Ewige Rente für die Kirchen?
Seit neunzig Jahren fordert die Verfassung eine Ablösung der Staatsleistungen an die Kirchen
aus: vorgänge Nr, 189, heft 1/2010, S. 86-94
Die Kirchen in Deutschland erhalten vom Staat, genauer: von den Ländern (außer Bremen und Hamburg) jährlich rd. 450 Mio. Euro sog. Staatsleistungen[1]. Jeweils etwa die Hälfte geht an die katholischen Diözesen und an die evangelischen Landeskirchen. Dabei differieren die Zahlungen zwischen den Ländern nicht unerheblich, wie sich aus der Tabelle (s. u.) ergibt.
Staatsleistungen sind Zahlungen, die ohne Zweckbindung erfolgen. Man darf sie nicht mit Subventionen verwechseln, die von der öffentlichen Hand als Lenkungsmittel zur Erreichung eines bestimmten öffentlichen Zwecks in Form von finanziellen Zuwendungen an nichtstaatliche Organisationen und Personen gezahlt werden und von denen die Kirchen ebenfalls in vielfältiger Weise und großem Umfang profitieren: für Schulen, Hochschulen und Kindergärten, Krankenhäuser und Altenheime, Familienbildungsstätten und Einrichtungen der Jugendarbeit, andere diakonische und karitative Einrichtungen, Entwicklungshilfe und kirchliche Auslandsarbeit, ganz zu schweigen von den Staatsmitteln für Militär- und Anstaltsseelsorge, für Religionsunterricht, für Denkmalpflege und Kirchentage.
Staatsleistungen, also die zweckbindungsfreien staatlichen Zahlungen, gibt es in Deutschland (und nur in Deutschland) im Wesentlichen seit Beginn des 19. Jahrhunderts, um „die vermögensrechtliche Stellung der Kirchen, soweit sie auf dem bisherigen Zusammenhang mit dem Staat beruht, bis zur Neuregelung des finanziellen Verhältnisses zwischen Staat und Kirche aufrecht zu erhalten“, wie es das Reichsgericht in einer Entscheidung aus dem Jahre 1925 formuliert hat[2]. Über die positiven Staatsleistungen in Form von Geldzahlungen hinaus gibt es auch so genannte negative Staatsleistungen in Form von vielfältigen Steuer- und Abgabenbefreiungen; deren monetären Wert hat noch niemand auch nur annäherungsweise zu bestimmen sich in der Lage gesehen. Ist dieser Zustand mit dem weltanschauungsneutralen Staat vereinbar?
XXXXXXX Grafik
Staatsleistungen der Länder an die evangelische und die katholische Kirche ab 2000
(nach den Ansätzen der Haushaltspläne der Länder. Angaben bis 2001 in Mio. DM, ab 2002 in Mio Euro)
I.
Vor 90 Jahren: Der erste Weltkrieg war verloren, aus dem Deutschen Reich wurde als Folge der Novemberrevolution von 1918 eine demokratische Republik, mit allgemeinem und gleichem Wahlrecht, auch für die Frauen, auf allen Ebenen. Deutschland gab sich im Jahre 1919 durch die Weimarer Nationalversammlung eine Verfassung, die zwar mangels Verankerung in großen, politisch-ökonomisch bedeutsamen Teilen der Bevölkerung (Militär, Bürokratie, Geistlichkeit, Industrie, Großagrarier, Teile des Bürgertums) den kommenden Stürmen nicht gewachsen war, aber Prinzipien enthielt, die in wesentlichen Grundzügen auch heute noch in inzwischen gefestigter Geltung stehen: Grundrechte, Gewaltenteilung, demokratischer und föderaler Staatsaufbau, unabhängige Rechtsprechung.
