Wo von Generationen geredet wird, sollte von Gerechtigkeit geschwiegen werden
Zur Zukunftsoffenheit liberaler Demokratien;
aus: vorgänge Nr. 189, Heft 1/2010, S. 53-59
Im Schlepptau der Nachhaltigkeitsdiskussion der letzten dreißig Jahre hat die Generationengerechtigkeit eine erstaunliche Karriere hingelegt. Während sie in den siebziger Jahren noch weitgehend unbekannt war und jenseits von rechts und links allenfalls entlang innerfamiliärer Konfliktlinien gedacht wurde, hat sie sich mittlerweile zu einem normativen Fixstern entwickelt, an dem sich so unterschiedliche Bereiche wie Klima-, Finanz-, Renten-, Bildungs- und erforderlichenfalls auch Gesundheits- und Arbeitsmarktpolitik orientieren sollen. Manche argwöhnen nicht ganz zu Unrecht, dass sie in dieser Position die soziale Gerechtigkeit abgelöst hat. Auch wenn die Summen, die vom Staat zur Befriedigung des jeweiligen Anspruchs aufgewendet werden, noch immer ein enormes Ungleichgewicht aufweisen, so genießt die Generation – mittlerweile wie die soziale Gerechtigkeit Verfassungsrang. Die Bundesrepublik ist nicht nur ein sozialer Bundesstaat, sie trägt auch „Verantwortung für künftige Generationen“, ohne dass mit dieser Aufwertung bereits klarer wäre, worin diese Verantwortung besteht und auf wen sie sich erstreckt.
Allerdings können die Betroffenen aus nahe liegenden Gründen nicht vor dem Bundesverfassungsgericht erscheinen, um ihren grundgesetzlichen Anspruch einzuklagen, was sie gegenüber den Anspruchsberechtigten des Sozialstaates eindeutig benachteiligt. Diese können auf eine beeindruckende Sammlung von Urteilen zurückblicken, mit denen, wie zuletzt bei den Regelungen zu Hartz IV geschehen, der Sozialstaat in den letzten sechzig Jahren ausgebaut und gestärkt wurde. Er ist im Laufe der Geschichte der Bundesrepublik mit der politischen Ordnung des liberalen Rechtsstaates in einer Weise amalgamierte, dass er, wie Claus Offe 1984 formulierte, „zu einer irreversiblen Struktur geworden“ ist, “ deren Beseitigung nichts weniger erfordern würde, als die politische Demokratie und die Gewerkschaften abzuschaffen sowie das Parteiensystem grundlegend zu verändern.“ Nun haben sich seitdem zumindest Teile der Struktur als reversibel erwiesen, ohne dass die Demokratie, auch wenn ihre Akzeptanz darunter gelitten hat, gleich abgeschafft worden wäre.
Wo bei der Revision des öffentlichen Systems der Daseinsvorsorge nicht allein der Logik des ökonomischen Sachzwangs gefolgt wurde, geschah sie nicht selten im Namen des Interesses der künftigen Generationen. Sei es bei der Einführung einer privaten Altersvorsorge, sei es bei der verfassungsrechtlichen Begrenzung der Schuldenaufnahme bei den öffentlichen Haushalten – hinter den gesetzlichen Regelungen schimmerte der Konflikt zwischen den normativen Ansprüchen der Generationen- und der sozialen Gerechtigkeit durch, ohne dass dieser explizit gemacht, geschweige denn in einer Weise ausgetragen wurde, die auf eine Vermittelbarkeit hindeuten würde.
Die exorbitante Verschuldung des Staates durch die Finanzkrise lässt erahnen, dass diese Konflikte in den nächsten Jahren an Schärfe zunehmen werden. Sie erhalten durch den Klimawandel und die zu seiner Abwendung einzuleitenden Maßnahmen eine geradezu existenzielle Dimension. Mit der Unerbitterlichkeit eines physikalischen Gesetzes leiten sich von dem Ziel, die Erderwärmung auf zwei Grad zu begrenzen, grundlegende Veränderungen des gesamten Reproduktionssystems der Gesellschaft ab, die Karl Polanyis „Great Transformation“ in nichts nachstehen – nur dass der zur Verfügung stehende Zeitraum weit geringer bemessen ist. Im Namen der künftigen Generationen wird deshalb der Ruf nach einer Intensivierung der klimapolitischen Anstrengungen immer lauter, der Klimawandel wird zu einer Frage der Regelungsfähigkeit des demokratischen Systems. Doch so laut diese Forderungen erhoben werden, so uneindeutig ist wiederum das Verhältnis der zugrunde liegenden normativen Ansprüche der künftigen Generationen einerseits und der Autonomie und freien Entfaltung der jetzigen andererseits.
