Juristen im Feindrechtsstaat
Wer den Rechtsstaat verteidigen will, muss die Gründe seines Niedergangs in den Blick nehmen
aus: vorgänge Nr. 178 (2-2007), S. 5-26
Seit vor nunmehr sieben Jahren das Konzept des Feindstrafrechts das Licht einer weiteren Öffentlichkeit erblickt hat, gibt es einen kaum enden wollenden Strom der Diskussion über diesen Ausbruch eines der prominentesten Strafrechtslehrers der älteren Bundesrepublik aus der wohlgefälligen und wohlmeinenden Rechtsstaatsfront. Erst als Günther Jakobs, emeritierter Strafrechtslehrer der Bonner Universität, seine feind-strafrechtlichen Thesen aus dem engeren Gehäuse der Strafrechtsdogmatik entließ und sie auf einem der Öffentlichkeit zugänglicheren Forum und in einer Sprache wiederholte und konkretisierte, die auch jenseits der wissenschaftlichen Gralshüter des Rechts verstanden wurde, wurden sie zum Gegenstand der Kritik, der Erregung und der persönlichen Schmähung[1] – allerdings, wie noch deutlich werden wird, dies auch nur im engsten Kreis von einer dahinschmelzenden Gruppe von – sit venia verbo – Rechtsstaats-„Lobbyisten“.
Selbst unter seinen juristischen Kollegen inner – und außerhalb der akademischen Mauern hat – wenn ich das als dilettierender außen stehender Soziologe und Kriminologe zutreffend übersehe -Jakobs Referat auf der Frankfurter Strafrechtslehrertagung im Jahre 1985, in dem er erstmals Tendenzen der Entwicklung eines Feindstrafrechts ins Zentrum seiner Überlegungen stellte, kaum Resonanz und Widerspruch ausgelöst – und das, obwohl er diese Tendenz schon damals beim heutigen Namen nannte und obwohl das Endfazit seiner Analyse vernichtend genug ausgefallen war: „Das Strafgesetzbuch in seiner gegenwärtigen Gestalt verschleiert an nicht wenigen Stellen den Übertritt über die Grenzen eines freiheitlichen Staates. “[2]
Mit welcher zeitlichen Verzögerung die Resonanz der strafrechtlichen und politischen Öffentlichkeit auf den inzwischen – mehr als eineinhalb Jahrzehnte nach seinem erstmals dokumentierten Erscheinen – zu einer Reizvokabel avancierten Begriff des Feindstrafrechts einsetzte, mag an einer Konferenz im März 2003 aufgezeigt sein. Die Friedrich-Ebert-Stiftung hatte, zusammen mit der Humanistischen Union, in ihrem „Forum Berlin“ zur Diskussion über die Frage „Sicherheit vor Freiheit?“ – mit dem Untertitel: „Terrorismusbekämpfung und die Sorge um den freiheitlichen Rechtsstaat“ – eingeladen.[3] Ebenso wortgewaltig wie appellatorisch, bis ins Sarkastische gesteigert, stellte P.-A. Albrecht sein Auftaktreferat unter den nachhallenden Titel „Die vergessene Freiheit“, sprach F. Roggan – in Ton, Titel und Temperament zurückgenommener, in der Sache selbst jedoch kaum weniger zimperlich – „von den Gefährdungen in der Rechtsentwicklung“. Die zunehmende Bedrängnis des einst als rechtsstaatliche Errungenschaft gefeierten Datenschutzes durch die Polizeirechtsgesetzgebung der letzten 20 Jahre brachte der damals noch amtierende Schleswig-Holsteinische Datenschutzbeauftragte und wohl wir kungsvollste deutsche Hüter des vom Staat selbst eingerichteten Bollwerks gegen seine eigene Sammel- und Schnüffelwut, H. Bäumler, zur Darstellung. Schließlich widersprach kein Teilnehmer der Formulierung des früheren Bundestagsvizepräsidenten B. Hirsch in der Schlussdiskussion der Veranstaltung, der die selbst gestellte Frage nach der Drohung „eines demokratiefeindlichen Rechtssystems“ bzw. der „schleichenden Veränderung zum Überwachungsstaat“ nicht nur umstands -und einschränkungslos bejahte, sondern diese Tendenz nicht erst mit dem traumatisierenden terroristischen Anschlag von „nine-eleven“ im Jahre 2001 auf die „twin towers“ des New Yorker „World Trade Centers“ und auf das Pentagon in Washington ausmachte. „Das droht nicht erst mit der heutigen Terrorismusbekämpfung, sondern schon seit zwanzig Jahren“, so B. Hirsch auf dieser Konferenz. „Der einzige Unterschied zur Terrorismusbekämpfung der letzten Jahre ist der, dass wir uns bislang auf einer Rutschbahn befanden und nun zum freien Fall übergehen.“[4]
Freilich wurde auf dieser Konferenz nach meiner eigenen Live-Erinnerung von keinem Referenten und keinem Diskussionsteilnehmer das Feindstrafrecht in die Debatte gebracht. Dessen Inkubationszeit war offensichtlich noch nicht abgelaufen. Erstaunlich war dieses Schweigen damals schon – man könnte es angesichts der inzwischen zu registrierenden Heftigkeit der Diskussion über dieses Konzept ein beredtes nennen, stammte es doch a us der Feder eines Autors von eminenter wissenschaftlicher Prominenz und professioneller Reputation und ist es doch eines Inhalts, der gleich bei seinem öffentlichen Erscheinen den Aufschrei hätte auslösen können oder sollen, den Konzept und These inzwischen erfahren haben. Zwar hat es unter den Teilnehmern der Jahrtausendwende-Tagung der Strafrechtswissenschaftler in der Berlin-Brandenburgischen Akademie außerhalb der öffentlichen Diskussion einen bemerkenswerten Dialog zwischen Stichwortgeber des Feindstrafrechts sowie einem der Mitveranstalter der Tagung, A. Eser, gegeben, den Letzterer in einer Fußnote mitteilt: Eser hatte in seiner Tagungs-
Schlussbemerkung davon gesprochen, dass ihm zwei Aspekte von Jakobs Kommentar „buchstäblich Angst machen“. Dieser Feststellung setzte Jakobs die kühle Bemerkung entgegen, „…bisher noch nicht gehört zu haben, dass ‚Angst eine juristische Kategorie’ sei…“[5] Diese erste Reaktion Esers, auf die B. Schünemanns Bemerkung in der Besprechung des Tagungsbandes gemünzt ist, Jakobs Kommentar habe nach zunächst „beifälliger“ Aufnahme „…dann jedoch wie eine Bombe mit Zeitzünder“ gewirkt[6], gibt Richtung und Tonlage der weiteren Rezeption und Diskussion von Jakobs These vor.
Ein Löcken wider den Stachel rechtsstaatlicher Korrektheit
Diese Diskussion nachzuzeichnen ist zwar hier nicht der Ort, auch fühle ich mich in Bezug auf ihren weitgehend rechtswissenschaftlich-hermetischen Inhalt nicht dazu kompetent und berufen, möchte aber doch aus der Perspektive eines durchaus interessierten Beobachters -meinethalben auch eines dilettierenden Außenseiters – mit einigen nachfragenden und kritischen Anmerkungen zu dieser Diskussion nicht hinter dem Berg halten. Ich tue dies, obwohl ich mir bei anderer Gelegenheit bereits deftige Prügel eingehandelt habe, als ich nicht umstandslos in den Chor der bedingungslosen Jakobskritiker und -gegner eingefallen bin [7]. Ich werde mich allerdings fern halten vom allzu tiefen Eindringen in dogmatische Feinheiten und Fundamentalismen, zumal das für einen Sozialwissenschaftler ein dorniges Gelände ist, das man sich offensichtlich nicht erschließen kann, wenn man nur gewohnt ist, in Kategorien zu denken oder zu argumentieren, die zwar durchaus deskriptive von normativen Sätzen und Aussagen auseinander zu halten vermögen, sich allerdings von rechtswissenschaftlicher Seite gelegentlich belehrt sieht, dass es jenseits dessen noch ein „Drittes“ gibt, das Reich der Dogmatik. Das jedenfalls ist etwa die Quintessenz einer Einlassung von Monika Frommel zur inkriminierten These von Jakobs, von der sie – allein auf weiter Flur – meint, dass sie „weder normativ noch deskriptiv sein will, sondern dogmatisch.“[8] Es geht mir stattdessen um einige metajuristische und dogmatische Beobachtungen, die etliche Äußerlichkeiten der Oberfläche des bisherigen Diskurses zum Feindstrafrecht markieren. Vorangestellt seien zunächst jedoch noch einige Anmerkungen und Belege über die These selbst sowie über Ausmaß und Heftigkeit, die sie inzwischen ausgelöst hat.
Zu Struktur und Inhalt der These
Die These selbst ist mittlerweile vielfach reproduziert, diskutiert und zugänglich, so dass es sich fast erübrigt, sie in aller Ausführlichkeit hier noch einmal darzustellen. Sein Verfasser, G. Jakobs, selbst hat sich mehrfach in Wort und Schrift an dieser Diskussion beteiligt und ist keiner Gelegenheit aus dem Wege gegangen, seine Überlegungen zu wiederholen, zu schärfen, nicht von ihnen zu lassen. Ebenso werden seine Widersacher nicht müde, ihn direkt oder vermittelt zur Rede zu stellen, sich mit ihm anzulegen, ja, ihn zu isolieren und alle Argumente aufzubieten, seine Position mit dem aus juristischen Kommentaren bekannten Klammerzusatz „a. A.“ oder „abw. M.“ zu versehen. Es gibt mehrere Quellen, die dem Leser einen Überblick über Verlauf und Inhalt dieses Dialogs zwischen Jakobs und seinen Kritikern geben.
a) Die Position von Jakobs selbst – beginnend mit seinem erst im neuen Jahrtausend recht beachteten vernichtenden Fazit der bereits vollzogenen freiheitlichen Grenzüberschreitung des geltenden Strafrechts aus dem Jahre 1985 – lässt sich an den verfügbaren Texten ablesen, die Jakobs seit die Öffentlichkeit reagiert in dichter Folge verfasst hat. Diese sind teils veröffentlichte Vorträge, teils Aufsätze in Zeitschriften oder Anthologien. Die letzte mir zugängliche Ausarbeitung zum Feindstrafrecht von Jakobs ist sein Vortrag auf dem 30. Strafverteidigertag in Frankfurt a. M. – mit dem viel sagenden Titel: „Feindstrafrecht: eine Untersuchung zu den Bedingungen der Rechtlichkeit“[9]. Einen detaillierten Nachweis von Jakobs einschlägigen Schriften kann der interessierte Leser in einer Textsammlung finden, die aus Anlass des Strafverteidigertages von dessen Organisationsbüro besorgt worden ist[10]. Obwohl Jakobs an seiner grundsätzlichen Position kaum Revisionen und Korrekturen vorgenommen hat, hat er – auch als Antwort auf die Diskussion und die Kritik, die vor allem seine z. T. deftigen, kaum missverständlichen Formulierungen im knapp 10seitigen als „Kommentar“ ausgewiesenen Text unter dem vorgegebenen Titel „Das Selbstverständnis der Strafrechtswissenschaft vor den Herausforderungen der Gegenwart“ hervorgerufen haben – die diversen Gelegenheiten[11] zur Explikation und Ausarbeitung seiner These genutzt.
