeinden eine der wesentlichen Voraussetzungen dafür, dass die SPD letztendlich auch auf Bundesebene regierungsfähig wurde. Der stetige Zuwachs der SPD zwischen den Bundestagswahlen in den 1950er und 1960er Jahren ist ganz wesentlich – wie die nachfolgende Übersicht am Beispiel des Landes Nordrhein-Westfalen zeigt – auf einen lokalen Vertrauensschub zurückzuführen. Durch eine an den Bedürfnissen der Bürger orientierte Kommunalpolitik gewann die SPD vor Ort Vertrauen, das dann auch auf die Ebene der „großen“ Politik übertragen werden konnte.

SPD-Anteile bei Bundestags- und Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen 1949 bis 1965 (in Prozent der Wahlberechtigten)

%
Bundestagswahl 1949 24,8
Kommunalwahl 1952 26,4
Bundestagswahl 1953 26,6
Kommunalwahl 1956 33,1
Bundestagswahl 1957 28,6
Kommunalwahl 1961 31,2
Bundestagswahl 1961 32,0
Kommunalwahl 1964 34,8
Bundestagswahl 1965 36,7

Bei den Kommunalwahlen Mitte der 1960er Jahre erhielt die SPD zwischen 34 Prozent (in Düsseldorf) und 55 Prozent (in West-Berlin) – jeweils bezogen auf alle Wahlberechtigten. Bei den letzten Kommunalwahlen zwischen 2004 und 2007 wurde die SPD nur noch in drei Städten (Dortmund, Bremen und Hamburg) von etwas mehr als 20 Prozent aller Wahlberechtigten gewählt. Ansonsten wählten bei Kommunalwahlen nur noch weniger als 20 von 100 Wahlberechtigten die SPD. In Frankfurt/Main lag der Anteil 2006 sogar unter 10 Prozent!

In den großen Metropolen verlor die SPD auf kommunaler Ebene mindestens die Hälfte ihrer einmal vorhandenen Wählersubstanz. Die größten Verluste gab es in Köln (-60 %), Berlin (-66 %) und Frankfurt/Main(-74 %).

SPD-Wähleranteil in Großstädten                                                     SPD-Anteil bei Kommunalwahlen (in Prozent der Wahlberechtigten)

Mitte der 2004 bis 2007 Veränderung 1960er Jahre % % (in % ) Berlin (West) 55,0 18,8 -66 Dortmund 44,5 20,6 -54 Bremen*) 41,2 20,7 -50 Hamburg 40,6 20,9 -49 Hannover 39,2 17,3 -56 Duisburg 39,1 17,8 -55 Essen 38,9 16,6 -57 Köln 36,9 14,8 -60 Frankfurt/Main 35,4 9,3 -74 Düsseldorf 34,3 15,9 -54                                                                 *) Bremen und Bremerhaven

Diese Daten machen eindrucksvoll klar, wie groß die Vertrauensverluste der SPD auf allen Ebenen der Politik sind und wie tief deshalb die Krise der SPD ist. Selbst 1957, als die Union mit Adenauer zum ersten und einzigen Mal bei einer Bundestagswahl die absolute Mehrheit der Stimmen erzielen konnte, gab es in der Republik eine ausgeglichenere Machtbalance als heute. Mit Ausnahme von Stuttgart und Essen gab es in allen Großstädten mit mehr als 500.000 Einwohnern SPD-Oberbürgermeister. Und in mehr Flächenstaaten als 2007 gab es SPD-Ministerpräsidenten: Wilhelm Hoegner war von 1954 bis 1957 in Bayern und Fritz Steinhoff von 1956 bis 1958 in Nordrhein-Westfalen Ministerpräsident. In Hessen war Georg-August Zinn seit 1951 Ministerpräsident und in Niedersachsen übernahm Hinrich-Wilhelm Kopf 1959 das Amt des Ministerpräsidenten von Heinrich Hellwege von der Deutschen Partei.

