Publikationen / vorgänge / vorgänge Nr. 168: Ungleichheit als Schicksal?

Die PDS als Regie­rungs­partei in Mecklen­bur­g-Vor­pom­mern

Im Spagat zwischen Oppositionsspielwiese und Regierungsalltag

aus: Vorgänge Nr. 168 ( Heft 4/2004 ), S.92-100

Mit der Unterzeichnung des Koalitionsvertrages zwischen SPD und PDS 1998 in Mecklenburg-Vorpommern wurde die erste formale Regierungsbeteiligung der PDS in der Bundesrepublik besiegelt. Die ansonsten sicherlich nicht für ihre Spontaneität bekannten Mecklenburger und Vorpommern betraten damit politisches Neuland. Seit 2002 regiert die zweite rot-rote Koalition im Lande auf pragmatischem Kurs und relativ unbeachtet von den bundesweiten Medien.

Mecklenburg-Vorpommern weist einige Besonderheiten auf, die als Rahmenbedingungen für das Regierungshandeln der PDS notwendige Erklärungsfaktoren sind. Die Arbeitslosigkeit ist das dominierende politische Problem, das sich in Mecklenburg-Vorpommern stellt. Mit Arbeitslosenzahlen knapp unter und in einigen Landkreisen auch weit über 20 Prozent‘ muss jede Landesregierung der Schaffung neuer Arbeitsplätze höchste Priorität beimessen.

Gleichzeitig weist Mecklenburg-Vorpommern mit durchschnittlich 76 Einwohnern pro Quadratkilometer eine äußerst dünne Besiedelung auf. Weite Wege, aufwendige Verwaltungsstrukturen und damit verbundene hohe Kosten für Infrastruktur und Infrastrukturentwicklung sind die Folge.

Der Mitgliederrückgang, den die PDS bundesweit zu verzeichnen hat, ist in hohem Maße auf den Überalterungsprozess der Mitglieder
Gleichzeitig stellt der hohe Anteil an Rentnern und Frührentnern eine Ressource dar, die zur Unterstützung und zur Mitwirkung in den PDS-nahen Vereinen und Verbänden (Mietervereine, Arbeitslosenvereine, die Volkssolidarität) bereit ist.

Die rot-rote Zusam­me­n­a­r­beit in Schwerin

In der ersten Legislaturperiode des Landtages in Schwerin etablierten sich die Spannungslinien, die bis heute die Kooperation zwischen den Parteien beeinflussen. Im Laufe der christlich-liberalen Koalition (1990-1994) entstand sowohl die starke Polarisierung zwischen CDU und PDS als auch das Misstrauensverhältnis zwischen CDU und SPD4, was die nachfolgende Große Koalition von 1994 bis 1998 zur ,missliebigen Zwangsehe‘ machte. Die Sozialdemokraten hatten 1994 erste Gespräche mit der PDS über eine mögliche Zusammenarbeit geführt, da Teile der SPD auf eine Alternative zur Großen Koalition hofften. Jedoch gab es zu diesem Zeitpunkt noch keine hinreichende Akzeptanz für ein Bündnis zurückzuführen, da 65 Prozent der Mitglieder älter als 65 Jahre sind (Werz/Schmidt 2003: 65).

Innerhalb der Parteien und in der Bevölkerung des Landes(vgl. WerzlHennecke 2000). Die Voraussetzungen für die Bildung der rot-roten Koalition bildeten sich im Laufe der großen Koalition in Schwerin von 1994 bis 1998. Das ungeliebte Bündnis hatte 1996 eine schwere innere Krise zu überwinden, in deren Folge Harald Ringstorff aus der Regierung austrat und den Fraktionsvorsitz übernahm. Folge dieser Krise war nicht nur eine deutliche Verschlechterung des ohnehin schwierigen Verhältnisses der beiden Volksparteien, sondern auch die Verfestigung der persönlichen Abneigung Ringstorffs gegen die Große Koalition und der Beginn einer ersten zaghaften Kooperation zwischen PDS und SPD. Der tiefe Graben zwischen CDU und SPD scheint seither unüberwindlich zu sein.