Verschiedene Diskutanten und Kritiker haben die Entwicklung des Konzepts des Feindstrafrechts durch Jakobs während der letzten zwei Jahrzehnte nachgezeichnet und „periodisiert“. F. Salinger etwa identifiziert drei solcher Phasen bzw. Schritte: 1. den Ausgangstext 1985, 2. „Präzisierung und Radikalisierung“ 1999, 3. „Vertiefung und Klarstellung“ 2002 bis 2005. Eine analoge zeitliche und systematische Skizze der Entwicklung des Konzepts findet sich bei M.C. Meliá, der von „drei Schüben“ dieses Prozesses sprich[12]. Lesenswert ist auch die von D. Krauss gezeichnete Gegenüberstellung des noch weitgehend unter den Strafrechtlern Konsensierten Ausgangsszenarios der Strafrechtslehrertagung im Jahre 1985 und der zum Skandalon geratenen Wiederaufnahme des Themas durch Jakobs 15 Jahre später. „Diesmal hatte Jakobs überzogen“, heißt es bei Krauss bündig.[13]
b) Welche Strukturmerkmale des Strafrechts sind es, die Jakobs als Referenzpunkte seiner feindstrafrechtlichen Thesen heranzieht? Welche positiv-rechtlichen Elemente sind in seinen Augen Fremdkörper im existierenden Stra frecht, die nicht kompatibel sind mit dem Konzept des „Bürgerstrafrechts“ in der klassischen, rechtsstaatlichen Tradition? Jakobs konkretisiert die beiden strafrechtlichen Strukturtypen, die er als „Idealtypen“ verstanden wissen will[14], durch die Identifizierung von rechtsstaatswidrigen Elementen des Strafrechts, die er als „feindstrafrechtliche“ Aspekte des Strafrechts bezeichnet.
Jakobs benennt vier solcher rechtsstaatswidrigen Strukturmerkmale, die er idealtypisch dem Feindstrafrecht zuordnet.
Stichwortartig sind dies:
(1) die „weite Vorverlagerung der Strafbarkeit“ („§§ 129, 129a“);
(2) „keine der Vorverlagerung proportionale Reduktion der Strafe“;
(3) der „Übergang von der Strafrechtsgesetzgebung zur Bekämpfungsgesetzgebung“, „…wobei etwa Wirtschaftskriminalität, organisierte Kriminalität, aber auch … Sexualdelikte und andere gefährliche Straftaten sowie – alles überwölbend – überhaupt das Verbrechen bestraft werden sollen“.
(4) der „Abbau prozessualer Garantien“ („Kontaktsperre“ -§§ 31 ff. EGGVG).
Diese vier Aspekte resümierend formuliert er: „In dieser Sprache – vorverlagernd, mit harter Strafe bekämpfend, prozessuale Garantien einschränkend – spricht das Strafrecht nicht mit seinen Bürgern, sondern droht er seinen Feinden …“[15]
Des Weiteren konkretisiert Jakobs den gemeinten Delikt – und Täter Typus in allgemeiner Form und in der Form exemplarischer Klammerdefinitionen. „Der Feind ist ein Individuum“, so heißt es bei Jakobs allgemein, „das sich in einem nicht nur beiläufigen Maß in seiner Haltung …, oder seinem Erwerbsleben … oder, hauptsächlich, durch seine Einbindung in eine Organisation, also jedenfalls vermutlich dauerhaft vom Recht abgewandt hat und insoweit die kognitive Mindestsicherheit personellen Verhaltens nicht garantiert und dieses Defizit durch sein Verhalten demonstriert“. Die von ihm beispielhaft genannten Delikte umfassen Wirtschaftskriminalität, organisierte Kriminalität, Rauschgiftdelikte, Sexualdelikte[16].
Eine besondere Aufmerksamkeit unter den vier von Jakobs identifizierten Strukturmerk malen eines Feindstrafrechts verdient das dritte, das sich nicht auf gesetzespositive Aspekte bezieht, sondern auf die strafrechtliche Rhetorik gegenüber dem Verbrechen überhaupt. Obwohl dieses Merkmal lediglich auf die jeweilige offizielle Gesetzes-oder Novellierungsnomenklatur im legislativen Prozess zielt (z.B. Verbrechensbekämpfungsgesetz von 1994 – Hervorh. FS), hebt Jakobs zu Recht als symptomatisch für ein Vorverständnis und eine „Rahmung“ von Kriminalität und Tätern hervor, dass diese Rhetorik eher auf zu exkludierende „Feinde“ als auf dazugehörige „Bürger“ verweist – damit ein Verständnis aufnimmt und artikuliert, das zwar nicht dem „Geist“ des Strafrechts entspricht, aber dem gesellschaftlichen Alltagsverständnis nahe steht.
Die Resonanz: die Adressaten und ihre Reaktionen
Akteure und Widersacher
Die Dynamik der Diskussion, die das Konzept des Feindstrafrechts ausgelöst hat, ist wesentlich mitbestimmt von den daran beteiligten und den adressierten Akteuren. Nicht nur das Verlassen einer rein dogmatischen Sprache – hin zu einer kriminalpolitischen Kasuistik und medial vermittelbaren Alltagsbegrifflichkeit – haben für seine Verbreitung und hitzige Diskussion gesorgt. War sein dogmatischer Auftakt im Jahre 1985 ein rein straf-rechtswissenschaftliches Ereignis auf der zweijährlich stattfindenden Strafrechtslehrertagung – damals in Frankfurt a. M. – , so zielte die Tagung in der Berlin-Brandenburgischen Akademie im Jahre 1999 sowohl vom Veranstaltungsort wie vom Tagungsthema – „Die Deutsche Strafrechtswissenschaft vor der Jahrtausendwende. Rückbesinnung und Ausblick“ – deutlich über die rein innerstrafrechtlichen und – professionellen Grenzen hinaus. Dennoch ist die Antwort auf die Frage nach Reichweite und Wirkung der Diskussion keineswegs umstandslos und eindeutig zu geben. Die an persönliche Verunglimpfung grenzende Heftigkeit, mit der der Urheber des Konzepts angegriffen wird, täuscht nicht darüber hinweg, dass Auseinandersetzung und Kritik auf einen überschaubaren Personen- und Institutionenkreis beschränkt bleibt.
Es lohnt, einen genaueren Blick auf die Teilnehmer an dieser Diskussion zu werfen. Wie zutreffend noch heute eine verwundernde Beobachtung des journalistischen Hauptes rechtsstaatlicher Wachsamkeit, H. Prantl von der SZ, aus dem Jahre 2004 ist, dass nämlich das Konzept „in der Strafrechtswissenschaft auf gar nicht so heftige Kritik (gestoßen)“ sei, „wie man erwarten könnte“[17], lässt sich nur schwer sagen. Einiges spricht dagegen, dass sich an diesem Befund Nachhaltiges geändert hat. Zwar ist auf der Strafrechtslehrertagung im Mai 2005 in Frankfurt/Oder Jakobs Gelegenheit zur Präsentation seiner Thesen geboten worden, aber ebenso dem wohl wortmächtigsten Warner vor dem Feindstrafrecht als die zerstörende Kraft des Rechtsstaats[18], dem bereits eingangs erwähnten Frankfurter Strafrechtler und Kriminologen P.-A. Albrecht. Über die dazu dort geführte Diskussion schreibt J. Arnold , dass „…es keinen einzigen Redner (gab), der sich für ein „Feindstrafrecht“ ausgesprochen hat“[19], und bemerkt ferner, dass neben dem Interesse der meisten Redner an einer Distanzierung von der Trennung von Bürger-und Feindstrafrecht und vor allem von dem „Begriff des Feindstrafrechts“ (Hervorh. i. O.) „die wirklich inhaltlichen – theoretischen wie kriminalpolitischen Fragen -… nicht herausgearbeitet (wurden).“[20] Sicherlich ist das Thema des Feindstrafrechts in allen einschlägigen (straf)rechtswissenschaftlichen Fachzeitschriften angekommen und präsent, kaum aber lässt sich sagen, dass es den mainstream strafrechtlicher Lehrbücher oder Monographien[21] nachhaltig erreicht hat.
Den stärksten Widerhall – und auch die brüskeste Ablehnung – hat das Konzept des Feindstrafrechts sowie die Auseinandersetzung mit ihm durch eine Gruppe von Strafverteidigern und Rechtsanwälten erfahren, die sich in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre als eigenständige professionelle Vereinigungen – neben den traditionellen Standesorganisationen – etabliert haben: die Gruppe der auf Länderbasis organisierten Strafverteidigervereinigungen, die sich 1977 erstmalig mit einem Strafverteidigertag in Hannover öffentlich zu Wort gemeldet hat, weil sie sich von den bestehenden anwaltlichen Standesorganisationen – gegen „Berufsverbote, Ermittlungsverfahren, die Überwachung von Verteidigern, Ehrengerichtsverfahren und andere Maßnahmen“[22] – nicht mehr hinreichend unterstützt fand, und die seither jährlich einen „Strafverteidigertag“ organisiert, auf dem sie ihr Verständnis als „ein Forum kritischer Advokatur “ manifestiert und demonstriert; sowie der zwei Jahre später gegründete, bundesweit agierende Republikanische Anwältinnen und Anwälteverein e.V. (RAV), der sich „als politische Anwaltsorganisation neben den Strafverteidigervereinigungen“ sowie „als Teil der Bürgerrechtsbewegung“[23] versteht. Zu seinen Gründungsmitgliedern, denen anzugehören ich selbst die Gelegenheit wahrnahm, zählten neben dem großen republikanischen Anwalt W. Holtfort eine Reihe von Vertretern aus der Profession, der Politik und der Wissenschaft, u. a. der spätere Bundeskanzler Schröder (damals noch politisch als Vorsitzender der Jungsozialisten) sowie sein späterer Innenminister O. Schily (damals noch schlicht als Rechtsanwalt.). Beide Vereinigungen eint ihre rechtspolitische Ausrichtung, ihr generelles politisches Engagement, ihre konkreten Aktionsfelder und Interventionsanlässe: die Strafverteidigervereinigungen nennen als Themen ihrer Aktivitäten u. a. den „Strafvollzug und die lebenslange Strafe durch Sicherungsverwahrung“, die „Anti Terrorgesetzgebung“ (zur Zeit ihrer Gründung wie heute), der RAV „streitet insbesondere“ u. a. „gegen die ständige Verschärfung des Straf-und Strafprozessrechts“, „gegen Polizeigewalt und die ständige Ausweitung polizeilicher Befugnisse“[24].
