Publikationen / vorgänge / vorgänge Nr. 189: Der ungeliebte Liberalismus

Für eine dritte Deutsche Einheit

Armin Laschet plädiert für eine umfassende Integration der Migranten;

aus: vorgänge Nr. 189, Heft 1/2010, S. 119-120

Armin Laschet, in jungen Jahren Mitarbeiter von Rita Süssmuth, die seine integrationspolitischen Positionen wesentlich geprägt haben dürfte, ist mit seiner für Unionsverhältnisse fortschrittlichen Integrationspolitik der herausragende Kopf in der ansonsten blassen CDU-FDP-Landesregierung NRW. Er hätte sich als Leiter eines neuen Bundesministeriums für Bildung und Integration auch in der schwarz-gelben Bundesregierung gut gemacht, zumal er Bildung mit Recht als entscheidende Voraussetzung für erfolgreiche Integration ansieht, eine Verbindung beider Politikbereiche in einem Ressort daher durchaus Sinn gemacht hätte.

Armin Laschet 2009 Die Aufsteiger-Republik. Zuwanderung als Chance. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln, 291 S., 19,95 €.

Wenige Monate vor der Bundestagswahl hat Laschet ein lesenswertes Buch vorgelegt, in dem er auf knapp 300 Seiten nicht nur die Geschichte der Ausländerintegration seit 1955 eindrucksvoll in Erinnerung ruft, sondern über eine große Bandbreite von Einzelaspekten hinweg – Asylrecht, Staatsbürgerschaftsrecht, Muslime in Deutschland, Rolle der Frauen in der Integration, kultursensible Altenpflege, Bildungspolitik einschließlich Primarbereich und Sprachförderung, Bleiberecht, Abschiebepraxis, Umgang mit Menschen ohne Papiere, Migration und Entwicklung u. a. – seine integrationspolitischen Vorstellungen niedergeschrieben hat. Sein Buch dürfte bei seinen konservativen Parteifreunden wenig Begeisterung ausgelöst haben, zumal er kaum ein gutes Haar an der Ausländerpolitik der Union, vor allem ihrer Innenminister Zimmermann und Kanther, in der Regierungszeit von Helmut Kohl lässt, die von der Devise „Deutschland ist kein Einwanderungsland“ und einer damit verbundenen Integrationsblockade geprägt war. Allerdings hat sich auch die rot-grüne Koalition noch lange mit wirklichen Fortschritten in der Integrationspolitik schwer getan. Das 2004 verabschiedete und maßgeblich vom damaligen Innenminister Schily mit verantwortete Zuwanderungsgesetz entpuppte sich rasch als von Sicherheitsdenken und Überfremdungsängsten geprägtes Zuwanderungsverhinderungsgesetz, wobei die Union im Bundesrat eine besonders unrühmliche Rolle spielte.

Laschets Buch durchzieht ein scheinbar unerschütterlicher Optimismus, der manchmal an Obamas „Yes we can“ erinnert, auf Rezension Gerd Pflaumer Für eine dritte Deutsche Einheit Armin Laschet den er sich auch ausdrücklich bezieht. Sehr eindrucksvoll wirken auf den Leser die immer wieder eingestreuten persönlichen Erlebnisse des Autors mit Migranten und deren Erfolgsgeschichten, die das Buch farbig und gut lesbar machen und über die – wie er zu Recht beklagt – in den Medien viel zu wenig berichtet wird. Die harte Wirklichkeit, wie sie sich an der alltäglichen rassistischen Diskriminierung, der wachsenden Islamophobie, den zum Teil erschreckenden Reaktionen in Leserbriefen, im Internet etc. auf das unsägliche Sarrazin-Interview und die Minarettentscheidung in der Schweiz, aber auch in den Untersuchungen von Heitmeyer über gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit zeigt, gerät dadurch immer wieder zu sehr in den Hintergrund. Allerdings zögert Laschet nicht, vor einer Islamisierung von Integrationsfragen zu warnen. Die Mehrheitsgesellschaft hat immer noch nicht verstanden, dass Zuwanderung mit Blick auf Demografie, zunehmenden Fachkräftemangel und Globalisierung als Bereicherung und Chance begriffen werden muss.

Dazu bedarf es, wie Laschet zu Recht fordert, eines Mentalitätswandels, der jedem Migranten unabhängig von seiner Herkunft politische Teilhabe und gesellschaftlichen Aufstieg ermöglicht und das Gefühl vermittelt, bei uns willkommen zu sein. Recht hat er auch mit seiner Feststellung, dass häufiger Schulabbruch oder hohe Arbeitslosigkeit von jugendlichen Migranten nicht auf persönliches Versagen, sondern auf „strukturelles Versagen unseres Landes“ zurückzuführen ist. Er fordert daher eine dritte Deutsche Einheit nach der erfolgreichen Integration von Millionen Vertriebener nach dem Krieg und der deutschen Vereinigung. Um dies zu erreichen, sei eine Kehrtwende der Integrationspolitik, die er als Gretchenfrage Deutschlands bezeichnet, notwendig. Der Schlüssel dazu liegt, wie Laschet richtig sieht, beim Thema Bildung, mit der Aufstiegsfahrstühle geöffnet werden müssen.

Leider lässt er hier, wohl aus Loyalität zu seiner Partei, die nötigen Konsequenzen im strukturellen Bereich vermissen und hält an der für junge Migranten nachweislich besonders nachteiligen frühen Aufteilung der Schüler in Haupt-, Realschule und Gymnasium fest, obwohl er an anderer Stelle von einem System der Chancenverwehrung spricht. Auf wenig Gegenliebe in seiner Partei wird Laschet mit seiner Forderung nach einem von UNHCR propagierten Resettlementprogramm für schutzbedürftige Flüchtlinge stoßen. Ähnliches ist zu befürchten, wenn er in Bezug auf Menschen ohne regulären Aufenthaltsstatus die bundesweite Abschaffung der Meldepflicht öffentlicher Stellen gegenüber den Ausländerbehörden in den Bereichen Bildung und Gesundheit fordert. Demgegenüber stößt er mit seiner Forderung nach erleichterter Zuwanderung für Hochqualifizierte und bessere Anerkennung ausländischer Abschlüsse bei der Koalition in Berlin auf Gehör. Gesiegt hat die Parteiloyalität beim grundsätzlichen Festhalten Laschets am Optionsmodell im Staatsangehörigkeitsrecht. Immerhin geht seine Einsicht in die deutsche Verlegenheitslösung soweit, dass er empfiehlt, bei älteren Migranten flexibel mit der doppelten Staatsangehörigkeit umzugehen.

Einen bedauerlichen Schlussakzent setzt Laschet mit seinem Plädoyer für eine „Gemeinsame Leitkultur“, obwohl er die Debatte um eine deutsche Leitkultur als wüste politische Rauferei bezeichnet. An anderen Stellen erkennt Laschet die Bedeutung von kultureller Vielfalt („Charakteristikum eines Einwanderungslands“) an. Der unselige Leitkulturbegriff, den viele Migranten als Ausgrenzung und Forderung nach kultureller Assimilierung verstehen, schlägt dem ins Gesicht. Eine „Kultur des Miteinander“ hätte als Überschrift besser zu dem gepasst, was er inhaltlich zum Ausdruck bringt.

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