Vor der Landtagswahl 1998 hatte sich die PDS nicht zu einer klaren Koalitionsaussage durchringen können. Ihr Ziel war es, die „günstigste Option zur Durchsetzung eines Höchstmaßes von PDS-Zielen“5 zu erzielen, wobei der damalige Landesvorsitzende Helmut Holter immer wieder deutlich machte, dass eine Koalition einer Tolerierung vorzuziehen sei.

Nach der Landtagswahl und dem vorauszusehenden Scheitern der Sondierungsgespräche zwischen SPD und CDU wurde die Koalition zwischen SPD und PDS formal geschlossen, deren Ursprünge sich bereits in die Jahre 1996/97 zurückverfolgen lassen.
Die offiziellen Verhandlungen dauerten keine drei Wochen. Im Verlauf der Gespräche stellten sich vor allem die den öffentlichen Haushalt schwer belastenden Forderungen der PDS, beispielsweise nach Einführung eines öffentlichen Beschäftigungssektors, als problematisch und konfliktträchtig heraus – auch wenn die Akteure beider Seiten deutlich bemüht waren, keinerlei Kontroversen an die Öffentlichkeit dringen zu lassen. Die Verhandlungsführer und Förderer der rot-roten Zusammenarbeit konnten sich weder der Zustimmung der SPD noch der PDS sicher sein, zählten doch in beiden Parteien prominente Politiker zu den Kritikern und Skeptikern des Projektes. So forderte der Güstrower Kreis der SPD eine Urabstimmung über die Koalitionsfrage (Schweriner Volkszeitung, 26. Oktober 1998), und in einzelnen sozialdemokratischen Ortsverbänden mehrten sich die Austritte (Schweriner Volkszeitung, 27. Oktober 1998).

Die Zustimmung der Parteitage beider künftiger Partner fiel dann jedoch eindeutig aus. Auf dem Landesparteitag der SPD stimmten 63 von 91 Delegierten für den Koalitionsvertrag. Auf dem Landesparteitag der PDS stimmten 88 Prozent der Delegierten dem Verhandlungsergebnis zu. Prominente Skeptiker eines pragmatischen Kurses der Partei hatten sich von inhaltlichen Ergebnissen überzeugen lassen und warben für die Zustimmung; zusätzlich hatte die offene Abstimmung und das hohe Quorum von 2/3 der gewählten Delegierten hinreichenden Druck auf die De-legierten ausgeübt. Bei einem Wähler-Stimmenanteil von 24,4 Prozent war die PDS mit drei Ministerinnen im neuen Kabinett vertreten.

Oberstes Ziel der gemeinsamen politischen Arbeit war die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Einvernehmlich hatte man für Kommunalwahlen die Herabsenkung des Wahlalters auf 16 Jahre festgelegt sowie die Bekämpfung des Rechtsextremismus angekündigt. Die PDS hatte aufgrund der finanziellen Vorbehalte der SPD Zugeständnisse machen müssen: Von den geforderten 5.000 Jobs im öffentlich geförderten Beschäftigungssektor blieben 500, weitere 2.500 wurden unter Finanzierungsvorbehalt gestellt. Die Kommunen sollten anstelle von 200 Mio. DM, welche die PDS gefordert hatte, nun nur 50 Mio. DM jährlich erhalten. So konnte die SPD ihr Ziel, die Neuverschuldung zurückzudrängen, weitgehend durchsetzen. Im Zentrum der PDS-Politik steht dabei sowohl in der ersten wie auch in der zweiten Legislaturperiode der rot-roten Zusammenarbeit der öffentlich geförderte Beschäftigungssektor (ÖBS) und die Etablierung gemein-wohl orientierter Arbeitsförderprojekte (GAP).

In der ersten Phase der Zusammenarbeit wurde der Koalition von Journalisten der Titel „Prima-Klima Klub” zugewiesen, da vor allem die enge Kooperation zwischen Harald Ringstorff und Helmut Holter die Koalition nach außen als harmonisches Bündnis erscheinen ließ. Ernsthafte Konflikte belasteten erst in der zweiten Phase der Koalition die Zusammenarbeit. So sorgte die Debatte um die Einführung einer „schulartenunabhängigen Orientierungsstufe” über Monate für Konfliktstoff. Die SPD hatte sich von der Vereinbarung des Koalitionsvertrages losgesagt und gegen den Widerstand der PDS durchgesetzt, dass die Orientierungsstufe für die Klassen 5 und 6 bereits an den unterschiedlichen Schultypen durchgeführt wird (Schweriner Volkszeitung, 1. Dezember 1999; 7. Dezember 1999). Ein Bruch der Koalition konnte zwar verhindert werden; die PDS hatte aber eine erste tiefe Niederlage hinnehmen müssen, was innerparteilich dem Kreis der Systemoppositionsellen und Koalitionsskeptiker nutzte.

