Publikationen / vorgänge / vorgänge Nr. 178: Vom Rechtsstaat zur Sicherheitsgesellschaft

Big Brother ist Privatmann

Mehr noch als die öffentliche muss die private Videoüberwachung gesetzlich geregelt werden,

aus: vorgänge Nr.178, Heft 2/2007, S. 82-91

Millionen von Bürgerinnen und Bürgern müssen es täglich hinnehmen, in öffentlich zugäng­li­chen Räumen von Video­ka­meras erfasst zu werden. Mit der Video­über­wa­chung öffent­li­cher Räume hat sich auch in Deutschland bereits heute eine Überwa­chungs­re­a­lität etabliert, die Folgen für die gesell­schaft­liche Wahrnehmung des Verhält­nisses von Bürger und Staat sowie der Bürgerinnen und Bürger unter­ein­ander nach sich zieht. Dabei sollte zwischen der staatlichen, überwiegend polizeilich zu verant­wor­t­enden, und der privaten Video­über­wa­chung unter­schieden werden. Es ist ein Spezifikum bundes­deut­scher (Video-) Überwa­chungs­re­a­lität, dass sie überwiegend von Unternehmen und Privat­per­sonen durch­ge­führt wird, während die polizei­li­chen Einsätze bislang als gering bezeichnet werden können.

Seit dem 11. September 2001 scheint mehr denn je ein Grundkonsens darüber zu bestehen, dass der Friedensfunktion des Staates gegenüber anderen Staatsaufgaben Priorität zukommt. Die Gewährleistung innerer und äußerer Sicherheit mit nahezu allen Mitteln wird damit als der grundlegende, jede höhere soziale Ordnung erst ermöglichende Staatszweck angesehen. Die Rhetorik des Kampfes gegen den Terror hat vor diesem Hintergrund längst auch die Diskussion um die staatliche Videoüberwachung erreicht. Nach jedem Anschlag wird rituell auch die Forderung nach der Ausweitung der polizeilichen Videoüberwachung erhoben. Diese Debatte fügt sich ein in bekannte Muster des staatlichen Überwachungsdiskurses.

Die private Videoüberwachung hingegen folgt eigenen Gesetzen. Ihre explosionsartige Zunahme in zentralen Infrastrukturen des Alltages (Transport und Verkehr; Verkaufsbereiche aller Art; Gebäudesicherungen) erscheint äußerst heterogen: sie ist von unterschiedlichen Akteuren mit oft inkompatibler Technologie und differierenden Vernetzungsgraden gekennzeichnet. Die seit gut zwanzig Jahren als Einzelfälle bekannten Nachbarstreitigkeiten um Videoüberwachung sind der flächendeckenden Erfassung öffentlich zugänglicher Räume und aller darin sich bewegenden Personen gewichen. Bemerkenswert scheint dabei vor allem, dass – offenbar korrelierend mit hoher gesellschaftlicher Akzeptanz für den Einsatz von Videoüberwachung insgesamt – zumeist überhaupt kein Bewusstsein für einen möglichen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht der davon betroffenen Personen zu bestehen scheint.[1] Damit fehlt es in diesem Bereich in auffälliger Weise an jeglicher Rechtssicherheit und damit an einem der wesentlichen Kennzeichen von Rechtsstaatlichkeit.[2] Trotz der enormen Unterschiede bei den jeweiligen Überwachungskonstellationen wird übergreifend erkennbar, dass die private Videoüberwachung öffentlich zugänglicher Räume heute in erster Linie dem reibungslosen Funktionieren der Konsumgesellschaft dient.

Beson­der­heiten der Video­über­wa­chung

Die Ausbreitung des Einsatzes von Videoüberwachung im öffentlichen Raum stellt in den meisten modernen Rechtsstaaten ein Politikum ersten Ranges dar. Denn ihr kommen eine Reihe von Merkmalen zu, die sie zu einem übergreifenden Symbol für den Stand des Verhältnisses zwischen Bürger und Staat, zu einer Art gefühltem Lackmustest für die Qualität bürgerlicher Freiheiten haben werden lassen. Die Diskussion um die Videoüberwachung ist damit in einer Weise symbolisch überdeterminiert, die eine rationale Auseinandersetzung mit den Fakten kaum noch möglich erscheinen lässt[3]: Die Videoüberwachung hatte sich als zentrales Symbol eines totalitären Überwachungsstaates bereits über George Orwells Roman 1984 (dort bezeichnet als televisor) in das kollektive Gedächtnis eingeschrieben, bevor die technische Entwicklung ihren Einsatz tatsächlich ermöglichte. Mit dem Fokus auf die Überwachung des öffentlichen Raums entsteht zudem zuweilen der Eindruck, es werde das Verhältnis von Überwachung und öffentlichem Raum als übergreifender politikwissenschaftlicher Kategorie (wie z.B. bei Hannah Arendt, Jürgen Habermas) schlechthin verhandelt. Die (vermeintliche) Sichtbarkeit der Kameraüberwachung und ihre dauerhafte Installation an bestimmten Orten machen sie für die Bürger – im Gegensatz zu den allermeisten sonstigen Überwachungsmethoden und -techniken – darüber hinaus tatsächlich erfahrbar und damit (scheinbar) in ihrer Funktion nachvollziehbar.