Die Teilhabe an der Regierung der Großen Koalition bringt der SPD bislang – anders als während der ersten Großen Koalition zwischen 1966 und 1969 – auch kein neues Vertrauen. 1966 ging die SPD als unverbrauchte politische Kraft mit politischen Schwergewichten das Bündnis mit der Union ein. Das strategische Ziel der SPD 1966 war, die zuvor schon auf lokaler und Länderebene bewiesene Regierungsfähigkeit nunmehr auch auf nationaler Ebene zu demonstrieren und die Chance für einen Machtwechsel nach langen Jahren unumschränkter Herrschaft der CDU/CSU vorzubereiten.
2005 aber ging die SPD nach sieben Jahren rot-grüner Koalition als verbrauchte Kraft das Bündnis mit der Union ein. Die Kabinettsmitglieder sind anders als 1966 keine politischen Schwergewichte mehr, sondern im besten Fall solide Machttechnokraten. Und anders als 1966 vermittelt die Regierungsbeteiligung keine Aufbruchstimmung, sondern eher ein Bild der Ermattung und des bloßen Beharrungsvermögens. Nach drei Jahren Großer Koalition wurden der SPD 1969 bundesweit größere Sympathien und weniger Vorurteile entgegengebracht als zuvor. Nach zwei Jahren Großer Koalition ist zum Jahresende 2007/2008 eher das Gegenteil der Fall.

4. Ursachen für die Krise der SPD

Der Wählerschwund der SPD wird innerhalb der Partei oft mit dem Hinweis darauf abgetan, dass schließlich auch andere Großorganisationen (wie Gewerkschaften, Kirchen oder Verbände) an Vertrauen verloren haben. Außerdem erfolgten unter den Rahmenbedingungen der Globalisierung soziale Wandlungsprozesse abrupter als früher. Und schließlich seien auch in anderen Ländern Sozialdemokraten heute schwächer als ehedem.

Mit diesen Hinweisen verdrängt die SPD aber eine spezifische Ursache für die Probleme der Sozialdemokratie in Deutschland, die im Nachfolgenden näher dargelegt werden soll. Neben allen anderen Ursachen dürfte ein Grund für die SPD-Krise ein konstitutives Merkmal der deutschen Sozialdemokratie sein, nämlich – wie es der Nestor der empirischen Sozialforschung im Nachkriegsdeutschland, René König, einmal treffend beschrieben hat – der Hang sich in „Grundsatzdiskussionen (und damit – bis heute – meist in der Luft)“ zu bewegen und so die „Beziehungen zur historischen Wirklichkeit und zur Empirie“ zu verlieren. Das war in anderen Ländern nicht der Fall, etwa beim Austromarxismus, der im Wien der Zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts anders als die deutschen Sozialdemokraten „so unglaublich fruchtbar, ja genial und zukunftsweisend war“[4].

Dabei war schon das erste gemeinsame Programm der beiden Ursprungsbewegungen der SPD (der „Allgemeine Deutsche Arbeiterverein“ von Ferdinand Lassalle und die „Sozialdemokratische Arbeiterpartei“ von Wilhelm Liebknecht und August Bebel), das auf dem Gothaer Vereinigungsparteitag 1875 vorgelegte Gothaer Programm, durch realitätsferne Komponenten gekennzeichnet. Karl Marx veranlasste das zu seiner Mahnung an die deutsche Sozialdemokratie: „Jeder Schritt wirklicher Bewegung ist wichtiger als ein Dutzend Programme“[5]. Typisch für die deutsche Sozialdemokratie war allerdings auch schon in ihrer Frühzeit, dass Kritik nicht gerne gehört, sondern verdrängt oder denunziert wurde. Die Marxsche Kritik des Gothaer Programms wurde denn auch erst 1891, 15 Jahre nach dem Gothaer Parteitag, in einer entschärften Version von Engels veröffentlicht.

4.1 Das Versagen der SPD in der Weimarer Republik
Fatale Folgen hatte dann die gering ausgebildete Fähigkeit der SPD, auf Dauer praktische Macht ausüben zu können und zu wollen, in der Weimarer Republik. Der erste Versuch, die Demokratie in Deutschland zu etablieren, ist nicht zuletzt an diesem Mangel der SPD gescheitert. So stürzte das letzte in der Weimarer Republik parlamentarisch zu Stande gekommene Kabinett unter dem sozialdemokratischen Kanzler Hermann Müller über eine – wie es Dan Dinner formulierte – „Lappalie“[6]. Von den 20 Reichsregierungen während der Weimarer Republik war die 1928 gebildete Regierung Müller die mit der längsten Amtsdauer (637 Tage). (Die Regierung mit der kürzesten Dauer war die 1923 von Gustav Stresemann gebildete mit 48 Tagen).