Die zweite schwere Krise erlebte die Koalition, als Harald Ringstorff im Mai 2001 entgegen der Absprache mit der PDS der Rentenreform im Bundesrat zustimmte (Schweriner Volkszeitung, 7. August 2002). Wie in Koalitionen üblich, hatten sich die beiden Partner darauf verständigt, sich bei strittigen Fragen im Bundesrat zu enthalten. Der Alleingang von Ringstorff, der auch als strategischer Schachzug zur öffentlichen Demonstration der Unabhängigkeit von der PDS gewertet werden kann, stürzte die Koalition in eine tiefe Krise. Sie konnte nur dadurch überwunden werden, dass Ringstorff eingestand, den Koalitionsvertrag gebrochen zu haben. Danach erklärten die PDS-Fraktion wie auch Landesvorstand nach Abstimmungen, die Koalition fortsetzen zu wollen.
Prägend für das Bild der PDS in der zweiten Phase der Legislaturperiode waren vor allem die öffentlich diskutierten „Skandale” im Ministerium für Arbeit und Bau unter Helmut Holter. Im Sommer 2001 war bekannt geworden, dass die Frau von Holters damaligem Staatssekretär eine Firma leitete, die sich zum Großteil aus Fördergeldern des Arbeitsamtes finanzierte. Auch Holters Frau war Angestellte in dieser Firma. Daraufhin prüfte der Landesrechnungshof — u.a. auf Bitten Holters — die Vergabepraxis des Ministeriums. Der Prüfbericht des Landesrechnungshofes diagnostizierte Mängel in der Vergabepraxis und einen lückenhaften Aktenbestand, urteilte jedoch nicht über eine „Bevorteilung” (Hamburger Abendblatt, 22. Juni 2002; Schweriner Volkszeitung, 2. Februar 2003). Daneben geriet der Führungsstil Holters ins Gerede, nachdem er seinen Referatsleiter Ronald Klinger erst entlassen hatte, nachdem von Seiten der SPD Druck ausgeübt worden war. Schließlich musste er ihn aber nach einem Arbeitsgerichtsprozess wieder einstellen.

Kritik aus den eigenen Reihen begleitete während der ersten Legislaturperiode als selbstverständliche Begleitmusik die erste Regierungsbeteiligung der geborenen Oppositionspartei. Dabei finden sich die Koalitionsskeptiker in allen Gremien der Partei, ohne diese zu dominieren. Eine prinzipiell ablehnende Haltung zur Regierungsbeteiligung ist als eindeutige Minderheitsposition im Landes-verband von nur geringer Bedeutung.

Auch am Ende der Legislaturperiode sah sich die PDS selbst weiterhin im Aufwärtstrend und hatte sich eine Steigerung des Wahlergebnisses zum Ziel gesetzt. So wurde nicht nur die Losung „25+x Prozent” ausgegeben, sondern auch über die Forderung eines vierten Ministeriums öffentlich nachgedacht (Nordkurier, 21. Januar 2002).

Die hohen Wählerverluste von acht Prozentpunkten trafen die PDS relativ unvorbereitet. Die Verluste erstrecken sich flächendeckend auf alle Wahlkreise. „Die PDS litt offensichtlich weniger unter einem Mobilisierungsproblem als unter der Abwanderung zur SPD […] Die SED-Nachfolger fallen nicht nur im Gesamtergebnis, sondern auch in der Struktur der Stimmabgabe auf die Position von 1990 zurück” (Werz/Schmidt 2003: 70).

Auch wenn seit Januar 2002 eine rot-rote Koalition in Berlin der PDS in Mecklenburg-Vorpommern strategische Schützenhilfe geben konnte, blies aus anderer Richtung den sozialistischen Regierungsbefürwortern der Wind ins Gesicht: Im April 2002 war das rot-rote Tolerierungsbündnis in Sachsen-Anhalt abgewählt worden, im August 2002 war Gregor Gysi als Wirtschaftssenator in Berlin zurückgetreten und trug damit zum Prozess des Niedergangs der gesamten Bundespartei bei.