Vor diesem Hintergrund ist es einerseits kaum verwunderlich, dass beide anwaltlichen Organisationen auf das Engste auch im Widerstand gegen das Feindstrafrecht kooperieren, wie sich nicht nur an dem öffentlichen Engagement des derzeitigen RAV -Vorsitzenden W. Kaleck zu diesem Thema ablesen lässt[25]. Zwei der drei letzten Strafverteidigertage im Jahre 2005 wie 2006 – in Aachen bzw. in Frankfurt a. M. jeweils im März – waren Orte der Diskussion auch um das Feindstrafrecht[26]. Vom Aachener Strafverteidigertag insbesondere wurden, wie von Teilnehmern berichtet wird, heftige Kontroversen und Kritik mit dem Verfechter des Konzepts ausgetragen. „Fast jeder Strafverteidiger, der das Wort in der Diskussion ergriff, hatte offensichtlich das Bedürfnis, sich nicht nur von den Jakobsschen Aussagen von dem »Feindstrafrecht« zu distanzieren, sondern auch von Jakobs selbst“[27]. Anders ist es wohl ein Jahr später auf dem Frankfurter Strafverteidigertag zugegangen.
Damit sind im Wesentlichen schon die personellen und institutionellen Akteure benannt, die sich an der Diskussion beteiligt haben. Dass sie von den bisherigen Kritikern nicht beendet, sondern weiter getragen und auch in andere Foren gebracht wird, sei durch den Verweis auf zwei Veranstaltungen nur noch erwähnt, da sie wegen der personellen und institutionellen Redundanz der Sache und dem Diskurs nichts hinzufügen, wohl aber Ausdruck der Bemühungen um deren öffentliche Verbreitung sind. Unter der institutionell und weitgehend personell gleichen Trägerschaft wie die Strafverteidigertage fand in Freiburg im Jahre 2005 eine weitere regionale Konferenz unter dem Titel „Feindstrafrecht. Guantanamo auch bei uns?“ statt – allerdings in Abwesenheit von Jakobs. Offenbar ist dort – unter dem Nachhall der emotionalisierten und konfrontativen Atmosphäre auf dem Strafverteidigertag in Aachen – ein Signal erarbeitet worden, „dass die (weitere – FS) Debatte mit einer Versachlichung einhergehen müsse“[28]. Dieses Zitat entnehme ich dem „Geleitwort“ von J. Arnold, einem Vorstandsmitglied des RAV, das dieser für die Feindstrafrecht-Anthologie „Bitte bewahren Sie Ruhe. Leben im Feindrechtsstaat“ geschrieben hat und der er die Erwartung mit auf den Weg gegeben hat, „… das Ende der „Gespensterjagd“ und den Beginn eines längst überfälligen intensiven wissenschaftlichen Diskurses (einzuläuten)“[29]. Schließlich sei auf eine Tagung v. 15.bis 17. Juni an der Evangelischen Akademie Hofgeismar verwiesen; zusammen mit dem RAV ging es um das Thema „Feind oder Bürger. Sonderrecht für „Staatsfeinde“ als Mittel im Kampf gegen Terrorismus“.
Ebenso bedeutsam wie die Frage nach den Akteuren, die das Feindstrafrecht zum Gegenstand der Diskussion, vornehmlich den der Kritik machen, ist die Frage danach, welche Akteure nicht darunter zu finden sind, obwohl man es von der Sache vielleicht erwarten könnte. Da ist zunächst ein genauerer Blick auf das Feld des Rechts und seiner Professionen zu richten. Die aktivsten Promotoren, wie wir gesehen haben, waren Strafverteidiger und Rechtsanwälte einer dezidiert politischen Orientierung, deren auch professionelles Selbstverständnis in der Phase des politischen, kulturellen, sozialen und liberalen Aufbruchs in der Bundesrepublik geprägt worden ist. Sie als 68er Rechtsanwälte und Strafverteidiger zu identifizieren, stößt sicherlich nicht nur biographisch auf berechtigten Einspruch, sondern würde auch ideologische Differenzierung und Entwicklung ignorieren. Ebenso wenig aber lässt sich wohl leugnen, dass die politische und kulturelle Patina jener Zeit in die Gegenwart dieser Gruppe hineinreicht. Allerdings hat man sich zu vergegenwärtigen, dass diese protestierende Gruppe nur eine Teilmenge der Anwälte und Strafverteidiger der Bundesrepublik darstellt. Es dürfte eine Mehrheit der Angehörigen dieser juristischen Professionen sein, von der in Sachen Feindstrafrecht nichts oder nichts Derartiges zu vernehmen ist – und dies betrifft nicht nur die individuelle Ebene, sondern auch die institutionelle. Jedenfalls ist mir nicht bekannt, dass entweder der Deutsche Anwaltsverein selbst oder seine Gruppe der Strafverteidiger das Thema auf die Tagesordnung ihrer Zusammenkünfte gesetzt haben.
Von den wissenschaftlichen Repräsentanten und Verwaltern der strafrechtlichen Kontrolle haben wir bereits gesehen, dass die Strafrechtslehrer unter ihnen sich dieses Themas auf einer ihrer Tagungen zwar angenommen, damit aber wohl auch abgehakt haben. Weitergehendes Interesse aus dieser Gruppe fand und findet offensichtlich Heimstatt nur in den Diskussionsgelegenheiten der institutionellen und personellen Wortführer der Feindstrafrechtskritiker aus der oppositionellen Welt der Anwaltschaft. Eine zweite Gruppe aus der Welt der wissenschaftlichen Experten von Kriminalität, Sicherheit und deren Kontrolle, die Vertreter der Kriminologie bzw. einschlägiger sozialwissenschaftlicher Bezugsdisziplinen, zeichnet sich durch eine Nichtpräsenz in dieser Diskussion aus, die man als beredtes Schweigen betrachten muss, hinter dem sich bestenfalls ein Verständnis normativer und disziplinärer Unzuständigkeit, eher und schlimmer aber gelehrtes Desinteresse, wenn nicht gar eine Art „déformation professionelle“ verbirgt. Weder Soziologen, noch Politologen noch Kriminologen haben das Stichwort des Feindstrafrechts aufgenommen, diskutiert, reinterpretiert, überhaupt beachtet – entgegen dem von J. Arnold eher beschworenen als triftigen Eindruck in seinem bereits erwähnten Geleitwort, wonach auch Soziologen und Politologen sich unter den dort versammelten Autoren befänden[30].
Sucht man nach anderen potentiellen Kandidaten und Akteuren, für die das Thema des Feindstrafrechts Anlass oder Anstoß der Diskussion sein könnte, sollte sich der Blick auf die Verwalter und Erzeuger der öffentlichen Meinung, die Journalisten und Medien, einerseits richten, anderseits auf Personen aus Staat und Politik, die selten direkt in der Diskussion angesprochenen, aber durchweg gemeinten verantwortlichen Akteure [31] für die ausgemachten Spuren eines Feindstrafrechtes. In beiden Fällen vermute ich auch nach intensiver Suche danach letztlich eine Fehlanzeige, sieht man auf der Medienseite von dem auch in der Diskussion immer wieder zitierten einsamen Rufer der Süddeutschen Zeitung ab und stellt man für die Welt der Politik in Rechnung, dass es doch wohl jeglichem Selbstbild der Akteure in diesem Bereich sowie den Regeln der „political correctness“ ohnehin widerspräche, die Erzeugnisse ihres Tuns als Beiträge zu einem wie immer definierten „Feindstrafrecht“ zu identifizieren, ja, sich überhaupt auf die Diskussion darum einzulassen. Denn schon Letzteres würde implizieren, dass sie die behauptete Entwicklung für denkbar halten. Bei Lichte betrachtet, sind es aber genau diese Akteure, die am Pranger stehen würden, wäre richtig, was Jakobs sagt, dass sie gleichsam die Grabesschaufler des rechtsstaatlichen Strafrechts sind, die „den Übertritt über die Grenzen eines freiheitlichen Staates“ schon vor mehr als zwanzig Jahren bewirkt und zu verantworten haben – vor 1985, als Jakobs die nunmehr inkriminierte Feststellung erstmals bei seinem sezierenden Blick auf die Struktur und die Entwicklungstendenzen des damals existierenden Strafrechts geworfen hat.
Art und Reichweite der Kritik: statt normativen und institutionellen Voluntarismus gesellschaftliche Analyse
Die Kritik an den Thesen von Jakobs ist bei aller Heftigkeit und Hässlichkeit von einer umso größeren und unerklärlicheren Janusköpfigkeit. Dieser Zwiespalt offenbart sich in einer Zerlegung seiner Position und seiner Thesen in die beiden Aspekte eines rein deskriptiven und eines normativen Teils, eine Trennung, die Jakobs in seiner Argumentation in der ihm vorgehaltenen Form nicht vornimmt und akzeptiert, jedenfalls nicht nach Art eines „Palmström -Normativismus“, „weil,…, nicht sein kann, was nicht sein darf“[32]; das ist die Quintessenz, die Jakobs in seinem Beitrag auf dem Frankfurter Strafverteidigertag mit allem Nachdruck verteidigt hat. Bereits auf der Strafrechtslehrertagung in Frankfurt/Oder hat er sich gegen den Vorwurf gewehrt, dass seine Analyse normative Implikationen und legitimierende Wirkungen haben würde, also nicht nur rein deskriptiver Art sei – dies sogar in die Form einer sarkastisch-quantitativen Feststellung gebracht, dass „98 Prozent seiner Ausführungen deskriptiv seien“[33].
Sieht man von dieser Scheinkontroverse ab – zunächst also davon, was rechtspolitisch gewollt und normlogisch konsistent ist –, lassen sich etwa keine Unterschiede ausmachen zwischen dem Albrechtschen „j’accuse“ der „Vergessenen Freiheit“[34] sowie der eingangs zitierten Passage aus dem ersten Feindstrafrechtshinweis von Jakobs aus dem Jahre 1985 „vom Übertritt (des Strafgesetzbuches, FS) über die Grenzen eines freiheitlichen Staates“[35]. Solche rein empirisch-deskriptiven Übereinstimmungen zwischen Jakobs und seinen Kritikern – bis hin zur Übernahme der feindstrafrechtlichen Begrifflichkeit – lassen sich reihenweise im strafrechtlichen Schrifttum finden und nachweisen. So etwa findet D. Krauss in einem durchaus Jakobs-kritischen Beitrag ohne Umschweife: „Der Sache nach betrieb der deutsche Gesetzgeber Feindstrafrecht im Sinne von Jakobs“[36]. Und direkt auf die oben zitierten Passagen anlässlich der „Milleniumstagung“ an der Berlin-Brandenburgischen Akademie bezogen sagt er lapidar: „Dieser Analyse hatte niemand etwas hinzuzufügen“[37]. In gewisser Weise überbietet Krauss seinen Kollegen Jakobs in der Wortwahl zur Charakterisierung der Kriminalpolitik, wenn er im real existierenden Drogenstrafrecht „das Schreckensbeispiel eines beginnenden Staatsterrorismus“[38] sieht – freilich hindert es Krauss nicht daran, Jakobs des Vergehens am „Eingemachte(n) aller strafrechtlichen Errungenschaften vergangener Epochen“[39] zu zeihen.
