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„Fleisch vom Fleisch der Sozial­de­mo­kratie“

Die Partei „Die Linke“ ist über ihr Verhältnis zur SPD zerstritten, allerdings schwächt sie das nicht,

aus: vorgänge Nr. 181, Heft 1/2008, S. 91-98

Die Linke scheint derzeit den öffentlichen Diskurs zu beherrschen und damit großen Einfluss auf die deutsche Politik zu nehmen. Worte von einem Durchbruch der Linkspartei[1] und damit einer Zäsur des bundesdeutschen Parteiensystems machen die Runde. Offenkundig fand die in Zeiten sozialer Unsicherheiten höher gewordene Nachfrage der Bevölkerung nach sozialer Sicherheit und Umsorgung ein entsprechendes politisches Angebot. Dementsprechend groß ist die Verblüffung von Politik und Medien über die Ausbreitung der Partei in Westdeutschland.[2]Die Wochenzeitung „Die Zeit“ spricht gar von der „Gefahr aus dem Westen“.[3] Die SPD um ihren Parteivorsitzenden Kurt Beck, der das Thema zur „Chefsache“ gemacht hat, diskutiert gleichermaßen kontrovers und aufgeregt über einen potentiellen neuen Koalitionspartner. Manche Stimmen sprechen von einem riskanten Spiel oder noch dramatischer sogar von einer Entzweiung der Sozialdemokratie.[4]

Mit Fug und Recht kann von einer sensationellen Entwicklung gesprochen werden, die manche Assoziationen zur Etablierung der einstigen „Anti-Partei-Partei“ Die Grünen in den 1980er Jahren weckt. Vergleicht man die Bilanz der linken, lange de facto auf Ostdeutschland begrenzten Flügelpartei mit Pendants verschiedener Couleurs auf der rechten Seite[5], lässt sich die Erfolgsthese noch erhärten. Binnen kürzester Zeit konnte die Partei nach dem Erfolg bei der Bundestagswahl 2005 nicht nur in die Stadtstaaten Bremen und Hamburg einziehen, wo Außenseiterparteien in der Vergangenheit durchaus zu Überraschungserfolgen fähig waren. Parteien wie Arbeit für Bremen und Bremerhaven, die Statt Partei, die Schill-Partei oder die DVU konnten dort von Mitte der 1990er Jahre an punktuelle Erfolge erzielen. Erstaunlicherweise gelang der Linken – weit entfernt von übergreifenden Strukturen – auch in den Flächenstaaten Niedersachsen und Hessen der Landtagseinzug. Kaum ein politischer Beobachter hielt dies für möglich. Weitere Erfolge scheinen nach dem „Dominoeffekt“ der Landtagseinzüge in Reichweite.

Die Linke ist keine neue Partei, sondern vielmehr eine „erweiterte PDS“, die auf den Strukturen, dem Personal, den Strategien und den Inhalten der „Volkspartei des Ostens“, der SED-Nachfolgepartei PDS aufbaut. Mit dem neuen Parteinamen suggeriert sie aber, für einen Aufbruch, etwas Neues zu stehen. In Zeiten, wo Politik sich zunehmend als Marke definiert, kann sich die Partei offensichtlich mehr und mehr von ihrer eigenen Vergangenheit lösen und ein innovatives Projekt auf dem politischen Markt platzieren – zwischen Kommunikation und Inszenierung.[6] Der Wähler scheint daran Gefallen zu finden, zumal er offenkundig in der Partei den Adressaten sozialen Protests sieht. Durch das Bündnis mit der als Protest gegen die Sozialreformen der Schröder-Regierung gegründeten Kleinpartei, die Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit (WASG), einer stark gewerkschaftlich geprägten Linksabspaltung von der SPD in den alten Bundesländern, schickt sich die PDS an, ihre bisherige Stigmatisierung im Westen der Republik zu überwinden, wo sie trotz verschiedener Bemühungen eineinhalb Jahrzehnte lang über den Status einer Splitterpartei nicht hinausgekommen war. Insofern könnte der Osten als „Trendsetter des Westens“[7] fungieren. Insgesamt scheinen „kleine Parteien im Aufwind“ zu sein, speziell die Linke auf dem Weg zur Etablierung in Westdeutschland.