Die Verluste der PDS in Mecklenburg-Vorpommern sind aber auch auf landesspezifische Rahmenbedingungen zurückzuführen. Die PDS hatte den Glanz der Oppositionspartei verloren. In der ersten Legislaturperiode war den Wählern und Anhängern klar geworden, dass der Handlungsspielraum einer Regierungspartei keine großen Schritte zuließ. Auch konnte die PDS nicht umhin zuzugeben, dass sie mit dem Ziel einer deutlichen Reduzierung der Arbeitslosigkeit in Mecklenburg-Vorpommern gescheitert war. Außerdem hatten die Debatten um Führungsstil und Arbeitsweise von Holter die Partei und ihr Image schwer belastet.

In der zweiten Auflage der rot-roten Koalition spielt Helmut Holter eine deutlich geringere Rolle. Vor allem aufgrund seines schlechten Images musste er den Posten des stellvertretenden Ministerpräsidenten an den PDS-Umweltminister Methling abgeben, der in der Öffentlichkeit ein deutlich höheres Ansehen genießt. Für den Parteivorsitz hatte er bereits 2001 nicht mehr kandidiert, nachdem sich der Landesverband für eine Trennung von Amt und Mandat entschieden hatte. Mit der faktischen Zurücksetzung Holters ist eine der zentralen Säulen der Zusammenarbeit der ersten Legislaturperiode nicht mehr vorhanden, die aus der Kooperation Ringstorff und Holter gebildet wurde. Eine weitere personelle Veränderung auf Seiten der PDS-Minister betraf die Ablösung der wenig erfolgreichen Sozialministerin Martina Bunge durch Marianne Linke.

Die PDS versuchte sich in der zweiten rot-roten Koalition in Mecklenburg-Vorpommern vor allem in ihrer Oppositionsstellung zur Bundespolitik und durch die Profilierung als „Friedenspartei” und als „Anwalt der sozial Schwachen” vom Koalitionspartner SPD abzugrenzen. So verlangte die Partei zunächst von ihren Ministern aus der Landesregierung auszutreten, wenn es eine Unterstützung des Irak-Krieges durch die Bundesrepublik gegeben hätte (Ostsee-Zeitung, 8. Januar 2003; Süddeutsche Zeitung, 10. Januar 2003). Dieser Beschluss wurde dann auf Initiative des Landesvorsitzenden Ritter im März 2003 wieder aufgehoben (Ostsee-Zeitung, 24. März 2003). Landespolitisch konzentriert sich die PDS weiterhin auf die Etablierung des Öffentlichen Beschäftigungssektors. Sie versucht sich außerdem über bildungspolitische Themen zu profilieren, beispielsweise durch die Umsetzung der Forderung nach einem kostenfreien Vorschuljahr. Reformvorhaben der Landesregierung wie eine umfassende Verwaltungsreform sowie eine Kreisreform werden kontrovers zwischen den Koalitionspartnern öffentlich diskutiert. Insgesamt ist eine Verschlechterung des Koalitionsklimas gegenüber der ersten Legislaturperiode festzustellen.

Zwischen Spielwiese und „Alltags­taug­lich­keit”

Innerhalb der PDS-Mitgliedschaft ist Regierungsbeteiligung immer noch eine kontrovers diskutierte Frage, auch wenn die Mitgliederbefragung vom Herbst 2000 zeigte, dass „die Beteiligung der PDS an der Koalition mit der SPD in Mecklenburg-Vorpommern [.,.] Akzeptanz bei 90 Prozent der Parteimitglieder im Osten” findet (Chrapa/Wittich 2001: 6). Letztlich ist jedoch ein Prozess der „Normalisierung” der Regierungsbeteiligung vorangeschritten, nicht zuletzt aufgrund der Etablierung der rot-roten Koalition in Berlin.

Ein weiteres Indiz für diesen Prozess ist auch der gelassenere Umgang mit der Vergangenheit der PDS. War der mecklenburgvorpommernschen Koalitionsvereinbarung 1998 noch in der Präambel das Bekenntnis von PDS und SPD zum Grundgesetz und zur Landesverfassung vorangestellt, sowie der PDS eine Erklärung zu ihrer Vergangenheit abverlangt, wurde 2002 auf eine solche Präambel gänzlich verzichtet. Ebenso wurde die Neuauflage der rot-roten Koalition in Schwerin im Herbst 2002 nicht in gleicher Weise wie 1998 von kritischen Stimmen begleitet.