Auch C. Prittwitz, dem das Verdienst gebührt, die Entwicklung des Strafrechts zu einem „Risikostrafrecht“ skizziert zu haben, beschreibt dieses – freilich in seiner fehlgeleiteten Variante – gleichsam als „Vorläufer“ oder auch als „Schwester“ des Feindstrafrechts: „Die aktuell wichtigsten Tendenzen und der augenblickliche Zustand von Strafrecht und Kriminalpolitik lassen sich recht genau beschreiben mit den zwei Begriffen Risikostrafrecht und Feindstrafrecht“[40], in gewisser Weise geht er noch darüber hinaus, wenn er Jakobs Idee des Feindstrafrechts zur „Rettung“ des Bürgerstrafrechts daran scheitern sieht, dass „das Strafrecht … als Ganzes feind strafrechtlich infiziert (ist)“[41].
Und auch J. Arnold geht in seinen „Entwicklungslinien des Feindstrafrechts in 5. Thesen“ – so der Titel seines Referats auf dem Strafverteidigertag in Frankfurt/M.[42] – davon aus, dass „…das Feindstrafrecht …Theorie und Praxis längst erreicht (hat)“[43], obwohl er den Begriff „Bekämpfungsstrafrecht“ vorziehe. Im vergleichenden Blick auch auf die ausländische Entwicklung fasst er seinen Be fund dahingehend zusammen, „dass in den ausländischen Rechtsordnungen ebenso wie in Deutschland das moderne Strafrecht durch ein Feindstrafrecht eine nicht unmaßgebliche Prägung erhält“[44]. Dieser Blick auf die ausländische Situation lässt sich auch durch die Beteiligung von Autoren insbesondere aus dem spanischsprachigen Ausland bestätigen und bekräftigen, zu dem das deutsche Strafrecht bekanntermaßen eine besonders enge Beziehung und einen regen Austausch unterhält[45]. K. Ambos, mit intensiven Kontakten zu südamerikanischen Ländern, notiert in einem längeren Artikel zum Feindstrafrecht, dass „die Wiederbelebung des Feindstrafrechts durch Günther Jakobs … vor allem in der spanisch- und portugiesisch – sprachigen Strafrechtsdiskussion hohe Wellen geschlagen hat“[46]. An der Sache selbst – der Existenz des Feindstrafrechts im positiv-rechtlichen Sinn – finden sich in dieser Diskussion in analytisch – deskriptiver Hinsicht nur zustimmende Äußerungen, etwa wenn C. Meliá seinen „Feind»Strafrecht«“ betitelten Aufsatz unter die Arbeitsthese stellt, „dass der Begriff des Feindstrafrechts ein taugliches Instrument abgibt, um einen bestimmten, wichtigen Bereich der gegenwärtigen Entwicklung der Strafrechtsordnungen zu beschreiben“. Der gewählte Plural im Objekt dieses Satzes verweist darauf, dass der Verfasser seine Beobachtung ausdrücklich auf „das Strafrecht in der ‚westlichen Welt’“ bezieht[47]. Auch K. Ambos will seine dezidierte Kritik an Jakobs – verklausuliert, wie er es schreibt – nur auf dessen „Postulierung und Legitimierung im Sinne eines kriminalpolitischen Programms“ beziehen, nicht auf die „Verwendung des Feindstrafrechts als deskriptiv- analytische Kategorie zur Kritik am expandierenden nationalen und internationalen Strafrecht“[48].
Insgesamt gewinnt man den Eindruck, dass die erste Aufregung über Jakobs Thesen in der weiteren Diskussion einer Haltung und Diskussion gewichen ist, die mit dem bereits mehrfach zitierten Titel einer Sammlung von Aufsätzen – „Bitte bewahren Sie Ruhe – Leben im Feindstrafrecht“ – gut getroffen ist. Hierfür steht etwa die Erinnerung von W. Kaleck an die in der Bundesrepublik in den siebziger Jahren praktizierte (politische) Strafrechtspolitik gegen ihre „Feinde“, wie es in Arbeiten von A. v. Brünneck, S. Cobler, P. Brückner/A. Krovoza empirisch und theoretisch dargelegt wurde, so dass es „Jakobs Verdienst … allenfalls sein (mag), diese in der politisch-juristischen Gegenöffentlichkeit … entwickelten Gegenargumente für das gesamte Strafrecht aufgezeigt zu haben“[49]. Damit erhält die Diskussion eine Kontinuität und historische Tiefenschärfe, die ihr zwar nicht die Brisanz nimmt, wohl aber ihre Neuheit. Auch fällt der Blick auf Einzelbereiche von Delikten, die der Diskussion die immer wieder angekreidete Abstraktheit nimmt. B. Haffke mag als Beispiel hierfür genannt sein. Seine genaue Analyse der strafrechtlichen „Aufrüstung“ insbesondere auf dem Feld der Sexualdelikte und „ihrer“ Sicherungsverwahrung lässt keinen Zweifel daran, dass er „die unideologische Wirklichkeitseinschätzung durch Jakobs teilt und dementsprechend konstatieren muss, dass das geltende Straf-und Strafverfahrensrecht deutliche feindstrafrechtliche Züge trägt“[50].
Ich verzichte auf weitere Hinweise und Stimmen, die das „Feindstrafrecht“ im deskriptiv-analytischen Sinne für treffend und auch unanstößig halten – entgegen den Reaktionen der ersten Stunde, die selbst bis zur Besorgnis gingen, „ob nicht bereits die kri- tisch gesinnte Diagnose von verfehlten Entwicklungen als Elemente eines Feindstrafrechts affirmierend wirkt und damit die Feinde erst auf den Plan ruft“[51]. Inzwischen, sechs Jahre nach diesem Zitat aus dem Bericht über die Tagung in der Berlin-Brandenburgischen Akademie, kann F. Salinger feststellen: „Überwiegend findet das Feindstrafrecht als (kritisches) Instrument der Strafrechtsanalyse Anerkennung, teilweise sogar in hohem Maße“ – auch wenn er selbst im Résumée seiner Überlegungen zu der Empfehlung gelangt: „Auf den Begriff ‚Feindstrafrecht’ sollte verzichtet werden.“[52] Diese und viele andere Befürchtungen und kritischen Kommentare haben zu einem großen Teil u. a. der von J. Bung konstatierten „für die Strafrechtswissenschaft schwerlich zu überschätzende Chance zur Grundlagenbesinnung“[53] Platz gemacht.
Die normative und die deskriptive Komponente des „Feindstrafrechts“ – Anmerkungen zum normativen Voluntarismus
Vor diesem Hintergrund möchte ich noch einige Bemerkungen anschließen über die Prämisse der Trennung der deskriptiven und der normativen Komponente der Thesen von Jakobs. Wir sahen schon, dass Jakobs ebenso beharrlich wie unbeeindruckt darauf insistiert, dass seine Überlegungen ausschließlich rechtswissenschaftlicher, nicht rechtspolitischer Art sind. Ein längeres zusammenhängendes Zitat aus seinem Vortrag auf der Frankfurter Strafverteidigertagung legt seine Position unmissverständlich offen: „Ich versuche, hier als Teil des Wissenschaftssystems zu argumentieren, nicht des Rechtssystems. Demgemäß ist es nicht mein Anliegen, irgendjemanden zum Feind zu stilisieren, sondern zu beschreiben , wen das Rechtssystem als Feind behandelt, und zu prognostizieren, wem es zukünftig diese Rolle zuerkennen wird. Es geht nicht um Normierungen, noch weniger um politische Postulate, sondern um Bestandsaufnahmen und deren Verlängerungen in die Zukunft.“ Und noch am Ende dieses Referats bekräftigt er, „dass meinen Ausführungen jeder rechtspolitische Impetus fehlt“[54].
Den Ernst seines Anliegens mag noch ein weiteres Zitat aus diesem Vortrag unterstreichen, das auch seine von den Kritikern immer wieder angemahnte „wertende“ Position zum Feindstrafrecht enthält; „ und wie halten Sie es denn mit dem Feindstrafrecht, Herr Kollege?“: das ist die implizite oder ausdrückliche Anfrage an Jakobs von all seinen Kritikern. Ihn treibe „kein rechtspolitischer Furor – ich halte hier keinen rechtspolitischen, sondern einen analytisch orientierten rechtsphilosophischen und strafrechtswissenschaftlichen Vortrag über die Bedingungen von Rechtlichkeit. Meine Bemerkungen sind, wie ich wiederhole, deskriptiv gemeint, nicht präskriptiv. Es wäre mir nicht einmal unlieb, wenn sich die hässliche Gestalt des Feindstrafrechts auflösen ließe; zu einer bedingungslosen Auflösung sehe ich freilich nicht die geringste Chance, und deshalb versuche ich, zur Kenntnis zu nehmen und zu bringen, was der Fall ist, und sei es auch hässlich. Ich werde zu zeigen versuchen, dass der Körper des Kaisers, also des Staates, nicht mit ordentlicher rechtsstaatlicher Kleidung bedeckt, sondern nackt ist, mehr noch, dass er unter den gegenwärtigen Bedingungen nackt sein muss, wenn er nicht insgesamt wegen rechtsstaatlicher Überhitzung Schaden nehmen soll. Der Standardeinwand gegen diesen Versuch, die Aufklärung fortzuführen, lautet, die Rede von der Nacktheit sei obszön, ins politische gewendet: faschistisch. Aber es kommt allein darauf an, ob die Rede ihren Gegenstand trifft.“[55]
An diesem Zitat lässt sich eine entscheidende Differenz zwischen Jakobs und seinen Kritikern demonstrieren, die, wenn ich es richtig sehe, in der bisherigen Diskussion von keiner Seite so recht zur Sprache gekommen ist, obwohl sie in aller Deutlichkeit von Jakobs selbst in seinem „Kommentar“ angesprochen worden ist. Es geht um „die Herausforderung an das Selbstverständnis der Strafrechtswissenschaft“, die es gebiete, „die Ergänzung des Strafrechts durch ein Feindbekämpfungsrecht zur Sprache zu bringen“, andernfalls werde sie „von der wirtschaftlich dominierten Gesellschaft marginalisiert werden“, „kapituliert sie mit ihrem Distinktionsvermögen vor der Politik, gibt sich also selbst preis“. Und jetzt folgt eine Feststellung, die es wahrlich in sich hat: „So bleibt der Strafrechtswissenschaft, die das Ziel der Reise der Gesellschaft nicht bestimmen kann, die Aufgabe, immerhin die eingeschlagenen Richtungen zu benennen.“[56]
Zu dieser rechtspolitisch eminent bedeutsamen Feststellung findet man im Schrifttum kaum eine Auseinandersetzung, geschweige denn ausdrückliche Zurückweisung. Es geht hier ja um die Frage nach den Akteuren des Strafrechts, der Kriminalpolitik etc., wie sie weiter oben bereits im Zusammenhang mit den institutionellen Trägern der Feindstrafrechtsdiskussion angesprochen worden ist. Statt sich mit dieser Frage ausdrücklich und offensiv auseinanderzusetzen, wird die Diskussion mit der impliziten Prämisse und einer Art Als-Ob-Position geführt, dass die wissenschaftlichen und professionellen Akteure des Rechts ein entscheidendes Wort in der Strafrechts-und Kriminalpolitik mitzureden hätten. Ich möchte diese Position als eine Form des normativen und institutionellen Voluntarismus charakterisieren, der dem bloßen Wollen die entscheidende Rolle in Politik und Wirklichkeit einräumt – losgelöst von Determinismen struktureller oder historischer Art.
