Publikationen / vorgänge / vorgänge Nr. 181: Achtundsechzig

Die Grenzen des Wachstums und die Systemfrage

Die studentische Linke war nicht grün,

aus: vorgänge Nr. 181, Heft 1/2008, S. 54-62

Umweltschutz, Ökologie und Nachhaltigkeit gelten spätestens seit Gründung der Grünen Partei im Januar 1980 als von links besetzte Themen. Die Grünen selbst entstanden aus verschiedenen Strömungen der Neuen Sozialen Bewegungen und bündelten Kräfte der Umwelt-, Frauen- und Friedensbewegung. Viele Aktivisten und Gruppen der Neuen Sozialen Bewegungen haben ihre Wurzeln in den Studentenprotesten und Ereignissen der Jahre um 1968. So liegt es nahe, einen direkten Bogen von den für Ho Chi Min und gegen den Vietnam-Krieg protestierenden Studenten bis hin zu Protesten gegen AKWs und den ersten Wahlerfolgen der Grünen gegen Ende der 1970er Jahre zu schlagen.

Doch wie stand die Neue Linke um und nach 1968 zum Umwelt- und Naturschutz? Gelang es überhaupt, diese erst seit Ende der 1960er Jahre aufkommenden Themen in das eigene Weltbild und die eigenen Interpretationsmuster zu integrieren und wenn ja, wie? Anschaulich lässt sich eine Umweltdebatte in linken Kreisen anhand der Diskussion um den Club of Rome und die Studie Die Grenzen des Wachstums von 1972 nachzeichnen (Hahn 2006).

Eine Bombe im Taschenbuchformat: Die Grenzen des Wachstums

Die frühen 1970er Jahre bezeichnen einen Wendepunkt der deutschen Umweltgeschichte: Immer mehr Artikel in verschiedenen Medien berichteten über Luft- und Wasserverschmutzung; zahlreiche Bürgerinitiativen prangerten Umweltprobleme an, und auch die sozial-liberale Bundesregierung unter Kanzler Willy Brandt entdeckte den Umweltschutz. Es war besonders die FDP, die unter dem damaligen Innenminister Hans-Dietrich Genscher den Begriff „Umweltschutz“ vom englischen „environmental protection“ ins Deutsche übertrug, um sich durch dieses neue Politikfeld ein schärferes Profil zu verleihen (Hünemörder 2004). 1971 verabschiedete die Koalition ein „Sofortprogramm der Bundesregierung für den Umweltschutz“.

Im Frühjahr 1972 platzte in Deutschland eine „Bombe im Taschenbuchformat“, wie Die Zeit vom 19. März 1972 titelte: Die knapp 200 Seiten starke Studie Die Grenzen des Wachstums, erstellt am MIT im Auftrag des Club of Rome, sorgte mit apokalyptischen Thesen zu Umweltschutz und Wirtschaftswachstum für eine breite gesellschaftliche Debatte. Ein Team von jungen Wissenschaftlern um den Systemanalytiker Dennis Meadows errechnete mit Hilfe von damals hochmodernen Computern und den ihnen zugänglichen weltweiten Bevölkerungsdaten den Weg in den Weltuntergang: „Wenn die gegenwärtige Zunahme der Weltbevölkerung, der Industrialisierung, der Umweltverschmutzung, der Nahrungsmittelproduktion und der Ausbeutung von natürlichen Rohstoffen unverändert anhält, werden die absoluten Wachstumsgrenzen der Erde im Laufe des nächsten Jahrhunderts erreicht. Mit großer Wahrscheinlichkeit führt dies zu einem ziemlich raschen und nicht aufhaltbaren Absinken der Bevölkerungszahl und der industriellen Kapazität“ (Meadows 1972). Einen Ausweg aus der Krise legte Meadows ebenfalls dar: Wenn es gelänge, rasch ein Gleichgewicht zwischen Ökologie und Ökonomie herzustellen, könnte die materielle Lebensgrundlage für jeden Menschen auf der Erde sichergestellt werden. Der Wissenschaftler sah in der Studie einen Denkanstoß für eine „riesige Aufgabe […] den Übergang vom Wachstum zum Gleichgewicht“ (Meadows 1972).