Auch wenn in der Öffentlichkeit eine Gelassenheit im Umgang mit der PDS vorherrschend ist, so hat die Partei selbst ihre Rolle als Regierungspartei noch nicht akzeptiert. Protagonisten der Regierungsbeteiligung wer-den bei Wahlen durch die Delegierten regelmäßig abgestraft;4 der Ruf nach einer klareren Abgrenzung von der SPD ist immer wieder vernehmbar.Vor allem die Debatten um eine Trennung von Amt und Mandat beziehen aus diesem unklaren Selbstbild ihre Motivation. Im Frühjahr 2002 hatte der Parteitag „sehr zum Ärger des überwiegenden Teils der PDS-Führung” (Nordkurier, 11. März 2002) die Trennung von  PDS als Regierungspartei in Amt und Mandat beschlossen. Noch 1996 hatte bei einer Umfrage eine klare Mehrheit gegen eine Trennung von Amt und Mandat votiert.
Den Spagat, den die Partei zwischen ihrem Selbstbild als Oppositionspartei und dem von Teilen der Partei als Zwang empfundenen Alltag der Regierungspartei erlebt, dokumentiert sich in der parteiinternen Analyse der bisherigen Regierungsarbeit, in der es unter anderem heißt:

„Aus unserer Situation, als sozialistische Partei unter kapitalistischen, bürgerlich-demokratischen Verhältnissen Regierungsverantwortung übernommen zu haben, erwächst die Problematik, Alternativpolitik in diesen Grenzen zu realisieren, aber darüber hinaus sozialistische Zielstellungen nicht aufzugeben” (Bericht der AG Bilanz der PDS 2000).

Eine selbstbewusste inhaltliche Zielbestimmung und Motivation für die Regierungsbeteiligung fehlt der PDS. Regierungsbeteiligung wird vorrangig mit der daraus resultierenden Verbesserung der strategischen Position der Partei begründet. Inhaltlich gibt man zu, als Regierungspartner nur ,Schlimmerers zu verhindern‘ und damit nur ,das kleinere Übel‘ zu sein (AG Bilanz der PDS 2000).
Aus diesem Dilemma und nicht erst vor dem Hintergrund der Wahlniederlage 2002 wächst in Teilen der PDS der Wunsch nach einer Stärkung der Partei gegenüber den in die Regierungsarbeit eingebundenen Ministern und Fraktionsmitgliedern. In den Augen der Systemoppositionsellen „avanciert der Landes-verband zum Ort und Hort authentischer PDS Politik, da er nicht wie die an der Regierung beteiligten PDS-Minister und auch die Landtagsfraktion zwangsläufig Kompromisse ein-gehen müsse” (Koch 2001: 46).
Inhaltlich zeigt sich diese unklare Selbstverortung in der unglaubwürdigen Doppelstrategie, Oppositionspartei gegen die Bundesregierung zu sein und gleichzeitig Regierungsverantwortung in Schwerin übernehmen zu wollen. Ihr Ziel, sich als Friedenspartei gegen den Kurs der Regierung in Berlin in Fragen des Irak-Krieges zu profilieren, wurde durch den in dieser Frage klaren Kurs der Bundesregierung konterkariert. Gleichzeitig wird das Verhältnis zum Regierungspartner in Schwerin dadurch belastet, der seinerseits unter dem Druck steht, die Entscheidungen in Berlin im Bundesrat mitzutragen. Mit ihrer Zielsetzung der Senkung der Arbeitslosigkeit und der festen Etablierung eines öffentlich geförderten Beschäftigungssektors ist die PDS in Mecklenburg-Vorpommern wenig erfolgreich. Sie war weder 1998 noch 2002 mit dem dezidierten Ziel angetreten, einen anderen Politikstil durchzusetzen. Der mit der SPD gemeinsam propagierte finanzielle Konsolidierungskurs wird als Erfolg nach außen vertreten.

