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Resym­me­trie­rung der Asymmetrie

Zur Rückwirkung asymmetrischer Konflikte auf die rechtsstaatliche Sicherheitsarchitektur;

aus: vorgänge nr. 189, Heft 1/2010, S. 95-102

I. Einleitung

Als theoretisches Modell und ebenso in seinen Erscheinungsweisen in der politischen Praxis erweist sich das Phänomen der Asymmetrie als eines mit stetig steigender politischer und sozialer Relevanz. Es sieht ganz danach aus, dass die Form der Asymmetrie das Grundgerüst der Weltpolitik des 21. Jahrhunderts im Wesentlichen beeinflussen wird. Insbesondere in der Diskussion des Phänomens „Global War on Terrorism“ wurde immer wieder konstatiert, dass uns möglicherweise eine Transformation der Weltordnung durch asymmetrische Kriege bevorstünde, die nicht mehr aus der Perspektive der Symmetrie der Staatenwelt der westfälischen Ordnung zu erklären seien. Asymmetrische Kriegsführung bedeutet, dass sich ungleiche Kontrahenten gegenüberstehen und der vermeintlich Schwächere versucht, die Stärken seines Gegners durch unkonventionelle Kriegsstrategien zu unterlaufen. Irregulär kämpfende Akteure unterhalb des Plateaus von Staatlichkeit sehen in asymmetrischen Kampftaktiken eine Chance, einem Gegner, den sie unter symmetrischen Umständen nicht besiegen könnten, nachhaltig zu schaden. Der transnationale Terrorismus stellt, wie insbesondere Herfried Münkler (2004: 54) argumentiert, sozusagen eine in die Offensive drängende umgewandelte Partisanenstrategie dar und lässt sich als eine Art aggressive „Form der strategischen Asymmetrisierung von Gewaltanwendung“ beschreiben.

Man kann nicht übersehen, dass wir seit einigen Jahren Zeugen einer Entwicklung sind – das ist die leitende These der nachfolgenden Betrachtungen -, die man als Dialektik von asymmetrischen Konflikten bezeichnen kann (siehe auch Holzinger u.a. 2010). Schon bald nach den Terroranschlägen des 11. September 2001 kam es in der Sicherheitspolitik zu einem folgenreichen strategischen Paradigmenwechsel, bei dem das Konzept der Resymmetrierung eine wichtige Rolle spielt. Es ist seit langem bekannt, dass konventionelle Regierungskräfte bei der Bekämpfung der trotz Kampfkraft und Gefechtswert vielfach unterlegenen asymmetrischen Gegner immense Probleme haben (vgl. van Creveld 1998; Daase 1999). Resymmetrierung bedeutet die Wiederherstellung des Kräftegleichgewichts, so dass sich die Kampfmittel in ihrer Ausprägung und Struktur von neuem sehr ähneln. Die Stabilität des westfälischen Systems beruhte auf der Grundlage, dass die einzelnen Mächte immer wieder symmetrische Konfigurationen auf der Basis des Prinzips der Reziprozität herstellten. Wie sich derzeit aber anhand der weit reichenden Veränderungen in der Sicherheitspolitik ablesen lässt, kommt das Prinzip der Resymmetrierung – das ist die Ironie der Lage – gewissermaßen in umgekehrter Richtung zur Anwendung. Um asymmetrische Gewaltanwendung der Gegner zu beantworten und eine Gleichverteilung von Chancen herzustellen, gleichen sich staatliche Organe dem schwachen Gegner an. Wie substaatliche Akteure greifen Regierungsgewalten nun auf asymmetrische und damit unkonventionelle Kampfweisen zurück. Es kommt gleichsam zu einer Symmetrie der Asymmetrie. Auch Staaten haben somit unter bestimmten strategischen Bedingungen als ultima ratio die Möglichkeiten des unkonventionellen Kampfes, des asymmetrischen Krieges für sich erkannt (vgl. Freudenberg 2008: 383).