Hinter der Studie stand der Club of Rome, ein internationaler Zusammenschluss von Wissenschaftlern und Intellektuellen. Der italienische Industrielle Aurelio Peccei (19081984) gründete den Club 1968 in der italienischen Hauptstadt mit dem Ziel, die politischen Entscheidungsträger weltweit zur Reflexion über globale Bedrohungen der Menschheit durch Umweltzerstörung, Bevölkerungswachstum und Rohstoffverbrauch anzuregen. Geschichte und Hintergründe des Clubs selbst blieben weitgehend unbekannt; dennoch verkörperte der Club of Rome für viele Zeitgenossen ein „moralischwissenschaftliche[s Weltgewissen“ (Brüggemeier 1998).

Die zeitgenössische Literatur über die Grenzen des Wachstums würde „ganze Bibliotheken füllen“ (Hahn 2006). Einen Höhepunkt erreichte die Debatte in der Bundesrepublik im Oktober 1973: Der Verband des Deutschen Buchhandels verlieh dem Club of Rome in der Frankfurter Paulskirche den Friedenspreis für „den Mut und die geistige Energie zum Entwurf einer lebenswerten Zukunft“ (Börsenverein des Deutschen Buchhandels 1973). Demonstrationen linker Gruppen gegen den Club of Rome begleiteten die Übergabe. Wie lassen sich die Proteste gegen den Club of Rome und die Grenzen des Wachstums erklären, wenn doch aus heutiger Sicht Umweltschutz und Ökologie von Linken besetzte Themen sind?

Fehler im System: Umwelt­dis­kus­si­onen in linken Publi­ka­ti­onen

Die Umweltdiskussion in den Medien und die umweltpolitischen Ambitionen der sozial-liberalen Koalition verkörperten für viele linke Kommentatoren nichts anderes als eine Alibi-Funktion. Umweltschutz sei ein weiteres Feigenblatt, das von den „tieferliegenden Widersprüchen der Gesellschaft“ (Kade 1971) ablenken sollte. Die Umweltdebatte bleibe an der Oberfläche, da es so nicht gelinge, die Wurzel zu bekämpfen: die kapitalistische Produktionsweise. Ziel sei es, das System zu stabilisieren und zu konservieren.

Umfang und Ausmaß der Umweltdiskussion beruhte nach Meinung vieler Kommentatoren auf Einfluss und Macht der Massenmedien. Aus einem „eingrenzbaren objektiven Systemproblem [ist] […] eine öffentliche Meinungswelle geworden, [die] das Krisenausmaß pauschal übertrieben hat und […] erheblich überhöhte Reformforderungen erhebt“ (Ronge 1972). Da das Umweltprogramm der Bundesregierung besonders auf Grenzwerte und das Verursacherprinzip setzte, bestand für viele Kommentatoren ein Zusammenhang zwischen den Interessen des Großkapitals auf der einen und den Massenmedien auf der anderen Seite. Dass sich die Artikel über Umweltphänomene häuften, galt als „Argument für das Bestehen einer Störung“ (Ronge 1972) im kapitalistischen System. Die politischen Maßnahmen zum Umweltschutz seien nichts anderes als Krisenmanagement, da die Umweltkrise an sich auf „strukturelle Gesetzmäßigkeiten kapitalistischer Produktionsweise“ zurückzuführen sei. Die Krise könne, so die Blätter für deutsche und Internationale Politik 1972, nur verschoben, nicht aber verhindert werden.

Dass Umweltverschmutzung ein Problem aller gesellschaftlichen Systeme darstellte, wie Hans-Dietrich Genscher 1971 betonte (Genscher 1971), stieß bei Kommentatoren wie Kade und Ronge auf wenig Gegenliebe. Luft-, Boden- und Wasserverschmutzung in der DDR und anderen sozialistischen Ländern stellte Kade in den Blätter für deutsche und internationale Politik nicht in Abrede – allerdings sei dies noch keine „Garantie für die Gleichheit der Ursachen“ (Kade 1972). Der Verweis auf die Ostblockstaaten sei nichts anderes als eine „billig, auf wissenschaftlich aufgeputzte Abschirmungstaktik“, um „von den eigenen Widersprüchen“ abzulenken. Ein Blick nach Osten führte außerdem dazu, dass die Diskussion über Umweltschäden im Westen oberflächlich blieb und nicht zu einer historisch fundierten Kapitalismus-Kritik wurde. Vielmehr diene der Systemvergleich dazu, das „dominierende[…] Lenkungskonzept des staatsmonopolistischen Kapitalismus ‚Sozialisierung der Kosten – Privatisierung der Profite’“ (Kade 1972) zu tarnen. Schäden in Luft, Wasser und Boden, wie sie auch in den Planwirtschaften sozialistischer Länder auftraten, seien nichts anderes als ein Erbe der kapitalistischen Produktionsweise aus Zeiten vor der Revolution.