Einen wichtigen Pfeiler der neuen Verfassungsordnung stellte die bis dahin fehlende klare Trennung von Staat und christlichen Kirchen dar. Dies war angesichts der die europäische und auch speziell die deutsche Entwicklung kennzeichnenden, Jahrtausende alten Verquickung von Staat und Kirche kein einfacher, sondern – für die Kirchen – ein schmerzlicher Vorgang, der von katholischer wie protestantischer Seite zunächst strikt abgelehnt wurde. Die Väter und Mütter der Weimarer Verfassung kamen den christlichen Kirchen allerdings in vielen Punkten entgegen, die Trennung war keine radikale, sondern eine kompromisshaft abgefederte: schulischer Religionsunterricht, theologische Hochschulen und Militärseelsorge blieben, ein Sonderstatus der Kirchen als „Körperschaften des öffentlichen Rechts“ wurde vorgesehen, und sie erhielten das Recht, Kirchensteuern zu erheben. Andererseits entfielen die geistliche Schulaufsicht und die Mitwirkung des Staates an personellen und organisatorischen Entscheidungen der Religionsgemeinschaften. Und vor allem: die bisherigen „auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen“ an die Kirchen sollten entfallen, die bis dahin von den deutschen Ländern – Ausdruck der cura religionis, der staatlichen Sorge für die Religion – als wesentliche Finanzierungsquelle der christlichen Konfessionen geleistet worden waren. Allerdings wurde den Kirchen der Geldhahn nicht abrupt zugedreht, vielmehr sollten die bisherigen Staatsleistungen der Länder zunächst weitergezahlt und nach Verabschiedung der Reichsverfassung abgelöst werden (Art. 138 Abs. 1 Weimarer Reichsverfassung). Dazu sollte ein Ablösungsgesetz des Reiches erlassen werden, auf dessen Grundlage im Wege der Landesgesetzgebung die Ablösung herbeigeführt werden sollte. Zu einer Ablösung der Staatsleistungen ist es nicht gekommen, nicht einmal zu einem Reichsgesetz über die Grundsätze der Ablösung. Vielmehr zahlten die Länder weiterhin, und auch die von vielen ebenfalls als „negative“ Staatsleistungen angesehenen bestehenden Befreiungen der Kirchen von der Pflicht zur Zahlung von Angaben (Steuern, Gebühren) existierten weiter. Ja, in einigen Ländern (Bayern, Baden, Preußen) wurden diese Leistungen bereits während der Zeit der Weimarer Republik durch Kirchenverträge und Konkordate abgesichert; das im Jahre 1933 zwischen Hitler und dem späteren Papst Pius XII. geschlossene Reichskonkordat (Artikel 18) enthält über die Weimarer Reichsverfassung hinausgehende Bestimmungen über die besondere Beteiligung des Heiligen Stuhls im Fall der Ablösung der Staatsleistungen.
Nachdem es 1948/1949 im Parlamentarischen Rat bei den Verfassungsberatungen zu einer Einigung nicht kam, hat das Grundgesetz in seinem Artikel 140 das Weimarer Staatskirchenrecht in wesentlichen Teilen übernommen, indem es einige der entsprechenden Artikel der Reichsverfassung zu Bestandteilen des Grundgesetzes erklärte; dazu gehörte auch die Vorschrift über die Staatsleistungen. Es besteht also nach 1949 und bis heute weiterhin unverändert der Verfassungsauftrag, die Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften landesgesetzlich abzulösen, nachdem zuvor der Bundesgesetzgeber dafür die Grundsätze aufgestellt hat.
Aber auch seitdem ist in Deutschland nichts in dieser Richtung geschehen. Im Gegenteil: Die Länder – nach der Revolution von 1989 auch alle neuen Bundesländer – haben zahlreiche weitere Kirchenverträge und Konkordate mit den christlichen Kirchen abgeschlossen, in denen sie den Kirchen die Staatsleistungen, in der Regel betragsmäßig, zusicherten und ihre kontinuierliche Erhöhung, und zwar nach Maßgabe der Entwicklung der Beamtenbesoldung, festschrieben. Eine Ablösung sowie ein Ablösungsgesetz ist – wie auch die Festschreibung in Kirchenverträgen und Konkordaten zeigt – selbst 90 Jahre nach Inkrafttreten der Weimarer Reichsverfassung weniger als jemals zuvor in Sicht.