Bilder und Bildsequenzen werden außerdem anders als bloße Daten(-zeichen) als „wahr“ erlebt und können abgebildete Vorgänge in besonderem Maße emotionalisieren. Die Ergebnisse der Videoüberwachung, die Bildaufnahmen, werden der Öffentlichkeit als „stumme Zeugen“ im Nachgang zu Straftaten präsentiert. Zuletzt waren es die Bilder der mutmaßlichen Terroristen vom Kölner Hauptbahnhof, die offenbar einen Anschlag auf Personenzüge der Deutschen Bahn geplant hatten. Diese Bilder erfüllen eine bedeutende gesellschaftliche Entlastungsfunktion sowie vermutlich auch eine Entlastung der ermittelnden Behörden. So kann z.B. in der Öffentlichkeit der Eindruck entstehen, mit der Sichtbarkeit der Täter sei nach dem Motto „Gefahr erkannt, Gefahr gebannt“ bereits ein Teil der vielbeschworenen Bedrohung durch den Terrorismus im Griff. Die Abbildbarkeit von Personen und Vorgängen suggeriert insoweit die Beherrschbarkeit des erfassten Geschehens. Die präsentierten Bilder entsprechen zudem technisch dem gesellschaftlichen Leitmedium Fernsehen und sind dort „anschlussfähig“, d.h. darstellbar.

Zum anderen können die Verantwortlichen der Sicherheitsgewährleistung mit der Vorlage von Bildmaterial erste Erfolge nachweisen und damit z.B. die zumeist medial erzeugte Nachfrage nach Fahndungserfolgen befriedigen.

Die genannten Besonderheiten lassen es nachvollziehbar erscheinen, weshalb es die Videoüberwachung öffentlicher Räume als eines der wenigen Überwachungsthemen gelegentlich bis heute in die Topmeldungen der Medien schafft. Die besondere öffentliche Aufmerksamkeit zieht auch die Aufmerksamkeit der Politik nach sich: so wird erklärbar, weshalb die Videoüberwachung im Gegensatz zu vielen anderen drängenden datenschutzpolitischen Themen trotz der allgemeinen Stagnation von Reformanstrengungen in diesem Bereich im Jahr 2001 eine teilweise Verrechtlichung erfahren hat (Schaffung des § 6b Bundesdatenschutzgesetz, siehe dazu unten).

Gesell­schaft­liche Folgen

Insbesondere die symbolisch aufgeladene Diskussion um die polizeiliche Videoüberwachung öffentlich zugänglicher Räume kennzeichnet einen Wandel im Verhältnis des Staates zu seinen Bürgern. Sie kann als Zeichen eines in der Öffentlichkeit grundlegend veränderten staatlichen Sicherheitsverständnisses verstanden werden. Auch wenn kritische Stimmen die Relativität von Umfragen gerade in Bezug auf die Videoüberwachung[4] betonen, kommen die massenmedial verbreiteten Ergebnisse zu beeindruckenden Akzeptanzzahlen von bis zu 75 %. An diesen Zahlen kommt die Diskussion um die Legitimität der weiteren Ausweitung nicht vorbei.