Die politischen Parteien sehen sich mit jeweils spezifischen Akzenten als Sachwalter der Gerechtigkeitsansprüche sozialer wie generativer Natur, ohne dem darin liegenden Spannungsverhältnis irgendeinen programmatischen Ausdruck zu verleihen. Es scheint noch nicht einmal wahrgenommen zu werden. Selbst die Grünen, die sich den künftigen Generationen in besonderer Weise verpflichtet sehen, heben die Freiheitsbeschränkungen, die sich daraus womöglich für die jetzige ergeben, in das win-win-Modell einer ökologisch geprägten Wachstumswirtschaft auf. Der Green New Deal ist ein Händel, bei dem man sich die politischen Hände nicht schmutzig macht.
So kann man parteiübergreifend der Generationengerechtigkeit natürlich leicht genüge tun. Wer für sie eintritt kann sich des öffentlichen Zuspruchs sicher sein, durchströmt sie doch eine kraftvolle Brise zukunftszugewandter Offenheit. Wo nichts mehr sicher ist, vermittelt das Eintreten für sie zumindest das Gefühl, auf der richtigen Seite zu stehen, wohin die Reise auch gehen mag. Kein Bürger und erst recht kein Politiker will sich der Einsicht verschließen, dass es zwischen den Generationen ausgewogen zugehen soll, der Jugend und den ihr Nachkommenden eine gedeihliche Entwicklung und ein auskömmliches Leben ermöglicht werden, sie ihren gerechten Anteil bekommen sollen.
„Wie kann mir erst gegeben werden, was schon meines ist, oder, wenn es nicht meines ist, wie kann Gerechtigkeit es dazu machen?“ Auf diese Frage des Philosophen in Thomas Hobbes gerechtigkeitstheoretischem „Dialog zwischen einem Philosophen und einem Juristen über das englische Recht“ könnte der Jurist im Fall des intergenerativen Verhältnisses schon deshalb keine klare Antwort geben, weil es diesem Verhältnis an Reziprozität und einer klaren Vorstellung davon mangelt, der Regelung welcher gemeinsamen Sache die Gerechtigkeit dienen soll. Schon die Frage, wie viele künftige Generationen und welche ihrer Anliegen in den Fokus des gesellschaftlichen Interessenausgleichs gerückt werden, lässt die Schwierigkeit erahnen.
Der Ausgleich kennt keine institutionelle Form, vor allem mangelt es ihm naturgemäß am Lebensnerv liberaler Demokratien, der Responsivität zwischen Gesetzgebenden und Gesetzesunterworfenen. Diese begründet sich aus der gleichen Freiheit der Bürger und begründet die gleiche Behandlung ihrer jeweiligen Präferenzen. Diese Präferenzen leiten sich nicht aus dem Verfahren ab, sondern sind unhintergehbares Element der individuellen Autonomie und Voraussetzung des politischen Willensbildungsprozesses. Es existiert weder eine diesen Prozess präformierende Rangfolge der individuellen Willensbekundungen, noch können sie vermeintlichen Gemeinschaftsinteressen untergeordnet werden. Der Wille, der zum Ausdruck kommt, ist immer der empirisch feststellbare, nicht jedoch ein, mit noch so guten Gründen, teleologisch oder vernunftsethisch herleitbarer. Die Bindung der demokratischen Willensbildung an den konkreten, nicht den ideellen Bürger bedingt, dass ihre Verfahren für diesen durchschaubar und verstehbar sind.
