Der Grundrechte-Report
Anmerkungen zum Konzept des „alternativen Verfassungsschutzberichtes“
Vorgänge 178, S.231-232
In der Terroristen- und Sicherheitshysterie der siebziger Jahre wurden die Befugnisse der bundesdeutschen Sicherheitsbehörden immer weiter ausgebaut, während die Bürger-und Freiheitsrechte im Zuge dieser Entwicklungen eingeschränkt, zum Teil sogar in ihrem Kern in Frage gestellt wurden. Die ohnehin überzogen ausgebauten gesetzlichen Rechte der staatlichen Sicherheitsapparate wurden durch ihre extensive Auslegung in der Praxis noch übertroffen. Die Verfassungsschutzberichte des Bundes und der Länder berichten seither jährlich über angebliche oder vermeintliche Verfassungsfeinde, seien es Personen oder Gruppierungen und Organisationen. Oft versuchen sie dabei, durch Übertreibungen und die Kolportage von nicht verifizierbaren Informationen den Eindruck zu erwecken, die Sicherheit des Staates oder seiner Bürgerinnen und Bürger sei durch bestimmte Gruppierungen bedroht. In vielen Fällen handelt es sich jedoch schlicht und ergreifend um öffentliche Verrufserklärung“, wie Jürgen Seifert diese Praxis gebrandmarkt hat.
Auf einem Workshop der HUMANISTISCHEN UNION, der vom 26. bis 28. Februar 1993 in Haus Villigst in Schwerte stattfand, wurde erstmals die Idee eines alternativen Verfassungsschutzberichts“, erstellt von Bürgerrechtsorganisationen, geboren. Die Idee wurde allgemein für gut befunden; aber welch immense Arbeit drohte da! Ein späteres Treffen an gleicher Stelle am 17. und 18. Februar 1996 brachte schließlich den Durchbruch. Als neuer Bundesvorsitzender der HUMANISTISCHEN UNION hatte ich nicht nur Mitglieder des eigenen Verbandes, sondern auch Vertreter der GUSTAV HEINEMANN-INITIATIVE, des Komitees für Grundrechte und Demokratie sowie des Bundesarbeitskreises Kritischer Juragruppen eingeladen und ein erstes Konzept vorgelegt. Der Funke sprang über, und mit Eckart Spoo, Paul Ciupke und Norbert Reichling fand sich auch der Nukleus für die aufzubauende Redaktion. Seit 1997 erscheint in der Reihe rowohlt aktuell jährlich zum Verfassungstag am 23. Mai der Grundrechte-Report zur Lage der Bürger- und Menschenrechte in Deutschland, als alternativer Verfassungsschutzbericht, bearbeitet und herausgegeben als gemeinsames Projekt der vier deutschen Bürgerrechtsorganisationen.
Die Herausgeber, Redakteure und Autoren nehmen ihre Aufgabe dabei sehr ernst: Sie glauben, dass der Schutz der Verfassung und der Grundrechte Aufgabe der demokratisch und rechtsstaatlich engagierten Bürgerinnen und Bürger selbst ist. Gefährdungen der freiheitlichen Ordnung gehen nicht in erster Linie vom Volk aus, sondern von staatlichen Organen. Die in unserer Verfassung verankerten Grundrechte sollen davor schützen, dass vorübergehende Nützlichkeitserwägungen oder wechselnde Mehrheiten in Parlament und Regierung je nach scheinbarer Opportunität in die Freiheiten der Bürgerinnen und Bürger eingreifen. Während die Sicherheitsbehörden des Staates dazu neigen, in jedem Menschen ein Sicherheitsrisiko zu sehen, ist das Menschenbild des Grundgesetzes gesetzes der sich frei entfaltende, selbständige und bis zum Beweis des Gegenteils verfassungstreue Bürger.
So stellt der Grundrechte-Report, jeweils bezogen auf das vergangene Jahr, die vom Staat ausgehenden Gefährdungen für die Grundrechte sowie für die Staatsziele“ Rechtsstaat, Sozialstaatlichkeit, Friedensstaatlichkeit des Grundgesetzes dar – ebenso die in der Regel wenigen Beispiele positiven Grundrechtsschutzes, die meist durch Gerichtsentscheidungen gesetzt werden. Gegliedert ist dieser alternative Verfassungsschutzbericht nach den Artikeln des Grundgesetzes. Der Öffentlichkeit präsentiert wurden die vergangenen Grundrechte-Reporte durch Heiner Geißler, Jutta Limbach, Walter Jens, Egon Bahr/Jens Reich.
Im Vorwort bereits des ersten Grundrechte-Reports heißt es: Ausgangspunkt für die staatlichen Verfassungsschutzberichte sind angebliche Sicherheitsbedürfnisse; Ausgangspunkt für den Grundrechte-Report sind Menschenwürde, Grundrechte und Rechtsstaat. Denn: ,Der Mensch, der bereit ist, seine Freiheit aufzugeben, um Sicherheit zu gewinnen, wird beides verlieren‘ (so Benjamin Franklin, Verfassungsvater der USA). Dieses alljährlich als Kontrapunkt zu den offiziellen Verfassungsschutzberichten deutlich zu machen, ist Aufgabe des Grundrechte-Reports.“