Die Realität der Video­über­wa­chung

Keine andere Überwachungstechnologie nimmt in den Berichten der Datenschutzaufsichtsbehörden mehr Raum ein. Sie zeugen von der überwiegend privat veranlassten bundesdeutschen Überwachungsrealität. Trotz zahlreicher Beschwerden von Bürgerinnen und Bürgern gegen ihren Einsatz scheint die weitere Ausweitung unaufhaltsam. Dagegen erfassen gerade einmal 100 polizeilich betriebene Kameras in Deutschland in 26 Städten öffentliche Räume.[5] Die Zahl der in öffentlich zugänglichen Räumen eingesetzten Kameras privater Betreiber wird dagegen bereits heute auf 400.000 bis drei Millionen geschätzt.[6] Dabei handelt es sich jedoch zumeist nicht um Systeme, die primär eine Erfassung des öffentlichen Straßenlandes bezwecken, sondern in aller Regel um auf privaten, aber öffentlich zugänglichen Grund gerichtete Kameras oder aber auf privates Grundeigentum gerichtete Kameras, die öffentlich zugängliche Räume miterfassen. Zum Vergleich: In Großbritannien befinden sich ca. 4,3 Millionen überwiegend kommunal betriebene, technisch anspruchsvolle Kameras im Einsatz mit dem ausdrücklichen Ziel der Erfassung öffentlichen Straßenlandes.

Erste Untersuchungen [7] zur Überwachungsrealität zeichnen ein differenziertes Bild bundesdeutscher Videoüberwachungspraxis: So besteht im öffentlichen Straßenland in einzelnen Stadtteilen Berlins bereits eine Überwachungsdichte, die als flächendeckend bezeichnet werden kann. Diese überwiegend durch private Kamerabetreiber zu verantwortende Dichte bleibt jedoch die Ausnahme. Demgegenüber weisen insbesondere öffentliche Verkehrsinfrastrukturen wie die Deutsche Bahn sowie viele kommunale Verkehrsbetriebe bereits heute eine besonders hohe Überwachungsdichte bis in die Fahrgasträume hinein auf.[8] Bei Tankstellen, Einkaufszentren und Kaufhäusern kann man ebenfalls von zumeist flächendeckend überwachten Örtlichkeiten ausgehen. Außerhalb dieser Bereiche aber deutet einiges darauf hin, dass der Alltag der Videoüberwachung alles andere als zweckentsprechend und effektiv verläuft. Veraltete oder mit moderner Technik inkompatible Systeme, bloße Kameraattrappen, fehlende Echtzeit Überwachungs- oder Aufzeichnungsmöglichkeiten scheinen zu überwiegen. Allerdings werden häufig Örtlichkeiten mit erfasst, welche selbst nach den gegenwärtig weiten gesetzlichen Bestimmungen nicht gefilmt werden dürften wie z.B. Toilettenräume. Verkaufszahlen der Hersteller, die „law & order“ – Rhetorik in der Sicherheitspolitik sowie die zahlreichen, auf ein großes Dunkelfeld hindeutenden Fallzahlen der Aufsichtsbehörden legen die Vermutung nahe, dass die Ausbreitung der Videoüberwachung in öffentlich zugänglichen Räumen weiterhin massiv ansteigen und technisch betrachtet die Qualität der dabei eingesetzten Anlagen steigen wird.

Hinter­gründe der Video­über­wa­chung

Nur in Kenntnis der Hintergründe der Dynamik der Ausbreitung können effiziente Regulierungsanstrengungen diskutiert werden: aus Makro perspektivischer Sicht wird eine veränderte Selbstwahrnehmung moderner Industriestaaten konstatiert, die neben dem zahlreiche Lebensbereiche berührenden Paradigma der gesteigerten Risikowahrnehmung[9] und – damit einhergehend – gesellschaftlichen Präventionsanstrengungen eine Fokussierung auf die Gewährleistung einer umfassenden Sicherheit aufweist. Der die Entwicklung der Überwachung insgesamt dynamisierende „erweiterte Sicherheitsbegriff“[10] scheint heute kaum eine Institution unberührt zu lassen, seien es staatliche oder nichtstaatliche Akteure der Überwachung.