Geschichte der PDS im Westen

Von Beginn an grenzte sich die PDS vom bundesrepublikanischen Politikbetrieb ab. Gregor Gysi lamentierte: „Die weitgehende Entmachtung und Entlassung der ostdeutschen Eliten und die Übernahme ihrer Positionen durch Westdeutsche haben Spätfolgen bis heute. Dadurch entstand Fremdbestimmung, und bei den Ostdeutschen entwickelte sich das Gefühl, für bestimmte Aufgaben in der gesamtdeutschen Gesellschaft als ungeeignet angesehen zu werden. […] Nur ostdeutsche Eliten hätten die ostdeutsche Bevölkerung von der Notwendigkeit der Umstrukturierungen einigermaßen überzeugen können.“[8] Hinweise auf die Defizite der DDR gelten als Synonym für eine Glorifizierung der politischen Elite der Bundesrepublik.

Die PDS im Westen war in den zahlreichen größeren Städten, nicht aber in den unzähligen Klein- und Mittelstädten, und erst recht nicht auf dem Land vertreten. Wie Meinhard Meuche-Mäker von der Rosa-Luxemburg-Stiftung bilanziert, schaffte die Partei es auch dort, wo es vereinzelte Mitglieder gab, nicht zu einer attraktiven, handelnden Partei.[9] Die PDS versuchte, durch Bündnispolitik diese Defizite zu kompensieren. Sie schloss Kooperationen mit der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP), erstrebte, auch in gesellschaftliche Bereiche einzudringen. Kontakte verstärkten sich zu dem globalisierungskritischen Netzwerk Attac. Ihre Heterogenität ist im Westen durch dieses breite Spektrum, das gegen den Verfassungsstaat gerichtete Strömungen einschließt, besonders groß.[10]

Im Mai 2005 bilanzierte Gregor Gysi über seine Partei: „Sie ist immer noch nicht im Westen angekommen. Wir brächten dort vier, fünf Prozent, um gegen den Neoliberalismus wirklich etwas erreichen zu können. Ich mache mir keine Illusionen mehr: Absehbar werden wir im Westen keine ausreichende Bedeutung haben.“[11] In der Tat: Die westdeutschen Landesverbände der PDS hatten stets mit erheblichen Strukturproblemen zu kämpfen, bei den Wahlen erreichte die Partei maximal zwei Prozent der Stimmen. Ihre Anhänger reichten über das klassische DKP-und K-Gruppen-Milieu kaum hinaus. 2005 hatte die PDS im Westen alles andere als eine flächendeckende Organisation, lediglich 6.057 Mitglieder, während sie in den neuen Bundesländern 55.265 Mitgliedern zählte.

Die „doppelte Linke“ auf dem Weg zu einer gemeinsamen Kraft

Die WASG hatte sich als neue Protestpartei gegen die Sozial- und Arbeitsmarktreformen der Bundesregierung (Hartz IV/Agenda 2010) formiert, war aber ohne prominente Überläufer oder eine überzeugende Figur an der Spitze bei ihrer Landtagswahlpremiere in Nordrhein-Westfalen im Mai 2005 über 2,2 Prozent der Stimmen nicht hinausgekommen. Die PDS musste merken, dass sie allein im Westen keinen Staat machen konnte. Sie fiel mit 0,9 Prozent selbst hinter der neuen Konkurrenz zurück, gegen die sie noch Wahlkampf machte. Der frühere SPD-Vorsitzende Oskar Lafontaine ließ sich erst als Frontmann der WASG gewinnen, als das Bündnis mit der PDS feststand.[12] Gregor Gysi war der andere Kopf des Bündnisses mit Blick auf die vorgezogene Bundestagswahl 2005.