Davon bleibt insbesondere die Legitimität rechtlicher und politischer Verfahren nicht unangetastet. Es scheint so, dass unter den gegebenen Sicherheitsproblemen Rechtsnormen einer Neuordnung unterliegen. Die Frage stellt sich schon heute, ob das Maß an sicherheitspolitischen Reformen unter dem Signum einer Formveränderung in Richtung asymmetrischer Konfliktaustragung nicht zu einer Transformation einer liberalen Strafrechtspolitik in ein hyperpräventives Bekämpfungsrecht führt, in welcher die „rechtsstaatlichen Zäune“ gesprengt werden (Hoffmann-Riem 2002: 500). Mit dem Phänomen einer Resymmetrierung im Kontext asymmetrischer Reaktionsformen könnte eine Krise des modernen Sicherheitsstaates ausgelöst werden, die paradoxe rechtliche und politische Effekte zeitigt. Die Paradoxie besteht darin, dass sich die Sicherheitsbemühungen, die sich auf die Terrorismusbekämpfung fokussieren, ihrerseits zu einer Sicherheitsbedrohung entwickeln und die Legitimität des Staates aufs Spiel setzen. Die Techniken, die der Staat aufwendet, um der Sicherheitsrisiken Herr zu werden, stehen potentiell in Gefahr sich immer mehr in solche zu verwandeln, die den gegnerischen Gewaltstrategien zum Verwechseln ähnlich sehen.

Bevor die dynamischen Implikationen des Phänomens der Symmetrie der Asymmetrie diskutiert werden, soll zunächst noch einmal das thematische Feld abgesteckt werden. Im Zentrum der folgenden Überlegungen steht das Begriffspaar „Symmetrie-Asymmetrie“.

II. Symme­tri­sche Kriege

Die Gewaltmittel der klassischen Kriege lassen sich durch den Begriff der Symmetrie kennzeichnen. Die modernen Staatenkriege sind – als Idealtyp gedacht – symmetrische Kriege. Symmetrie bedeutet „Gleichartigkeit“, Gegenseitigkeit und Äquivalenz (vgl. Münkler 2006: 62). Symmetrie wird durch Norm- und Regelinternalisierung hergestellt. Das bedeutet, dass die „Wildheit“ des Krieges durch sittliche Normen abgeschwächt und modifiziert wird. Der zwischenstaatliche Krieg ist somit – was seiner destruktiven Folgen wegen zunächst irritieren mag – als ein regelgeleiteter sozialer Sachverhalt zu bezeichnen. Denn er folgt, wie alle sozialen Institutionen, gewissen Regeln und ist eingehüllt in ein ganzes Arsenal von Sanktionen, das die gegnerischen Parteien daran hindern soll, den Verlockungen einer Asymmetrierung der Kriegskonstellation anheimzufallen. Christopher Daase (1999: 84) nennt hierfür Effizienzregeln, Instrumentalitätsregeln, Rechtsregeln, die Trennung von Kombattanten und Nicht-Kombattanten (Zivilisten) und die zeitliche und räumliche Begrenzung des Krieges.

Die „Einhegung des Krieges“ ist zudem vor allem eine Leistung des Völkerrechts. Oder anders gesagt: Das klassische Völkerrecht „ist das Völkerrecht eines im Kern symmetrischen Staatensystems“ (Münkler 2006: 279). Mit dem Staatenkrieg ließ sich eine Form von Krieg und Kriegsführung legitimieren, die sich politisch und rechtlich regulieren ließ. Aus dieser Perspektive ist der Feind im Krieg kein Rechtsbrecher, sondern wird als „justus hostis“ prinzipiell als gleich anerkannt. Alle Regierungen, wie auch Armeen und juristische Berater waren sich einig, dass nur der Staat mit Hilfe des Militärs Kriege führen könne, weshalb das Volk soweit wie möglich vom Kriegsgeschehen fernzuhalten sei. Die Gewaltfront wurde gleichsam von der „Heimat“ oder dem zivilen Leben getrennt. Selbstverständlich war diese feinsäuberliche Trennung in der realen Kampfhandlung nicht immer realisierbar. Die Kriegsgeschichte zeigt mannigfaltige Gräueltaten gegen die Zivilbevölkerung. Dennoch sollte im Prinzip die Differenz von Militär und Volk um jeden Preis aufrechterhalten werden.