Für eine Erklärung der Ausbreitung der Videoüberwachung wenig produktiv hingegen erscheint die frühe Gesellschaftstheorie Foucaults, wie er sie in „Überwachen und Strafen“ darlegte: In sein Konzept der Zurichtung von Menschen durch eine Disziplinargesellschaft scheint die eher situativ wirkende Videoüberwachung gerade nicht zu passen.[11] Für das Verständnis wesentlich ergiebiger ist die Betrachtung historischer Entwicklungen in Deutschland: Ereignisse wie der RAF-Terror hatten bereits früh eine bis heute anhaltende Sicherheitsdynamik ausgelöst. Die damals begonnene stete Aufrüstung des bundesdeutschen Sicherheitsapparats mit neuen Befugnissen für den Einsatz neuer Ermittlungsmethoden und -instrumente hält bis heute an. Damit öffnete sich auch der Blick auf die Videoüberwachung. Mit dem Wegfall des Ost-West-Gegensatzes hat sich zudem die Sicherheitswahrnehmung verändert: Der Feind wurde nicht mehr primär jenseits der Grenze, sondern in den eigenen Reihen der Gesellschaft verortet. Das Schlagwort von der „organisierten Kriminalität“ ersetzte und erneuerte teilweise die operative Feindausrichtung der Sicherheitsbehörden. „9/11“ stellte eine erneute Zäsur dar: In nahezu allen westlichen Industriestaaten trat unter Verweis auf den Terrorismus zumindest vorübergehend in der öffentlichen Debatte die Friedensfunktion des Nationalstaates wieder in den Vordergrund der Staatsaufgaben, wobei gerade der häufige legitimierende Verweis auf Hobbes‘ Leviathan einen eher autoritären, Furcht getriebenen Einschlag dieser Debatten kennzeichnete. Da seit mehr als 30 Jahren, zuletzt unter den Vorzeichen der Globalisierung, auch dem vermeintlichen Ende des Nationalstaates als zentraler Herrschaftsinstanz,, das Wort geredet wird, kann auch der Verdacht nachvollzogen werden, dass derartig kriselnde Staatswesen wenn auch nicht intentional, so doch strukturell kompensierend Maßnahmen ergreifen, um ihren Steuerungsanspruch zumindest symbolisch zu demonstrieren und zu erhalten.

Auch mesoperspektivisch sind für das Politikfeld der inneren Sicherheit und damit für den Bereich hoheitlicher Videoüberwachung deshalb wesentliche Ursachen dieser Entwicklung benannt worden. Insbesondere der Gesetzgeber selbst zählt zu den größten Sicherheitstreibern. Denn hohe Akzeptanzzahlen in der Bevölkerung für eine rigide „law and order“ – Politik scheinen die politischen Parteien und konservativ-pragmatische Sicherheitsallianzen (Aden) zu entsprechenden Maßnahmen zu zwingen, um sich nicht dem Vorwurf der „Realitätsblindheit“ oder der „sicherheitspolitischen Naivität“ auszusetzen. Gerade für den Fall der Videoüberwachung öffentlicher Räume gilt es für das Paradebeispiel Großbritannien als ausgemacht, dass die ungeheure Dynamik der Ausbreitung nur mit der zu Beginn der neunziger Jahre als besonders hoch wahrgenommenen Kriminalität und dem dadurch entstandenen Handlungsdruck auf die konservative Regierung erklärbar wird. Diese hatte daraufhin eine international beispiellose finanzielle Unterstützung der Videoüberwachung öffentlicher Räume durch zweckgebundene Finanzhilfen an Kommunen initiiert.[12] Eine derartige Entwicklung scheint in Deutsch-
land bereits aufgrund der Länderzuständigkeit für die polizeiliche präventive Videoüberwachung, aber auch aufgrund anderer institutioneller Besonderheiten (z.B. des grundrechtlich verbrieften Schutzes des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung, der starken Stellung des Bundesverfassungsgerichts im Staatsgefüge; tradierter Diskurse „zur Verteidigung“ des Persönlichkeitsrechts) schwer vorstellbar. Mit Ausnahme Berlins13 verfügen allerdings sämtliche Bundesländer inzwischen über Eingriffsnormen im Polizeirecht, um bestimmte „gefährdete“ Örtlichkeiten erfassen zu können. Die damit geschaffene Möglichkeit der Überwachung allein macht sicher noch keinen Überwachungsstaat Vielmehr kommt es hier stets auf ein differenziertes Gesamtbild der alltäglichen Überwachungspraxis (Methoden, Instrumente, Quantität) an. Die geschaffenen Eingriffsgrundlagen kennzeichnen allerdings ein polizeistaatliches[14] Recht, welches sich vom ursprünglichen Ideal der Rechtsstaatlichkeit weit entfernt hat.