Das Vorziehen der Bundestagswahl beschleunigte diese Entwicklung: Vor diesem Hintergrund entpuppte sich das Zusammengehen vor der Bundestagswahl als klassische „win-win“- Situation. Eine reine Listenverbindung, wie sie die WASG favorisierte, ist nach deutschem Wahlrecht nicht möglich. So blieb das Modell offener Listen, das die PDS schon immer praktiziert hat. Für die PDS war das neue Linksbündnis nicht nur eine Garantie für den Wiedereinzug in den Bundestag: Es bedeutete zudem, dass sie ihrem lang ersehnten Ziel näher rückte, endlich „im Westen anzukommen“. Die WASG wurde von der im Osten fest etablierten PDS „Huckepack“ in den Bundestag getragen, was sie im Alleingang wohl nur schwer geschafft hätte.[13] Damit gelang ihr, was westdeutschen Kleinparteien in der Geschichte der Bundesrepublik stets versagt blieb, „aus dem Schatten der Macht herauszutreten.“[14] Im Rückblick kann die WASG als eine Partei angesehen werden, „die kaum über ihr pubertäres Stadium hinausgekommen ist. Sie war ein ungewolltes Resultat sozialdemokratischer Politik […].“[15]

Der schnelle Erfolg wirkte als einigendes Band – neben den Integrationsbemühungen der Spitze um Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und dem Strategen Bodo Ramelow. Gerade der ehemalige SPD-Vorsitzende Lafontaine erwies sich als Erfolgsgarant im Westen. Damit wurden grundlegende Konfliktlinien kaschiert. Bereits die Grundmotivationen der Fusionspartner speisen sich aus völlig unterschiedlichen Kanälen. Der Teil, der aus der WASG kommt, sehnt sich nach dem „alten, kuscheligen“ Sozialstaat der BRD aus den 1970er und 1980er Jahren zurück. Die DDR als Bezugsgröße spielt keine Rolle. Der Teil aus der PDS preist hingegen traditionell die „sozialistischen Errungenschaften“ der DDR.

Folgende Grundkonflikte oder Bruchstellen zwischen den Parteien gerade im Westen wurden überlagert:

WASG

  • Gründung explizit gegen die PDS (Ablehnung des Ostcharakters und der kommunistischen Wurzeln der PDS);
  • Zunächst Anspruch einer neuartigen Partei (auch gegen die PDS gewendet);
  • Keine größere ganzheitliche Utopie;
  • Ziel einer reinen Sozialstaatspartei (ohne linksextremistische Sektierer);
  • Anachronistisches Programm mit Bezug auf den Sozialstaat der 1980er Jahre unter Ausblendung der globalen Zusammenhänge und der Fixierung auf den Nationalstaat; dementsprechend Glaube an nationalstaatliche Potentiale;
  • Gewerkschaften als feste Zielgröße;
  • Ein-Themen-Fixierung;
  • Sozialismus als Randkomponente; Schlüsselbegriff „soziale Gerechtigkeit“;

PDS

  • Anfängliche konkurrenzorientierte Sicht auf die WASG;
  • Konfliktlinie zwischen West- und Ostdeutschland als Lebensader (Anspruch einer „Partei für Ostdeutschland“);
  • Beanspruchung von Dominanz im Bündnis (alte versus neue Partei); 
  • Utopische Strömungen innerhalb der Partei;
  • Ausdrücklicher Bezug auf die historische Arbeiterbewegung und Karl Marx;
  • Anachronistisches Programm nicht mit Bezug auf den „alten“ Sozialstaat der BRD, sondern auf die sozialen Absicherungen der DDR („sozialistische Errungenschaften“);
  • Einbindung von linksextremistischen Sektierern (Strategie im Westen; Einbindung der DKP);
  • Gewerkschaften nicht als Kernzielgröße;
  • Bunter Strauß an Themen; wichtige Themen Antifaschismus; ab 1998 verstärkt auch Ökologie und Pazifismus (Grund: Regierungsbeteiligung der Grünen);
  • Sozialismus als Kernelement;

Gleichwohl setzten sich folgende Gemeinsamkeiten durch:

  • Aktuelle politische Gelegenheitsstrukturen durch die vorgezogene Bundestagswahl 2005;
  • Einigungswille der Parteieliten;
  • Harsche Kritik an den Sozialreformen der Schröder-Regierung (Hartz IV);
  • Genereller Argwohn gegenüber der SPD (Vorwurf des „Neoliberalismus“);
  • Einigendes Motto „ein anderer, wie auch immer gearteter Sozialstaat ist möglich“;
  • Allgemeiner Kampf gegen „Neoliberalismus“ jedweder Art;

Die Linke als links­po­pu­lis­ti­sche Partei?

