Publikationen / vorgänge / vorgänge Nr. 178: Vom Rechtsstaat zur Sicherheitsgesellschaft

Wächst zusammen, was nicht zusam­men­ge­hört?

Die zunehmende Vernetzung zwischen Polizei und Verfassungsschutz weicht das Trennungsgebot auf,

aus: vorgänge Nr.178, Heft 2/2007, S.53-62

Über das Trennungsgebot zwischen Polizei und Verfassungsschutz ist viel geschrieben worden. Das galt jedenfalls für seine Entstehungsgeschichte und seinen Rang in der Rechtsordnung. Wenig diskutiert wurde hingegen über seinen konkreten Inhalt und die rechtlichen Folgerungen, die im Einzelnen daraus zu ziehen sind. Daher ist gegenwärtig auch umstritten, ob neuere Entwicklungen dieses Gebot fortentwickeln oder aber fortfallen lassen.

Am Anfang standen die Alliierten

Der Ursprung des Trennungsgebotes zwischen Polizei und Verfassungsschutz ist gewiss. Am Anfang standen die Alliierten. Der so genannte „Polizeibrief“ der alliierten Militärgouverneure vom 24.4.1949 stand im Kontext ihres Genehmigungsvorbehalts für das Grundgesetz, welches damals beraten wurde. Der Brief ging grundsätzlich von der Polizeihoheit der Länder aus, erlaubte allerdings, eine „Bundespolizeibehörde“ für näher umschriebene Materien sowie „ebenfalls“ „eine Stelle zur Sammlung und Verbreitung von Auskünften über umstürzlerische Tätigkeiten einzurichten. Diese Stelle darf keine Polizeibefugnisse haben“. Dieser Brief bedeutete ein Mehrfaches: Zunächst die grundsätzliche Zulassung von Landespolizeibehörden und einer gegenständlich beschränkten Bundespolizei; weiterhin die Zulassung einer Stelle „zur Sammlung und Verbreitung von Auskünften“, also eines Nachrichtendienstes. Diese Stelle sollte allerdings keine Polizeibefugnisse erlangen können.

Es ging also um zwei unterschiedliche Stellen mit unterschiedlichen Aufgaben und unterschiedlichen Befugnissen. Daraus wird das so genannte „Trennungsgebot“ hergeleitet. Ihm werden zwei Dimensionen entnommen. (1) Formell müssen Polizei und Verfassungsschutzbehörden organisatorisch getrennt sein, es muss sich also um unterschiedliche Behördenorganisationen handeln. Der Verfassungsschutz darf keiner Polizeibehörde angeschlossen sein. (2) Materiell dürfen die Verfassungsschutzbehörden keine „Polizeibefugnisse“ haben. Diese Befugnisse sind nirgends näher umschrieben. Es handelt sich dabei auch um keinen Begriff des Polizeirechts, er taucht vielmehr ausschließlich im Verfassungsschutzrecht auf. Nach vorherrschender Meinung gilt: „Polizeibefugnisse“ sind Grundrechtseingriffe mit Zwangscharakter. Demnach darf der Verfassungsschutz insbesondere Verhaftungen, Durchsuchungen, Beschlagnahmen und Vernehmungen nicht vornehmen. In diesem Sinne normieren auch die Bundes- und Landesverfassungsschutzgesetze das Trennungsgebot.[1]

Die Grundidee lässt sich folgendermaßen formulieren: Wer – wie die Verfassungsschutzbehörden – nahezu alles wissen darf, darf mit diesem Wissen nur sehr wenig anfangen. Wer hingegen – wie die Polizei – wesentlich weniger wissen darf, darf mit diesem erlangten Wissen wesentlich mehr anfangen.

Das Grundgesetz zwischen vagen Andeutungen und viel sagendem Schweigen

Der parlamentarische Rat hat den Polizeibrief berücksichtigt, aber ein Trennungsgebot nicht in den Text des Grundgesetzes aufgenommen. Offenbar war er der Überzeugung, mit der neuen Verfassung die alliierten Vorgaben ausreichend beachtet zu haben. Und dieser Auffassung waren letztlich auch die Militärgouverneure, welche das Grundgesetz – wenn auch unter ausdrücklicher Bezugnahme auf ihren Polizeibrief – letztlich genehmigten. So findet sich das Trennungsgebot nur im Text der Gesetze des Bundes und der Länder über die Nachrichtendienste (also die Verfassungsschutzbehörden, BND und MAD). Im Text des Grundgesetzes sucht man es vergebens.