Private Betreiber von Videoüberwachung unterliegen grundsätzlich anderen Rahmenbedingungen und handlungsleitenden Selbstwahrnehmungen. Allerdings umfassen beispielsweise moderne Managementmethoden in Unternehmen systematische Risikoanalysen, bei denen es auch eine besondere Affinität zu vermeintlich Kosten sparenden technischen Lösungen für vermeintlich mehr Sicherheit geben dürfte. Der Einsatz von Videokameras nicht nur zur Gebäudeüberwachung, sondern z.B. in steigendem Maße auch für die Arbeitsplatzüberwachung gewinnt damit weiter an Bedeutung. Öffentlicher Straßenraum wird häufig in einer Art präventiver Vorneverteidigung miterfasst, allerdings mit dem Risiko, aufgrund der relativ eindeutigen Rechtslage auf Unterlassung in Anspruch genommen zu werden. Diese Einschränkung scheint allerdings in dem Maße zu entfallen, wie öffentliches Straßenland in privates Eigentum umgewandelt wird und das Hausrecht der Eigentümer gilt. Als bedeutendes Beispiel mag das Sicherheitsregime der Verkehrsbetriebe wie der Deutsche Bahn AG oder Shopping Malls genannt werden, welche auf flächendeckende Überwachungen der gesamten Infrastruktur zielen. Eines scheint diesen privat veranlassten Überwachungskonstellationen jedoch gemein: die Kamera soll Zwischenfälle jeglicher Art in den erfassten Räumen entdecken und vermeiden helfen. Da es sich überwiegend um Verkaufs- und Konsumräume oder deren Umfeld handelt, wird deutlich, dass es sich bei der privaten Videoüberwachung um ein Effektivierendes Mittel zum reibungslosen Funktionieren der Konsumgesellschaft handelt. Paradigmatisch hierfür steht die totalüberwachte Shopping Mall, die in Deutschland insbesondere in den größeren Bahnhöfen realisiert wurde.

Die fehlende Effek­ti­vität der Video­über­wa­chung

Der Einsatz der Videoüberwachung wird zumeist mit dem Zweck der Kriminalprävention begründet. Stets wird dabei auch die Stärkung des allgemeinen Sicherheitsgefühls mit angeführt. Insbesondere ältere Bürgerinnen und Bürger würden sich unter den Augen der Kameras sicherer fühlen. Kriminologische Studien zur Effizienz der Videoüberwachung bei der Erreichung dieser Ziele kommen vor allem aus Großbritannien.[15] Danach kann keine nennenswerte Wirkung auf die Kriminalität an überwachten Örtlichkeiten nachgewiesen werden, es sei denn, es handelt sich um Parkplätze. Insbesondere der nahe liegende Einwand der Verdrängung der Kriminalität in nicht überwachte Bereiche ist offenbar nicht von der Hand zu weisen.

Eine jüngere bundesdeutsche Untersuchung zu Aspekten der Kriminalitätsfurcht[16] stellt auch die vermuteten positiven Auswirkungen auf das Sicherheitsgefühl in Frage. Vielmehr scheint mit der Überwachung von Örtlichkeiten in der Wahrnehmung der Bürgerinnen und Bürger oft auch deren Stigmatisierung als Problemort oder gar die Entwertung für eine lebendige öffentliche Nutzung einherzugehen. Hier zeigt sich zugleich, dass die in anderen Untersuchungen ermittelte hohe Akzeptanz der Videoüberwachung relativiert werden muss: Je nach Gestaltung einer Untersuchung zeigen sich im Konkreten durchaus auch kritischere Einschätzungen der Bürgerinnen und Bürger.

Video­über­wa­chung im Vergleich mit anderen Überwa­chungs­in­stru­menten

Die Videoüberwachung öffentlicher Räume stellt eine zumeist dauerhafte und (nicht immer) sichtbare Überwachungs-Infrastruktur dar, die potentiell jeden Bürger betrifft. Das kennzeichnet sie im Gegensatz auch zu anderen präventiven Überwachungspraktiken wie beispielsweise der Raster- oder Schleierfahndung, welche zwar ebenfalls mehr oder weniger anlasslos dazu führen, dass potentiell „jeder und jede Einzelne durch ihr Verhalten allein den Staat nicht mehr auf Abstand halten können“ (D. Grimm), diese aber zeitlich beschränkt bleiben und für die Mehrzahl der Bürgerinnen und Bürger nicht real erfahrbar werden. Solange infolge der Videoüberwachung kein Zugriff auf die erfassten Personen erfolgt, bleiben diese zwar zunächst für die Überwacher unbekannt. Allerdings besteht bei Aufzeichnung der Bilder häufig die Möglichkeit, im Nachhinein Identifizierungen vorzunehmen. Hierin liegt derzeit aus polizeilicher Sicht die wichtigste Funktion der meisten Kameras: Im Nachgang zu Straftaten werden Bildaufzeichnungen auf Hinweise und Beweise für Ermittlungen ausgewertet. Die Bilder der mutmaßlichen Bahnattentäter aus dem Kölner Hauptbahnhof bieten hierfür ein gutes Beispiel.