Das Kabinett Müller stürzte am 27. März 1930, weil die gewerkschaftlichen Interessen verpflichtete Mehrheit der SPD-Reichstagsfraktion ihrer Regierung die Gefolgschaft verweigerte: Es ging dabei um die Erhöhung des Beitrages zur Arbeitslosenversicherung von einem Viertel Prozentpunkt – insgesamt ein Betrag von etwa 70 Mio. Mark[7]. Diese starre Haltung der SPD-Reichstagsfraktion, für dessen Gewerkschaftsflügel die „Errungenschaften für die Sozialdemokratie … vor der erfolgreichen Verteidigung der Republik rangierten“[8], führte zu den nachfolgenden Präsidialkabinetten und brachte „die Wende von der parlamentarischen Republik hin zu einem zunehmend autoritären Regime“.[9]

Den Todesstoß erhielt die Weimarer Republik dann am 20. Juli 1932, als das letzte demokratische Bollwerk des Reiches, der Freistaat Preußen mit seinen 85.000 Polizisten durch einen Staatsstreich quasi aufgelöst und unter Reichskuratel gestellt wurde. Die demokratisch gewählte preußische Staatsregierung wurde ihres Amtes enthoben und Reichskanzler Franz von Papen vom Reichspräsidenten Paul von Hindenburg zum Reichskommissar in Preußen ernannt. Mit der Zerschlagung des demokratischen Preußens durch das Bündnis zwischen dem militaristisch-obrigkeitsstaatlichen Adel und der NSDAP (unter den preußischen Offizieren des 20. Juli 1944 zählten nicht wenige am 20. Juli 1932 zu diesem Bündnis) war der Weg für die Machtergreifung der Nazis am 30. Januar 1933 geebnet. Die SPD-Führung konnte sich 1932 nicht zu einer Abwehr des Staatsstreichs und zum Einsatz der demokratischen Polizeikräfte Preußens entscheiden. Lediglich der Berliner Polizeipräsident Albert Grzesinski, der sich schon vorher vergeblich für die Abschiebung Hitlers als unerwünschter Ausländer stark gemacht hatte, wollte Widerstand leisten.[10]

Über die Schwäche der SPD, die sich lediglich dazu durchringen konnte, eine Klage beim Staatsgerichtshof einzureichen, frohlockte Joseph Goebbels leider recht zutreffend: „Die Roten haben ihre große Stunde verpasst. Die kommt nie wieder“[11].

4.2 Die SPD nach 1945
Die Geschichte der SPD ist auch nach 1945 über weite Strecken durch den Hang zu ideologischen Grundsatzdebatten und dem daraus resultierenden Gegensatz zwischen den Interessen der Funktionärskader und denen der Wählermassen überlagert.

So versuchte die SPD nach 1945 zunächst, an ihre tradierten Strukturen vor 1933 anzuknüpfen. Im Vordergrund stand dabei die Wiederbelebung des integralen Charakters einer Partei, die ihre Mitglieder von der Wiege bis zur Bahre mit eigenen Angeboten (zu denen auch ein Imperium eigener Medien gehörte) versorgen wollte. Die Interessen der potentiellen Wähler waren zunächst nicht vorrangig – zumal die SPD-Führung vor 1949 fest daran glaubte, dass sie aufgrund ihrer langen Tradition und ihrer Leidenszeit während des Nazi-Regimes vom Volk als die moralische Führungskraft im neuen Deutschland akzeptiert würde.

Erst nach dem für die SPD wenig zufrieden stellenden Ergebnis der ersten Bundestagswahl 1949 und den verheerenden Wahlniederlagen 1953 und 1957 zog die SPD die erforderlichen Konsequenzen, um das Vertrauen der Wähler auch auf der zentralen Politikebene zu gewinnen. Vor Ort hatten pragmatisch an der Realität und den Bedürfnissen der Menschen orientierte Repräsentanten der SPD (siehe die o. a. Ergebnisse der lokalen Wahlen in den 50er und 60er Jahren) bereits Vertrauen gewonnen; doch auf Bundesebene galt die SPD weiterhin als nicht regierungsfähig. Erst nachdem sich die SPD mit dem Godesberger Programm des alten ideologischen Ballasts entledigt hatte, sich mit infas auch ein Institut zulegte, mit dessen Hilfe man sich – wie die CDU mit dem Institut für Demoskopie in Allensbach seit 1950 – Zugang zu wahlsoziologischen Erkenntnissen verschaffen wollte, und nachdem an Stelle des glücklosen Erich Ollenhauer Willy Brandt zum Kanzlerkandidaten gemachte wurde, waren die Voraussetzungen erfüllt, auch auf Bundesebene von den Bürgern als verlässliche politische Kraft akzeptiert zu werden. Nach Bildung der Großen Koalition, als die SPD zwischen 1966 und 1969 beweisen konnte, dass sie auch auf Bundesebene regierungsfähig war, konnte es 1969, 20 Jahre nach Gründung der Bundesrepublik, zu dem lange ersehnten Machtwechsel kommen. Durch das von Karl Schiller verkörperte Motto der 69er Wahl („Wir schaffen das moderne Deutschland“), gelang es der SPD, neben den alten Arbeitereliten („Genosse Trend“) neue Wählerschichten aus dem bürgerlichen Wählerlager auch auf Bundesebene („Bürger Trend“) für sich zu gewinnen.