Damit stellt sich die Frage: Zählt das Trennungsgebot zum – mehr oder weniger ungeschriebenen – Verfassungsrecht? Oder kommt ihm Gesetzesrang zu? Die Fragestellung hat eine wichtige Konsequenz für die Rechtsordnung: Fordert das Grundgesetz die Trennung von Polizei und Nachrichtendiensten, so darf der Gesetzgeber davon nicht abweichen, ist also seinerseits an das Trennungsgebot gebunden (Art. 20 Abs. 3 GG). Ist jene Trennung hingegen ausschließlich ein gesetzliches Anliegen, so darf der Gesetzgeber dieses umgestalten oder aufheben. Zwangsläufig setzt so bei jeder Gesetzesänderung, welche sich auf die Trennung zwischen den Behörden auswirken könnte, die Diskussion ein: Wird das Grundgesetz mit seinem verfassungsrechtlichen Trennungsgebot verletzt? Dies setzt allerdings den Verfassungsrang des Trennungsgebotes voraus[2].

Eines steht fest: Der Polizeibrief kann als Argument nicht mehr herangezogen werden. Er ist spätestens im Jahre 1955 außer Kraft getreten und daher längst ohne rechtliche Geltung. Konkret für den Verfassungsschutz lässt sich am ehesten Art. 87 Abs. 1 S. 2 GG heranziehen. Danach können „Zentralstellen (!) für das polizeiliche Auskunfts- und Nachrichtenwesen, für die Kriminalpolizei und zur Sammlung von Unterlagen für Zwecke des Verfassungsschutzes“ errichtet werden. Wenn es sich dabei um unterschiedliche Zentralstellen handeln sollte, so wären diese notwendigerweise verschieden und damit getrennt. Mit dieser Formulierung versuchte der parlamentarische Rat, den Vorstellungen der Alliierten aus dem Polizeibrief Rechnung zu tragen. Ob seine Formulierung allerdings ein Trennungsgebot begründet, blieb und bleibt umstritten. Schließlich wird der Bestimmung nicht entnommen, dass unterschiedliche Zentralstellen für das polizeiliche Auskunfts- und Nachrichtenwesen einerseits sowie für die Kriminalpolizei andererseits errichtet werden müssten. Warum demgegenüber gerade unterschiedliche Stellen für jene Aufgaben einerseits und diejenigen des Verfassungsschutzes andererseits errichtet werden sollten, bedürfte damit einer zusätzlichen Begründung. Insoweit enthält die genannte Norm vielleicht einen Anhaltspunkt, aber kaum eine zwingende Anordnung.

Das Bundesverfassungsgericht hatte die Frage noch nicht explizit zu entscheiden. Doch hat es in seinem Beschluss zum Bundesgrenzschutzgesetz festgestellt: „Das Rechtsstaatsprinzip und der Schutz der Grundrechte könne es verbieten, bestimmte Behörden miteinander zu verschmelzen oder sie mit Aufgaben zu befassen, die mit ihrer verfassungsrechtlichen Aufgabenstellung nicht vereinbar sind. So werden die Zentralstellen für Zwecke des Verfassungsschutzes oder des Nachrichtendienstes – angesichts deren andersartiger Aufgaben und Befugnisse – nicht mit einer Vollzugspolizeibehörde zusammengelegt werden dürfen.“ (BVerfGE 97, 198, 217). Doch blieb diese Vorstellung hypothetisch, die Frage offen. Sucht man auf der Basis jener Feststellung eine Antwort, so könnte diese etwa folgendermaßen aussehen: Das Grundgesetz geht nicht von einer Verwaltung als monolithischem Block aus, sondern sieht in vielfältiger Hinsicht Behördentrennungen vor. Es teilt Verwaltungskompetenzen auf verschiedene Träger auf (Bund, Länder, Gemeinden), verteilt sie nach Aufgabenbereichen und stellt zusätzlich mit dem Ressortprinzip (Art. 65 GG) auch Behörden funktionell nebeneinander.