Die Linke ging Umweltschutz und Umweltverschmutzung weiter auf einer rein theoretischen Ebene an; sie habe sich der Umweltthematik „hauptsächlich mit den Mitteln der Ideologiekritik“ (Enzensberger 1973) genähert, wie Hans-Magnus Enzensberger in der 1973 erschienenen Ausgabe des Kursbuchs schrieb. Enzensberger rechnete in dem Artikel „Kritik der politischen Ökologie“ mit der bisherigen Debatte ab. So helfe es wenig, die Vorgeschichte der Luftverschmutzung im viktorianischen England mit Marx-und Engels-Zitaten zu referieren, wenn der Schadstoffgehalt der Luft oder des Rheins in der Gegenwart akut ansteige. Enzensberger kam zu dem Schluss, dass „Ideologiekritik, die sich über die Grenzen ihrer Wirkungsmöglichkeiten hinwegtäuscht […] selbst zur Ideologie“ werde. So ging Enzensberger nicht nur mit der „ökologischen Bewegung“ hart ins Gericht, indem er „das Denken der ökologischen Gruppen […] als trübes und begriffloses Durcheinander“ bezeichnete und in den Bürgerinitiativen zum großen Teil „Angehörige der Mittelklasse [und] des neuen Kleinbürgertums“ sah, sondern auch mit linken Kritikern und Wissenschaftlern wie Kade. Der Schriftsteller und Intellektuelle warnte nämlich eindringlich davor, dass der Marxismus zu einem „Abwehrmechanismus“ verkomme, der als „Talisman gegen die Ansprüche der Realität“ fungiere. In Anbetracht der Tatsache, dass wegen der ökologischen Krise die Zeit immer knapper werde, gelte es zu erkennen, dass sich „Katastrophen […] nicht mit Zitaten bekämpfen“ lassen.

Die „Kritik der politischen Ökologie“ trug dazu bei, die Umweltdebatte von orthodoxen und neomarxistischen Fesseln zu befreien (Hünemörder 2004). Enzensberger selbst sah sich in den Blättern für deutsche und internationale Politik harter Kritik ausgesetzt: Er habe sich „von einem hintergründigen politischen Schriftsteller zum vordergründig argumentierenden schriftstellernden Ökologen“ gewandelt. Es sei nun an der Zeit, „wichtige umwelt-theoretische Zusammenhangs-Begriffe so zu rekonstruieren, dass […] der Unterschied zwischen wissenschaftlichem und literarischem Marxismus einsichtig“ werde. Die Kritik gipfelte in dem Vorwurf, dass Enzensberger nicht Willens sei, „seine eigene Position marxistisch zu reflektieren“. Enzensberger selbst wisse nicht, „ob er als Literat, als Unternehmer oder als linker Theoretiker“ argumentieren solle (Krusewitz 1974). Gerade die Kritik an neomarxistischen Dogmen macht Enzensbergers Aufsatz zu einem wichtigen Dokument, an dem sich zwei weitere Elemente der Umweltdiskussion festmachen lassen: zum einen die Sicht vieler linker Zeitgenossen auf den Club of Rome und die Grenzen des Wachstums und zum anderen die Idee, dass die Volksrepublik China unter dem Vorsitzenden Mao einen Weg aus der Umweltkrise weisen könne.