In den Tagebüchern von R. Dutschke befindet sich ein Eintrag, der als Erläuterung zu dem von mir gemeinten Voluntarismus dienen kann: ein falsch verstandener Voluntarismus ist für ihn „ein Voluntarismus, der nicht in der Lage ist, die vorhandene Widerspruchsebene als die zu behandelnde zu erkennen, sondern die vorhandene Situation überspringt, um das Wollen zur tragikomischen Phrase werden zu lassen, ist eine der größten Gefahren einer sich erst herausbildenden, historisch erfahrungslosen und Kontinuitätslosen Bewegung.“[57] Dieses Zitat bringt eine Erfahrung auf den Begriff, die sich mir aufdrängt und die ich gemeint habe, als ich bei früherer Gelegenheit davon sprach, dass die Kritik an dem Verfall des Rechtsstaates seit Jahrzehnten zu einem Signal und einem Ritual nach innen verkommt, das sich immer weiter abschleift, ungehört verhallt, mehr nach innen als nach außen wirkt[58] und von dem sich der Prozess selbst nicht beirren und nicht aufhalten lässt, sondern vielmehr das Aufbegehren dagegen und dessen Träger in die Isolation und ins Abseits drängt.
Es ist keine Frage, dass die rechtsstaatsorientierte Haltung und Kritik – so auch die trotzige Feststellung von J. Arnold: „Strafverteidigung befindet sich im Widerstand gegen das Feindstrafrecht“ [59] – heute mehr ein Appell aus dem historischen und gesellschaftlichen Off , wenn nicht sogar dem „Off-Off“ der Gesellschaft darstellt, als dies zu der Zeit der Entstehung dieser gesellschaftlichen Akteure und Personen der Fall war. In diesem Sinne ist es wohl richtig und zutreffend, wenn Jakobs die „Notwendigkeit“ des Feindstrafrechts betont, wenn er „zu einem Feindstrafrecht keine heute ersichtliche Alternative“[60] erkennen kann. Bevor ein spontaner Abwehrreflex von einem Besitz ergreift, mag man sich eine aufschlussreiche Pointe vergegenwärtigen, die Ph. Thieé zwei Beobachtungen aus Diskussionen von Jakobs mit seinen Kritikern entnommen hat. Auf dem Aachener Strafverteidigertag wurde von einem seiner Kritiker Jakobs vorgehalten, dass auf sein Konto der „tosende Applaus“ gehe, den „ein Bundesstaatsanwalt, der für Terrorismusbekämpfung zuständig ist“ erhalte, wenn er sage, „ das Strafrecht und das geltende traditionelle Prozessrecht, wie es inzwischen geworden sei, sei ausreichend“.
Die zweite Beobachtung entstammt einem Disput „zwischen Jakobs und einem Mitarbeiter des hessischen Justizministeriums auf einer Veranstaltung in Frankfurt“. Beide Beobachtungen fasst Thieé so zusammen: „Während das Staatspersonal regelmäßig liberale Kritiker des sich neu formierenden Polizeistaates mit einem verständnislosen Achselzucken als Hysteriker abtut, zucken dessen Vertreter doch auch zusammen, wenn ihnen zustimmend erklärt wird, was sie tun: Es sei halt mehr ein Krieg gegen Feinde denn klassisches Strafrecht.…“ Passend scheint mir denn auch die abschließende Bemerkung von Thieé: „Insofern bringt die Feindstrafrechtstheorie frei nach Marx die Verhältnisse dadurch zum Tanzen, dass sie ihnen ihre eigene Melodie vorspielt“[61].
Was aber tun, wenn man dem Vorwurf des leer laufenden Voluntarismus entgehen und nicht unter das Verdikt fallen will, das kein Geringerer als der amtierende Vizepräsident, W. Hassemer, auf dem Frankfurter Verteidigertag den Jakobs-Kritikern entgegengehalten hat, ohne – das sei gleich dazu gesagt – diesen zu verteidigen. Nach der Skizzierung von Jakobs These, durch das Feindstrafrecht ließe sich das Bürgerstrafrecht gleichsam rein und intakt halten, folgt dieser unmissverständliche Satz: „sich über solcherart Vorstellungen zu empören, liegt nahe und ist deshalb nicht sehr originell“[62], um einige Seiten weiter noch deutlicher zu werden: „Hinter dem Schreibtisch zu sitzen und die Umgebung mit schönen Wahrheiten und strengen Warnungen zu bombardieren, wie es die liberale Theorie der Rechtspolitik lange Zeit getan hat, war nicht schon immer kosten-und wirkungslos; heute ist es angesichts der manifesten und tiefgreifenden Veränderungen der strafrechtlichen Traditionen zudem nicht anständig, so zu tun, als richte sich die Kriminal-und Innenpolitik nach theoretisch wohlformulierter Kriminalwissenschaft und es wissenschaftlich und praktisch dann dabei bewenden zu lassen.“[63] Und er fügt hinzu, dass er analoge Gedanken bereits vor mehr als zehn Jahren zu Papier gebracht habe[64].
Hassemer belässt es nicht bei dieser Kritik. Im Anschluss an seinen obigen Vorwurf mangelnder Originalität von bloßer Entrüstung nennt er als „hilfreicher“ „dagegen Fragen wie die, warum solche Lehren heutzutage Aufmerksamkeit oder gar Zustimmung finden.…“ Damit öffnet Hassemer in der Tat eine Tür zu Frage-und Problemstellungen, die hier nur noch benannt und als Desiderat reklamiert werden können, auch bei ihm selbst allerdings – das sei ein wenig enttäuscht hinzugefügt – keine recht erschöpfende und befriedigende Antwort finden. Sie sind im Übrigen auch bei einer Reihe anderer Diskutanten ums Feindstrafrecht präsent, zu allererst bei Jakobs selbst, obwohl er das m.E. hierfür einschlägige Stichwort und Argument, das er in seinem „Kommentar“ benennt – „die große Herausforderung der Gegenwart, die Dominanz des Wirtschaftssystems“[65] – im weiteren Verlauf der Ausarbeitung und Verteidigung seiner Thesen nicht spezifiziert und stärker macht. Aber er hat damit, wie J. Bung in schöner Deutlichkeit herausstellt, „die Frage nach dem Verhältnis des Rechts zum Außerrechtlichen“[66] auf die Tagesordnung gesetzt bzw. wie ebenfalls Bung an anderer Stelle noch präziser und treffender sagt, einen „Bereich (markiert), in dem die Rechtswissenschaft nur um den Preis wissenschaftlicher Naivität sich dem Anspruch verweigern kann, zugleich auch Gesellschaftswissenschaft zu sein“[67], ohne allerdings der zutreffenden Programmatik auch deren praktische Einlösung folgen zu lassen.
Das Feindstrafrecht und seine gesellschaftstheoretische Verkürzung
In diese gesellschaftswissenschaftliche Verlängerung der Diskussion tritt D. Krauss ein, wenn er am Ende seines Aufsatzes etwa „von der Umverteilung von sozialer Sicherheit auf eine polizeiliche Sicherheit“ spricht oder, noch näher dran, sagt : „Wo sich die Schere zwischen arm und reich immer weiter auftut, wird ein Kontrollpotential zur Stabilisierung dieser gesellschaftlichen Unwucht immer notwendiger.“[68] In diese Richtung wäre der Faden, den nach meiner eigenen Lesart auch Jakobs aufgenommen hat, in der Tat weiterzuspinnen, wäre seine „rechtssoziologische“[69] Anlage auszuarbeiten und zu explizieren. Auch dass „Angst“ das existentielle und zu theoretisierende Scharnier bilden könnte, das den Schritt ins Außerrechtliche ebnet, wie es Th. Uwer und J. v. Schlieffen in ihrem literarisch angeleiteten Vorwort zur schon mehrfach erwähnten Anthologie „Bitte bewahren Sie Ruhe“ (Anm. 8) vermuten, weist in diese Richtung. Allerdings bedarf die konstatierte „Einigkeit … darüber, dass die als „Feinde“ markierten Terroristen, Sexualstraftäter oder Dealer lediglich (gesellschaftliche) Sichtbarmachungen struktureller Probleme sind“, noch der genaueren Herleitung und Prüfung[70]. Ein solches Projekt schwebt offensichtlich J. Arnold mit seinem Vorschlag für ein nächstes Buchthema von „Strafverteidiger/innen und Wissenschaftler/innen“ vor: „Strategien für eine progressive Veränderung der ökonomischen und sozialen Verhältnisse als Basis für die Gestaltung eines menschengerechten Strafrechts.“
Einem derartigen Programm diente auch mein Verweis auf die vorzügliche rechtssoziologische Studie von D. Garland zur „Culture of Control“ – eine Arbeit, die bereits in mehrere Sprachen übersetzt ist, in der Bundesrepublik je doch kaum wahrgenommen wird[71]. Die Analyse von Garland ist für den hier diskutierten Zusammenhang einschlägig und wegweisend wie keine zweite, auch wenn sie nicht in jeder Hinsicht der Kritik standhält. Sie verdient in der deutschen Diskussion Aufmerksamkeit und Rezeption, weil sie aus einer erstickenden Engführung der Argumentation und der Kritik herauszuführen vermag. Obwohl in ihren empirischen Bezügen im Wesentlichen auf die USA – wo Garland derzeit an der New York University lehrt – und Großbritannien bzw. Schottland – Letzteres sein akademisches Herkunftsland: in Edinburgh erwarb er seinen LL.M. und seinen Ph.D. in „Socio-Legal Studies“ – bezogen, stellt diese Studie eine eindrucksvolle Rekonstruktion der Transformation eines wohlfahrtsstaatlichen in ein neoliberales Strafrechtsregime dar, die durch eine Renaissance der repressiven und demonstrativen Vergangenheit strafrechtlicher Sozialkontrolle gekennzeichnet ist. Der so genannte „punitive turn“, den die beiden genauer untersuchten Gesellschaften seit etwa drei Jahrzehnten vollzogen haben – die USA früher als Großbritannien – wird in ebenso detaillierter wie gesellschaftlich umfassender Form dargelegt und beschrieben.[72] Den beiden untersuchten Ländern sind inzwischen die europäischen Länder mit einem gewissen „cultural lag“ gefolgt – bis hin zu den einstigen kriminalpolitisch liberalen „Vorzeigeländern“ Niederlande und auch Skandinavien.[73]
Die Studie ist ein exzellentes Exemplar für die zu Recht von Bung angemahnte Öffnung des Blicks und die gesellschaftstheoretische Erweiterung der Analyse auf den außerrechtlichen gesellschaftlichen Kontext und die sozialstrukturellen und kulturellen Wandlungen, denen moderne Gesellschaften exakt in der Periode ausgesetzt waren – und in der Gegenwart weiterhin ausgesetzt sind –, in welcher sich die kriminalpolitische Wende in so dramatischer Weise vollzog. Es war eine buchstäbliche Kehrtwende, von der Garland sagt: „ the historical trajectory of British and American crime control over the last three decades has been almost exactly the contrary of that which was anticipated as recently as 1970“. Noch immer nicht, so Garland an gleicher Stelle, wisse man, wie man dahin gelangt sei und warum die Gegenwart der Kriminalitätskontrolle sich so weit von dem entfernt habe, was man noch vor einer Generation erwartete. Die Antworten, denen Garland in seiner Studie nach dem Warum dieser Entwicklung beizukommen sucht, findet er u. a. durch eine nähere Betrachtung der Beziehung zwischen den neuen punitiven Kontrollpraktiken und anderen „social domains, such as welfare, politics, or the economy.“[74]
Garlands Analyse ist es aus mehreren Gründen wert, für die deutsche Diskussion verfügbar gemacht zu werden, insbesondere auch für die Auseinandersetzung um das Feindstrafrecht. Wenn sie auch hier aus nahe liegenden Gründen in ihrer gesamten Material- wie Theoriefülle nicht erschöpfend, sondern nur sehr selektiv präsentiert werden kann, sollen einige Aspekte doch zu Wort kommen, die vielleicht über die hierzulande herrschende Blockade im Für und Wider des Feindstrafrechts hinausführen. Am bedeutsamsten erscheint mir die substanzielle Reichweite von Garlands Konzept der „culture of control“ bzw. des „punitive turn“. Seine These, die im Übrigen nicht nur von Garland selbst vertreten wird, erstreckt sich – anders als das Feindstrafrecht in der deutschen Diskussion – nicht nur auf Struktur und Wandel des positiven Rechts und deren judikative Umsetzung, sondern auf „the whole range of our social responses to crime“[75], umfasst zwar die in der deutschen Diskussion prominenten Novellierungen des Prozess- und des materiellen Rechts, beschränkt sich jedoch keineswegs auf sie und fokussiert die Argumentation ebenso wenig auf den Topos der Rechtsstaatlichkeit. Nur einige Stichworte mögen die Reichweite der von Garland zu Grunde gelegten Empirie deutlich machen: Niedergang des Prinzips der Resozialisierung; die Rückkehr von „Strafe“ in ihrem repressiven Sinn; die Rückkehr des Opfers; der Schutz der Öffentlichkeit; die „Wiedergeburt“ des Gefängnisses; die Politisierung und der Populismus in der Kriminal- und Sicherheitspolitik; Privatisierung und Kommerzialisierung in der Sicherheitspolitik u.a.