Grundsatz des Organisationsrechts ist also nicht die horizontale oder vertikale Einheit von Behörden, sondern deren Trennung. Das gilt nicht nur im Sicherheitsbereich, sondern auch darüber hinaus. Die Sozialbehörden mit dem ihnen überantworteten Sozialgeheimnis könnten ihre Aufgaben nicht wahrnehmen, wenn sie mit anderen Behörden – etwa den Finanzbehörden – zusammengelegt werden dürften. Und die Finanzbehörden, welche das Steuergeheimnis wahren müssen, könnten dies nicht, wenn sie anderen Behörden angegliedert werden könnten. Hier finden sich einfachgesetzliche Trennungsgebote, welche dem Prinzip folgen: Wenn Behörden unterschiedliche Aufgaben wahrnehmen und zu diesem Zweck unterschiedliche Befugnisse einsetzen dürfen, so müssen die Behörden voneinander getrennt sein. Dies dient nicht zuletzt der Wahrung des Grundrechtsschutzes der Bürger: Trennungsgebote sollen verhindern, dass behördliche Eingriffsbefugnisse zu Zwecken eingesetzt werden, zu denen sie nicht normiert sind. Ganz in diesem Sinne hat das Bundesverfassungsgericht jüngst eine Art Trennungsgebot zwischen Polizei und Bundeswehr festgestellt (BVerfGE 115, 118 ff: Luftsicherheitsgesetz). Jene Aspekte könnten es sein, welche es im Sinne des Bundesverfassungsgerichts aus rechtsstaatlichen oder grundrechtlichen Erwägungen verbieten könnten, bestimmte Behörden miteinander zu verschmelzen. Dann würde zugleich gelten: 1. Das Trennungsgebot zwischen Polizei und Nachrichtendiensten ist nicht primär organisationsrechtlich, sondern primär grundrechtlich begründet. 2. Es dient überwiegend der Wahrung der Rechte der Bürger. 3. Der Gesetzgeber wäre an jene grundrechtlichen Vorgaben gebunden, er dürfte das Trennungsgebot jedenfalls nicht einfach aufheben.

Weniger diskutiert ist demgegenüber, ob ein solches Gebot auch für das Verhältnis der Polizei zum Bundesnachrichtendienst und dem militärischen Abschirmdienst gilt. Der Grundsatz, dass verschiedene Aufgaben unter Einsatz verschiedener Befugnisse auch von verschiedenen Behör den wahrzunehmen sind, lässt sich allerdings übertragen. Und die Aufgaben des BND (Sammlung und Auswertung von Informationen über Bestrebungen im Ausland) und des MAD (Beobachtung von Spionage und bestimmten Bestrebungen gegen militärische Einrichtungen) sind noch „verschiedener“ von denen der Polizei als diejenigen des Verfassungsschutzes.

Was folgt aus dem Trennungs­ge­bot?

Die Folgerungen aus dem Trennungsgebot sind – wie gesagt – wenig diskutiert. Gegenwärtig lassen sich fünf unterschiedliche Folgerungen ausmachen:

1. funktionelle Trennung: Polizei und Verfassungsschutz haben unterschiedliche Aufgaben. Die Polizei hat konkrete Gefahren abzuwehren und bei konkretem Verdacht Straftaten aufzuklären, d.h. rechtswidrige Zustände zu verhindern bzw. zu verfolgen. Sie ist also auf die Aufklärung rechtswidriger Handlungen begrenzt. Demgegenüber hat der Verfassungsschutz die Befugnis, auch legale Handlungen aufzuklären, etwa die Beobachtung nicht verbotener Parteien, Vereine oder Sekten, sofern von ihnen Bestrebungen gegen die Verfassung ausgehen können. Sein Aufgabenspektrum ist also weiter, als dasjenige der Polizei.

2. institutionelle Trennung: Polizei und Verfassungsschutz müssen unterschiedliche Behörden sein.

3. befugnisrechtliche Trennung: Polizei und Verfassungsschutz haben unterschiedliche Befugnisse gegenüber dem Bürger: Letzterem fehlen jedenfalls die genannten „Polizeibefugnisse“, er ist auf Aufklärungsmaßnahmen beschränkt. Beide Behörden dürfen die Grenzen ihrer Aufgaben oder Befugnisse nicht durch Übernahme fremder Aufgaben oder wechselseitiger Unterstützung umgehen.

4. informationelle Trennung: Polizei und Nachrichtendienste verfügen wegen ihrer unterschiedlichen Aufgaben über unterschiedliche Informationen. Diese Daten dürfen jeweils nur zu denjenigen Zwecken verwendet werden, zu denen sie – mit verschiedenen Methoden unter verschiedenen Eingriffsvoraussetzungen – gewonnen wurden. Die Beschränkung dieser Informationsverwendung setzt die Trennung der jeweiligen Datenbestände voraus.