II.
Aus dem Ablösungsgebot der Weimarer Reichsverfassung, welches in einem Akt des Entgegenkommens gegenüber den Kirchen einen gleitenden Ausstieg aus den Staatsleistungen an Stelle des sofortiges Ende vorsah, hat die „herrschende Meinung“ der Rechtswissenschaft, welche in Deutschland traditionell in Übereinstimmung mit dem Bundesverfassungsgericht ganz überwiegend höchst kirchenfreundlich ist, inzwischen in einer bemerkenswerten dialektischen Volte eine faktisch ewig wirksame finanzielle Bestandsgarantie für die derzeit gewährten Staatsleistungen gemacht[3]. Das Argument lautet: Wenn und solange nicht abgelöst wird, muss nach Maßgabe der bestehenden kirchenvertraglichen Vereinbarungen weiter geleistet bzw. Abgabenfreiheit gewährt werden (Rechtsanspruch der Kirchen), und zwar bis zum Sankt Nimmerleinstag. Die Kirchen, die in langen Zeiträumen zu denken pflegen, wären bei dieser für sie günstigen Beurteilung der Rechtslage schlecht beraten, wenn sie einer Ablösung der Staatsleistungen das Wort redeten. Denn selbst wenn sie gewaltige einmalige Ablösungsentschädigungen bekämen, wäre – auch angesichts der unsicheren Entwicklung des Geldwertes – eine gesicherte ewige staatliche Rente mit regelmäßigen Steigerungen die attraktivere Variante. Dies umso mehr, als die Höhe der Staatsleistungen (bisher) nicht von der Zahl der Kirchenmitglieder abhängt; deren Zahl schrumpft bekanntlich kontinuierlich[4]. Je länger der jetzige – verfassungswidrige – Zustand dauert, desto besser für die davon begünstigten Religionsgemeinschaften.
Auch für die öffentlichen Hände ist eine Ablösung – jedenfalls vordergründig – alles andere als attraktiv. Vor einer einmaligen Ablösung des vollen Wertes der Staatsleistungen, etwa in Höhe des 25-fachen der derzeitigen Leistungen, haben die allenfalls überschaubare Zeitabschnitte überblickenden und von Haushaltssorgen chronisch geplagten Landespolitiker mit Blick auf die Finanzkraft ihres Landes Angst. Zudem würde vermutlich bereits eine Diskussion über die Ablösung der Leistungen die Kirchen verärgern. Und ob sich die Kirchen mit dem 25-fachen der heutigen Zahlungen oder irgendeinem anderen Angebot zufrieden geben würden, ist durchaus ungewiss.
Übrigens gibt es keinerlei aus der Verfassung ableitbare Begründung dafür, dass die Ablösung der Staatsleistungen in einem „vollen Ersatz für das weggefallene Recht“ bestehen muss, wie seit einer solchen Festlegung im Bayerischen Konkordat von 1924 (Art. 10 § 1) immer wieder behauptet wird[5] und nicht etwa auch in einem „angemessenen Ausgleich“ bestehen könnte, der weit unter der vollen Schadenskompensation liegen könnte. Der Unterschied zwischen vollem Ersatz und angemessener Entschädigung kann, wie jedem Juristen geläufig ist, ein ganz erheblicher, möglicherweise – mit Blick auf die Leistungsfähigkeit der öffentlichen Hand – entscheidender sein. Es sei denn, man behauptet – rabulistisch – nur das „volle Äquivalent“ sei ein „angemessener Ausgleich“[6].
III.
Bei dieser offenkundig übereinstimmenden Interessenlage von Staat und Kirchen, nämlich nichts zur Ablösung zu unternehmen, gerät nicht nur die Verfassungslage außer Betracht (1.), sondern auch die historische Begründung der Staatsleistungen, aus der sich ja die materielle Rechtfertigung dafür ergeben sollte, warum die Kirchen Geld vom Staat erhalten sollten (2.)