Doch durch die vielen, nach 1969 und nach dem von Willy Brandt verkündeten Ziel „Mehr Demokratie wagen“ in die Partei strömenden, bis dahin der SPD eher fernstehenden Mitglieder, vornehmlich aus bürgerlichen Mittelschichten, wurde die SPD wieder re-ideologisiert. Der Hang dieser neuen, „überbildeten“ Mitglieder zu ideologischen Kämpfen ohne Rücksicht auf die gesellschaftliche Realität führte so zu einer von den Wählern der Partei nicht gewollten Radikalisierung. Schon 1974, noch nicht einmal zwei Jahre nach dem triumphalen Erfolg der SPD bei der Wahl 1972, war ein Großteil des mühsam erworbenen neuen Vertrauens bei vielen Mitte-Wählern verspielt. Nach diesem bis dahin beispiellosen Vertrauenseinbruch musste Willy Brandt nicht nur wegen der Guillaume-Affäre, sondern auch wegen seiner Führungsschwäche („Willy Wolke“) und des dramatischen Sympathierückgangs für die SPD 1974 zurücktreten. Helmut Schmidt konnte dann diesen Vertrauensverlust auf Bundesebene kompensieren, so dass die SPD 1976 und 1980 weiter regierungsfähig blieb.

Doch auf lokaler Ebene, wo die radikalen Mitglieder Schritt für Schritt die Mehrheit in den Parteigliederungen erkämpften und die bis dahin bürgerfreundliche Kommunalpolitik zu einem Vehikel zur Umgestaltung der Gesellschaft schlechthin umfunktionierten, ging das Vertrauen zur SPD vor Ort trotz der großen Beliebtheit von Helmut Schmidt drastisch zurück. In der alten Hochburg Frankfurt wurde die SPD z.B. schon 1977 wegen dieser Radikalisierung aus dem Römer gejagt. Der völlig unbekannte CDU-Abgeordnete Walter Wallmann konnte so Oberbürgermeister in Frankfurt werden. Ein Vergleich der Ergebnisse der Bundestagswahlen 1976 und 1980 mit denen der hessischen Kommunalwahlen 1977 und 1981 zeigt denn auch, dass die „Schmidt-SPD“ 1976 und 1980 in Hessen mehr als 1.6 Mio. Stimmen erhielt. Bei den ein halbes Jahr später stattfindenden Kommunalwahlen erhielt die SPD 1977 350.000 und 1981 fast 470.000 Stimmen weniger. Die SPD vor Ort war also bei den Wählern weniger wert als die Schmidt-SPD. Doch die neuen Funktionärs- und Führungskader der SPD sahen dies anders und gaben Helmut Schmidt wegen angeblich zu geringer Sensibilität für die „neuen sozialen Bewegungen“ und nicht sich selbst die Schuld an den Niederlagen.

Statt sich wie Schmidt der schwieriger gewordenen Regierungsarbeit in der Ökonomie und Außen- und Sicherheitspolitik zu verpflichten, trieb man vor Ort eher unverbindliche Spielereien wie die Einrichtung von „atomwaffenfreien Zonen“ oder drangsalierte die Bürger mit immer neuen verkehrspolitischen Modetorheiten. Schmidts Sturz nahmen weite Teile der SPD – und auch ihr Vorsitzender Willy Brandt – nicht nur klaglos, sondern weithin mit unverhohlener Freude hin.

Danach konnte die SPD 16 Jahre in ideologischen Trutzburgen ohne Rücksicht auf die gesellschaftliche Realität verharren. Trotz der geringen Sympathien, die Helmut Kohl bei der Masse der Wähler während seiner Amtszeit besaß, konnte die SPD durch ihre Realitätsverweigerung keine Wahlen mehr gewinnen. Zudem bot sie personelle Alternativen – wie Lafontaine 1990 oder Scharping 1994 – an, die nach Einschätzung der Wähler weder sonderlich kompetent waren noch Sympathien besaßen. Und als mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion die Chance bestand, Entwürfe für eine gesamtdeutsche Gesellschaft nach sozialdemokratischen Vorstellungen zu entwickeln, beschäftigte sich die SPD wieder einmal lieber mit Programmarbeit. Dabei war das Berliner Programm ein Sammelsurium von Anpassungen an den Zeitgeist, aber keine in die Zukunft weisender Gesellschaftsentwurf. Wolfgang Bok hat das in seiner Analyse der Entstehung des Berliner Programms treffend beschrieben[12].