Kapitalistische Weltuntergangspropheten:
Die Linke und der Club of Rome

Nach Erscheinen der Grenzen des Wachstums kamen auch die Blätter für deutsche und internationale Politik nicht umhin, sich mit den Thesen des Club of Rome auseinander zu setzen. Zu den produktivsten Autoren zum Thema Wirtschaftswachstum und Umweltschutz gehörte zweifelsohne Edgar Gärtner. Wie auch Kade und Ronge leugnete Gärtner nicht, dass es Umweltprobleme gab. In seinem 1973 in den Blätter für deutsche und internationale Politik erschienenen Aufsatz über Wachstumsdiskussion und Umweltkrise stellte er jedoch fest, dass zwar viel über den Zustand der Umwelt geschrieben werde, die Anzahl der Publikationen jedoch „im umgekehrten Verhältnis zur Einsicht in das Wesen der aufgetretenen Probleme und zu praktischen Maßnahmen, die deren Beseitigung dienen könnte“ (Gärtner 1973), stehe. Diesen Büchern, zu denen Gärtner neben den Grenzen des Wachstums auch Paul Ehrlichs Die Bevölkerungsbombe von 1968 zählte, sei gemeinsam, dass sie die gängigsten Umweltprobleme auf den globalen technischen Fortschritt und das daraus resultierende Bevölkerungswachstum zurückführten. Die Idee des Club of Rome, durch einen Wachstumsstopp zu einem Gleichgewicht zwischen Ökologie und Ökonomie zu gelangen, hatte laut Gärtner eine rein ideologische Funktion und sei praktisch so gut wie wertlos. Die Grenzen des Wachstums sollten eine Weltuntergangsstimmung verbreiten, um die Massen auf entbehrungsreiche Zeiten im Kampf gegen die Umweltverschmutzung vorzubereiten, denn die Kosten, die den Unternehmen durch das Verursacherprinzip entstünden, würden immer an die Endverbraucher weiter gegeben.

Den großen Erfolg der Grenzen des Wachstums führte Gärtner darauf zurück, dass Meadows und seine Kollegen eine Methode verwendeten, „die nur den Anschein erweckt, als arbeite man mit […] der Systemanalyse“ (Gärtner 1973). Die Grundlage des Meadow’schen Modells sei kein wirkliches statistisches Material, sondern vielmehr nur ein auf Annahmen basierendes Rechenbeispiel.

Die Blätter für deutsche und internationale Politik kritisierten außerdem, dass in Meadows Weltmodell kein Platz für gesellschaftliche Variablen sei. Die „Widersprüche zwischen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen […] [sowie] Klassen und Klassenkampf“ (Gärtner 1973a) tauchten im Modell des MIT gar nicht auf. Der Mensch an sich gelte – wie in vielen anderen Darstellungen zur Umweltkrise auch – nicht viel mehr als das „Krebsgeschwür eines ungezügelten Bevölkerungswachstums“ (Gärtner 1973b).

Eng verbunden mit der gesellschaftlichen Variable war nach Ansicht vieler linker Kritiker die Frage nach der Rolle des technischen Fortschritts und der „wissenschaftlich-technischen Revolution“ (WTR). Weltuntergangspropheten wie der Club of Rome seien geprägt durch eine „panische Angst vor der Technik“. Durch die WTR war es der Menschheit, so hielt Gärtner Meadows entgegen, bis jetzt immer gelungen, weltweite Probleme, wie z.B. Hunger, anzugehen und zu lösen. Durch Wissenschaft und Technik sei der Mensch in der Lage, die „Wachstumsgrenzen“ zu umgehen, denn technische und gesellschaftliche Entwicklungen hätten diese Grenzen jedes Mal nach vorne verschoben, so dass „es für den Menschen keine Wachstumsgrenzen gibt, [denn] seine Vervollkommnungsfähigkeit stützt sich […] auf seine sozialen Organe, die Produktivkräfte“ (Gärtner 1973a).

Autoren wie Kade und Gärtner untersuchten außerdem die Rolle des Club of Rome im kapitalistischen System insgesamt. Sie kamen zu dem Schluss, dass sich nach der Ölpreiskrise von 1973 die „internationale Krise des Kapitalismus“ in hohem Maße verschärft habe. Die Aufgabe der Grenzen des Wachstums und des Club of Rome lag nach Meinung der Blätter für deutsche und internationale Politik darin, eine allgemeine Katastrophenstimmung zu verbreiten. Diese Stimmung sei unabdingbare Grundlage für eine „möglichst reibungslose Umstrukturierung der Kapitalverwertung“.