1. Zur Rechtslage
Die soeben beschriebene Einigkeit von Staat und Kirchen darüber, dass es vorteilhafter wäre, die Staatsleistungen an die Kirchen nicht abzulösen, entbindet Bund und Länder nicht von dem Verfassungsauftrag des Grundgesetzes. Es heißt in Art. 140 Grundgesetz in Verbindung mit Art. 138 Abs. 1 Weimarer Reichsverfassung unmissverständlich: „Die … Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften werden … abgelöst.“ Dazu bedarf es des Zusammenwirkens
- des Bundes, welcher ein entsprechendes Grundsätzegesetz erlassen muss,
- und der Länder, die auf der Grundlage eines solchen Gesetzes die Staatsleistungen im Wege eines Landesgesetzes ihre jeweiligen Staatsleistungen abzulösen hätten.
Sinn der Verfassungsvorschrift ist: Die historisch entstandene Verflechtung von Staat und Kirche soll seit nunmehr 90 Jahren durch die Ablösung auch auf finanziellem Gebiet beseitigt werden[7]. In Anbetracht dessen entbehrt die bis heute fortdauernde Untätigkeit der Gesetzgeber jeglicher Rechtsfertigung. Während die Länder darauf verweisen, dass es ein Grundsätzegesetz des Bundes (noch) nicht gibt und sie daher nicht tätig werden können, beruft sich die Bundesregierung zur Begründung ihrer Untätigkeit darauf, dass „weder von Seiten der Länder noch der Kirchen … Bestrebungen nach einer Neugestaltung bekannt“ seien, also kein Handlungsbedarf bestehe[8]. Der zitierte Verfassungsauftrag bindet als voll gültiges Verfassungsrecht jedoch alle staatliche Gewalt[9], also auch die Bundesregierung, welche in dieser Angelegenheit von sich aus initiativ werden könnte und müsste – unabhängig von „Bestrebungen“ seitens der Länder oder gar der Kirchen. Der Verfassungsauftrag bindet auch die Länder, die – wenn der Bund pflichtwidrig untätig bleibt – ebenfalls die Initiative für ein Grundsätzegesetz ergreifen müssten und nach Art. 76 Abs. 1 GG dazu auch in der Lage sind. Dies liegt für die Länder auch deswegen nicht fern, weil sie durch Zahlung von Staatsleistungen in Form einer „ewigen Rente“ auch ewig haushaltsmäßig belastet werden, also eine Belastung dulden, derer sie sich von Verfassungs wegen (Trennung von Staat und Kirche) gerade entledigen sollen.
Dass die Politik über alle Parteien hinweg den Verfassungsauftrag nicht ernst nimmt, ist evident. Der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag, der Abgeordnete Wiefelspütz, behauptete in einer schriftlichen Antwort auf eine entsprechende Nachfrage eines Bürgers am 13.4.2008 (die SPD trug zu dieser Zeit Regierungsverantwortung), die Entscheidung zur Ablösung der Staatsleistungen unterliege der „politischen Opportunität“[10] und er fügte hinzu: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass eine Position, die seit 1949 im Deutschen Bundestag mit breitester Mehrheit eingenommen wird, in absehbarer Zeit geändert wird.“ Es soll nicht bezweifelt werden, dass bei der Frage, wie und zu welchem Zeitpunkt Verfassungsaufträge vom Gesetzgeber erfüllt werden, in gewissen Grenzen politisches Ermessen walten kann. Auch das Bundesverfassungsgericht lässt dem Gesetzgeber, wenn es die Verfassungswidrigkeit von Akten der Gesetzgebung feststellt, für die Reparatur häufig einen sachlichen und zeitlichen Spielraum, wie zuletzt bei den Überhangmandaten im Wahlrecht[11] oder bei der Festsetzung der Hartz-IV-Regelsätze[12]. Dass aber nach Auffassung von Volksvertretern die politische Opportunität – selbst in Gestalt der „breitesten Mehrheit“ – darüber entscheiden soll, ob ein Verfassungsauftrag überhaupt erfüllt werden soll, darf man wohl mit Fug und Recht als verfassungspolitischen Skandal bezeichnen.