Seit der sich anbahnenden Parteifusion ist im politischen Diskurs vielfach von Linkspopulismus die Rede. Bislang war das Schlagwort zunächst fast ausschließlich für Strömungen der politischen Rechten reserviert, die mittels einer charismatischen Führungsfigur gegen „die-da-oben“ und „die-da-draußen“ wettern. Der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröders sprach am 1. Juli 2005 zur Begründung der von ihm gestellten Vertrauensfrage: „Diese Debatte [um die Arbeitsmarktreformen] hat so weit geführt, dass SPD-Mitglieder damit drohten, sich einer rückwärts gewandten, linkspopulistischen Partei anzuschließen, die vor Fremdenfeindlichkeit nicht zurückschreckt.“[16] Auch wissenschaftlich lässt sich der Begriff nutzbar machen. Ein linker Populismus versucht im Antagonismus zum Establishment, die egalitären, solidarischen und aufbegehrenden Sedimente des Alltagsverstandes zu reaktivieren. Zwei zentrale Aspekte rücken dabei in den Mittelpunkt[17]:

– auf der vertikalen Achse als allgemeines Merkmal des Populismus: „Wir“ gegen „die-da-oben“;

– auf der horizontalen Achse als spezifisch linke Variante des Populismus: „Wir“ gegen Feinbilder wie „Kapitalisten und multinationale Konzerne“.

Linkspopulistische Formationen greifen auf diffuse Ängste in der Bevölkerung zurück: die Angst vor Armut und Arbeitslosigkeit, dem Verlust sozialer Sicherung und der Überforderung der Moderne. Sie setzen auf einen vormundschaftlichen Staat als Problemlöser und Regulativinstanz, auf mehr Gleichheit und unter Umständen auf die – angeblich – Sicherheit gewährende Beständigkeit staatlicher Bürokratien, denen die Bürger vertrauen sollen, auch wenn sie diese nicht durchschauen. Die Unsicherheiten sollen mit populären Rufen nach weiterer staatlicher Daseinsvorsorge überwunden werden. Als Schlüsselwort firmiert ein Antikapitalismus neuer Art. Slogans wie „Die Reichen zur Kasse bitten“ tauchen auf und prangern einen ungehemmten Kapitalismus an.

Der Linkspopulismus ist durch die Linke, anders als Karin Priester konstatiert, kein Fremdkörper im deutschen Parteiensystem.[18] Prägnante Merkmale lassen sich bei der Partei, nun gerade dadurch auch im Westen etabliert, finden:

  • Die Linke hat unter anderem den von der diffusen und sprunghaften Parteienrhetorik abgeschreckten „Durchschnittsbürger“ im Blick, dem sie eine politische Heimat bietet. Sie behauptet, die „politische Klasse“ als Ganzes interessiere sich nicht mehr für die Bedürfnisse und Wünsche des „Volkes“ und entbehre daher jeglicher politischen Legitimität. Die personelle Dimension des Populismus, das mediale Charisma, bedienen in erster Linie die Aushängeschilder Gregor Gysi und Oskar Lafontaine. Die zentrale Schwäche in Gysis Politikverständnis – gleichzeitig aber eine Stärke mit Blick auf seine öffentliche Attraktivität – ist laut seinem Biographen Jens König, der Irrglaube, der Lauf der Welt werde von der Einsicht der historischen Akteure in eine imaginäre Vernunft bestimmt und nicht vom Aushandeln grundsätzlich divergierender Interessen: „Da steckt ein Rest DDR in ihm: die avantgardistische Vorstellung seiner alten Staatspartei, dass es die Vernunft an sich nicht gibt und es nur einer politischen Vorhut bedarf, die diese erkennt und ihr im Namen der herrschenden Klasse zum politischen Durchbruch verhilft. […] Seine Haltung macht Gysi zum idealen Vertreter der Sabine-Christiansen-Gesellschaft. Wenn Sonntag für Sonntag nach der Zauberformel dafür gesucht wird, wie der Untergang der Bundesrepublik verhindert werden kann, ist er ganz in seinem Element.“[19] Als Besitzstandswahrer und Lautsprecher des „kleinen Mannes“ beherrscht gerade Lafontaine die Rolle des populistischen Agitators meisterhaft. Mit antielitärem Gestus wettert der ehemalige SPD-Parteivorsitzende, gleichermaßen wichtig für den Fusionsprozess wie die Außendarstellung der Linken, gegen die Reichen oder die abgehobenen „Hartz IV-Parteien“, denen das einfache Volk gleichgültig sei: „Beim Champagnertrinken oder beim Golfspielen sind sich unsere Eliten einig: Der Sozialstaat und der überregulierte Arbeitsmarkt sind schuld am Niedergang unseres Landes. Großzügig übersehen sie, dass dieser Niedergang ihnen selbst beträchtliche Einkommens- und Vermögenszuwächse bringt“[20].
  • Die Linke fordert – in Kontinuität zur PDS – eine starke staatliche Regulierung und Vormundschaft in den Bereichen Arbeit, Wohnung und Renten. Hier ist die Rede vom „Recht auf soziale Grundsicherung“, vom „Recht auf Arbeit, Wohnung und Bildung“ und von einem „Rechtsanspruch für Kinder auf einen unentgeltlichen Platz in Krippen, Kindergärten, Horten und anderen Plätzen“. Die Partei weckt die Illusion, nur sie könne das soziale Gemeinwohl bestimmen. Sie will das Füllhorn sozialer Gratifikationen ausschütten und verbindet die von ihr instrumentalisierte Forderung nach sozialer Gerechtigkeit und neuen (staatlich geschaffenen) Arbeitsplätzen mit Modernität und Progressivität.
  • Der Linkspopulismus predigt soziales Verantwortungs- und Mitgefühl und attackiert im gleichen Atemzug einen Neoliberalismus, der solidarische Grundkonstanten ignoriere. Die Staaten würden durch die Privatisierungen jegliche Kompetenz in Bereichen wie Wirtschaft- und Sozialpolitik abgeben und den Konzernen das Feld überlassen. Immer wieder sorgen Skandale der Wirtschaftselite für eine reale Fundierung der Kritik. Typisch populistisch, nicht extremistisch streut die Linke das Salz in die offene Wunde, präsentiert aber eher Sozialneid als ausgeklügelte Lösungskonzepte (Parole: „Erhöhung des Spitzensteuersatz zur Finanzierung aller sozialen Gratifikationen“).

Erfolgs­be­din­gungen der Linken im Westen

Als markante politische Erfolgsbedingung der Linken im Westen kann neben ihrem Linkspopulismus das Nachlassen der SPD-Bindung in der Arbeiterschaft benannt werden. Im Segment der Arbeiter, einschließlich der gewerkschaftlich organisierten, kann die Linke eindringen, besonders, weil mit dem neuen Namen die Aversionen gegenüber der SED-Nachfolgepartei PDS wegfallen. Zudem schwächt sich die SPD-Bindung bei den Arbeitslosen ab. Die Gruppe der Arbeitslosen gehört, wie die Bundestagswahl von 2005 bereits deutlich machte, zu den bedeutungsvollsten Bastionen der Linken in Westdeutschland. Arbeiter und Arbeitslose gehören neben den Rentnern zu den sozialen Gruppen mit der höchsten Affinität zu wohlfahrtsstaatlichen Vorkehrungen. Folglich bietet sich dieser Raum für eine „neue“ Partei links der SPD an. Die Zugewinne für das Bündnis aus PDS und WASG bei der Bundestagswahl 2005 waren „Fleisch vom Fleische der Sozialdemokratie“.[21]