5. personelle Trennung: Bei Polizei und Verfassungsschutz müssen unterschiedliche Personen beschäftigt sein.

Getrennt organisiert – infor­ma­ti­o­nell vereint?

Die Grundidee lässt sich folgendermaßen formulieren: Wer – wie die Verfassungsschutzbehörden – nahezu alles wissen darf, darf mit diesem Wissen nur sehr wenig anfangen. Wer hingegen – wie die Polizei – wesentlich weniger wissen darf, darf mit diesem erlangten Wissen wesentlich mehr anfangen. Diese Grundidee kann den Zweck des Trennungsgebotes beschreiben, es aber nicht konkret definieren. Rein faktisch – und in zunehmendem Maße auch rechtlich – wird die grundsätzliche Trennung beider Stellen durch deren Kooperation zumindest teilweise gelockert. Dies zeigen ältere und neuere Gesetze.

1. In funktioneller Hinsicht bleibt festzuhalten: Polizei und Verfassungsschutz agieren nicht in unterschiedlichen, einander wechselseitig ausschließenden Welten. Vielmehr gibt es zahlreiche Aufgabenüberschneidungen. Grundsätzlich war und ist etwa die Aufklärung und Verhinderung von Straftaten die Kernaufgabe von Polizei und Staatsanwaltschaft, nicht aber des Verfassungsschutzes. Dazu stehen ihnen zahlreiche Befugnisse aus der Strafprozessordnung und den Polizeigesetzen zur Verfügung. Diese knüpfen regelmäßig an einen so genannten „Anfangsverdacht“ oder aber an „tatsächliche Anhaltspunkte für das Bestehen einer Gefahr“ an. Ohne solche Anhaltspunkte sind Ermittlungshandlungen also unzulässig. Umgekehrt ist der Bereich der Aufklärung von Kriminalität dem Verfassungsschutz nicht von vornherein verschlossen. Was früher insbesondere die so genannten „politischen Straftaten“ (Hochverrat, Landesverrat u. a.) betraf, breitete sich im Laufe der Zeit auf Teilbereiche der so genannten „organisierten Kriminalität“ und zuletzt den nationalen und internationalen Terrorismus aus. Solche Handlungen sind eben nicht nur Straftaten, sondern zugleich potentielle Beeinträchtigungen des Bestandes oder der Sicherheit des Bund oder der Ländern bzw. des Grundgesetzes. Hier finden sich also Überschneidungsbereiche bei Aufgaben beider Behörden, welche dazu führen können, dass in derartigen Feldern Mitarbeiter sowohl des Verfassungsschutzes als auch der Polizei ermitteln dürfen. Grundsätzliche Trennung der Aufgaben bedeutet also nicht deren Verschiedenheit in jedem Einzelfall. Doch dürfen sie nicht einfach ausgetauscht oder von einer Behörde auf eine andere verschoben werden. Das sächsische Gesetz, wonach die Beobachtung „von Bestrebungen und Tätigkeiten der organisierten Kriminalität“ auch Aufgabe des Verfassungsschutzes sei[3], wurde vom Verfassungsgerichtshof als Verstoß gegen das Trennungsprinzip verworfen. Im Klartext: Aufklärung und Abwehr von Kriminalität ist grundsätzlich Aufgabe der Polizei. Und sie ist dabei an die gesetzlichen Voraussetzungen und Grenzen ihrer Ermittlungstätigkeit gebunden. Genau dies sollte für den Verfassungsschutz nicht so sein: Seine Aufklärungstätigkeit sollte – ausweislich der Gesetzesbegründung – „unabhängig von einem Tatverdacht oder einer Gefahr Informationen […] zu Ermittlungsansätzen verdichten“ können.