Soziale Auswir­kungen der Video­über­wa­chung

Der Einsatz von Videoüberwachung bedeutet die gezielte Schaffung einer Macht- und Informationsasymmetrie an bestimmten Örtlichkeiten. Diese Asymmetrie lässt sich kompensierend weder durch gesetzliche Zweckfestlegungen noch Beschilderungen aufheben. Denn es bleibt für Betroffene stets offen, ob sie gerade konkret beobachtet werden und was mit dem Bildmaterial weiter passiert. Auf diese Weise werden Verhaltensanpassungen angestrebt, die den jeweiligen örtlichen Vorgaben entsprechen, z.B. Schaffung und Erhalt eines günstigen Konsumklimas. In vielen Fällen wird eine zeitnahe Steuerung von Einsatzkräften z.B. zur Durchsetzung der Hausordnung mit bezweckt.

Die Videoüberwachung greift so in die Interaktions – und Kommunikationsverhältnisse an den betroffenen Örtlichkeiten ein. Die Symmetrie von Sehen und Gesehen werden an öffentlich zugänglichen Orten wird von der strukturellen Asymmetrie des beobachtenden Kameraauges gestört.[17]

Bei Videoüberwachungen mit Interventionsmöglichkeiten wie der Heranführung von Einsatzkräften kommt es häufig zu einer selektiven Überprüfung insbesondere von Ausländern, sozialen Randgruppen und Jugendlichen, die aus der Sicht der Überwacher als besonders verdächtig gelten. In der Folge werden diese von bestimmten Räumen ferngehalten und an der sichtbaren Partizipation am öffentlichen Leben in diesen Räumen gehindert. Hier zeigt sich eine diskriminierende Wirkung von bestimmten Einsatzkonstellationen, welche, worauf in der britischen Diskussion zu Recht hingewiesen wird, von den Datenschutzgesetzen nur unzureichend adressiert werden.

Darüber hinaus wird die Unsichtbarkeit der konkret erfolgenden Überwachungshandlungen und des überwachenden Personals für die beobachteten Personen als Kontrollverlust erfahrbar. Diese können z.B. nicht wissen, ob ihre Bilddaten gespeichert, ob Bilddatenbankabgleiche durchgeführt werden und die Bilder möglicherweise weitergegeben werden. Dieser Kontrollverlust kann nach unterschiedlichen psychologischen Erklärungsansätzen zu vorauseilend angepasstem Verhalten an überwachten Örtlichkeiten führen, um möglichen negativen Folgen zu entgehen.

Rechtliche Reaktionen

Rechtsgrundlagen für die hoheitliche Videoüberwachung öffentlich zugänglicher Räume gibt es in den Polizeigesetzen der Länder bereits seit Jahren. Diese zielen ihrem Zweck nach auf die Prävention von Straftaten mit Hilfe der Videoüberwachung. Zu diesen Regelungen ist bereits viel geschrieben worden.[18] Weitestgehend unbestritten handelt es sich selbst bei nicht Personen scharfen Übersichtsaufnahmen um Eingriffe in das aus Artikel 2 Abs. 1 GG (in Verbindung mit dem Menschenwürdeschutz aus Art. 1 GG) gewährleistete Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung aller betroffenen Personen, die sich im erfassten Bereich aufhalten, so dass nach dem Prinzip des Vorbehalts des Gesetzes eine vom Gesetzgeber zu verantwortende Regelung erforderlich erschien.

Das aus dem Grundrecht der Bürger folgende Recht darauf, grundsätzlich selbst wissen und entscheiden zu können, „wer was wann über sie weiß“ ist in den polizeirechtlichen Rechtsgrundlagen nur ungenügend umgesetzt worden. Neben den rechtspolitischen Hintergründen (siehe bereits oben) dieser Regelungen drängt sich auch ein rechtsdogmatischer Grund für dieses Umsetzungsdefizit auf: Nachwirkungen der über Jahrzehnte geltenden Vorstellung von Persönlichkeitsschutz als Schutz einer räumlich verstandenen Privatheit führten bei der Diskussion um die Erfassung öffentlicher Räume zur Behauptung einer geminderten legitimen Schutzerwartung der Bürger in diesen Räumen. Angemessene rechtsstaatliche Kompensationen für die von der Überwachung an bestimmten Örtlichkeiten stets betroffene, hohe Anzahl völlig unverdächtiger Bürgerinnen und Bürger fehlen in den Befugnisnormen. Die Bestimmung der zu überwachenden Örtlichkeiten wird zumeist der örtlich zuständigen Polizei überlassen, ohne dass diese weiteren Nachweisen der Notwendigkeit unterliegt und die Dauer der Maßnahme wird nicht hinreichend beschränkt. Ferner wurden Besonderheiten der Videoüberwachung wie die prinzipiell verdeckt bleibende Beobachtung einzelner Personen z.B. per Heranzoomen selbst bei entsprechender Ausschilderung von überwachten Örtlichkeiten nicht gesetzlich adressiert und lassen diese somit, neben den grundlegenden Zweifeln an der Regelbarkeit in den Polizeigesetzen, als insgesamt unverhältnismäßig und damit verfassungswidrig erscheinen.