2. Fortdauernde Gründe für die Weitergewährung von Staatsleistungen?
Historischer Anlass für die Gewährung von Staatsleistungen war die Säkularisation von Kirchenvermögen, welches zuvor dem materiellen Bedarf der Kirchen diente. Das Kirchengut wurde im Zuge der Entwicklung der Neuzeit seit der Reformation in mehreren Schritten säkularisiert; kirchliche Unterhaltungsleistungen wurden dafür vom Staat übernommen. Für die evangelische Seite geschah das zu einem großen Teil bereits im 16. Jahrhundert mit der Aufhebung der Klöster und Abteien und mit der Entstehung des landesherrlichen Kirchenregiments, für die katholische Seite überwiegend als Kompensation der mit dem Regensburger Reichsdeputationshauptschluss von 1803 verbundenen Säkularisationsverluste, als die Güter der Stifte, Abteien und Klöster der freien und vollen Disposition der Landesherren übertragen wurden[13]. Im Hinblick darauf übernahm „die weltliche Gewalt, die sich kirchliches Vermögen und geistliches Territorium einverleibte, … die finanzielle Ausstattung der Religionsgemeinschaften“, beschreibt der Rechtswissenschaftler Isensee im „Handbuch des Staatskirchenrechts“[14] diesen Vorgang.
Diese Begründung, im 19. Jahrhundert möglicherweise noch tragfähig, kann heute aus mehreren Gründen nicht mehr greifen:
- In einer Gesellschaft, die in ihrer Verfassung staatliche Angelegenheiten und solche der Religionsgemeinschaften gerade trennt, ist es nicht Aufgabe des Staates, die finanzielle Ausstattung einiger Religionsgemeinschaften, nämlich der Kirchen, zu gewährleisten. Das „Bedürfnis der Religionsgesellschaften nach dauerhafter finanzieller Sicherung“[15] kann nicht ernsthaft als Begründung für die Fortzahlung der Staatsleistungen vorgetragen werden.
- Staatsbürgerschaft und Kirchenmitgliedschaft sind heute nicht mehr identisch; nur noch knapp 60 Prozent der Bevölkerung gehören – nominell – einer der beiden christlichen Konfessionen an.
- Auch faktisch können die Kirchen als gesellschaftliche Organisationen durchaus unabhängig vom Staat existieren, denn anders als im 19. Jahrhundert (was in diesem Zusammenhang gerne verschwiegen wird) gibt es inzwischen eine – noch dazu in Art. 137 Abs. 6 WRV vom Staat verfassungsmäßig gesicherte – hinreichende eigene Finanzierungsquelle der Kirchen: die Kirchensteuer. Diese Quelle, deren besondere Problematik an dieser Stelle außer Betracht bleiben muss, sprudelt reichlich[16] und deckt ganz überwiegend den kirchlichen Finanzierungsbedarf; die Staatsleistungen der Länder stellen nur schätzungsweise 5 Prozent der gesamtkirchlichen Einnahmen dar. Einer zusätzlichen allgemeinen staatlichen Ergänzungsfinanzierung der Kirchen[17] bedarf es daher nicht – so wohltuend diese Ergänzung kirchlicherseits mit Sicherheit auch empfunden wird.