Hier lag der materiell-rechtliche Kern des Problems: Die Aufklärungstätigkeit des Verfassungsschutzes ist nicht an einen Anfangsverdacht bzw. tatsächliche Gefahrindizien gebunden, sondern reicht bis weit in das so genannte „Vorfeld“ hinaus. Was auch immer dies im Einzelnen meint: Nachrichtendienstliche Aufklärungs- und Beobachtungsbefugnisse können, dürfen und müssen bisweilen auch früher einsetzen, als solche der Polizei. Wenn nunmehr polizeiliche Aufgaben dem Verfassungsschutz übertragen werden, so würde dies bedeuten: Nicht nur die staatlichen Aufgaben, sondern auch die staatlichen Eingriffsbefugnisse gegenüber den Bürgern würden in erheblichem Maße ausgeweitet. Just dies suchte der Sächsische Verfassungsgerichtshof zu verhindern, indem er feststellte: Aufklärung und Abwehr (allgemeiner) Kriminalität ist – auch wenn sie einen organisatorischen Hintergrund aufweist – Aufgabe und Befugnis der Polizei.

2. Die informationelle Dimension des Trennungsgebotes ist grundsätzlich gewahrt. Die Polizei verfügt über ihre eigenen Informationssammlungen mit eigenen Verarbeitungswegen und Zentralstellen; entsprechendes gilt für die Verfassungsschutzbehörden in Bund und Ländern. Doch bleibt auch insoweit festzuhalten: Polizei und Verfassungsschutz leben nicht in unterschiedlichen Welten. Es gibt – wie soeben gesehen – Überschneidungsbereiche, wo die Polizei die Aufgabe hat, Straftaten mit verfassungsfeindlichem Hintergrund zu verhindern bzw. aufzuklären, andererseits der Verfassungsschutz mit seinen Beobachtungen möglicher verfassungsfeindlicher Aktivitäten auf Straftaten stößt. Die von der einen Behörde gewonnenen Erkenntnisse werden in solchen Fällen auch für die Aufgabenerfüllung der jeweils anderen relevant. Hier stellt sich die Frage, welche Informationen ohne Verstoß gegen das Trennungsgebot ggf. weitergegeben werden dürfen. Dies ist primär eine datenschutzrechtliche Frage, nämlich die Frage danach, wie viel der Staat über seine Bürger wissen und was er mit diesem Wissen anfangen darf. Im Ergebnis ist gegenwärtig geklärt: Trennung von Polizei und Verfassungsschutz bedeutet nicht, dass deren Informationen stets und in jedem Einzelfall vollständig getrennt sein müssen. Vielmehr können und dürfen sie in bestimmten Fällen kooperieren. Darf also einerseits die Trennung Kooperation nicht verhindern, so darf andererseits Kooperation die Trennung nicht aufheben. Diese allgemeinen Postulate verlangen klare rechtliche Regelungen, welche Voraussetzungen und Grenzen der Zusammenarbeit verdeutlichen. Ein derartiges „Verrechtlichungsgebot “ muss die schwierige Gradwanderung zwischen Kooperationsnotwendigkeit einerseits und Trennungsgebot andererseits ausgestalten. Hier sollen einige wichtige Stationen jener Gradwanderung aufgezeigt werden.

Grundsätzlich gilt das Differenzierungsgebot staatlicher Informationserhebung und -verarbeitung. Jede öffentliche Aufgabe vermag unterschiedliche Befugnisse und damit unterschiedliche schwerwiegende Eingriffe in die Rechte der Bürger zu legitimieren. Das Verhältnis zwischen Zweck und mittelstaatlichen Maßnahmen muss vom Gesetzgeber für jeden Bereich eigens austariert werden. Maßgeblich sind dabei die Höhe potentieller Schäden, die Wahrscheinlichkeit ihres Eintretens und die Eingriffstiefe in betroffene Freiheitsrechte. Es macht eben einen erheblichen Unterschied, ob legale oder illegale Handlungen kontrolliert werden, ob und wie tief in die Privatsphäre eingegriffen wird, ob Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse erforscht werden oder ob ein Verhalten beobachtet wird, dass sich in der Öffentlichkeit abspielt. Ebenso kann es Unterschiede ausmachen, ob die Betroffenen für Ermittlungshandlungen gegen sie einen Anlass gegeben haben, wie viele Personen von Aufklärungsmaßnahmen betroffen sind und welche Nachteile sie durch die Folgen solcher Maßnahmen (Datenspeicherung und -verarbeitung) zu befürchten haben. Solche Zweck-Mittelrelationen sind für die jeweiligen Behörden – Polizei, Nachrichtendienste und andere staatliche Stellen – keineswegs einfach austauschbar. Dieselbe Eingriffsmaßnahme unterliegt bei wechselnder Zielsetzung demnach unterschiedlichen Anforderungen. Deren Normierung muss vom Gesetzgeber so bestimmt erfolgen, dass die erlassenen Normen den Behörden einen präzisen Handlungsmaßstab geben und den Gerichten eine effektive Kontrolle des Behördenhandelns ermöglicht wird (BVerfGE 113, 348, 375 ff.).

