Publikationen / vorgänge / vorgänge Nr. 168: Ungleichheit als Schicksal?

Arbeit an der Utopie

Eine Festschrift für Oskar Negt

aus: Vorgänge Nr. 168 ( Heft 4/2004 ), S.109

Zum 70. Geburtstag Oskar Negts am 1. August gratulierte in der Frankfurter Rundschau auch Gerhard Schröder. Es dürfte wenige Dinge geben, die den Agenda-2010-Kanzler mit dem linken Politikwissenschaftler Wolf-Dieter Narr oder mit Elmar Altvater, Mitglied des wissenschaftlichen Beirats von ATTAC, verbinden. Die Beziehung zu Oskar Negt eint jedoch alle drei. Altvater und Narr sind nunmehr mit Aufsätzen in einer originell zusammengestellten, durchweg anregenden Festschrift zu Ehren des Soziologen vertreten. Diese kreist um die bei-den Schlüsselbegriffe Arbeit und Utopie und vereint ohne die genreüblichen Verrenkungen unterschiedlichste Denkstile und -generationen:

Tatjana Freytag/Marcus Hawel (Hg.): Arbeit und Utopie. Oskar Negt zum 70. Geburtstag, Humanities Online: Frankfurt/Main 2004, 289 S., ISBN 3-934157-37-8; 24 Euro

In ihrer Einleitung offerieren die Herausgeber eine kurze Theoriegeschichte des utopischen Denkens und beschwören in gelegentlich voluntaristisch anmutender Manier die Rückkehr der widerständigen Utopie gegen die Entfremdungstendenzen der Moderne. Andre Gorz betont in einem Brief an Negt – im Unter-schied zu diesem – noch einmal die Notwendigkeit der Überwindung der Lohnarbeit. Eine Begriffsgeschichte der Arbeit anhand einer erneuten Marx-Lektüre liefert Iring Fetscher. Der in Berkeley und Paris lehrende französische Soziologe Loic Wacquant rechnet mit dem Neoliberalismus in seinen verschiedenen Ausprägungen ab. Gerhard Schweppenhäuser, Professor für Ästhetik in Bozen, nimmt Richard Rortys pragmatistische Moraltheorie kritisch unter die Lupe, während sich die Literaturwissenschaftlerin Elisabeth Lenk in das Reich der Träume begibt und deren Funktionen untersucht.

Günter Grass erinnert sich an seine Fischsuppe, mit der er 1968 die führenden Sozialdemokraten von einer Intellektuellen-Wählerinitiative zugunsten der SPD überzeugte. Nunmehr träumt er von einer Linsensuppe mit Brandt, Bruno Kreisky und Olaf Palme, um gemeinsam über eine ungerechte Gegenwart den Kopf zu schütteln. Das mehrere Jahrzehnte währende intellektuelle Gespräch zwischen Alexander Kluge und Oskar Negt wird auf wenigen Seiten anhand ihrer Fernsehdiskussionen gleichsam symbolisch evoziert, Detlef Claussen verfolgt in einem biographisch grundierten Beitrag das Nachleben der Kritischen Theorie zwischen Habermas, Honneth und Negt. Und in einem ausführlicher Interview schildert der Regisseur Peter Konwitschny, der große Utopist der Opernbühne seine Ästhetik zwischen Theorie, Gesellschaftskritik und Kunst. Zuletzt brachte es Gerhard Schröder auf die Bühne: In seine Hamburger Inszenierung von Schönbergs Moses und Aron tauchte die Maske des Kanzlers auf – beim Tanz ums goldene Kalb.

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