Ein weiterer Aspekt liegt im Verhältnis der Überwachung zur Demokratie als ganzer: Der menschenrechtliche Artikel 8 EMRK erlaubt Eingriffe in das Privatleben der Bürger u. a. nur insoweit es in einer Demokratie noch vertretbar ist . Vergleichbar sieht das BVerfG im Recht auf informationelle Selbstbestimmung auch eine objektive Komponente, welche den Schutz der demokratischen Ordnung bezweckt. Es ist wenig überzeugend, wenn sich demokratische Rechtsstaaten mit durchgehend videoüberwachten öffentlichen Räumen präsentieren. Gleichwohl wird Kritikern der englischen Entwicklung beispielsweise stets die gewachsene Tradition der ältesten Demokratie der Welt entgegengehalten, die keinesfalls gefährdet werde. Dem ist zuzugeben, dass totalitäre Spitzelsysteme wie beispielsweise die Stasi der DDR aufgrund ihres umfassenderen Zugriffes auf das Privatleben bis hin zur Korrumpierung persönlicher Beziehungen eine schwerer wiegende Eingriffstiefe für die davon betroffenen Bürger aufweisen. Dennoch muss die macht verstärkende, missbrauchsgeneigte Wirkung von zentralisiert einsetzbaren Kamerasystemen und deren mögliche Folgen für die Demokratie bei der rechtlichen Bewertung berücksichtigt werden.

Anders dagegen die Regelung für den Privatbereich: Entgegen der von Garstka im Datenschutz-Modernisierungsgutachten von 2001 vertretenen Auffassung besteht insbesondere für diesen Bereich erheblicher gesetzlicher Nachbesserungsbedarf. Hier wird der Weg in die Überwachungsgesellschaft der Marktteilnehmer sichtbar, die sich offenbar als Korrelat zu einer effektiveren Konsumgesellschaft herausbildet. Verfassungsrechtlich kommt hier dem Gesetzgeber eine besondere Schutzpflicht gegenüber den davon betroffenen Bürgern zu. Die Bürgerrechte sind, insbesondere das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, auch in öffentlich zugänglichen Räumen, effektiv zu gewährleisten. Nach dem maßgeblichen § 6b BDSG bedürfte es an sich einer eingehenden Abwägung der Interessen des Überwachers mit den Interessen der potentiell Betroffenen, bevor eine Kameraüberwachung eingesetzt werden kann. Diese Regelung läuft jedoch unter anderem deshalb leer, weil die Einschätzung ausschließlich durch den Betreiber vorgenommen wird und von der Norm scheinbar nahezu jegliches berechtigte Interesse anerkannt wird, ohne eine ausdrückliche Beschränkung auf nachweisbare Sicherheitsinteressen aufgrund von konkreten Vorfällen wie z.B. Diebstählen in der Vergangenheit zu verlangen.[19] Hinweise der Aufsichtsbehörden verweisen auf ein massives Vollzugsdefizit bei der Anwendung dieser unklaren Bestimmung: Tausende der zur Zeit betriebenen Überwachungssysteme werden derzeit vermutlich rechtswidrig betrieben.

Fazit

Die politische Diskussion um die polizeiliche Videoüberwachung beherrscht auf Grund ihrer symbolischen Überdetermininierung, den Überwachungsdiskurs. Jeder von Kameraüberwachung auch Privater neu erfasste Raum bestätigt die Bürgerinnen und Bürger in der scheinbaren Unvermeidlichkeit der weiteren Ausweitung. Die täglich erfahrene Überwachungsrealität droht damit auch, die notwendige kritische Diskussion um andere Überwachungsmethoden zu schwächen.