Stellt man diesen Kriterienkatalog Garlands zum neuen Umgang von Staat und Gesellschaft mit der Kriminalität und den Straftätern den Aspekten gegenüber, die in der deutschen Diskussion um das Feindstrafrecht von Vertretern wie Kritikern benannt werden, so ergibt sich nur eine geringe Überlappung. Das trifft gleichermaßen für die von Jakobs selbst feindstrafrechtlich ausgewiesenen wie die von seinen Kritikern traktierten Merkmale des Strafrechts zu. Dabei liegt es doch auch in der Bundesrepublik auf der Hand: die Opferorientierung; die Zweifel an der Resozialisierung – und dies nicht erst jetzt ablesbar an der durch die neue Ländergesetzgebungskompetenz ermöglichte Novellierung der Strafvollzugsgestaltung; der Rückgriff aufs Gefängnis und die deutsche Form der „Unschädlichmachung“ (incapacitation) in Form des sich seit Jahren eskalierenden legislativen Zugriffs auf das einst von den Nazis eingeführte Institut der Sicherungsverwahrung. Die Liste der Zeichen und Indikatoren eines „punitive turn“ auch in der Bundesrepublik ließe sich noch beliebig fortsetzen – und auch für die Bundesrepublik dürfte die Realität der Kriminal- und Sicherheitspolitik in dem umfassenden Sinne nicht weit weg sein von derjenigen, die Garland in den beiden untersuchten Ländern ausgemacht hat und für deren Charakterisierung er mehrfach auf das kriminalpolitische Credo und Motto des konservativen Nachfolgers von Margaret Thatcher, John Major, zurückgreift, das einst in der Sunday Times v. 21.2.1993 zu lesen war: „to condemn more and to understand less.“[76]
Die Zeit der Liberalisierung von Strafrecht ist auch in der Bundesrepublik vorbei – und dies nicht erst seit dem schrecklichen Trauma-Ereignis des Anschlags auf die „Twin Tower“ sowie das Pentagon im Jahre 2001. Und ebenso gehört ins Bild auch die Feststellung, dass sich die Umkehr der kriminalpolitischen Liberalisierung auch in der Bundesrepublik unabhängig vom Gang der registrierten und ermittelten Kriminalität vollzog, d.h. selbst bei deren Stagnieren oder gar Rückgang seine Bahn nicht änderte. Das Strafrecht als auslaufendes staatliches und politisches Steuerungsmodell, wie es sich vor gar nicht langer Zeit in Form von politischen Kommissionen der „Entkriminalisierung“ und „Entpönalisierung“ sowie kriminologischen bzw. kriminalpolitischen Kampagnen abolitionistischer Prägung[77] manifestierte: das heute zu vertreten, grenzt an Traumtänzerei im besten, an hochverratsgleiche Subversion staatlicher Autorität im schlimmsten Fall. Massen-und vor allem Bagatellkriminalität (Ladendiebstahl, Beförderungserschleichung, Graffiti, Haschisch-Besitz und -gebrauch, demnächst wohl Nikotin – Genuss), einst Kandidaten für einen nicht -punitiven und Strafrechtslosen Umgang mit Kriminalität, werden heute im Zeichen von „zero tolerance“ nach dem Prinzip „allen Anfängen wehren“ unter verschärfte Beobachtung und Verfolgung gestellt.
Dass Politik und Politiker auch in der Bundesrepublik längst nicht mehr für eine liberale Position zu haben sind, hat sich mittlerweile wohl im öffentlichen Bewusstsein herumgesprochen – und das auch bei uns über Parteigrenzen hinweg. Zwar haben Konservative als erste erkannt, dass sich mit Kriminal-und Sicherheitspolitik beim Wähler gut punkten und gewinnen lässt – gemäß dem Prinzip des früheren konservativen Sprechers im US-Repräsentantenhauses, Newt Gingrich, der in einem Fernsehinterview auf die Frage nach den Siegesparolen seiner Partei die plakative Antwort gab: „taxes down and death penalty up.“[78] Aber dies hat sich längst bis zu den linken und liberalen Parteien herumgesprochen. Auch in der Bundesrepublik, wofür als gleichsam offizieller Beleg – neben etlichen kriminalpolitischen „Ausfällen“ des früheren rot-grünen Bundeskanzlers – das ministerielle Vorwort des Ersten Perio dischen Sicherheitsberichts aus dem Jahre 2001 genommen werden kann. Unter der Federführung von H. Däubler-Gmelin und O. Schily formuliert, steht dort unter Bezug auf die Koalitionsvereinbarung der damaligen Regierung in leichter – jedoch unmissverständlicher – Abwandlung des bekannten kriminalpolitischen Mantra von New Labour (Blair: „crime is a labour issue“): “Entschlossen gegen Kriminalität und entschlossen gegen ihre Ursachen.“[79]
Ebenso dürfte für die Bundesrepublik eine Beobachtung aus Garlands Analyse zutreffen, die die weitgehende Zahnlosigkeit von purer Rechtsstaatskritik auf den Punkt bringt, wenn auch nicht erklärt: der Ruf nach Schutz vor dem Staat sei zunehmend dem Ruf nach Schutz durch den Staat gewichen.[80] Die Gefahr ungezügelter Staatsgewalt, willkürlicher Machtausübung und von Bürgerrechtsverletzungen scheint nicht länger vorrangiger Gegenstand öffentlichen Unbehagens zu sein.[81] Die Vermutung ist nicht abzuweisen, dass die Feindstrafrechtskritik in der deutschen Diskussion ihre Argumente aus einer Position bezieht, die anhaltend im Staat den feindlichen Leviathan sieht und nur wenig Vertrauen und Bereitschaft aufbringt, seine Schutzfunktion zu honorieren. Bei genauerem Hinschauen erweist sich allerdings punktuell, dass rechtsstaatliche Besorgnis und laut tönende Warnung vor rechtsstaatlichem Verfall durchaus verträglich sein können mit repressiver Attitüde und dem Schwert des Strafrechts, und das nicht nur im Halbdunkel des Biertisches, sondern auch in vereinsöffentlichen Konflikten wie etwa bei der Humanistischen Union. Diese ließ vor wenigen Jahren ihren Vorsitzenden laufen, weil er – und zwei andere Vorstandsmitglieder – sich nicht umstandslos einem Kontaktverbot zur „Arbeitsgemeinschaft Humane Sexualität (AHS)“ zu unterwerfen bereit waren.
Die deutsche Diskussion um das Feindstrafrecht würde ihr eigentliches Moment – das ist die Zielrichtung meines Arguments – gewinnen, wenn sie sich als Teil der von Garland in detaillierter Tiefenschärfe und umfassender Reichweite, von anderen Beobachtern an punktuellen Einzelerscheinungen – so am Beispiel punitiver „Vorzeigedelikte“ wie der Jugendgewalt und den Sexualdelikten – demonstrierten Punitivität und „Straflust“ (W. Hassemer) begreifen würde. Dies geschieht in der hier im Wesentlichen zur Sprache gekommenen Diskussion innerhalb des Strafrechts so gut wie nicht. Im vielleicht noch eher „zuständigen“ Diskurs der Kriminologie und der Kriminalpolitik noch weniger; dort wird das Feindstrafrecht erst gar nicht zur Kenntnis genommen, der „punitive turn“ im Sinne Garlands schlicht geleugnet, wie ich bereits mehrfach an anderer Stelle dargelegt habe.[82] Eine Ausnahme von dieser Feststellung in Bezug auf die strafrechtliche Diskussion verdient jedoch, festgehalten zu werden: der Madrider Strafrechtslehrer M. C. Meliá, ein Schülerkollege von Jakobs, spricht in seinem oben erwähnten Aufsatz ausdrücklich und des Längeren über die „Renaissance des Punitivismus“ und über das „punitivistische Klima“ im Sinne der Garlandschen These – ohne diesen allerdings zu erwähnen. Aus eigener, spanischen Beobachtung und Erfahrung, aber auch „allenortens“ sieht er „das kriminalpolitische Pendel … wieder in Richtung Strafverschärfung (schwingen)“[83] – und das Feindstrafrecht als illegitimes Kind dieses Prozesses.