Die vom Club of Rome geforderte Umwertung der Werte und der Aufbau einer Gleichgewichtsgesellschaft mit Nullwachstum stellten nach Meinung der Blätter für deutsche und internationale Politik nichts anderes als eine Neuauflage Malthusianischer Theorien dar. Der britische Geistliche Thomas Malthus (1766-1834) ging in seinem 1798 veröffentlichen Essay on the Principle of Population davon aus, dass die Bevölkerung und die Nahrungsmittelproduktion nicht in gleichem Maße steigen: Während die Zahl der Menschen exponentiell wachse, steige der Ertrag des Bodens nur linear. Um weiteres Bevölkerungswachstum zu vermeiden, empfahl Malthus vor allem sexuelle Enthaltsamkeit. Dementsprechend war es für Gärtner nur ein kleiner Schritt von Malthus zum Club of Rome: Die Grenzen des Wachstums seien in der Absicht geschrieben, „die Lohnabhängigen in den kapitalistischen Ländern einzustimmen auf den Abbau des Reallohns und [auf] Konsumverzicht“ (Gärtner 1973b). Ferner handele es sich bei den Grenzen des Wachstums um den Versuch, „mit sozialer Demagogie und einigen Zugeständnissen die Arbeiterklasse zum Stillhalten zu bringen, um die kapitalistische Krise auf kapitalistische Weise lösen zu können.“ So verwundert es Gärtner nicht, zwischen dem Club of Rome auf der einen und der Dritten Dimension – ein 1958 ins Leben gerufene Wissenschaftsprogramm – der NATO auf der anderen Seite eine Verbindung herstellen zu können, wie er an ähnlich lautenden Zitaten und ideologischer Übereinstimmung darzulegen glaubte.

Zwischen den Thesen des Club of Rome und herkömmlichen bürgerlichen Wirtschaftstheorien gab es laut den Blättern für deutsche und internationale Politik kaum Unterschiede, da alle „gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen bestimmte Wachstumsziele durchgesetzt werden müssen“, ähnlich seien. Gesellschaftliche Faktoren, unter denen bestimmte Wachstumsziele durchgesetzt worden seien, so die Blätter für deutsche und internationale Politik, würden nicht beachtet und müssten deshalb „in Konflikt mit der Realität geraten“ (Goldberg 1973).

Ein Vergleich mit den Artikeln von Ronge und Kade aus den Jahren 1971 und 1972 zeigt, dass auch der Club of Rome in den Blättern für deutsche und internationale Politik seine Spuren hinterließ: Hielt es Ronge noch 1972 für verfehlt, „an der Spitze der Umweltbewegung marschieren zu wollen“ (Ronge 1972), war laut Gärtner eine aktive Umweltdebatte gefordert, „um den ideologischen Strategien der herrschenden Klasse wirkungsvoll entgegentreten zu können und die Aktionseinheit im praktischen Kampf herzustellen“ (Gärtner 1973).

Blaue Flüsse im roten China:
Das chinesische Gegenmodell zum Club of Rome

Ein „umfassender Schutz der Natur ist nur im Sozialismus möglich“, konstatierten die Marxistischen Blätter im Herbst 1972. Dies galt sowohl für die Länder des Ostblocks als auch besonders für die maoistische Volksrepublik China. Diese Faszination beschränkte sich keinesfalls auf eingefleischte Marxisten; auch bekannte Wirtschaftswissenschaftler wie John K. Galbraith und William K. Kapp zeigten Sympathien für die Volksrepublik. Die Faszination des Reichs der Mitte ging in diesen Fällen mehr von China selbst aus als vom kommunistischen Regime. Für viele Kommentatoren jedoch lieferten Galbraith und Kapp Schützenhilfe, wenn es galt, den Vorbildcharakter Chinas auf dem Gebiet des Umweltschutzes hervorzuheben (Hahn 2006).