Bei der Landtagswahl in Niedersachsen am 27. Januar 2008 kam die Linke auf sensationelle 7,1 Prozent – ohne flächendeckende Strukturen. Das bedeutete ein Plus von 6,6 Prozentpunkten gegenüber dem PDS-Ergebnis der letzten Wahl. Nach den Daten von Infratest dimap hatte die Linke in ihrer Anhängerschaft mit 51 Prozent den größten Anteil beunruhigter und mit 74 Prozent auch den größten Anteil mit der Landespolitik unzufriedener Bürger. Der Erfolg kam zustande, obwohl der Ministerpräsident Christian Wulff im Amt bestätigt wurde und es keine klassische Proteststimmung gab. Insbesondere bei den Arbeitslosen, Arbeitern und Gewerkschaftern konnte die Partei Stimmen gewinnen. Aus allen politischen Lagern konnte sie Stimmen mobilisieren, am meisten von ehemaligen SPD-Wählern, gefolgt von Wählern der Grünen, vom Lager der Nichtwähler und auch vom Lager der CDU. Überdurchschnittlich schnitt die Partei in den größeren Städten ab. Vor allem kamen ihr Spontanentscheidungen kurz vor der Wahl wie keiner anderen Partei zugute.[22]

Der Partei hilft das neuartige Image, „Die Linke“ ist eine Marke. Damit kann sie das im Westen belastende Stigma der SED-Nachfolgepartei offenkundig abstreifen. Die oft einseitig vorgetragene Polemik, die Partei sei extremistisch und damit eine Gefahr für die Demokratie[23], läuft ins Leere, obwohl die Partei nach wie vor gerade im Westen auf Landes- und Kommunalebene extremistische Strömungen integriert. Die Bedeutung dieses Imagewandels kann nicht hoch genug geschätzt werden. Der einstige Vordenker der PDS, André Brie, sprach im Zuge des Fusionsprozesses treffend davon, es gebe mittlerweile ein „spürbar gewachsenes […] Wählerpotential links von der SPD“, das die PDS „aus geschichtlichen und kulturellen Gründen“[24] nicht zur Gänze aktivieren könne. Sei es, dass konjunkturelle oder strukturelle Gründe letztlich entscheidend sind, die neu kreierte Die Linke hat in westdeutsche Parlamente Einzug gehalten – mit Dauerhaftigkeit als durchaus realistische Zielgröße. Ihre Erfolgsformel, einschließlich einer bewussten Distanz zur SPD, beeinflusst die westdeutsche Parteienlandschaft wie einst die Grünen.

[1] So der Leitartikel von Stefan Dietrich in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 30. 01. 2008.

[2] Vgl. Oliver Nachtwey/Tim Spier: Die sozialen und politischen Entstehungshintergründe der Linkspartei, in: Tim Spier/Felix Butzlaff/Matthias Micus/Franz Walter (Hg.): Die Linkspartei. Zeitgemäße Idee oder Bündnis ohne Zukunft?, Wiesbaden 2007, S. 13-69, hier S. 69.

[3] So der Titel von Brigitte Fehrle, in: Die Zeit vom 14. Februar 2008, S. 3.

[4] Vgl. Matthias Bartsch u.a.: „Dann sagen wir nichts“. Kurt Beck spaltet die Sozialdemokraten. Der Parteichef will eine Duldung durch die Linkspartei salonfähig machen, in: Der Spiegel, Nr. 9 vom 25. Februar 2008, S. 20-24.

[5] Vgl. zu den verschiedenen, letztlich gescheiterten Versuchen der populistischen Rechten, beispielsweise die in Bayern gegründeten Republikaner des einstigen Fernsehjournalisten Franz Schönhuber Frank Decker/Florian Hartleb: Populism on Difficult Terrain: The Right-and Left-Wing Challenger Parties in Germany, in: German Politics 16 (2007) 4, S. 434-454.

[6] Vgl. dazu Axel Balzer/Marvin Geilich/Shamim Rafat (Hg.): Politik als Marke. Politikvermittlung zwischen Kommunikation und Inszenierung, Münster 2005.