An den engen Grenzen dieses Ideals liberaler demokratischer Verfahren scheitern bereits Versuche der demokratischen Modellierung supranationaler Willensbildung als Legitimationsgrundlage eines Global Government, weshalb man sich landläufig mit der Chimäre Global Governance bescheidet, die ihr Aussehen, je nach politischem Standort des Betrachters changieren kann. In ihren komplexen Strukturen der Willensformung lassen sich auch Interessen kollektiver Natur ein- und unterbringen, die allenfalls in einem sehr weitläufigen Sinne dem Kriterium der Responsivität entsprechen.
Ungleich schwieriger ist das Unterfangen, in das liberaldemokratische Ideal des Verfahrens die Interessen der künftigen Generationen zu implementieren. Dieses Unterfangen wird entweder den Interessen oder dem Ideal nicht gerecht. Denn erstere sind fiktiv, sie können von daher weder am Anfang der legitimatorischen Kette stehen, noch ein responsives Verhältnis zu deren Resultaten haben.
Die advokatischen Vertreter dieser Interessen greifen deshalb zu deren Legitimation auf deliberative Verfahren zurück. Die diskursethische Begründung der gleichberechtigten Berücksichtigung der künftigen Generation geht davon aus, dass der Streit über Gerechtigkeit für jeden Vernunftträger, also für jeden Menschen offen sein muss. „Und wir müssen“, so argumentiert etwa Felix Ekardt[1], „darum eine Ordnung wählen, die diesen Streit mit Gründen ermöglicht. Deswegen müssen wir auf allgemeine Zustimmungsfähigkeit hinarbeiten und unsere Partner als Gleiche achten – ja sogar alle potentiellen Gesprächspartner“ – mithin auch die noch nicht geborenen. Er erkennt darin nicht nur ein Diskurs- sondern auch ein Handlungsprinzip, denn da dieser Diskurs jederzeit wieder weitergehen könnte, würde jeder, der das Würdeprinzip der künftigen Diskutanten verletzt, „die Möglichkeit zu weiteren Diskursen einschränken, wie sie angesichts der offenen Vernunft unausweichlich ist.“
Damit nimmt Ekardt zur Voraussetzung des Diskurses über Gerechtigkeit, was durch diesen erst gefunden werden soll. Es ist nicht das Verfahren, das die Gerechtigkeit zwischen der künftigen und der jetzigen Generationen erzwingt, sondern die Absicht der letzteren, Gerechtigkeit gegenüber der ersteren üben zu wollen, führt zur Ausweitung der Deliberation auf den infiniten Kreis der künftig Lebenden. Es ist eine Ausweitung auf fiktive Interessen, von denen keiner weiß, ob sie sich so tatsächlich artikulieren werden. Es ist eine Extrapolation realer Interessen, deren Gebundenheit im Jetzt unschwer an den divergierenden Vorstellungen, die in der Gesellschaft von der Zukunft existieren, ablesbar ist.
Dieses Dilemma ist bereits der ersten global verpflichtenden Nachhaltigkeitsformel, dem Brundlandt-Bericht der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung aus dem Jahr 1987 eingeschrieben. Die Formel, die „dauerhafte Entwicklung ist Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können“, lässt offen, wer welche Bedürfnisse der Gegenwart formuliert und die Bedürfnisse der künftigen Generationen definiert und wie die Abwägung zwischen beiden getroffen werden soll. Ein Rückgriff auf ontologische Interessensbegründungen ist mit dem deliberativen Verfahren ihrer Einbringung nicht kompatibel und die obwaltende normative Kraft des Faktischen legt von daher nahe, dass der künftigen Generation ein ähnliches Bedürfnismuster unterstellt wird wieder gegenwärtigen und dass die generationengerechte Äquivalenz dieser Bedürfnisse auf dem jeweils aktuellen Stand der Klimamisere gedacht wird. Auf diese Weise lässt sich, ein gleich bleibender Energiehunger unterstellt, der flächendeckende Ersatz von Naturwäldern durch Energiepflanzen rechtfertigen, wenn nur die CO2-Bilanz stimmt. Und kaum einer würde heute auf die Idee kommen, die Ansprüche der künftigen Generation z. B. an Artenvielfalt an dem Status quo von 1987 zu messen und, da dieser augenscheinlich nicht mehr rückholbar ist, gar über mögliche Kompensation nachgrübeln, worin könnte sie auch bestehen. Ist aber der Parameter dieser Gerechtigkeit nur je aktuell definierbar, so verflüchtigt sich im gleichen Maße die normative Notwendigkeit ihrer Herstellung.