Hans-Magnus Enzensberger konkretisierte in der „Kritik der politischen Ökologie“ den Zusammenhang zwischen Maos China und dem Natur- und Umweltschutz: Da eine ökologische Krise vermeidbar sei, müssten Gegenmaßnahmen ergriffen werden: Für die kapitalistischen Länder des Westens prognostizierte Enzensberger, dass „die zukünftige Umwelt-, Rohstoff-, Energie- und Bevölkerungspolitik des Kapitalismus den letzten liberalen Illusionen den Garaus machen“ werde und in Zeiten der Auflösung und Panik nicht davor zurückschrecken könne, auf faschistische Lösungsansätze zurück zu greifen. Kontrolle und Verteilung des Mangels hätten hingegen in Ländern wie der Sowjetunion eine lange Tradition, so dass diese Staaten wesentlich besser gerüstet seien als der Westen. Enzensbergers Kommentar zu China klang beinahe euphorisch: „Die besten Chancen für das ökologische Überleben der Menschen bietet aber sicherlich die chinesische Gesellschaft.“ Die jahrtausende alte Tradition im sparsamen Umgang mit Natur und Ressourcen sei durch den Sieg der Revolution nicht bedroht, sondern vielmehr „auf den Begriff gebracht worden“. Die chinesische Regierung sei sich der ökologischen Probleme bewusst und habe „als einzige Regierung der Welt […] konsequente Strategien zur Verhinderung der Katastrophe entwickelt“ (Enzensberger 1973).

Besonderen Eindruck machte die chinesische Delegation auf der UN-Umweltkonferenz im Juli 1972. China nutzte den Boykott der Ostblockstaaten, um sich selbst als Anwalt der Dritten Welt darzustellen (Hahn 2006). Im Laufe der UN-Konferenz erwiesen sich viele Positionen von Industrie-und Entwicklungsländern als nicht vereinbar. Die Differenzen zwischen Umweltschutz und Entwicklungspolitik sollten auch in den folgenden Jahren auf Nord-Süd-Konferenzen zum beherrschenden Thema werden (Hünemörder 2004). Viele, nicht nur maoistisch gesonnene Zeitgenossen hielten China für ein Vorbild für andere Entwicklungsländer, weil es gelungen sei, Umweltpolitik als oberste Maxime in der Ziel- und Interessenstruktur des Gesamtsystems zu verankern. Zwar lag es vielen Autoren fern, China zu glorifizieren; vielmehr wollten sie anhand des Vorbildes darstellen, dass es möglich gewesen sei, in gut 20 Jahren ein Volk aus der Lethargie zu reißen und zu einer Nation zusammen zu schweißen.

Der Umweltschutz wurde thematisch vom deutschen Maoismus aufgenommen, einem Maoismus, der „fast nichts mit China zu tun hatte“ (Koenen 1990). Viel wichtiger als ein reales Abbild der Verhältnisse in China zu zeichnen, war die Möglichkeit, Alternativen aufzuzeigen. So erschienen auch nach Maos Tod 1976 und der Öffnung der Volksrepublik in Deutschland Publikationen zum Umweltschutz im Reich der Mitte: „[Allein], dass Alternativen, praktische konkrete Alternativen zu unserem verkorksten Industriesystem vorstellbar werden, verlangt eine Veröffentlichung“ (Strohm 1978).

Fazit

Umweltschutz war kein Thema für die Linke um 1968. Zwar bezogen die Blätter für deutsche und internationale Politik Stellung zur Umweltdebatte; neue Impulse aber gingen von linker Seite kaum aus. Die Interpretation der Umweltschutzpolitik baute immer auf ähnlichen Argumenten auf, nämlich dass die Umweltzerstörung ein deutliches Indiz für eine Krise im kapitalistischen System sei und dass alle politischen Reaktionen nur Scheinmaßnahmen seien, solange die wirkliche Ursache, die Produktionsverhältnisse, unangetastet blieben. Das Umweltprogramm der Bundesregierung und der damit einhergehende technische Umweltschutz gehörten aufgrund ihrer planerischen Ausrichtung zum sozialen Liberalismus, der sich im Kontext der marktwirtschaftlichen Ordnung als „links“, „fortschrittlich“ und „modern“ verstand. Für die Linke in der Bundesrepublik gab es auf keiner Ebene einen Kompromiss mit dem Konsensliberalismus, da dieser den Kapitalismus stabilisierte und mit den Vereinigten Staaten verbunden wurde (Doering-Manteuffel 2003).