Der Idealtyp einer symmetrischen Konstellation war der Kalte Krieg. Im Kalten Krieg waren die beiden Supermächte mit der Regeneration des Schreckens befasst. Die Lösung bestand im Entwurf einer aberwitzigen Abschreckungsstrategie, die Raymond Aron (1980) auf die kluge Formel gebracht hat: Im Zeitalter des Nuklearkrieges, seien Kriege nicht mehr zu führen, sondern nur mehr zu denken. Kriege, wie sie im herkömmlichen Sinn stattfanden, waren mit dem Auftauchen der nuklearen Bombe gar nicht mehr vorstellbar. Die nukleare Waffe wird von getarnten Zentralen aus gestartet, die ihr Ziel finden, noch ehe ein Soldat zum Kampf angetreten wäre. Die Kernwaffe müsse jede aggressive und offensive Kriegshandlung ins Absurde führen. „Der Atomkrieg ist keine Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln mehr. (…) Die Drohung ersetzt das Handeln, die Abschreckung die Entscheidung.“ (Aron 1980: 455) Jetzt gehe es darum, die zentrale Paradoxie auszuhalten, ja sich gleichsam darin einzugewöhnen, dass mit der Aufbietung aller Potentiale der Abschreckung eine Overkill-Situation geschaffen würde, die den beiden Supermächten klarmachte, dass der Krieg nicht mehr führbar war. Allein die Rationalität der Akteure würde garantieren, dass die nuklearen Vernichtungswaffen nicht zum Einsatz kämen, sondern im “ Raketenschach einem moralischen Verschleiß “ unterlägen (Münkler 2002: 211).

III. Asymme­tri­sche Kriege

Viele neue Gewaltkonflikte sind nun im Gegensatz zum symmetrischen Krieg durch die Asymmetrisierung kriegerischer Gewaltverhältnisse gekennzeichnet. Das bedeutet, dass in der Regel weder gleichartige Gegner bezüglich ihrer Kriegsinstrumente miteinander kämpfen noch die institutionellen Rahmenbedingungen des Völkerrechts und entsprechende Fairnessbedingungen beachtet werden.

Asymmetrische Gewaltkonflikte unterscheiden sich vom klassischen Staatenkrieg vor allem hinsichtlich ihrer Raum- und Zeitstruktur. Das strategische Ziel des staatlichen Krieges ist die „Niederwerfung des Gegners“ (Clausewitz). Staaten können einen Ausnahmezustand wie den Krieg nur eine Zeit lang aufrechterhalten. Deswegen werden sie in der Regel bestrebt sein, den Krieg vorzeitig durch Entscheidungsschlachten zu beenden. Im asymmetrischen Konflikt wird dieses Zeitkalkül gestört. Der Krieg schwelt dahin. Die binäre Codierung von Krieg oder Frieden wird durchbrochen. Die Kampfhandlungen sind häufig gleichsam eingeschlafen, um dann plötzlich wieder anzuheben (vgl. Münkler 2004: 26).

Zwischenstaatliche Kriege werden entlang einer Front geführt. Bei asymmetrischen Konfliktlagen verwischen die Grenzen. Die Unterscheidung von Front und Hinterland, die man mit dem modernen Staatenkrieg in Verbindung bringt, wird nach und nach aufgehoben. Zudem richtet sich die Kriegsführung nicht mehr so sehr gegen ein bewaffnetes Gegenüber, sondern vielmehr gegen die Zivilbevölkerung. An die Stelle von Schlachten treten Massaker. In asymmetrischen Kriegskonstellationen ist mit der politischen Reziprozitätsakzeptanz, wie sie der zwischenstaatliche symmetrische Krieg hervorgebracht hatte, nicht zu rechnen.

IV. Symmetrie der Asymmetrie

Aus den bislang angestellten Überlegungen könnte man schlussfolgern, dass während der symmetrische Staatenkrieg in der Regel das Instrument der Starken, asymmetrische Gewaltanschläge das Mittel der Schwachen sei. Eine solche Schlussfolgerung greift jedoch, wie ich oben bereits andeutete, zu kurz. Umgekehrt kann sich nämlich der Staat auch derselben asymmetrischen Methoden wie der Gegner bedienen. Die Resymmetrierungserfordernisse richten sich in diesem Fall auf das Ziel, die Unterlegenheit gegen den Gegner wettzumachen, die sich für die Regierungsgewalt aus dessen spezifisch irregulären Kampfstrategien ergeben. Zu Ende gedacht bedeutet dies, dass die Wiederherstellung der Symmetrie nur dann gewährleistet werden kann, wenn reguläre Streit- und Sicherheitskräfte im Kampf gegen Partisanen und Terroristen – überspitzt gesagt – selbst zu solchen werden (vgl. Freudenberg 2008: 389).