Dieses Dilemma ist in einer Gerechtigkeitsnorm begründet, die stark daherkommt, sich aber an der Sache als schwach erweist. Politische Entscheidungen und ein Staat, der sie umsetzt, sind unter den Bedingungen eines solch infiniten Diskurses nur schwer vorstellbar, denn welche stünde nicht unter dem Vorbehalt einer künftigen Revision. Ekardts „Grundidee“, dass die radikale Autonomie, die ihre Grenzen in der gleichen Autonomie aller anderen findet, „auch derjenigen, die räumlich und zeitlich weit entfernt von uns sind“, macht es schwierig, die Entfaltung dieser Autonomie an gesellschaftliche Leistungen und staatliche Gewährleistungen zu binden. Denn diese bedingen eine wechselseitige Anerkennung, die über eine (Be)Achtung aus Vernunftgründen hinausgeht. Die „nachhaltig“ bestimmte Autonomie ist eben keine von Individuen, sie verhält sich blind gegenüber der sozialen Bedingtheit ihrer Entfaltung und kann folglich keinen intergenerativen Modus der Vermittlung des Spannungsverhältnisses von Entfaltung der Autonomie und Autonomie einschränkender Ermöglichung dieser Entfaltung bestimmen. Die künftige Generation ist eine sozial eigentümlich amorphe Großgruppe, die der jetzigen als solcher gegenübergestellt wird. Damit ist jedoch der Generationenkonflikt entgegen dem deliberativen Ansatz als Kollektivkonflikt definiert und es gibt keinen Modus zwischen den intra- und dem innergenerativen Gerechtigkeitsvorstellungen auf normativer Ebene eine Vermittlung herzustellen. Da zudem Generationengerechtigkeit nur als Resultat einer ideellen Willensbildung gedacht werden kann, demokratische Politik aber reale Machtausübung bedeutet, bleibt ersterer nur der Weg, dieses Spannungsverhältnis zu überbrücken, indem sie sich zur Tugendfrage der an letzterer Beteiligten wandelt. Losgelöst von allen sozialen Koordinaten kann sie hier ihre wahre Kraft entfalten. Sie ist auf einer Ebenen formuliert, die es den Protagonisten ermöglicht Empörungspotenziale freizusetzen, es aber schwierig macht, politische Handlungsanweisungen abzuleiten.
Diese Schwierigkeit teilt es mit jenen Begründungen nachhaltiger Politik, die auf einen Eigenwert der Natur oder der Erde rekurrieren. Auch dieser lässt sich nicht einlösen, wenn er nicht anthropozentrisch als Anliegen des aktuell lebenden Menschen gedacht wird. Die Vernunft mag vielleicht Einsichten wecken und die Naturerhaltung den politischen Impuls stärken, doch nur dann werden sie politisch relevant, wenn sie Eingang finden in die Eigeninteressen und Entscheidungsfindung des Souveräns. Dessen Verhältnis zu den Belangen künftiger Generationen ist ein advokatisches. Deren Berücksichtigung folgt einem politischen Pfad, in dem normative Orientierungen und materielle Interessen in gesellschaftlichen Auseinandersetzungen zu einem national spezifischen Amalgam geschmolzen sind. Auch Ekardt erkennt dieses Dilemma seiner Theorie der Generationengerechtigkeit implizit an, wenn er schreibt, dass „Demokratie (..) für künftige und junge Menschen kein Akt der Selbst-, sondern der Fremdbestimmtheit ist. Denn sie sind heute keine Beteiligten der Demokratie.“
Nun lassen sich gleichwohl sozialmoralische Ressourcen benennen, die, wenn auch nicht mit der vernunftlogischen Stringenz einer Theorie der Generationengerechtigkeit, so doch mit dem Rückgriff auf die gesellschaftlichen Anerkennungsverhältnisse, ein Eintreten für Nachhaltigkeit begründen. Sie erschließen sich, wenn man weniger formal die Gerechtigkeit als einen staatlich verantworteten Distributionsmodus wie auch immer gearteter Güter zwischen autonomen Individuen versteht, sondern diese Güter vielmehr als Variablen eines substanziellen Verhältnisses sieht, in welcher der Einzelne sich zu allen anderen setzt um in öffentlicher Anerkennung seiner Bedürfnisse, Überzeugungen und Fähigkeiten diese Autonomie erst zu gewinnen. Als die drei Sphären dieser Anerkennung hat der Philosoph Axel Honneth den Staat, die Arbeit und die Familie ausgemacht. Die korrespondierenden Medien der Anerkennung sind das Recht, die Leistung und die Liebe. Diese Medien können sich wechselseitig durchdringen. So wie die Leistung staatsbürgerliche Rechte relativieren kann, indem sie den Begriff sozialer Hilfe prägt, so kann das Recht familiare Gefüge verändern, indem es Frauen fördert.