Der Club of Rome und die Grenzen des Wachstums befanden sich zwischen allen Fronten, wenn konservative Kritiker die Thesen vom Nullwachstum als kommunistisch verschrien, während das gegenüberliegende politische Spektrum Peccei und den übrigen Mitgliedern des Clubs vorwarf, eben diesen Kommunismus verhindern zu wollen. Nicht zu unterschätzen jedoch ist Enzensbergers Kritik der politischen Ökologie von 1973. Dadurch, dass Enzensberger die Umweltdebatte in linken Kreisen von ideologischem Ballast befreite, bereitete er den Weg für neue Impulse und Publikationen, wie sie sich in der Zeitschrift Technologie und Politik manifestierten. Im Zentrum dieser Reihe stand neben einer „Vertiefung der Wachstumsdebatte“ auch der „Gesamtkomplex des nach wie vor bei Gewerkschaften wie bei Kapitaleignern […] unerschütterlichen Konsensus über Sinn des technischen Fortschritts“. Der Herausgeber Freimut Duve gestand ein, dass zum einen niemand mehr genau bestimmen könne, was Fortschritt sei. Zum anderen gab er zu bedenken, der Behandlung von Themen wie Wachstum, Technologie-Transfer, Wachstum des Energiebedarfs und der Industrialisierung der Dritten Welt „kein festes dogmatisches Deutungsnetz“ übergeworfen werden dürfe, denn: „Marx hilft nur begrenzt, wo sich die endgültigen Grenzen bei der Entfaltung der Produktivkräfte auftun“ (Duve 1975). Am Club of Rome, den Grenzen des Wachstums und dem Umweltschutz kam – mit etwas Verspätung – die deutsche Linke nicht vorbei.

Literatur

Börsenverein des Deutschen Buchhandels 1973: The Club of Rome, Frankfurt.

Brüggemeier, Franz-Josef 1998: Tschernobyl 26. April 1986. Die ökologische Herausforderung, Frankfurt/Main.

Doering-Manteuffel, Anselm 2003: Politische Kultur im Wandel. Die Bedeutung der sechziger Jahre in der Geschichte der Bundesrepublik, in: Andreas Dornheim et al. (Hg.); Identität und politische Kultur. Festschrift für Hans-Georg Wehling, Stuttgart, S. 146-158.

Duve, Freimut 1975: Editorial; in: Technologie und Politik, H. 1, S. 2.

Enzensberger, Hans Magnus 1973: Zur Kritik der politischen Ökologie; in: Kursbuch, H. 33, S. 1-42.

Gärtner, Edgar 1973: Wachstumsdiskussion und Umweltkrise; in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Jg. 18, H. 6, S. 612-631.

Gärtner, Edgar 1973a: Wachstumsdiskussion und Umweltkrise (II); in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Jg. 18, H. 8, S. 880-891.

Gärtner, Edgar 1973b, Zur Funktion des Club of Rome. Sonderdruck aus „Blätter für deutsche und internationale Politik“, H. 10/1973, Köln.

Genscher, Hans-Dietrich 1971: Europäische Initiativen für einen aktiven Umweltschutz; in: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, H. 312, S. 1441-1444.

Hahn, Friedemann 2006: Von Unsinn bis Untergang. Die Rezeption des Club of Rome und der Grenzen des Wachstums in der Bundesrepublik der frühen 1970er Jahre, Freiburg (http://www.freidok.uni-freiburg.de/volltexte/2722/).

Hünemörder, Kai F. 2004: Die Frühgeschichte der globalen Umweltkrise und die Formierung der deutschen Umweltpolitik (1950-1973), Stuttgart.

Kade, Gerhard 1971: Ökonomische und gesellschaftliche Aspekte des Umweltschutzes; in: Gewerkschaftliche Monatshefte, Jg. 22, H. 5, S. 3-15.

Kade, Gerhard 1972: Systemvergleiche in der Umwelt-Diskussion, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Jg. 17, H. 10, S. 846-852.

Koenen, Gerd 1990: Unsere kleine deutsche Kulturrevolution, in: Ulrich Menzel (Hg.), Nachdenken über China, Frankfurt/Main, S. 242-253.

Krusewitz, Knut et al. 1974: Die Umweltkatastrophe des Hans Magnus Enzensberger. Von den Grenzen literarischer Krisenbewältigung; in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Jg. 19, H. 9, S. 934-956.

Meadows, Dennis 1972: Die Grenzen des Wachstums. Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit, Stuttgart.

Ronge, Volker 1972: Umwelt und Umweltschutz im Spätkapitalismus; in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Jg. 17, H. 10, S. 831-846.

Strohm, Holger (Hg.) 1978: Umweltschutz in der VR China, Hamburg.

nach oben