Symmetrische Formen von asymmetrischen Konfliktlagen sind sowohl zu konturieren gegen symmetrische Konfliktlagen des Staatenkrieges, in denen die Gegner noch von Normsymmetrie und einem wechselseitigen Anerkennungsverhältnis ausgehen, als auch gegen asymmetrische Konfliktlagen, in denen sich ein Kontrahent an die Regeln des zwischenstaatlichen Krieges hält, der schwächere Gegner hingegen die konventionellen Methoden des herkömmlichen Krieges ignoriert. Symmetrisch sind derartige Konfliktlagen, weil auch hier quasi die politische Grundtextur von Äquivalenz ihren praktischen Niederschlag in tendenziell „identischen Rationalitätsstandards“ (Münkler 2006: 282) findet. Im Prinzip läuft auch hier die Symmetrie auf eine Gleichverteilung von Chancen zu siegen und besiegt zu werden hinaus. Asymmetrisch sind die Konfliktlagen jedoch, weil sich beide im Konflikt befindende Parteien gleichermaßen nicht an die für symmetrische Kriegskonstellationen gängigen Regeln halten, sondern sich auf asymmetrische Maßnahmen einlassen. Während das Symmetrieprinzip in symmetrischen Staatenkriegen auf der Anerkennung von normativen Regeln und Regelkonformität basiert, ist dies bei asymmetrischen Konfliktlagen gerade nicht der Fall.

Es liegt auf der Hand, dass in dieser Konfliktsituation mit einer erheblichen Eskalationsdynamik der Gewaltanwendung zu rechnen ist. Wie soll man mit Gegnern umgehen, die es nicht mehr für nötig erachten, die Konfliktpartei zu warnen, offizielle Kriegs- oder Bekennererklärungen abzugeben und die ihre Gegenspieler offensichtlich in Gänze „als absoluten Feind betrachten“ (Münkler 2001: 587). Diesen Gegner kann man nur bekämpfen, wenn man sich dem asymmetrischen Vorgehen des Gegners anpasst und „einer Strategie der Terrorisierung der Terroristen folgt“ (Freudenberg 2008: 389). Zumindest scheint es nach Günther Jakobs evident danach zu fragen – und hier kommt dem Leser die Kategorie des „unlawful enemy combatant“ aus der amerikanischen Präventionspolitik in den Sinn – „ob nicht durch die strikte Fixierung allein auf die Kategorie des Verbrechens dem Staat eine Bindung auferlegt wird – eben die Notwendigkeit, den Täter als Person zu respektieren – die gegenüber einem Terroristen, der die Erwartung generell personalen Verhaltens gerade nicht rechtfertigt, schlechthin unangemessen ist“ (Jakobs 2004: 92). In ähnlicher Weise hatte der ehemalige Bundesinnenminister Schäuble auf einer Tagung der politischen Akademie in Tutzing seine Sorge artikuliert, er habe zunehmende Schwierigkeiten damit, dass ein Terrorist den gleichen Schutz des Grundgesetzes genießen solle wie jeder Bürger (SZ 31.05.2008).

V. Ein Blick auf die neue Sicher­heits­a­r­chi­tektur

Was aber heißt es nun genau, wenn reguläre Kräfte sich der Mittel der Gegner bedienen? Was nun sind die wesentlichen Effekte einer in dieser Weise strukturierten Sicherheitspolitik? Die Rechtsprofessoren Michael Pawlik (2008) und Claus Kreß (2008) haben dies in jüngst veröffentlichten Texten gut auf den Begriff gebracht und liefern eine erste Skizze, auf welche Weise ein Staat seine konventionellen Sanktionsinstrumente in eine irreguläre Form der Kampfführung umprogrammieren könnte.