Die Landtagswahlen in Thüringen, Brandenburg und Sachsen im Jahr 2004 haben gezeigt, dass die Stärke der PDS vor allem in ihrer Rolle als Oppositionspartei gegen die rot-grüne Regierungspolitik auf Bundesebene liegt. Die Zuwächse bei den drei Wahlen (zwischen 1,4 und 4,8 Prozentpunkten) müssen größtenteils auf die Kampagne gegen Hartz IV und damit auf die Mobilisierung der Unzufriedenen zurückgeführt werden.

Auch wenn die Umfrageergebnisse für die PDS in Mecklenburg-Vorpommern seit einem Jahr wieder aufwärts zeigen,10 so scheinen die Sozialisten im Nordosten bisher von den strategischen Oppositions-Vorteilen ihrer Parteigenossen in den anderen neuen Ländern aufgrund ihres eigenen Eingebunden seins in das Regierungsgeschäft mit der SPD nicht profitieren zu können. Die aktuellen Wahlergebnisse der PDS bei den Wahlen zum Europäischen Parlament oder den Wahlen zu den kommunalen Vertretungen zeugen eher von einer Entzauberungswirkung der Regierungsbeteiligung. Sowohl bei der Kommunalwahl (1999: 24,3 Prozent; 2004: 20,2 Prozent), als auch bei den Wahlen zum Europäischen Parlament (für MV 1999: 24,3 Prozent; 2004: 21,7 Prozent) musste die sozialistische Regierungspartei Verluste hinnehmen.

Fazit

Der Umgang der PDS mit ihrer neuen Rolle als Regierungspartei und die in Folge des Regierungseintritts aufflammenden innerparteilichen Debatten der PDS erinnern sehr stark an die Grünen in deren Anfangsjahren. Ziel ist es jeweils gewesen, die Partei als „Hort der Parteiidentität” gegenüber der Fraktion und den Regierungsmitgliedern zu stärken und eine eigenständige Rolle gegenüber dem größeren Regierungspartner öffentlich dokumentieren zu können. Die Grünen haben sich in einem langwierigen und schmerzhaften Prozess von ihrer Rolle als Oppositionspartei verabschiedet und sich eindeutig auf die Etablierung als kleiner Regierungspartner eingelassen (Heinrich 2002). Die PDS steht zwischen den Stühlen und hat sich in ihrer Oppositionsrolle und ihrer Funktion als Sprachrohr der Unzufriedenheit ostdeutscher Interessen durch einen sehr pragmatischen Regierungskurs unglaubwürdig gemacht.

Ist damit die Strategie der SPD geglückt, die PDS durch die sozialdemokratische „Umarmungsstrategie” zu entzaubern? Harald Ringstorff sprach selbst von der „Sozialdemokratisierung durch Regierungsverantwortung” (Süddeutsche Zeitung, 28. August 2002). So-lange die PDS kein eigenständiges Profil als Regierungspartei auf Landesebene gefunden hat, ist der Prozess ihres weiteren Niedergangs wahrscheinlich.

[1] Für August 2003 ermittelte das Landesarbeitsamt Nord eine Erwerbslosenquote für den Landkreis Demmin von 27,6 Prozent und für den Landkreis Uecker-Randow von 27,9 Prozent.
[2] Gebiet des späteren Mecklenburg-Vorpommern (Bezirke Rostock, Schwerin und Neubrandenburg) ohne Berücksichtigung der Gebietsaustausche mit Brandenburg und Niedersachsen (Werz/Schmidt 1998: 261).
[3]1990 als Listenverbindung angetreten: von PDS mit Demokratischem Frauenbund, Nelken, Freier Deutscher Jugend und Marxistischer Jugendvereinigung „Junge Linke „.
[4] Die Koalition zwischen CDU und FDP war nur durch Übertritt eines SPD-Abgeordneten möglich geworden.
[5] Beschluss des 5. Landesparteitages 13./14.2. 1997 in Schwerin (Protokoll).
[6] 1990 waren die Gruppierungen Die Grünen, Bündnis 90 und das Neue Forum getrennt zu den Wahlen angetreten.
[7] Abstimmung bei der PDS-Fraktion: eine Enthaltung, beim PDS-Landesvorstand: 11 Ja-Stimmen bei zwei Gegenstimmen und einer Enthaltung (Koch 2001: 50).
[8] Holter hatte Klinger entlassen, nachdem die SPD ihn unter Druck gesetzt hatte. Klingers Verstrickungen in eine Stasi-Tätigkeit waren öffentlich geworden. Das Arbeitsgericht entschied dann aber, dass er wieder einzustellen sei, da Klingers Stasi-Tätigkeit bereits neun Monate vor der Entlassung bekannt gewesen sei, von einem Vertrauensverlust könne daher nicht die Rede sein (Lübecker Nachrichten, 8. Januar 2002; Ostseezeitung, 23. Mai 2002).
[9] Beispielsweise wurde Helmut Holter nur mit 49 von 84 Stimmen in die Verhandlungskommission für die Koalitionsverhandlungen 2002 gewählt (Schweriner Volkszeitung, 30. September 2002); der Landesvorsitzende Ritter wurde mit einem äußerst schlechten Ergebnis von 60 von 90 Stimmen im Amt bestätigt (Ostseezeitung, 23. Juni 2003).
[10] Emnid-Umfrage im Auftrag der Schweriner Volkszeitung (www.wahlrecht.de/umfragen/ landtage/mecklenburg-vorpommern)