Für die Bürger wählbar wurde die SPD erst wieder 1998, als sich mit Gerhard Schröder ein Kandidat mit Hilfe der Wähler gegen die Lafontaine-Anhänger im Parteiapparat durchsetzte, von dem die Menschen die notwendige Erneuerung und Modernisierung, die Kohl während seiner Amtszeit versäumt hatte, erhofften.

Doch bald zeigte sich, dass weite Teile der SPD Schröders Erneuerungskurs – erst recht nicht nach der Bündelung in der Agenda 2010 – nicht folgen wollten. Der Fronarbeit, das Land nach 16jähriger Lethargie durch Kohl wieder zukunftsfähig zu machen, wollten sich viele nicht unterziehen. Wieder einmal in ihrer langen Geschichte entzog sich die SPD der Verantwortung, die Wirklichkeit zu gestalten. Schröders Sturz 2005 war die von vielen in der SPD gewollte und hingenommene Folge.

5. Die Zukunft der SPD

Sieht man die Zukunft der SPD nicht nur unter kurzfristigen wahltaktischen Aspekten, sondern unter dem Aspekt, ob sie langfristig wieder ihre alte Rolle als die Gesellschaft gestaltende Volkspartei finden kann, dann bleibt die weitere Entwicklung der SPD ungewiss. Mit dem vom derzeitigen SPD-Vorsitzenden Kurt Beck eingeschlagenen Kurs, der in erster Linie die Dogmen der Funktionäre bedient und – trotz seiner (allerdings falschen) Einschätzung, „nahe bei den Menschen“ zu sein – die Interessen der Menschen außer acht lässt, wird die SPD weiter Verrauen verlieren. Wenn die SPD, so wie jetzt unter Beck, eher Politik für unzufriedene Randgruppen und nicht für die Mehrheit der Menschen formuliert, wird die SPD – wie in einigen Regionen schon geschehen – zur Sekte verkümmern.

Will die SPD dies verhindern, muss sie sich ihrer gesamtgesellschaftlichen Verantwortung bewusst werden und ihrem ungezügelten Hang zu programmatischen Grundsatzdiskussionen abschwören.

[1] forsa befragt im Auftrag von RTL und STERN seit 1992 täglich von Montag bis Freitag jeweils 500 repräsentativ ausgewählte Wahlbürger, pro Woche also 2.500.

[2] Klaus-Peter Schöppner, Deutschland ruckt! Nach links!, in: trend-Zeitschrift für soziale Marktwirtschaft, Nr. 113, IV. Quartal 2007, S. 15-17.

[3] Die Darstellung folgt im Wesentlichen Manfred Güllner, „Auf dem Weg zur ‚schwarzen Republik‘? Wählermobilisierung von SPD und CDU/CSU in den letzten Jahrzehnten“, in: Manfred Güllner, Hermann Dülmer, Markus Klein, Dieter Ohr et. al., „Die Bundestagswahl 2002. Eine Untersuchung in Zeichen hoher politischer Dynamik“, Wiesbaden 2005, S. 211 bis 223.

[4] René König, In memoriam Paul F. Lazarsfeld, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 28. Jahrgang 1976, Heft 4, S. 794 ff.

[5] Karl Marx, Brief an Bracke vom 5. Mai 1875, in Karl Marx und Friedrich Engels, Ausgewählte Schriften Bd. II, Berlin 1960, S. 9.

[6] Dan Diner, Das Jahrhundert verstehen. Eine Universalhistorische Deutung, München 1999, S. 135 ff.

[7] s. Dan Diner, a.a.O., S. 138 ff.

[8] Dan Diner, a.a.O., S. 141.

[9] a.a.O., S. 138.

[10] Vgl. über die Vorgänge am 20. Juli 1932: Heidrun Holzbach-Linsenmaier, „Ich weiche nur der Gewalt“, in: Tagesspiegel vom 26. Juli 1992, sowie Albert C. Grzesinski, Inside Germany, New York 1939.

[11] zitiert nach Tagesspiegel vom 26. Juli 1992, a.a.O. 12 Wolfgang Bok, Zeitgeist-Genossen. Das Berliner Programm der SPD von 1989 – Motive, Ziele, Folgen -, Frankfurt am Main 1995.

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