Die Lösung des Problems des Terrorismus und der durch ihn verursachten Sicherheitsprobleme besteht, nach Pawlik und Kreß, in der Eröffnung eines Rechtsfeldes und eines operativen Handlungszusammenhangs, die als einer Art Graubereich zwischen Militär und Polizeirecht zu skizzieren wären. Bestandteil eines solchen Rechts wäre beispielsweise, dass Terroristen „auch dann gezielt getötet bzw. vorsorglich festgenommen werden dürften, wenn ihr (nächster) bewaffneter Angriff (noch) nicht unmittelbar bevorsteht“ (Kreß 2008: 400). Im Rahmen dieses neuartigen Präventionsrechts mit kriegsrechtlichen Elementen stehe primär die Unschädlichmachung des Gegners im Zentrum. Dazu gehört für Pawlik (2008: 43) – neben der Tötung des Gegners – z.B. auch die Möglichkeit der vorbeugenden Inhaftierung im Sinne einer Sicherungshaft und zwar grundsätzlich auch außerhalb konkreter Kampfhandlungen. Anzuraten wäre ebenso eine vorsichtige Ausweitung der zur Gefahrenabwehr zulässigen Befragungsmethoden (z. B. aus taktischen Gründen eingesetzte Täuschungen des Vernehmenden, etwa über das Aussageverhalten von Mitinhaftierten). Mit einem solchen Recht würde freilich der Präventionsstaat seine grundrechtlichen Zügel lockern. Pawlik fordert extensiv, „weit ins Gefahrenvorfeld ausgreifende Ermittlungsmaßnahmen“ (ebd.: 48). Partiell müsste die Gefahrenvorsorge den Platz der klassischen Gefahrenabwehr einnehmen. Dieses neue kriegsrechtlich orientierte Präventionsrecht hat nach Pawlik auch Auswirkungen auf die Rechte Unbeteiligter: In der neuen Gefahrenabwehr, insbesondere in ihrer mit kriegsrechtlichen Elementen angereicherten Variante, muss der Spielraum des Staates vergrößert werden. Äußerstenfalls „darf der Tod unbeteiligter Zivilisten in Kauf genommen werden.“ (Pawlik 2008: 47) In der Regel nehmen heute allerdings die Kollateralschäden des herkömmlichen Kriegsrechts „die verhältnismäßig milde Gestalt von vermehrten Eingriffen in die informationelle Selbstbestimmung an“ (ebd., 48).

Pawliks und Kreß` Skizze einer Strategie der „Kriminalisierung im Vorfeld“ (Günther Jakobs) hat natürlich maßgebliche Konsequenzen für die fragile Grenze zwischen dem präventiv polizeilichen Aufgabenbereich und dem Schutzraum der Grundrechte der Individuen. Der politische Souverän kann Grundrechte in asymmetrischen Konfliktlagen nicht nur im Angesicht einer realen Notsituation, sondern im Rahmen der vorbeugenden Verbrechensbekämpfung bereits im Vorfeld eines konkreten Schadens suspendieren. Er kann sogar im Hinblick auf die abstrakte Größe einer rein möglichen Gefahr den denkbar schärfsten Eingriff, nämlich einen Krieg (Präventivkrieg), rechtfertigen.

Dass sich zudem in der Terrorismusbekämpfung – wie für asymmetrische Konflikte üblich – das Differenzierungskriterium von Front und Hinterland auflöst, zeigt sich darin, dass bei Pawlik und Kreß alles andere als präzise bestimmt wird, wer und ab wann jemand als Feind/Gegner identifiziert wird. Mit der Hinwendung zur Vorsorge für die Verfolgung künftiger Straftaten wird ja genau die binäre Codierung von Kombattant und Zivilperson innerhalb des Rechts porös. Denn die auf einem Flughafen oder auf dem Bahnhof installierte Videokamera beobachtet eben jeden, den potentiellen Straftäter wie den harmlosen Passanten. Und sie muss dies auch tun, sonst würde sie auf den Täter erst zugreifen, wenn es zu spät ist. Damit entfällt aber auch die Möglichkeit des Bürgers, sich vom Zugriff der Sicherheitsmaßnahmen durch rechtmäßiges Verhalten abzuschirmen. „Da das Unheil an jedem Ort und zu jeder Zeit hervorbrechen kann, gibt es tendenziell keinen Bereich mehr, der dem Suchen und Spähen des Staates, der Erforschung der Risikoquellen entzogen ist…“ (Volkmann 2006: 919)