Literatur

AG Bilanz der PDS 2000: Bericht zur bisherigen Regierungsbeteiligung der PDS Mecklenburg-Vorpommern (download: www.pdsmv.de/archivllandesparteitage/sechsdrei/beric ht_regier.htm,10.07.2003)
Berg, Frank 2001: Die Mitte-Links-Koalition in Mecklenburg-Vorpommern, Teil I; Politikfeldanalysen (Manuskripte der Rosa-Luxemburg-Stiftung Nr. 18), Berlin (download: www.biss-online.de/htm/studien.htm)
Berg, Frank/Koch, Thomas 2000: Politikwechsel in Mecklenburg-Vorpommern? Eine akteurszentrierte Analyse zur Implementation der Koalitionsvereinbarung, 15 Monate nach der Etablierung der SPD-PDS-Koalition (Explo-
100 vorgänge Heft 4/2004, S. 92-100
rationsstudie), unter Mitarbeit von Rudolf Woderich, hg. vom Brandenburg-Berliner Institut für Sozialwissenschaftliche Studien Berlin (BISS), Berlin/Schwerin
Chrapa, Michael/Wittich, Dietmar 2001: Die Mitgliedschaft der große Lümmel. Studie zur Mitgliederbefragung 2000 der PDS, o. O.
Heinrich, Gudrun 2002: Kleine Koalitionspartner in Landesregierungen. Zwischen Konkurrenz und Kooperation, Opladen
Koch, Thomas 2001: Die Mitte-Links-Koalition in Mecklenburg-Vorpommern. Teil II: Parteien und Politikstilanalysen (Manuskripte der Rosa-Luxemburg-Stiftung Nr. 19), Berlin (download: www.biss-online.de/htm/studien. htm)
Niedermayer, Oskar 2003: Parteimitgliedschaften in Jahre 2002; in: Zeitschrift für Parlaments-fragen, 33. Jg., H. 2, S. 382-388
Schoon, Steffen 2001: Zwischen „Ostkompetenz” und Entzauberung. Die PDS und ihre Wähler in Mecklenburg-Vorpommern zwischen 1945
und 1998; in: Deutschland Archiv, 34. Jg., H. 5, S. 777-784
SPD (MV)/ PDS (MV) 1998: Koalitionsvereinbarung für die 3. Legislaturperiode des Landtages von Mecklenburg-Vorpommern
SPD (MV)/ PDS (MV) 2002: Koalitionsvereinbarung für die 4. Legislaturperiode des Landtages von Mecklenburg-Vorpommern
Werz, Nikolaus/Hennecke, Hans Jörg (Hg.) 2000: Parteien und Politik in Mecklenburg-Vorpommern, München
Werz, Nikolaus/Schmidt, Jochen 1998: Wahlen und politische Einstellungen seit 1990: Resümee und Ausblick; in: Dies. (Hg.), Mecklenburg-Vorpommern im Wandel. Bilanz und Ausblick, München, S. 260-273
Werz, Nikolaus/Schmidt, Jochen 2003: Die mecklenburg-vorpommersche Landtagswahl vom 22.September 2002 – Bestätigung der rot-roten Koalition mit Gewinnern und Verlierern; in: Zeitschrift für Parlamentsfragen, 34. Jg., H. 1, S. 60-79

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