Von einer solchen Verknüpfung des Jakobsschen Feindstrafrechts mit der Tendenz kriminalpolitischer Regression und Repression im weiten Sinne wollen deutsche Strafrechtsexperten nichts oder wenig wissen. Ihre rein „rechtsstaatliche“ Brille verfügt offenbar nicht über diese Sehschärfe, verkürzt und reduziert die Problematik auf die Art und Weise der Identifizierung und der Aufspürung des „Bösen“, ignoriert die Fragen, was mit dem Bösen geschieht, wenn es denn gestellt ist. Erst recht hält es sich aus dem Problem heraus, welche Hinterbühnen-Akteure die Definitionsherrschaft über das strafbewehrte Böse mitbestimmen, geschweige denn, ob und inwieweit das Strafrecht überhaupt den ihm angesonnenen Funktionen und Erwartungen unter Bedingungen heutiger Gesellschaften nachzukommen geeignet und in der Lage ist. Gesellschaftliche und staatliche Punitivität im hier dargestellten und vertretenen Sinne scheint auf eine bedauerliche Weise nicht erfassbar und „satisfaktionsfähig“ vor dem hehren Forum von Rechtsstaats- und Bürger-, resp. Menschenrechtskritik. Diese Art von „déformation professionelle“ und limitierter Reichweite der traditionellen bürgerrechtlichen und rechtsstaatsorientierten Kritik an dem punitiven Gang von Kriminal- und Sicherheitspolitik bleibt auch auf dem Auge nur beschränkt hell- und weitsichtig, das die Ursachen und Bedingungen dieser Entwicklung in den Blick nimmt. Ihr Blick richtet sich vornehmlich auf das Terrain der Politik und deren Akteure, die sie unter feindstrafrechtliche Generalverantwortung stellen, wozu sicherlich eine institutionelle Oberflächenrationalität Anlass und Berechtigung verleiht. Sodann steht bevorzugt die weithin unantastbare Welt der Medien im Anklagestand der Verantwortung – auch dies ein Zug von hoher Suggestivität und gesellschaftlicher Entlastung. Was indessen nicht in den Blick gerät, sind jene Kräfte und Akteure, denen Garland in seiner Analyse hauptsächliche und „letzte“ Ursachen vorbehält. Bereits oben war davon die Rede: „welfare, politics or the economy“. Allgemeiner und aufschlussreicher noch benennt Garland Ursachen und Ziel seiner Studie in einer Stellungnahme und Nachbetrachtung zu ihr anlässlich eines Symposiums an einer englischen Universität: „I wanted to show how the newfound liberties and pleasures that modern liberals cherish tend to produce chronic insecurities and a punitiveness that makes them cringe“ („Mir ging es darum aufzuzeigen, wie den neu erreichten Freiheiten und Freuden, die die modernen Liberalen so sehr preisen, die Tendenz innewohnt, chronische Unsicherheiten und eine Punitivität zu erzeugen, die einen zusammenzucken lassen“).[84] In die nicht nur deutsche (partei)politische Grammatik übersetzt, spricht Garland damit die Spannung und den Widerspruch zwischen der neo-liberalen und ökonomischen Freiheit auf der einen Seite und ihrem (ungelösten) politischen Versprechen auf der anderen Seite an. Rechtsstaatlichkeit und deren Einforderung scheitern an strukturellen Gegebenheiten, die wir nicht missen wollen und von denen wir profitieren – und das gilt gerade auch für diejenigen, die sich an der vordersten Front der Verteidigung von Rechtsstaat und Bürgerrechten wähnen. Der englische Politologe A. Gamble hat bereits vor Jahren die Analyse der „politics of thatcherism“ – bekanntlich die europäische Speerspitze des Neoliberalismus – auf die für den hier diskutierten Zusammenhang treffende Pointe gebracht: „The Free Economy and the Strong State.“[85]
Wer es noch griffiger und merk-fähiger braucht, sei an den Gewinn-Slogan im amerikanischen Präsidentenwahlkampf 1992 von Bill Clinton gegen George Bush sen. erinnert: „It’s the economy, stupid“. Unter dem eingedeutschten Titel dieses Slogans ( „Um die politische Ökonomie geht es, Dummkopf“ – Hervorh. i. O.) plädiert der allgegenwärtige slowenische Allround-Philosoph Slavoj Žižek in seiner als „philosophisches Buch des Jahres“ bezeichneten Studie „Die Tücke des Subjekts“ für eine „radikale Repolitisierung der Ökonomie“ (Hervorh. i.O.). Dieses Plädoyer richtet der Verfasser gegen „Theoretiker der Risikogesellschaft“ – ein Konzept, das bekanntlich auch in die Strafrechtstheorie Einzug gehalten hat –, die zwar „des Öfteren die Notwendigkeit (betonten), dem Reich des „entpolitisierten“ Weltmarktes mit einer Geste der Repolitisierung entgegenzutreten“, es aber „trotzdem verhindern, die Grundlagen der anonymen Logik der Marktverhältnisse und des globalen Kapitalismus selbst in Frage zu stellen“. Diese Überlegung von Žižek könnte den Kritikern des Feindstrafrechts helfen, die Hilfund Wirkungslosigkeit des rechtsstaatlichen Voluntarismus ihrer Kritik zu verstehen, und den Adressaten ihrer Kritik, G. Jakobs, veranlassen, seine Behauptung der Alternativlosigkeit des Feindstrafrechts eine theoretische Untermauerung zu geben, mit dem der Vorwurf der Legitimierung der von ihm diagnostizierten Tendenz überzeugender abzuwehren ist, als mit der mehrmals wiederholten treuherzigen Versicherung, zu 95 oder 98 Prozent missverstanden worden zu sein.
[1] Es handelt sich um einen Text bzw. „Kommentar“, zu dem ihn drei prominente Kollegen anlässlich einer von ihnen organisierten Diskussion an einem prestigereichen Ort eingeladen hatten: Günther Jakobs, Das Selbstverständnis der Strafrechtswissenschaft vor den Herausforderungen der Gegenwart (Kommentar), in: A. Eser, W. Hassemer und B. Burkhardt (Hg.), Die Deutsche Strafrechtswissenschaft vor der Jahrtausendwende. Rückbesinnung und Ausblick. Dokumentation einer Tagung vom 3.- 6. Oktober 1999 in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, München; C.H. Beck 2000, S. 47-56.
[2] Günther Jakobs, Kriminalisierung im Vorfeld einer Rechtsgutsverletzung, ZStW 97/1985, S. 751- 785:784. In dieser Einschätzung des geringen Widerhalls dieser ersten Ortung eines Feindstrafrechts durch Jakobs in seiner eigenen „scientific community“ finde ich mich durch F. Saliger, Feindstrafrecht: kritisches oder totalitäres Strafrechtskonzept (JZ 2006, S. 756-762:758: „keine erheblichen Reaktionen“), bestätigt. Und auch der unter den deutschen Journalisten engagierteste Rechtsstaatswächter, Heribert Prantl von der Süddeutschen Zeitung, vorenthielt dem Leser in einem Artikel seine Verwunderung darüber nicht, dass das Konzept „in der Strafrechtswissenschaft auf gar nicht so heftige Kritik“ gestoßen sei, „wie man erwarten könnte“ („Bürger und Feinde“ – SZ v. 28.4.04).
[3] Friedrich-Ebert-Stiftung – Forum Berlin, Sicherheit vor Freiheit? Terrorismusbekämpfung und die Sorge um den freiheitlichen Rechtsstaat. Konferenz der Friedrich-Ebert-Stiftung/Forum Berlin in Kooperation mit der Humanistischen Union e.V. am 26.3.2003 in Berlin. Dokumentation, Berlin 2003.
[4] Friedrich-Ebert-Stiftung (Anm. 3), Seite 84/85. Was die Datierung dieses Prozesses angeht, nannte Detlef Krauß in seiner Moderation der Diskussion sogar einen Zeitraum von vierzig Jahren, während dessen „im Strafrecht eine Menge von Irrwegen beschritten“ (wurden), „die fester Bestandteil unserer Strafrechtsordnung geworden sind“. (ibid., S.83/84).
[5] Vgl. Albin Eser, Schlussbetrachtungen, in: A. Eser u.a. (Anm. 1), S. 437-448: 445, FN3.
[6] Vgl. Bernd Schünemann, Die deutsche Strafrechtswissenschaft nach der Jahrtausendwende, in: Goltdammers Archiv 2001, S. 205 – 225:210.
[7] Diese Bemerkung bezieht sich auf meinen Vortrag anlässlich der Verleihung des „Werner Holtfort- Preises“ an die „Redaktion und Zeitschrift »Bürgerrechte und Polizei/CILIP«“ im Jahre 2005 in den Berliner Räumen der Friedrich-Ebert-Stiftung. Mein Beitrag – sowie Bemerkungen von W. Kaleck über seine teils unfreundliche Aufnahme – sind dokumentiert im RAV-Informationsbrief 95 (2005), S. 15 – 35.
[8] M. Frommel, Rebellen. Räuber und Intriganten, in: Thomas Uwer/Organisationsbüro (Hrsg.), Bitte bewahren Sie Ruhe. Leben im Feindrechtsstaat. Schriften der Strafverteigervereinigungen. Berlin 2006, S. 59-76: 72.
[9] Es handelt sich um das auf dem 30. Strafverteidigertag v. 24.-26.3.06 vorgetragene Referat, das in der Online -Zeitschrift & Rechtsprechungsdatenbank – hrr-Strafrecht.de – Heft 8/9 2006, S. 289 ff. dokumentiert ist. Im gleichen Heft sind zwei weitere der insgesamt vier Beiträge zu diesem Thema des Strafverteidigertages zu finden (A. Aponte, J. Arnold); der vierte eingeladene Beitrag dieser Arbeitsgruppe von F. Salinger ist in der JZ 15/16 (2006), S. 756 ff. dokumentiert.
[10] Thomas Uwer/Organisationsbüro (Hg.), Bitte bewahren Sie Ruhe. Leben im Feindrechtsstaat. Schriftenreihe der Strafverteidigerve reinigungen, Berlin 2006.
[11] In der gedruckten Version seines Strafverteidiger-Vortrags (Anm. 9) nennt Jakobs einige der Gelegenheiten, in denen er seine These vorgestellt hat – ebenso setzt er sich dort in einer etwas längeren Fußnote mit den Argumenten einiger seiner Kritiker auseinander.
[12] Manuel Cancio Meliá, Feind“strafrecht“, ZStW 117 (2005/2), S. 267 -289, 277.
[13] Detlef Krauß, Vom Bürgerstrafrecht zum Feindstrafrecht?, in: Th. Uwer/Organisationsbüro (Hg.),
a.a.O. (Anm. 10), S. 79-101,84.
[14] Die idealtypische Interpretation seiner beiden Strukturtypen nimmt Jakobs erst in einem Aufsatz vor, der vier Jahre nach seinem inkriminierten „Kommentar“ (Anm. 1) erschienen ist: Bürgerstrafrecht und Feindstrafrecht, in: HRRS – März 2004, S. 88-95. [15] Ebda., S. 51/52. [16] Ebda., S. 52.
[17] Vgl. H. Prantl, Bürger und Feinde. Strafrecht als Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln – der Beschuldigte als militärisches Ziel, in: Süddeutsche Zeitung v. 28.4.2004.
[18] Die Beiträge von Jakobs und Albrecht sind in der ZStW Bd. 117 (2005), S. 839ff. bzw. 852ff. abgedruckt, ebenso wie ein längerer Bericht von M. Heger über die dort geführte Diskussion (S. 865888).
[19] J. Arnold, Geleitwort – Das Ende der Gespensterjagd, in: Th. Uwer/Organisationsbüro (Anm. 10), S. 13-25, 15.
[20] Ibid., S. 17. Arnold selbst praktiziert seine eigene Distanzierung zum Feindstrafrecht in der Weise, dass er das Wort konsequent in Parenthese setzt.