Daraus folgt sodann das Bestimmtheitsgebot: Es betrifft die Frage, unter welchen Voraussetzungen Daten zwischen Polizei und Geheimdiensten ausgetauscht werden dürfen. Hier geht es einerseits um quantitative Gesichtspunkte: Die grundsätzliche Trennung der wechselseitigen Informationsbestände darf nicht dadurch aufgehoben werden, dass ein gemeinsamer Datenpool geschaffen oder die wechselseitige Zugriffsmöglichkeit auf die jeweiligen Informationssammlungen eröffnet wird. Daneben geht es aber auch um qualitative Aspekte, also diejenigen Kriterien, welche die Zulässigkeit der Datenerhebung im Einzelfall betreffen. Hier geht es um Fragen wie: Welcher Art sind die betroffenen Daten? Gibt es daran ein besonderes Geheimhaltungsinteresse? Wurde bei der Erhebung der Informationen in besondere Grundrechte (Unverletzlichkeit der Wohnung, Post- und Telekommunikationsgeheimnis) eingegriffen? War der Eingriff besonders schwerwiegend? Für welche Zwecke erfolgt die Datenerhebung? Wie schwer sind die Folgewirkungen für Betroffene? Grundsätzlich gilt: Sind Informationen durch Eingriffe in besonders geschützte Privatsphären gewonnen worden, so dürfen sie auch nur zur Aufklärung besonders schwerwiegender öffentlicher Belange verwendet werden. Denn jede Datenübermittlung an eine andere Stelle ist gleichfalls ein Grundrechtseingriff. Das gilt auch für deren Übermittlung zwischen Polizei und Geheimdiensten. Ein Austausch darf daher grundsätzlich nur bei solchen Informationen erfolgen, welche (auch) den Aufgabenbereich der empfangenen Behörde betreffen und von dieser für ihre Zwecke mit vergleichbaren Methoden hätte erhoben werden dürfen. Wichtig sind hier insbesondere auch effektive Verfahren und Mechanismen, welche die Einhaltung der datenschutzrechtlichen Vorgaben behördenintern und -extern sichern können. Die Einzelheiten sind allerdings partiell noch umstritten.

Festzuhalten bleibt demnach: Das Trennungsgebot schließt nicht jeden Informationsaustausch zwischen Polizei und Verfassungsschutz aus. Doch muss dieser qualitativ und quantitativ begrenzt bleiben. Verrechtlichungsgebot, Differenzierungsgebot und Bestimmtheitsgebot greifen hier unmittelbar ineinander.

Trennungs­gebot und neue Sicher­heits­a­r­chi­tektur

Seit dem 11. September 2001 haben sich die Koordinaten der Diskussion um die äußere und innere Sicherheit verschoben. Die Diskussionen betreffen auch das Trennungsgebot. Hier sollen zwei wichtige Einzelbereiche angesprochen werden: Die Einrichtung der „Antiterrordatei“ durch das Antiterrordateigesetz (ATDG vom 22.12.2006, BGBl I, S. 3409) und die „gemeinsamen Lagezentren“ von Polizei und Nachrichtendiensten zur Aufklärung besonderer Gefährdungslagen, insbesondere im Bereich des politischen und religiösen Extremismus sowie des internationalen Terrorismus.