Von einer Totalüberwachung per Kamera sind wir noch weit entfernt. Dabei bietet die laufende Aufrüstung der Technologie, z.B. der absehbare Einsatz von Biometrietechnologie zum identifizierenden Datenbankabgleich der von der Kamera erfassten Gesichter zahlreiche Ansätze zu einer Neudiskussion. Eine nüchterne Politikfeldanalyse kommt allerdings nicht umhin, die Erfolgsaussichten derjenigen Ansätze, die um eine Erhöhung der Rationalität der Diskussion bemüht sind, kritisch zu hinterfragen. Zwar sprechen wissenschaftliche Untersuchungen der Effektivität der Videoüberwachung eindeutig gegen deren weitere Ausweitung. Dieses Wissen beispielsweise via Technikfolgenabschätzung in weitere Verrechtlichungsdebatten einzuspeisen, setzt jedoch zumindest eine im Ansatz interessierte politische Konstellation voraus, die derzeit nicht in Sicht scheint.

Im Hinblick auf die zumeist rechtswidrige private Videoüberwachung bedarf es dringend klärender Regelungen des Gesetzgebers, um den drohenden Verlust der Achtung von Persönlichkeitsrechten im Verhältnis der Bürger untereinander abzuwenden.

[1] Beredtes Zeugnis dafür liefern die alljährlichen Berichte der Aufsichtsbehörden der Länder für den Datenschutz ab, vgl. www.datenschutz.de/institutionen.

[2] Vgl. dazu Dennninger, Der Präventionsstaat, KritV 1981, S. 3, der allerdings den Begriff mit Blick auf staatliches Handeln verwendet.

[3] in der Bewertung ähnlich: Kammerer.

[4] Hier wird stets darauf verwiesen, dass genauere Umfragen die zumeist allgemeine behauptete Kriminalitätsfurcht nicht stützen, weil z.B. Bürger in ihrer unmittelbaren, hinlänglich bekannten Umgebung wenig Furcht zu verspüren scheinen.

[5] Vgl. bei Florian Glatzner: Die staatliche Videoüberwachung des öffentlichen Raums als Instrument der Kriminalitätsbekämpfung, Münster, 2006, abrufbar unter http://www.foebud.org/video/magisterarbeit -florian-glatzner.pdf/view

[6] Unter Zugrundelegung der vom Gesetzgeber zu § 6b Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) gewählten Begrifflichkeit, welche vom juristischen Schrifttum als jeglichen ohne weitere Hindernisse betretbaren Raum – unabhängig von seiner eigentumsrechtlichen Zuordnung – umfassend interpretiert wird.

[7] Siehe z.B. das EU -Projekt „Urbaneye“ unter www.urbaneye.net.

[8] Diese Entwicklung zeichnen die Tätigkeitsberichte der Datenschutzaufsichtsbehörden für die jeweiligen Bundesländer nach, vgl. unter www.datenschutz.de/institutionen.

[9] Vgl. dazu immer noch aktuell A. Giddens, Konsequenzen der Moderne, Frankfurt/ Main, 1996.

[10] Im Sinne von H.J. Albrecht, vgl. dazu das Skript des RAV-Vortrages unter http://www. rav.de/infobrief91/albrecht.htm.

[11] Der in der Überwachungsliteratur verbreitete Verweis auf das sog. Postskriptum auf die Kontrollgesellschaft von Gilles Deleuze als einer Aktualisierung von Foucaults Gesellschaftsanalyse erscheint schon angesichts der Kürze des Textes und der eher andeutungshaft bleibenden Inhalte mehr als gewagt.

[12] Vgl. Glatzner, a.a.O., S. 40.

[13] Die dort geschaffene Eingriffsnorm für gefährdete Gebäude kann jedoch als vergleichbare Regelung bewertet werden.

[14] Vgl. dazu Roggan, Auf legalem Weg in einen Polizeistaat, 2000.

[15] Die einzige in Deutschland durchgeführte Studie zur polizeilichen Videoüberwachung in Brandenburg wirft selbst die Frage ihrer Repräsentativität angesichts der untersuchten Örtlichkeiten und des dafür zur Verfügung stehenden Zahlenmaterials auf.

[16] Abrufbar unter http://www1.uni-hamburg.de/kriminol/surveillance/aktuell.html.

[17] Aus techniksoziologischer Sicht W. Rammert,Gestörter Blickwechsel durch Videoüberwachung in „Bild, Raum, Kontrolle, hrsg. Von Leon Hempel und Jörg Metelmann, 2005.

[18] Vgl. nur Roggan, Handbuch Recht der inneren Sicherheit.

[19] So etwa die Forderung des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz Schleswig-Holstein als der für das Land zuständigen Aufsichtsbehörde im nichtöffentlichen Bereich.

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