Dass es sich bei den Erörterungen von Pawlik und Kreß um keine bloße „Theorie“ handelt, zeigt in Ansätzen die Neufassung des BKA-Gesetzes vom 25. Dezember 2008.[1] Demnach soll auch in der Bundesrepublik Deutschland im Graubereich zwischen Krieg und Kriminalitätsbekämpfung eine umstrittene Präventionspraxis Fuß fassen. Das BKA hat nicht mehr nur die Funktion konkrete Gefahren abzuwehren. Es befasst sich proaktiv mit so genannten Vorfeldermittlungen, „um die Gefahren selber gar nicht erst eintreten zu lassen bzw. in unbestimmter Zukunft liegende, ungewisse Straftaten zu verhindern“ (Roggan 2009: 257). Zu den Methoden der „Abwehr einer Gefahr“ gehören die Rasterfahndung, ein neues Passgesetz, Durchsuchung der Wohnung ohne Einwilligung des Inhabers, verdeckte Online-Durchsuchungen durch so genannte „Trojaner“[2], Mautdatennutzung, Einsatz der Bundeswehr im Innern, Einschränkungen des Zeugnisverweigerungsrechts von „Berufsgeheimnisträgern“ wie Ärzten, Anwälten und Journalisten. Dabei darf das BKA von jetzt an auch in Kauf nehmen, dass Unschuldige ausgespäht werden, wenn sie zufällig anwesend sind. Mit dem Übergang zum neuen Präventionsstaat, der sich asymmetrischer Vorgehensweisen bedient, verändert sich nicht nur die Präventionspolitik. Im Präventionsstaat werden die Grundrechte – zumal diejenigen, die in erster Linie als Grundfreiheiten und Abwehrrechte gegen die Interventionen des Staates gerichtet sind – in primäre Eingriffsermächtigungen des Staates umgewandelt.

VI. Schluss­be­mer­kung

Es mehren sich die Anzeichen, dass asymmetrische Konfliktlagen das politische Geschehen der nächsten Jahrzehnte bestimmen werden. Die neue Sicherheitsarchitektur ist das asymmetrische Pendant zu den asymmetrischen Reaktionsformen des transnationalen Terrorismus. Die Langzeitfolgen dieser Entwicklungen lassen sich in ersten Ansätzen bei der Terrorismusbekämpfung in den USA erkennen. Nichts macht die Wirklichkeit politischer Gewaltausübung und die Asymmetrierung des Krieges deutlicher als die Bilder von geknebelten und gefesselten Männern in Guantànamo Bay, die im Sommer 2003 über die Bildschirme und durch die Zeitungen gingen. Die Bezeichnung Camp Deltas als „rechtsfreier Raum“ spiegelt eine Realität wider, in der die politische Dezision zunehmend eine konsequente symmetrische Rechtslogik außer Kraft setzt.

Ich schließe diese Überlegungen, indem ich nochmals den oben ausgebreiteten Gedankengang resümiere, der sich fast wie ein Axiom festhalten lässt. Daase (1999) hat bereits vor Jahren in einer instruktiven Studie auf die Folgen symmetrisch-asymmetrischer Konfliktlagen hingewiesen. Er geht davon aus, dass sich staatliche Legitimität auch darin zeigt, dass der Staat diejenigen Regeln einhält, die er selbst auferlegt. Gemäß Daase (1999: 224) ist allerdings festzustellen, dass der unkonventionelle Charakter der terrorististischen Gewaltanwendung auf Dauer den Staat dazu verleitet, „diese Verfahren zu umgehen und stehende Regeln zu brechen“. Im Gegensatz zu den großen zwischenstaatlichen Kriegen, die, wie Daase (1999: 91) dies ausdrückt, „tendenziell regelbildend“ sind, seien „irreguläre kleine Kriege“ und Terroranschläge „regelverletzend und -zersetzend“. Die Ungleichheit und Asymmetrie der Mittel zwingen den substaatlichen Akteur zu anderen strategischen Prinzipien. Nach dem Muster von Partisanenkriegen führen sie einen Krieg der Scharmützel. Bombenanschläge, Geiselnahmen, Erpressung, Raub, Einsatz von Abhörgeräten sind die etablierten Partisanenstrategien. Die bürokratisch organisierten Gewaltapparate der staatlichen Armeen werden von dieser Strategie überfordert. Um sie zu beantworten, müssen sich staatliche Akteure dem schwachen Gegner angleichen. Der Staat greift seinerseits auf Mittel zurück, die nicht regelkonform sind und die Prinzipien des legitimen Staates unterminieren. In der Praxis funktioniert dieses System dann über Verschleppungen, verdeckte Kriegsführung, geheime Inhaftierungen, Feindstrafrecht und Rettungsfolter. Das aber unterwandert fast notwendigerweise die Moral der Exekutive, weil mit zunehmender Dauer eines solchen Konflikts unklarer wird, was den regulären Soldaten noch vom bekämpften ‚Terroristen‘ oder ‚Aggressor‘ unterscheidet. In dieser Perspektive, so hat Giorgio Agamben (2003: 33) den Sachverhalt in einem schneidenden Kommentar zugespitzt, „bilden Staat und Terrorismus am Ende ein einziges System mit zwei Gesichtern, in dem jedes der Elemente nicht nur dazu dient, die Handlungen des anderen zu rechtfertigen, sondern jedes sogar vom anderen ununterscheidbar wird.“