- Selbst wenn man zugibt, dass Staatsleistungen nach der großen Säkularisationswelle zu Beginn des 19. Jahrhunderts gerechtfertigt waren, weil die Pfarrer und das Kirchenregiment nach Wegfall des materiellen Substrats der Kirchen anders kaum bezahlt werden konnten, selbst wenn man es sogar für vertretbar hält, dass nach der verfassungsrechtlichen Trennung von Staat und Kirche im Jahre 1919 den betroffenen Religionsgemeinschaften legitimerweise für einen Übergangszeitraum (im Wege eines Verfassungskompromisses) die Anpassung an die neuen Verhältnisse erleichtert werden sollte, ist diese Rechtfertigung inzwischen durch Zeitablauf seit langem entfallen.
- Ferner: Nicht nur die Kirchen, sondern auch viele andere Menschen, Organisationen, Vereinigungen sind im Verlaufe der Jahrhunderte, namentlich der letzten, durch geschichtliche Ereignisse um ihr Hab und Gut gebracht worden, vertrieben, ausgelöscht, enteignet durch Kriege, Gewaltherrschaft, Inflation, Verbrechen, ohne dass sich der jeweilige Staat deshalb auf ewige Zeiten zur Kompensation dieser Schäden verpflichtet gefühlt hat. Eine das Gemeinwohl aller Bürgerinnen und Bürger berücksichtigende Begründung für die bevorzugte Behandlung (dauerhafte Entschädigung) gerade der christlichen Körperschaften ist nicht erkennbar.
- Bei der historischen Fokussierung auf die Säkularisation zu Lasten der christlichen Korporationen bleibt kirchlicherseits völlig außer Betracht, auf welche Weise ihrerseits die Kirchen, die Bischöfe und Klöster, die Stifte und Abteien zu dem Kirchengut gekommen sind, dessen Verlust entschädigt bzw. mit Hilfe der Staatsleistungen kompensiert werden soll: Stets auf friedlichem Weg, durch ehrliche Arbeit, durch milde Spenden? Oder nicht doch ganz oder teilweise auch durch Krieg, Raub, Gewalt und Betrug, durch geistlichen Druck auf die Gläubigen, durch zweifelhafte Geschäfte mit der weltlichen Macht, durch Ausplünderung von Juden, Ketzern, Andersgläubigen? Die generelle Schutzwürdigkeit des säkularisierten Kirchengutes ist gelinde gesagt zweifelhaft.
Der Staat, d.h. die deutschen Länder vor und während der Weimarer Republik sowie seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland, haben sowohl in der Zeit nach den Säkularisationsereignissen als auch in den vergangenen 90 Jahren die finanziellen Verpflichtungen gegenüber den Kirchen – wenn es denn Verpflichtungen waren – korrekt und kontinuierlich erfüllt. Das gilt im Wesentlichen sogar für Nazi-Deutschland und für die DDR18. Damit dürfte der Staat in ausreichendem Umfang zunächst für die finanzielle Ausstattung der Kirchen gesorgt und später, nach der verfassungsrechtlichen Trennung von Staat und Kirche, der Idee der Übergangsfinanzierung weit über das angestrebte Maß hinaus Rechnung getragen haben. Die Zahlung einer ewigen Rente ist das genaue Gegenteil der von der Verfassung geforderten Ablösung der staatlichen Leistungen. Die Kirchen haben übergangsweise bekommen, was sie bekommen sollten – und mehr als das. Die „Ablösung“ der Staatsleistung hat durch jahrzehntelange staatliche Zahlung bereits stattgefunden. Bei dieser Betrachtungsweise lautet das Ergebnis:
Bund und Länder könnten und sollten gemeinsam feststellen, dass die Ablösung der Staatsleistungen nach Art. 138 Absatz 1 der Weimarer Reichsverfassung 90 Jahre nach Inkrafttreten dieser Reichsverfassung durch langjährige staatliche Zahlungen und staatlichen Einnahmeverzicht erfolgt ist. Das wäre ein notwendiger, mutiger und wichtiger Schritt zur Trennung von Staat und Kirche, einer Trennung, die unsere Verfassung seit 90 Jahren verlangt.