1. Ein erhebliches Maß an Datenaustausch ermöglicht die „Antiterrordatei“. Bei den Einträgen in diesen gemeinsamen Datenpool handelt es sich zunächst um Indexe, d.h. Daten die eine Identifizierung von Personen ermöglichen und nur besagen, dass es zu dieser Person bei irgendeiner am Verbund teilnehmenden Behörde weitere Daten gibt. Die eigentlich interessanten Daten dürfen grundsätzlich nur auf konkrete Anfrage übermittelt werden. Dabei sind die für das jeweils einzelne Datum einschlägigen Übermittlungsvorschriften zu beachten. Datenübermittlungen zwischen verschiedenen Behörden mit verschiedenen Aufgaben, die sich in einem kleinen Bereich überschneiden, sind aber nur in dem Überschneidungsbereich zulässig und auch notwendig. In einen gemeinsamen Datenpool zum eigenständigen Abruf dürfen folglich nur Daten eingestellt werden, die von allen beteiligten Behörden für ihre jeweiligen Aufgaben benötigt werden und die sie selbst unter Einhaltung ihrer für vergleichbare Befugnisse gesetzten Eingriffsschwellen hätten erheben dürfen. Indexe sind erst einmal wenig bedenklich. Allein mit der Information, dass es Informationen gibt, kann keine der abfragenden Stellen viel anfangen. Die Arbeitsersparnis beschränkt sich darauf, dass sich mit einem Mausklick die Behörde herausfinden lässt, bei der sich die Abfrage weiterer Informationen lohnt, statt mehrere Behörden anzurufen, ob sie überhaupt etwas haben. Kritisch wird es, wenn jede der teilnehmenden Behörden sich eigenständig Zugriff auf weitere Daten verschaffen kann, die nach den sonst geltenden Übermittlungsvorschriften an sie zu diesem Zweck nicht weitergegeben werden dürften. Dies kann „im Eilfall“ nach § 5 Abs. 2 ATDG geschehen. Die abfragende Behörde entscheidet selbst, was ein „Eilfall“ ist und erhält dann Zugriff auf einen umfangreichen Katalog personenbezogener Daten. Darunter können sich solche befinden, die aus schwerwiegenden Grundrechteingriffen stammen oder zu dem angefragten Zweck gar nicht weitergegeben werden dürften. Hier besteht eine erhebliche Gefahr, dass mit Datenabfragen das Trennungsgebot unterlaufen wird. Dabei hilft es auch nicht, wenn die Behörde, die ohne „Eilfall“ „manuell“ um die Informationen hätte gebeten werden müssen, nachträglich um Zustimmung gefragt werden muss und bei Verweigerung die letztlich illegal abgefragten Daten nicht verwertet werden dürfen und wieder gelöscht werden müssen. Bis zur nachträglichen Zustimmungsverweigerung können zum Beispiel bereits auf Grund von per Telefonüberwachung gewonnenen vagen Geheimdienstdaten polizeiliche Zwangsmaßnahmen ergriffen worden sein.

2. Eine weitere Neuheit auf dem Sektor der immer engeren Verzahnung von Polizei und Gemeindiensten sind die „gemeinsamen Lagezentren“. Auch hier, wenn Mitarbeiter verschiedener Behörden persönlich zusammentreffen, um sich gemeinsam ein Bild von der „Sicherheitslage“ zu machen, stellt sich in besonderem Maße die Frage, ob ein Trennungsgebot, das darauf angelegt ist, Datenbestände voneinander getrennt zu halten, noch gewahrt ist. Die Antwort lautet: Es kommt darauf an, was in diesen Lagezentren geschieht. Theoretisch ist denkbar, dass auch bei einem persönlichen Zusammentreffen die jeweiligen Behördenmitarbeiter nur solche Daten an die anderen weitergeben, die auch aus der Entfernung per Post, Telefon oder Datenleitung übermitteln dürften. Ob diese Anforderungen in der Praxis eingehalten werden, ist allerdings fraglich. Lagezentren sollen ja gerade den Datenaustausch erleichtern, beschleunigen, Hürden beseitigen und Daten zusammenführen, um zu einem gemeinsamen „Lagebild“ zu gelangen. Es dürfte eine enorme Disziplin dazugehören, die Weitergabebeschränkungen und Kennzeichnungspflichten in gleichem Maße einzuhalten, wie bei einer Datenübermittlung auf Einzelanfrage über die Entfernung hinweg. Die Zweifel in der Praxis werden genährt von den ersten Überprüfungen des Bundesbeauftragten für Datenschutz, der festgestellt hat, „dass das Bundeskriminalamt eine Vielzahl personenbezogener Daten ohne Rechtsgrundlage an das Bundesamt für Verfassungsschutz übermittelt hat“ (Der Bundesbeauftragte für Datenschutz 2007: 65). Es waren Daten, die das BfV für seine Aufgaben gar nicht brauchte; das BKA meinte, es habe die Zulässigkeit der Datenweitergabe nicht zu prüfen brauchen, weil es Daten der Landeskriminalämter gewesen seien und auf deren ordnungsgemäße Datenauswahl dürfe es sich verlassen (ebd.).