Das ist der Punkt, an dem der Terrorismus freilich endgültig gesiegt hat und sein Ziel aufgegangen ist: die Diskreditierung des Gegners und seines darauf folgenden Reputationsverlustes vor der Weltöffentlichkeit. Denn dadurch, dass sich der Gegner in seinen Reaktionen als maßlos und brutal bloßstellt, inszeniert der Terrorist in den Augen der Öffentlichkeit eine Art von Rollenwechsel: „den Angreifer zum Angegriffenen und den Angegriffenen zum Angreifer zu machen“ (Waldmann 2000: 23).

[1] Vgl. „Gesetz zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalamt vom 25. Dezember 2008“, in: http://de.wikipedia.org/wiki/BKA-Gesetz#cite_ note-0 (abgerufen am 13.08.2009).

[2] Die Durchsuchung muss jedoch durch einen Richter angeordnet werden.

Literatur

Agamben, G. (2003), „Der Gewahrsam – Ausnahmezustand als Weltordnung“, in: FAZ, vom 19.04.03. S. 33.

Aron, R. (1980), Clausewitz, Den Krieg denken, Frankfurt/M.: Propyläen.

Van Creveld, M. (1998): Die Zukunft des Krieges, München: Murmann Verlag.

Daase, C. (1999), Kleine Kriege – Große Wirkung, Baden-Baden: Nomos.

Freudenberg, D. (2008), Theorie des Irregulären, Wiesbaden: VS Verlag.

Hoffmann-Riem, W. (2002), „Freiheit und Sicherheit im Angesicht terroristischer Anschläge“, in: Zeitschrift für Rechtspolitik, Heft 12 (Dezember): 497-501.

Holzinger, M., May, S., Pohler, W. (2010), Weltrisikogesellschaft als Ausnahmezustand, Weilerswist: Velbrück.

Jakobs, G. (2004), „Bürgerstrafrecht und Feindstrafrecht“, in: Höchstrichterliche Rechtssprechung Strafrecht, 3 (2004), S. 88-95.

Kreß, C. (2008), „Völkerstrafrecht der dritten Generation gegen transnationale Gewaltakte Privater?“, in: Gerd Hankel (Hg.): Die Macht und das Recht, Hamburg: Hamburger Edition, S. 323-413.

Münkler, H. (2001), „Sind wir im Krieg? Über Terrorismus, Partisanen und die neuen Formen des Krieges“, in: PVS, 4 (2001), S. 581-589.

Münkler, H. (2002), Über den Krieg, Weilerswist: Velbrück.

Münkler, H. (2004), Die neuen Kriege, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt.

Münkler, H. (2006),Der Wandel des Krieges, Weilerswist: Velbrück.

Pawlik, M. (2008), Der Terrorist und sein Recht. Zur rechtstheoretischen Einordnung des modernen Terrorismus. München: C. H. Beck.

Roggan, F. (2009), „Das neue BKA-Gesetz – Zur weiteren Zentralisierung der deutschen Sicherheitsarchitektur“, in: Neue Juristische Wochenschrift, Heft 5: 257-262.

Volkmann, U. (2006), „Urteilsanmerkung“, in: Juristenzeitung 61, 18. S. 918-920.

Waldmann, P. (2000), „Terrorismus als weltweites Phänomen“, in: Kai Hirschmann u. Peter Gerhard (2000) (Hg.): Terrorismus als weltweites Phänomen, Berlin: Berliner Wissenschafts-Verlag, S. 11-27.

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