Sollte – erwartungsgemäß – eine solche Lösung politisch nicht realisierbar sein, dann sollten jedenfalls die dazu berufenen Verfassungsorgane des Bundes und der Länder sich auf den Weg zur Erfüllung des Verfassungsauftrags machen: Verabschiedung eines Ablösungsgesetzes des Bundes nebst Umsetzung desselben in den Ländern.
[1] Die kommunalen Leistungen an die Kirchen bleiben hier außer Betracht.
[2] Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Bd. 111 S. 134/138: Es ging um die Beseitigung der Steuerfreiheit für kirchlichen Grundbesitz im Land Braunschweig.
[3] Vgl. für alle: Morlok, in: Dreier, Grundgesetz Kommentar Bd. III 2. Aufl. 2008, Randnummer 13 zu Artikel 138 WRV, dort weitere Nachweise. Bemerkenswerter Weise wird dabei der Fortfall der zu Zeiten der Weimarer Republik noch geltenden, jedoch nicht in das Grundgesetz übernommenen Besitzstandklausel des Art. 173 WRV für unbeachtlich erklärt, weil bereits Anschütz diese Vorschrift für überflüssig gehalten habe (Kommentar, 14. Aufl. 1933 Anm. 1 zu Art. 173).
[4] Auf Grund der Bevölkerungsstruktur, aber auch wegen der Kirchenaustritte: bei den Katholiken: 2007 rd. 94.000 Austritte, 2008 rd. 121.000 Austritte (Statistik der Deutschen Bischofskonferenz); bei der evangelischen Kirche 2006 rd. 122.000 Austritte, 2007 rd. 131.000 Austritte (Kirchenamt der EKD).
[5] von Campenhausen/de Wall, Staatskirchenrecht, 4. Aufl. 2006, S. 287: sogar das Reichskonkordat von 1933 spricht nur von einem „angemessenen Ausgleich“ (Art. 18 Abs. 3).
[6] So aber Werner Weber, Die Ablösung der Staatsleistungen an die Religionsgemeinschaften, 1948 S. 40.
[7] von Campenhausen/de Wall, Staatskirchenrecht, 4. Aufl. 2006, S. 281.
[8] Antwort der Bundesregierung vom 18.9.2003 auf eine Anfrage des MdB Manzewski (SPD) Bundestagsdrucksache 15/1612 S. 7.
[9] Jarass/Pieroth, Grundgesetz, Kommentar, 10. Aufl. 2009, Art. 140 GG/138 WRV Randnummer 1.
[10] Offenbar im Anschluss an Korioth, in: Maunz/Dürig/Herzog, Grundgesetz, Randziffer 10 zu Art. 138 WRV (Februar 2003).
[11] Beschluss vom 3.7.2008, Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bd. 121 S. 266.
[12] Urteil vom 9.2.2010, 1 BvL 1,3 und 4/09.
[13] § 35 Reichsdeputationshauptschluss, Abdruck in: E.R. Huber (Hsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte Bd. 1, 3.
Aufl. 1978 Nr. 1, und in: A. Buschmann (Hsg.), Kaiser und Reich, Klassische Texte zur Verfassungsgeschichte des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, 1984 Nr. 16 S. 591/622.
[14] Band I, 2. Auflage 1996 S. 1011.
[15] So Isensee a.a.O S. 1037.
[16] Von 2007 auf 2008 stiegen bei den Diözesen die Kirchensteuereinnahmen um durchschnittlich 8,7 Prozent auf rd. 5,2 Mrd. Euro, bei den evangelischen Landeskirchen um 8,4 Prozent auf rd. 4,9 Mrd. Euro.
[17] Gemeint sind hier nur die Staatsleistungen nach Art. 138 Abs. 1 WRV, nicht staatliche Subventionen (Zweckzuweisungen) im oben beschriebenen Sinn.
[18] Für die DDR-Zeit: Mampel, Die sozialistische Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik, Text und Kommentar, 1972, Anm. 9 zu Art. 39 und Roellecke NJW 1991, 657/658.