Dieser Befund belegt ein Weiteres: Für die Einhaltung des Trennungsgebotes in informationeller Hinsicht sind verfahrensrechtliche Mechanismen erforderlich, die einen sensiblen Umgang mit Daten gewährleisten. Datenschutz darf nicht auf Datenschutzbeauftragte abgeschoben werden, die schon angesichts des Personalungleichgewichts nur stichprobenhaft Kontrollen durchführen und nur die Spitze des Eisbergs aufdecken können. Es müssen systematisch verfahrensrechtliche und technische Kontrollmechanismen in Datenverwendungs- und -weitergabevorgänge eingebaut werden, damit jede Behörde intern den korrekten Umgang mit Daten selbst (und) ständig prüft und hierfür verantwortlich ist. Auch eine Kontrolle durch (ausreichend personell ausgestattete) externe Ombudsleute und Parlamente etc. oder Berichtspflichten als Instrumente im Sicherheitsrecht werden erst unzureichend genutzt.

Beinahe wichtiger ist: Es muss bei den Sicherheitsbehörden ein Umdenken stattfinden. Es ist das Bewusstsein, dass Datenschutz und der Schutz der Grundrechte eben nicht gleichbedeutend ist mit Täterschutz sondern in erster Linie diejenigen schützen soll, die nichts anders tun, als von ihren Grundrechten in legitimer Weise Gebrauch zu machen. Er dient weiterhin dem Ziel eine demokratische, pluralistische Gesellschaft zu erhalten. Von staatlichen Überwachungsmaßnahmen „bei denen der Einzelne nicht mehr übersehen kann, wann er warum mit welchen Mitteln staatlich beobachtet wird und welche Konsequenzen dies haben kann, können „Einschüchterungseffekte ausgehen, die zur Beeinträchtigung der Ausübung von Grundrechten führen können. […] Auch das Gemeinwohl wird dadurch beeinträchtigt, weil Selbstbestimmung eine elementare Funktionsbedingung eines auf Handlungs- und Mitwirkungsfähigkeit seiner Bürger gegründeten freiheitlichen demokratischen Gemeinwesens ist. Es gefährdet die Unbefangenheit des Verhaltens, wenn die Streubreite von Ermittlungsmaßnahmen dazu beiträgt, dass Risiken des Missbrauchs und ein Gefühl des Überwachtwerdens entstehen“ (BVerfG, NJW 2006, 1939 [1944]). (Vermeintliche) Sicherheit darf auch nicht zum Preis einer durch Überwachungsangst gelähmten Gesellschaft erkauft werden. Auch diesem Zweck dient das Trennungsgebot.

[1] Vgl. für den Bund: § 2 Abs. 1 S. 3 Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG); § 1 Abs. 4 MAD Gesetz; § 1 Abs. 1 S. 2 BND-Gesetz für die institutionelle Trenung (BNDG); § 8 Abs. 3 BVerfSchG; § 2 Abs. 3 BNDG und § 4 Abs. 2 MADG; für die Länder: § 1 Abs. 4 S. 2 BayVSG; § 2 Abs. 2 HambVSG; §§ 1 Abs. 1 S. 1, 3 Abs. 3 HessVSG; §§ 2 Abs. 2, 5 Abs. 4 NdsVSG; § 5 Abs. 5 NRWVSG; §§ 2 Abs. 2 8 Abs. 3 RhPfVSG; §§ 1 Abs. 4, 4 Abs. 3 SächsVSG.

[2] Diese Diskussion spielt keine Rolle für die Bundesländer, in denen das Trennungsgebot in der Landesverfassung verankert ist (so in Art. 97 ThürVerf; Art. 83 Abs. 3 SächsVerf.).

[3] Vergleichbare Regelungen gibt es Bayern, Hessen, Saarland und Thüringen.

Literatur

Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit 2007: Tätigkeitsbericht 2005 2006, Berlin.

Dorn, Alexander 2004: Das Trennungsgebot aus verfassungshistorischer Perspektive, Berlin.

Gusy, Christoph 1987: Das verfassungsrechtliche Gebot der Trennung von Polizei und Nachrichtendiensten, in: Zeitschrift für Rechtspolitik, Jg. 20, H. 2, S. 45-52.

Schafranek, Frank Peter 2000: Die Kompetenzverteilung zwischen Polizei-und Verfassungsschutzbehörden in der Bundesrepublik Deutschland, Aachen.

König, Marco 2005: Trennung und Zusammenarbeit von Polizei und Nachrichtendiensten, Stuttgart.

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