Die Kategorie der Anerkennung ist der Raum, in dem sich verschiedene Sphären der Gerechtigkeit (Generationen-, Geschlechter-, soziale-, internationale Gerechtigkeit etc.) vermitteln. So wie die soziale Gerechtigkeit mit der Sphäre der Leistung korreliert, so ist die normative Regelung der generationellen Abfolge zweifelsohne originär in der familiären Sphäre beheimatet, die (elterliche) Liebe ist die einzige Form der Anerkennung, die sich nicht allein in Wechselseitigkeit sondern in (einseitiger) Zuwendung realisiert. In die Rechtssphäre des Staates übersetzt, korrespondiert sie mit dem advokatischen Verhältnis, welches dieser zu den bereits lebenden wie nachkommenden Generationen einnimmt. Durch eine utilitaristische Brille betrachtet hat Dieter Birnbacher[2] diese Zukunftsverantwortung als „institutionelle Selbstsicherung über den Tag hinaus“ charakterisiert. Sie wird übernommen, sofern „die Bedingungen für die Identität des Kollektivs in einem zukünftigen Weltzustand erfüllt sind“. Diese Rückbindung an das Jetzt findet sich auch im pragmatischen Liberalismus eines Ronald Dworkin[3], für den die Sorge um zukünftige Generationen „keineswegs eine Frage der Gerechtigkeit(ist), sondern unseres instinktiven Gefühls, dass Gedeih wie Überleben der Menschheit ein heiliger Wert ist“ (wobei er „heilig“ mit dem säkularen Attribut „unverletzlich“ synonym gebraucht). Es sei eine unausgesprochene, unangefochtene, fast unbemerkte, aber dennoch absolute Prämisse unseres politischen und wirtschaftlichen Planens, dass die menschliche Rasse weiterleben und gedeihen müsse. Diese Sorge um die Menschheit ist für Dworkin keine um die Rechte und Interessen bestimmter Menschen. Er hält vielmehr die Besorgtheit um die Menschen künftiger Jahrhunderte „nur dann für vernünftig, wenn wir annehmen, dass es wichtig an sich ist, dass die menschliche Gattung weiterexistiert, auch wenn das nicht wichtig ist für die Interessen ganz bestimmter Menschen.“
Erst dadurch, dass Nachhaltigkeit nicht als Selbst-lose Parteinahme für abstrakte Subjekte, sondern als Element der Identitätspolitik begriffen wird, kann sie an normativer Stärke gewinnen. Diese Identität, darauf hat Honneth[4] zugleich hingewiesen, wird nicht aus einem Kanon gemeinsam getragener Werte entwickelt, sie schöpft vielmehr ihre Kraft aus der Auseinandersetzung mit dem gesellschaftlich konkret vorfindlichen Begriff ihrer Selbst.
Diesen Begriff setzt sich nicht aus den Gütern zusammen, die zu Konstituierung der Individuen gesellschaftlich abgefragt werden und deren Verteilung die zentrale Auseinandersetzung entsprechender Konflikte ist. Der Begriff der (Kollektiv)-Güter ist in den letzten Jahren (seltsamer-, aber verständlicherweise vornehmlich auf Seiten der politischen Linken) attraktiv geworden, weil sein ökonomischer Duktus die Kompatibilität gesellschaftlichen Belange und damit ihre politische Durchsetzbarkeit in einem kapitalistischen Umfeld signalisiert. Auf diesen Nenner gebracht wurden und werden soziale und Generationengerechtigkeit als miteinander vermittelbarer Normen gedacht, weil sich beider Belange in Gütern ausdrücken lassen.