[21] Die einzige, mir bekannte Monographie zum Feindstrafrecht entstammt einer Disseration an der Universität Saarbrücken und ist von einem kolumbianischen Doktoranden verfasst und betrifft gleichsam „Feindstrafrecht in action“ in Kolumbien: A. Laponte, Krieg und Feindstrafrecht. Überlegungen zum „effizienten“ Feindstrafrecht anhand der Situation in Kolumbien, Baden-Baden: Nomos 2004.
[22] So die Selbstdarstellung auf der Webseite des Organisationsbüros der: www. Strafverteidigervereinigungen.de.
[23] So laut Webseite des RAV: www.rav.de .
[24] Die Zitate über die Programmatik der beiden Vereinigungen sind deren jeweiligen Webseiten entnommen
[25] Vgl. W. Kaleck, Zu kurz gegriffen. Die Diskussion um das Feindstrafrecht, in: Th. Uwer/ Organisationsbüro (An m. 10), S. 281 -297.
[26] Zu beiden Strafverteidigertagungen liegen Publikationen vor: a) Wen schützt das Strafrecht? Ergebnisband zum 29. Strafverteidigertag, Aachen 2005, Berlin 2006; b) Wie viel Sicherheit braucht die Freiheit? Ergebnisband zum 30. Strafverteidigertag, Frankfurt/Main 2006, Berlin 2007; der bereits mehrfach erwähnte Band von Th. Uwer/Organisationsbüro(Anm. 10) ist im Anschluss an den Aachener Strafverteidigertag eigens in Auseinandersetzung mit dem Feindstrafrecht besorgt worden – alle drei Bände zu beziehen über: Strafverteidigervereinigungen Mommsenstr. 45 10629 Berlin, tel: 030 31018218, fax: 030 31018219, e-mail: organisation@strafverteidigervereinigungen.org.
[27] J. Arnold, Geleitwort (Anm. 10), S. 16: Diesen Eindruck belegt Arnold mit der folgenden Information über die Diskussion: „Das gipfelte in der Feststellung einer Strafverteidigerin, bei Jakobs handle es sich um „einen alten gefährlichen Mann“.
[28] J. Arnold, Geleitwort (Anm. 10), S. 19.
[29] Ibid., S. 24.
[30] J. Arnold, Geleitwort (Anm. 10), S. 19.
[31] Am dichtesten an der Politik und ihren Personen wie Institutionen formuliert wohl P.-A. Albrecht: Die vergessene Freiheit – Strafrechtsprinzipien in der europäischen Sicherheitsdebatte, in: Friedrich-
Ebert-Stiftung, Sicherheit vor Freiheit? (Anm. 3), S. 9-18.
[32] Auf diesen Punkt macht J. Bung zu Recht aufmerksam.
[33] Zit. nach Ph. Thiée, Feindstrafrecht im Islam? Die Umma: Ausschluss, Ehre und die Sehnsucht nach Harmonie, in: Uwer/Organisationsbüro (Anm. 10); vgl. auch U. Scheffler, Freund-und Feindstrafrecht, in: Th. Feltes/Ch. Pfeiffer/G. Steinhilper (Hg.), Kriminalpolitik und ihre wissenschaftlichen Grundlagen. Festschrift H.-D. Schwind, Heidelberg 2006, S. 123-146: 124; ebenso K. Ambos, Feindstrafrecht, in: Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht, Band 124/2006, S. 1-30, 18.
[34] Dies ist auch der Titel einer ausführlichen, in englischer wie deutscher Sprache im Berliner Wissenschaftsverlag 2003 von P.-A-Albrecht erschienenen, knapp 200seitigen „Streitschrift für die Freiheit“.
[35] Vgl. Anm. 2.
[36] Vgl. D. Krauss (Anm. 13), S. 81.
[37] Ibid., S. 82.
[38] Ibid., S. 87.
[39] Ibid., S.
[40] C. Prittwitz, »Feindstrafrecht«, in: A. Pilgram und C. Prittwitz (Hg.), Kriminologie. Akteurin und Kritikerin gesellschaftlicher Entwicklung, Baden-Baden 2005, S. 215-228, 218.
[41] Ibid., S. 226.
[42] J. Arnold, Entwicklungslinien des Feindstrafrechts in 5 Thesen, in: HRRS August/September 2006, S. 303-315.
[43] Ibid., S. 304.
[44] Ibid., S. 311.
[45] Vgl. hierzu zum einen den Madrider Professor – und Jakobs-Schüler-C. Melià, Feind“strafrecht“ (Anm. 12), ferner den S. Göttinger Südamerika-Spezialisten K. Ambos, Feindstrafrecht (Anm. 33), insbes. S. 24 ff. u. m.v.w. N.; Jakobs selbst (Anm. 9) nennt einige seiner spanisch/ südamerikanischen Kontakte.
[46] K. Ambos, Feindstrafrecht (Anm. 33), S. 1.
[47] C. Meliá, Feind“strafrecht“ (Anm. 12), S. 268 u. 267.
[48] K. Ambos, Feindstrafrecht (Anm. 33), S. 2.
[49] W. Kaleck, Zu kurz gegriffen. Die Diskussion um das Feindstrafrecht, in: Th. Uwer/Organisationsbüro (Anm. 10), S. 281-297, 289f.
[50] B. Haffke, Vom Rechtsstaat zum Sicherheitsstaat? Vortrag gehalten auf dem 29. Strafverteidigertag, Ms., S. 12.
[51] L. Schulz, „Die Deutsche Strafrechtswissenschaft vor der Jahrtausendwende“. Bericht von einer Tagung und Anmerkungen zum Feindstrafrecht, in: ZstW 112/3 (2000), S. 653 -664, 663/4.
[52] F. Salinger, Feindstrafrecht: Kritisches oder totalitäres Strafrechtskonzept?, in: Juristenzeitung 15/16 (2006), S. 756-762, S. 757 u. 762.
[53] J. Bung, Zurechnen-Können, Erwarten-Dürfen und Vorsorgen-Müssen – Eine Erwiderung auf Günther Jakobs, in: HRRS August/September 2006 (8-9/2006), S. 317-321.
[54] G. Jakobs, Feindstrafrecht? – Eine Untersuchung zu den Bedingungen von Rechtlichkeit, in: HRRS Augusut/September (8-9/2006), S. 289-297, 289.
[55] Ibid., S. 290.
[56] G. Jakobs, Kommentar (Anm. 1), S. 54.
[57] Gretchen Dutschke (Hg.), Rudi Dutschke – Jeder hat sein Leben ganz zu leben – Tagebücher 1963 1979, Köln 2003, zit. n. http://home.arcor.de/karger/buechernachlese-archiv/uk_dutschke_gretchen_tagebuecher.html.
[58] F. Sack (Anm. 7), S. 24 ff.
[59] J. Arnold, Entwicklungslinien (Anm. 42), S. 314.
[60] G. Jakobs (Anm. 1), S. 53.
[61] Alle Zitate sind entnommen: Ph. Thieé, Feindstrafrecht im Islam? (Anm. 33), S. 198/89.
[62] W. Hassemer, Sicherheit durch Strafrecht, in: HRRS – April 2006, S. 130-143, 136.
[63] Ibid., S. 138.
[64] Konkret verweist er auf seinen Aufsatz „Perspektiven einer neuen Kriminalpolitik“, in: Strafverteidiger 1995, S. 483-490, abgedr. in: W. Hassemer, Strafen im Rechtsstaat, Baden-Baden 2000, S. 268-292.
[65] G. Jakobs, Kommentar (Anm. 1), S. 49.
[66] J. Bung, Feindstrafrecht als Theorie der Normgeltung und der Person, in: Th. Uwer/Organisationsbüro (Anm. 10), S. 249-265, 250.
[67] J. Bung, Zurechnen-Können …(Anm. 53), S. 318.
[68] D. Krauss, Vom Bürgerstrafrecht … (Anm. 13), S. 100.
[69] Zu Recht charakterisiert T. Hörnle – m. E. als einzige – Jakobs Position als „rechtssoziologisch interessierte“ Studie: „Deskriptive und normative Dimensionen des Begriffs »Feindstrafrecht«, in: Goltdammers Archiv 2006, S. 80-95, 81.
[70] Th. Uwer und J. v. Schlieffen, Vorwort, in: Th. Uwer/Organisationsbüro (Hrsg.), Bitte bewahren Sie Ruhe (Anm. 8), S. 9-12, 10.
[71] W. Kaleck , Zu kurz gegriffen (Anm. 49), S. 291, bezieht sich auf eine Passage von D. Garland, The Culture of Control. Crime and Social Order in Contemporary Society , Oxford 2001, auf die auch ich in meinem inkriminierten Aufsatz hingewiesen hatte (Anm. 7, S. 30 f.). [72] Garland, Culture of Control, S. 1.
[73] Vgl. hierzu meine beiden demnächst erscheinenden Aufsätze „Die deutsche Kriminologie – von „draußen“ betrachtet“, in: Kriminologisches Journal, 9. Beiheft (2007), S. 198-223, sowie „Gesellschaftliche Entwicklung und Sanktionseinstellungen – Anmerkungen zur deutschen kriminalpolitischen Diskussion, „Soziale Probleme“ 2007.
[74] Garland, Culture of Control (Anm. 72), S. 2.
[75] Ibid., S. VIII.
[76] Ibid., S. 9, 184.
[77] Einige Leser werden sich vielleicht noch an das „Plädoyer für die Abschaffung des Strafrechts“ von dem Juristen und Philosophen A. Plack aus dem Jahre 1974 erinnern.
[78] Hier zit. und rückübersetzt nach J. Simon, Gewalt, Rache und Risiko. Die Todesstrafe im neoliberalen Staat, in: T. v. Trotha (Hrsg.), Soziologie der Gewalt, Sonderheft 37/1997 der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, S. 279-301, 279.
[79] Bundesministerium des Innern und Bundesministerium der Justiz (Hrsg.), Erster Periodischer Sicherheitsbericht, Berlin 2001, S. XXIX; das englische kriminalpolitische Motto lautet bekanntlich: „tough on crime and tough on the causes of crime“ – wobei englische Beobachter in der Reihenfolge der beiden Komponenten des kriminalpolitischen Mottos durchaus eine Rangfolge des kriminal-politischen Alltags und seiner operativen Praxis sehen.
[80] Garland, Culture of Control (Anm. 72), S. 12.
[81] Ibid., S. 12 – frei übersetzt durch Verfasser.
[82] Vgl. F. Sack, Sack, Deutsche Kriminologie: auf (Sonder)pfaden, in: Joachim Obergfell-Fuchs u. Martin Brandenstein (Hrsg.), Nationale und internationale Entwicklungen in der Kriminologie – Festschrift für Helmut Kury zum 65. Geburtstag, Frankfurt a.M. 2006, S. 35-71; Gesellschaftliche Entwicklung und Sanktionseinstellungen – Anmerkungen zur deutschen kriminalpolitischen Diskussion, erscheint demnächst in: „Soziale Probleme“; s. auch Anm. 74.
[83] Meliá, Feind“strafrecht“ (Anm. 12), S. 271f.
[84] D. Garland, Beyond the Culture of Control, in: Critical Review of International Social and Political Philosophy, 2004, S. 160-189, 185.[85] A. Gamble, The Free Economy and the Strong State. The Politics of Thatcherism, Durham 1988, 2. erw. u. aktual. Aufl. 1994.