[7] Frank Decker: Parteiendemokratie im Wandel, in: Frank Decker/Viola Neu (Hg.): Handbuch der deutschen Parteien, Wiesbaden 2007, S. 19-61, hier S. 24.

[8] Gregor Gysi: Ein Blick zurück, ein Schritt nach vorn, Hamburg, 2001, S. 135.

[9] Vgl. Meinhard Meuche-Mäker: Die PDS im Westen 1990-2005. Schlussfolgerungen für eine neue Linke, Berlin, S. 29.

[10] Vgl. Michael Koß/Dan Hough: Between a Rock and Many Hard Places: The PDS and Government Participation in the Eastern German Länder, in: German Politics, 15 (2006) 1, S. 73-98, hier S. 92.

[11] Interview mit Gregor Gysi: „Die PDS kommt im Westen nicht an“, in: Tagesspiegel vom 17. Mai 2005.

[12] Vgl. Oskar Lafontaine: Politik für alle. Streitschrift für eine bessere Gesellschaft, Berlin 2005.

[13] Vgl. Frank Decker/Florian Hartleb: Populismus auf schwierigem Terrain. Die rechten und linken Herausfordererparteien in der Bundesrepublik, in: Frank Decker (Hg.): Populismus. Gefahr für die Demokratie oder nützliches Korrektiv?, Wiesbaden 2006, S. 191-215.

[14] Manfred Rowold: Im Schatten der Macht. Nicht-etablierte Kleinparteien, in: Alf Mintzel/Heinrich Oberreuter (Hg.): Parteien in der Bundesrepublik Deutschland, Bonn 1990, S. 311-362, hier S. 362.

[15] Gero Neugebauer/Richard Stöss: Die Partei DIE LINKE. Nach der Gründung in des Kaisers neuen Kleider?, in: Oskar Niedermayer (Hg.): Die Parteien nach der Bundestagswahl 2008, Wiesbaden 2008, S. 151-199, hier S. 192.

[16] Deutscher Bundestag: Stenografischer Bericht. 185. Sitzung, Berlin, 1. Juli 2005.

[17] Vgl. dazu Florian Hartleb: Rechts- und Linkspopulismus. Eine Fallstudie anhand von Schill-Partei und PDS, Wiesbaden 2004, S. 170.

[18] Priester sieht in den Grundlagentexten keinen Antielitarismus, vielmehr eine Wiederbelebung einer sozialdemokratischen Politik vor „Bad Godesberg“. Vgl. Karin Priester: Linker Populismus. Ein Fremdkörper im deutschen Parteiensystem, in: vorgänge, 46 (2007) 4, S.43-52.

[19] Jens König: Gregor Gysi. Eine Biographie, Berlin, 2005, S. 321.

[20] Oskar Lafontaine: Politik für alle. Streitschrift für eine bessere Gesellschaft, Berlin 2005, S. 17.

[21] Vgl. Oliver Nachtwey/Tim Spier: Günstige Gelegenheit? Die sozialen und politischen Entstehungshintergründe der Linkspartei, in: Tim Spier/Felix Butzlaff/Matthias Micus/Franz Walter (Hg.): Die Linkspartei. Zeitgemäße Idee oder Bündnis ohne Zukunft?, Wiesbaden 2007, S. 13-69.

[22] Vgl. Viola Neu: Landtagswahlen in Hessen und Niedersachsen am 27. Januar 2008, Wahlanalyse, Berlin 2008, Onlinepublikation, hier S. 19, 24 u. 27.

[23] Vgl. Patrick Moreau: Politische Positionierung der PDS -Wandel oder Kontinuität?, München, 2002; Jürgen P. Lang: Ist die PDS eine demokratische Partei? Eine extremismustheoretische Untersuchung, Baden-Baden, 2003.

[24] André Brie: Thesen zur Perspektive der Linkspartei: offene Fragen, Probleme, Herausforderungen, in: Michael Brie (Hg.): Die Linkspartei. Ursprünge, Ziele, Erwartungen, Berlin 2005, S. 59-65, hier S. 59.

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