Diese Vermittlung ist nur eine scheinbare, denn dem regulativen Konzept wohnt keine Kraft inne. Die Bedeutung der Güter kennt derjenige, der sie verteilt, das ist im Regelfall die staatliche Instanz, an die sich entsprechende Ansprüche richten, aber damit nicht notwendigerweise derjenige der sie braucht. Dessen Entscheidungsfähigkeit setzt vielmehr eine Autonomie voraus, die durch die Güter erst generiert werden soll. Dieses demokratische Dilemma lässt sich nur dadurch auflösen, dass Güter zwar als Kriterium staatlicher Verteilung, nicht jedoch zwingend als Medium eines zu Grunde liegenden Anerkennungsverhältnisses begriffen werden. Dieses ist zwar normativ definierbar, als solches aber ein historisch auf spezifischem Boden gewachsenes Gebilde, in das die Subjekte einbezogen sind. Für die Verständigung über Gerechtigkeit hat Honneth als vorläufiges Kriterium die Einrichtung einer Sozialsphäre benannt, „wie es die ihr zu Grunde liegende Anerkennungsnorm verlangt“. Ein diskursiver Prozeduralismus stelle schon deshalb keine Option dar, weil “ der Ausgang aus den stets schon existierenden Anerkennungsbeziehungen verlangt, (..) dass die Begründung der Gerechtigkeitsprinzipien auf einem Weg erfolgt, der durch das historische Material hindurchführt“. Nicht die ideelle diskursive Prozedur rechtfertigt die Grundsätze, sondern sie entwickeln ihren Geltungsanspruch aus den jeweiligen realen Kommunikationsverhältnissen. Eine normative Position, die den Ansprüchen künftiger Generationen Geltung verschaffen will, wird einem solchen Gang durch das historische Material ihrer eigenen Generierung natürlich mit Skepsis begegnen, weil sie ihre Unterlegenheit wittert. Doch kann sie nur an Kraft gewinnen, wenn sie, sich selbst begründend, sozial verankert. Sie kann dabei davon ausgehen, dass ihr sozialer Ort in Deutschland ein relativ großer, gleichwohl aber begrenzter, weil begüterter ist. Sie wird dabei merken, dass für sie gleichermaßen wie für die soziale Gerechtigkeit gilt, dass sie hilflos sind, wo sich die sozialen Verhältnisse als zerstört und gegenüber normativen Erwägungen als demoralisiert und ignorant erweisen. Sie wird akzeptieren müssen, dass die Vorstellung generativer Gerechtigkeit von sozialen Bedingungen ausgeht, die sie selbst nicht beeinflussen kann, die jedoch von der regulativen Idee der sozialen Gerechtigkeit in einer Weise geprägt werden können, die auch den Belangen künftiger Generationen Rechnung trägt. All das untergräbt eine Gerechtigkeitsvorstellung, welche die Lebenschancen zum Maßstab nimmt, die unter den künftig verschlechterten finanzieller und ökologischer Ressourcen noch ermöglich sind. Doch die Sicherung der Autonomie künftiger Generationen findet ihren Weg nur durch die Verteidigung und Entwicklung der Autonomie der bestehenden.
[1] Für das Folgende: Felix Eckardt 2005: Das Prinzip Nachhaltigkeit Generationengerechtigkeit und globale Gerechtigkeit, Verlag C. H. Beck München 2005.
[2] Dieter Birnbacher 1988 Verantwortung für zukünftige Generationen, Verlag Philipp Reclam Stuttgart.
[3] Ronald Dworkin 1994 Die Grenzen des Lebens, Rowohlt Reinbek bei Hamburg, S. 112 ff.
[4] Vergl.: Axel Honneth 2009 Das Gewebe der Gerechtigkeit Über die Grenzen des zeitgenössischen Prozeduralismus in: Westend 2.2009 Frankfurt a. M., S. 3-22.