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REZENSION - Frieden­s­e­thi­scher Leitfaden

Ulrich Frey: Auf dem Weg der Gerechtigkeit und des Friedens. Texte aus drei Jahrzehnten. Hrsg. Gottfried Orth. edition pace. Norderstedt 2022. 445 Seiten.

Dieser Aufsatzband mit Texten zur Friedensethik, Friedenstheologie und Friedenspolitik wurde unmittelbar vor dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine veröffentlicht. Er erfährt damit eine ungeahnte Aktualität und leistet einen willkommenen und klärenden Beitrag zu den kontrovers geführten Diskussionen über die Wahrnehmung friedensethischer Verantwortung in diesem Konflikt. Die Initiative zur Veröffentlichung kam von Gottfried Orth, em. Professor für Evangelische Theologie und Religionspädagogik an der TU Braunschweig, in Verbindung mit dem 2019 gegründeten Ökumenischen Institut für Friedenstheologie.

Der Autor der 28 in diesem Band zusammengestellten Texte, Ulrich Frey, ist weithin bekannt als eine der Schlüsselfiguren in der christlichen Friedensbewegung seit den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts, vor allem in seiner Rolle als Geschäftsführer der Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden e.V. (AGDF) von 1972-2000. Nach einer Lehre als Verlagskaufmann hatte Ulrich Frey eine volle juristische Ausbildung bis zum Assessorexamen abgeschlossen und war zunächst im Bereich christlicher Freiwilligendienste für Entwicklung und Frieden tätig, bevor er die Leitung der AGDF übernahm. Seine zumeist für Vorträge ausgearbeiteten und ursprünglich in Zeitschriften veröffentlichten Texte vor allem aus den letzten 20 Jahren werden hier im Vorgriff auf seinen 85. Geburtstag im Zusammenhang vorgelegt. Der Band ist gegliedert in zwei gleichgewichtige Hauptteile von jeweils 12 Texten mit den Schwerpunkten Friedensethik bzw. Friedenspolitik, zwischen denen ein kürzerer Mittelteil von 4 Texten steht, die sich mit freiwilligen Friedensdiensten befassen.

Im Zentrum der Texte im ersten Teil zur Friedenstheologie und Friedensethik (S. 27-170) steht die Diskussion über das Leitbild des „gerechten Friedens“, das zurückgeht auf Impulse des ökumenischen konziliaren Prozesses für Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung in den 1980er Jahren und sich konkretisiert in der vorrangigen Option für die Gewaltfreiheit. Behandelt werden insbesondere die Dekade zur Überwindung von Gewalt; die Internationale Ökumenische Friedenskonvokation 2011 und der dort vorgelegte „Aufruf zum Gerechten Frieden“; die Friedensdenkschrift der EKD von 2007 mit der These vom gerechten Frieden durch „rechtserhaltende Gewalt“; sowie das ethische Problem der Kriterien zur Legitimation des Einsatzes militärischer Gewalt im Rahmen von Auslandseinsätzen der Bundeswehr. Schon 2005 hatte Ulrich Frey im Auftrag der Evangelischen Kirche im Rheinland zusammen mit einer Arbeitsgruppe eine sorgfältige Argumentationshilfe zur Friedensarbeit unter dem Titel „Ein gerechter Friede ist möglich“ vorgelegt. Die zusammenfassenden Thesen dieser Publikation sind am Ende dieses ersten Teils noch einmal abgedruckt. Die dort vorgelegte Interpretation des Leitbildes von gerechten Frieden als ein „offener, geschichtlich-dynamischer Veränderungsprozess mit immer neuen Anstrengungen zur Verminderung oder gar Überwindung der sich wandelnden Ursachen von Unfrieden …“ gilt für dem ganzen ersten Teil.

Unter den Beiträgen im kürzeren Mittelteil zu Friedens- und Freiwilligendienst (S. 171-216) verdient vor allem der Vortrag aus dem Jahr 2005 über „Ziviler Friedensdienst – der Intelligenz der Herzen vertrauen“ Beachtung. Frey beschreibt das Profil des Zivilen Friedensdienstes folgendermaßen: „Der Zivile Friedensdienst (ZFD) ist gewaltfrei konzipiert. Er stellt nicht den Anspruch, eine Alternative zum Militär zu sein, da er der Logik der Gewaltfreiheit folgt. Er hat seine friedenstheologische Begründung in der Bergpredigt. Der ZFD setzt die Idee der Gewaltfreiheit in aktives Handeln um … Der ZFD ist friedensethisch Ausdruck der Handlungsanweisung „Wenn du den Frieden willst, bereite den Frieden vor“ und verhilft zur Realisierung des Leitbildes vom gerechten Frieden …“ (S. 202) Im weiteren Text folgt dann eine präzise Darstellung der Entstehungsgeschichte, Organisation, Finanzierung und Zielvorstellungen des ZFD verbunden mit kurzen Skizzen beispielhafter Projekte.

Im zweiten Hauptteil über Friedensbewegung und Friedenspolitik (S. 219-422) finden sich drei sehr umfassende und informative Texte zur Geschichte der Friedensbewegung seit den Auseinandersetzungen über die Atombewaffnung in den späten 1950er Jahren, über die großen Friedensdemonstrationen 1981-83 im Protest gegen den Nato-Doppelbeschluss bis zur Kooperation zwischen den Initiativen in Ost und West für eine neue Entspannungspolitik. Andererseits enthält dieser Teil sehr sachkundige, kritische Beiträge zum Thema der zivil-militärischen Zusammenarbeit in Konfliktgebieten, wie z.B. Afghanistan; zur Problematik des erweiterten Sicherheitsbegriffs in der Politik der EU und der NATO und seiner Folgen für die zivile Krisenprävention; zur Profilierung von Friedenslogik gegenüber dem sicherheitslogischen Denken in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU; sowie einen Text aus dem Jahr 2016, der an die mittlerweile endgültig verpassten Chancen für eine friedliche Lösung des Ukraine-Konflikts erinnert. Der Band wird abgeschlossen durch eine historische Übersicht. Sie ordnet das hier reflektierte Friedensengagement des Autors ein in die sich wandelnden politischen Bedingungszusammenhänge.

Insgesamt zeichnen sich die Texte durch die klare Sprache des geschulten Juristen aus. Das Plädoyer für die Gewaltfreiheit prägt auch die Argumentationsweise, die sich wohltuend abhebt von der gegenwärtig zunehmend polemischen Diskussion zur christlichen Friedensethik. Die Ankündigung des Bandes spricht von „Texten aus drei Jahrzehnten“. Hinter den hier vorgelegten Beiträgen stehen jedoch die reiche Erfahrung und differenzierte Sachkunde des Autors aus mehr als 50 Jahren engagierter christlicher Friedensarbeit. Der Band kann daher helfen, die oft kurzatmige und geschichtsvergessene öffentliche Diskussion über Krieg und Frieden, über Abschreckung oder Entspannung als sicherheitspolitische Optionen kritisch zu überprüfen anhand der hier in Erinnerung gerufenen Einsichten und Erfahrungen der vorangegangenen friedensethischen und friedenspolitischen Debatten. Das gilt auch und vor allem für die jüngere Generation, die unvermittelt und unvorbereitet mit der Herausforderung von Krieg und Frieden in Europa konfrontiert ist. Der Band würde sich daher hervorragend eignen als Kompendium oder Lehrmaterial für entsprechende Seminare oder Bildungsveranstaltungen.

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